Viertes Kapitel

[176] Jakobs Vater arbeitete indessen unermüdet an der Ausführung der Hauptrevolution, die er im Sinne hatte, und bestimmte das arme Fräulein Hedwig zur ersten Unglücklichen, die das Trauerspiel eröffnen sollte.

Ihr Verständnis mit dem Stallmeister hatte er längst ausgekundschaftet, das ist bereits gemeldet worden: seit dieser Entdeckung suchte er auf alle Weise an den Liebhaber zu kommen und ihm sein Geheimnis abzulocken: es wollte lange Zeit nicht gehn. Endlich machte er ihn treuherzig. Er besuchte ihn oft auf seiner Stube und bat ihn oft zu sich, und weil der Stallmeister von der Vertraulichkeit und dem freundschaftlichen[176] Umgange mit dem Lieblinge des Grafen nicht nur Ehre, sondern auch Nutzen hoffte, so lief er gerade in die Falle hinein, die ihm dieser aufstellte. Bei einem solchen Besuche, wo er mit einem guten Glase Wein aufgeräumt und offenherzig gemacht worden war, brachte der nüchterne Wirt den halbtrunknen Gast auf die Liebe und gab ihm auf den Kopf Schuld, daß er bei Fräulein Hedwig in großer Gunst stehe. Der Stallmeister lehnte die Beschuldigung lachend von sich ab. – »Leugnen Sie nur nicht!« rief der Bösewicht, »der Graf weiß es lange.« – Der Stallmeister war des Todes vor Schrecken.

»Was ist's denn nun weiter!« fuhr jener fort. »Fräulein Hedwig hat's ihm selber gesagt: sie möchte gern gar mit Ihnen getraut sein.« –

Der Stallmeister saß da, sagte kein Wort und schwebte mit seinem wirblichten Kopfe zwischen Glauben, Zweifel und Verwundrung umher.

»Der Graf wollte gar nicht«, redete jener weiter, »aber ich hab ihm zugesetzt; und wenn Sie mir ein gutes Wort geben, so bring ich's dahin, daß Ihnen der Graf seine Einwilligung gibt.«

»Gehn Sie! machen Sie das einem Kinde weis!« unterbrach ihn der Stallmeister.

»Ich dächte«, erwiderte der andre, »Sie wüßten, wieviel ich bei dem Grafen ausrichten kann. Nur ein Wort soll mir's kosten: ich hab ihn so schon auf Ihre Seite gezogen. Setzen Sie eine Supplik auf! bitten Sie den Grafen um seine Einwilligung, und ich will sie ihm übergeben. Es ist ja doch keine Kleinigkeit, ein Fräulein zu heiraten.« –

Allmählich gelang's ihm, durch sein Zureden und Versicherungen eines guten Erfolgs dem leichtgläubigen Stallmeister das Vertrauen abzugewinnen: es ging so weit, daß er seinem Spione den ganzen Liebeshandel beichtete und morgendes Tages eine Supplik aufzusetzen versprach; und er schmeichelte sich darum mit den günstigsten Erwartungen, weil er seit einiger Zeit bei dem Grafen in vorzüglicher Gnade zu sein glaubte, was ihm der Betrüger, der ihn itzt im Netze fing, überredet hatte.[177]

Freudig ging der Bösewicht, als ihn der Stallmeister verließ, zu Fräulein Hedwig und wünschte ihr geradezu zu ihrer Vermählung Glück. Sie riß die großen Augen ellenweit auf.

»Der Graf«, fuhr er fort, »ist nicht ungeneigt dazu: ich hab ihn darüber gesprochen. Sie wissen, daß ich Ihnen beständig beim Grafen das Wort geredet habe, und es sollte mir eine rechte Freude sein, wenn ich ihn dahin bringen könnte, daß er in Ihre Heirat willigte.« –

Fräulein Hedwig tat entsetzlich verwundert, leugnete aus allen Kräften und war hundert Meilen weit von einer Sache entfernt, die sie gleich beim ersten Worte erriet.

»Leugnen Sie nur nicht!« versetzte jener mit dem vertraulichen Tone, womit er jedermann anzureden pflegte. »Der Herr Stallmeister hat mir die ganze Sache anvertraut; und ich werde mein möglichstes tun, so einen braven Mann, meinen Herzensfreund, glücklich zu machen. Er hat bei dem Grafen angehalten.« –

Fräulein Hedwig wollte in Ohnmacht sinken: aber sie besann sich hurtig anders.

»Reden Sie nur selber mit dem Grafen: und das heute noch! Stellen Sie ihm nur vor – zwar das werden Sie besser zu sagen wissen als ich. Gehn Sie lieber itzo zu ihm, damit ich auf den Abend mit ihm die Sache zustande bringen kann. Ich habe schon mit dem Grafen überlegt, daß er wohl wird geadelt werden müssen; und wir finden's billig, daß man die wenigen Taler an so einen braven Mann wendet. –«

Fräulein Hedwig hüpfte im Herzen vor Entzücken, traute aber noch nicht ganz.

Er setzte noch stärker in sie und machte das verliebte Fräulein durch die vielfältigen Versicherungen, was er und der Graf für sie tun wollten, so kirre und seine verdammte Lüge so wahrscheinlich, daß sie ins Garn hineineilte, zwar nichts ausdrücklich bekannte, aber doch mit dem Grafen darüber zu reden versprach.

Sie rennte vor Freude und Hoffnung, als er fort war, das Zimmer auf und nieder: itzt wollte sie gehn, hatte die Tür schon in der Hand, ließ sie hurtig fahren und ging zurück:[178] itzt war sie schon an der Treppe, bebte und ging wieder ins Zimmer, itzt schöpfte sie Herz, überdachte die Rede, die sie halten wollte, triumphierte über die Schnelligkeit, mit welcher sich ihr Gedanken und Ausdruck darboten, und über die Wirkung, die sie sich davon versprach. »Aber wenn nun der Graf nicht einwilligen wollte!« fuhr ihr durch den Kopf:

sie zitterte vor Entsetzen über die Vermutung. Die Lebhaftigkeit ihrer Wünsche richtete sie bald wieder auf; sie sah sich schon am Altare, schon in den Armen ihres dicken Amyntas, schon – wie ein Zephir flog sie mit ihren bleiernen Füßen die Treppe hinunter, die andere hinauf, den Korridor durch – da stand sie im Vorzimmer des Grafen! Es wollte ihr das Herz abdrücken: kaum konnte sie dem Bedienten, der die Aufwartung hatte, stammelnd sagen: »Melde Er mich!« – und kaum war er hinein, so wollte sie ihn schon wieder zurückziehn. – Gütige Götter! er kömmt heraus, macht den Türflügel weit auf, der Graf steht wartend da, sie muß hinein.

Kein Dieb, der zum erstenmal stahl und zum ersten Male ertappt wurde, kann mit solcher Angst im Verhör auftreten als die arme Hedwig vor dem Grafen. Sie stotterte, fing ihre Rede zehnmal an und blieb zehnmal stecken und hatte schon fünf bis sechs völlige Minuten gesprochen, ohne daß der Graf wußte, was sie wollte, ob er sie gleich oft genug darum befragte. Endlich brach ihre Beredsamkeit durch: sie bat deutlich und vernehmlich um die gnädige Erlaubnis, einen ihrer größten Wünsche zu vollziehen und sich mit dem Stallmeister zu vermählen. – In dem Gesicht des Grafen stieg ein sehr ungnädiges Donnerwetter auf und zog sich von der äußersten Nasenspitze bis zu der nördlichen Breite der Stirn hinan, daß zuletzt diese ganze Halbkugel seines Kopfs eine große Gewitterwolke war. Leugnen konnte sie nicht: denn sie hatte sich zu bestimmt ausgedrückt; und – eherne Federn und steinerne Griffel vermögen nicht die Wut zu beschreiben, mit welcher das Gewitter losbrach: das war ein Orkan, wie ihn noch kein Seefahrer ausgestanden hat! und Fräulein Hedwig kroch, wie ein Vögelein in einen hohlen[179] Baum vor dem losstürzenden Schloßenwetter flieht, ängstlich rückwärts nach der Tür und schlich mit gebeugter Seele zu ihrem Zimmer zurück, nahm niederschlagend Pulver, Rhabarber, Sennesblätter und Gott weiß was mehr, konnte nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen: sie dachte vor Kummer gar nicht daran, daß sie betrogen war.

Sogleich nach ihrem Abtritte mußte der Betrüger, dem sie ihr Unglück zu danken hatte, zum Grafen kommen: er wollte sich zu Tode lachen, als ihm der Graf das Vorgefallne erzählte. – »Nun denken Sie einmal!« setzte der Gewissenlose hinzu, »der Stallmeister hat mich schon lange geplagt, ich soll eine Supplik von ihm übergeben, worinne er um das nämliche anhalten will. Wer weiß, was vorgefallen ist? Der Umgang ist schon alt: aber ich hab Ihnen nur nicht das Herze damit schwer machen wollen.«

Der Graf knirschte vor Wut und wollte beide gleich aus dem Schlosse jagen lassen: allein er durfte nicht; denn sein Maulesel sagte ihm, er sollte das nicht tun. – »Ich will mir morgen die Supplik geben lassen,« sprach er, »und dann wollen wir miteinander überlegen, was zu tun ist.« –

Der Graf, dem alles sklavisch gehorchen mußte, gehorchte dem befehlenden Rate dieses Mannes wie ein Schulknabe. – Indessen wurde die Gräfin durch ihn von der nahen Verunehrung ihres Hauses unterrichtet: sie ließ die Delinquentin rufen und bekam die Entschuldigung zur Antwort, daß ihr nicht wohl sei. Den Morgen darauf ließ man die Entschuldigung nicht mehr gelten: sie mußte sich schlechterdings stellen: die Gräfin ließ sie, ihrer Sanftmut ungeachtet, hart an und befahl ihr vorläufig, ihr Paket zusammenzumachen. Sie fiel auf die Knie: die Gräfin verwies ihr diese Erniedrigung und ebensosehr ihre Unbesonnenheit, daß sie sich mit einer so seltsamen Bitte an ihren Gemahl gewendet hatte. Sie wollte die Betrügerei erzählen, die sie dazu verleitete, aber ihr Schluchzen machte jedes Wort der Erzählung unverständlich. Ungetröstet und ungerechtfertigt mußte sie hinweggehn.

Der Stallmeister, der nichts hievon erfahren konnte, saß die ganze Nacht durch und buchstabierte mit schwerer Mühe[180] eine Supplik zusammen und brachte sie mit dem frühsten Morgen seinem vermeinten guten Freunde und Beschützer, der sie augenblicklich zum Grafen trug. Der betrogne Mann wartete voller Ungeduld im Vorzimmer und bekam endlich zur Antwort, daß er gegen Abend die Willensmeinung seines Herrn erfahren solle. Seinem Glücke so nahe, bildete er sich ein, daß es ihm wohl erlaubt sei, die hochwohlgeborne Braut auf ihrem Zimmer bei Tageslicht zu besuchen: er eilte auf den Fittichen der Liebe zu ihr, eine fröhliche Botschaft zu hinterbringen, die sie nach seiner Meinung aus seinem Munde zuerst erfuhr, und – Götter! wie stutzte der Mann, als er seine breitschulterichte Chloe – wie er sie sonst nennen mußte – in Tränen zerfließend, bleich und voller Betrübnis erblickte. – »Gehn Sie!« rief sie ihm entgegen, »Sie sind die Ursache meines Unglücks: ich möchte, daß ich mich niemals vom bösen Feinde hätte verführen lassen, Sie zu lieben. O Tartarus! schlinge mich in deinen flammenden Wanst hinab!«2 – Mit dieser pathetischen Ausrufung ging sie ins Kabinett und schloß hinter sich zu. Der erstaunte Liebhaber sah sich im Zimmer um, klatschte mit dem spanischen Rohr dreimal an die gewichsten Stiefeln und ging seinen Weg.

Unmittelbar nach aufgehobner Tafel wurde Fräulein Hedwig angedeutet, daß man im Städtchen eine Wohnung ausgemacht habe, wo sie künftig residieren und wohin sie sich nebst ihren sämtlichen Effekten in der Dunkelheit des Abends begeben solle: um ihr Exilium nicht ganz trostlos zu lassen, versprach ihr der Graf eine jährliche kleine Pension, doch mit dem Vorbehalt, daß sie nie seinen ungnädigen Augen mit ihrem Antlitze in den Weg kommen sollte. Durch den nämlichen Boten erhielt auch der Stallmeister seinen Abschied nebst dem Befehle, sich nie wieder in den Grenzen der gräflichen Herrschaft sehen zu lassen, wenn er nicht mit kräftigen Prügeln bewirtet sein wollte. Niemand wußte, was einen so schnellen Sturm bewirkt hatte: der Stallmeister selbst wußte nicht, was und wie ihm geschah: er suchte seinen Beschützer,[181] um nach der Beschaffenheit der Sache zu fragen:

daß sich der heimtückische Bösewicht nur mit einem Auge hätte blicken lassen! Er wollte sein geliebtes Fräulein sprechen, um ihr den gestrigen Groll zu nehmen; er durfte nicht:

ohne Abschied und ohne sein Verbrechen gewiß zu erfahren, mußte er in einer Stunde das Schloß und denselben Abend noch die Stadt räumen.

Die Baronesse hatte nie sonderliche Ursache gehabt, ihre Gouvernante zu lieben: doch itzt, da es zum Äußersten kam, bat sie bei dem Grafen und der Gräfin für sie; aber sie bestürmte Felsenherzen: es blieb bei der gegebnen gnädigen Verordnung, und Fräulein Hedwig ging des Abends zwischen neun und zehn Uhr, ohne vor Scham von jemandem Abschied nehmen zu können, noch jemanden, der ihr begegnete, ansehen zu können, aus dem schönen Schlosse, schloß sich in ihr kleines angewiesenes Stübchen und kam in einem ganzen Monat nicht öffentlich zum Vorschein und verfluchte den bösen Feind, der sie zu der Sünde verleitet hatte, einen Menschen unter ihrem Stande zu lieben, samt seinem bösen Werkzeuge, den dicken Stallmeister mit der funkelnden gelbledernen Chaussure.

Der Maulesel triumphierte über den abermaligen Lorbeer, den ihm seine boshafte List über ein paar Menschen erworben hatte, über den abermaligen Beweis seiner Macht über den Grafen und dachte auf nichts Geringers, als das Haus in kurzem ganz rein von allen Personen zu machen, die ihm nicht ganz anstunden oder nicht zu seiner Fahne schwören wollten: der Graf selbst war bei allem Zorne und Unwillen im Grunde über die hofmäßige Revolution sehr erfreut, und die Gräfin wartete eine günstige Gelegenheit ab, das Schicksal der armen Hedwig zu mildern.

2

Zum Henker! Fräulein Hedwig! woher haben sie einen Unsinn, der unserer Zeiten würdig wäre?

Quelle:
Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 176-182.
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