In Schiffen auf hoher See

[27] In Schiffen auf hoher See,

Ringsum das unbegrenzte Blau;

Windespfeifen und Musik der Wellen, der großen königlichen Wellen ...

Ein Fahrzeug einsam schaukelnd auf dem Wogenschwall,

Wo freudig voller Zuversicht sich weiße Segel blähen,

Durchschneidet es den Äther, im Glitzern und Schaum des Tages,

Oder in der Nacht, unter unzähligen Sternen.

Dort werde ich von Seefahrern, jung und alt, vielleicht gelesen werden – in Erinnerung an das Land –

Endlich im vollen seelischen Rapport!


Dann mögen sie wohl sagen: Das sind unsere Gedanken, Seefahrer-Gedanken;

Hier ist nicht Land, festes Land allein; weit umspannt uns der Himmel,

Wir fühlen das schaukelnde Schiff unter unsern Füßen,

Den großen Pulsschlag, das Ebben und Fluten in ewiger Regung,

Des Unsichtbaren geheime Stimmen, die ahnungsvollen Einflüsterungen der grenzenlosen Salzflut,

Das Plätschern der flüssigen Silben,

Den Duft, das leise Knarren des Tauwerks, den melancholischen Rhythmus.

Der Blick ins Grenzenlose, der weite verschleierte Horizont:

Das ist des Ozeans Gedicht!
[28]

Dann wanke nicht mein Buch, erfülle dein Geschick!

Nicht nur eine Erinnerung an das Land bist du,

Auch du eine einsame Barke durchschneidest den Äther.

Wohin bestimmt? ich weiß es nicht, doch voller Zuversicht

Begleite jedes Schiff, das segelt,

Ein Bruderschiff für alle, segle du.

Trage in dir meine Liebe zu euch, ihr Seefahrer (ich falte sie in jedes Blatt hinein),

Eile mein Buch! Spanne deine weißen Segel, meine kleine Barke, über den königlichen Wellen,

Singe weiter, segle dahin über das grenzenlose Blau und bringe hinaus auf jedes Meer

Dieses Lied für die Seefahrer und ihre Schiffe!

Quelle:
Whitman, Walt: Grashalme. Leipzig 1904, S. 27-29.
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