Erster Gesang

[164] 1.

Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen, ihr Musen,

Zum Ritt ins alte romantische Land!

Wie lieblich um meinen entfesselten Busen

Der holde Wahnsinn spielt! Wer schlang das magische Band

Um meine Stirne? Wer treibt von meinen Augen den Nebel

Der auf der Vorwelt Wundern liegt,

Ich seh, in buntem Gewühl, bald siegend, bald besiegt,

Des Ritters gutes Schwert, der Heiden blinkende Säbel.


2.

Vergebens knirscht des alten Sultans Zorn,

Vergebens dräut ein Wald von starren Lanzen:

Es tönt in lieblichem Ton das elfenbeinerne Horn,

Und, wie ein Wirbel, ergreift sie alle die Wut zu tanzen;

Sie drehen im Kreise sich um bis Sinn und Atem entgeht.

Triumph, Herr Ritter, Triumph! Gewonnen ist die Schöne.

Was säumt ihr? Fort! der Wimpel weht;

Nach Rom, daß euern Bund der heilge Vater kröne!


3.

Nur daß der süßen verbotenen Frucht

Euch ja nicht vor der Zeit gelüste!

Geduld! der freundlichste Wind begünstigt eure Flucht,

Zwei Tage noch, so winkt Hesperiens1 goldne Küste.

O rette, rette sie, getreuer Scherasmin,

Wenn's möglich ist! – Umsonst! die trunknen Seelen hören

Sogar den Donner nicht. Unglückliche, wohin

Bringt euch ein Augenblick! Kann Liebe so betören?


4.

In welches Meer von Jammer stürzt sie euch!

Wer wird den Zorn des kleinen Halbgotts schmelzen?

Ach! wie sie Arm in Arm sich auf den Wogen wälzen!

Noch glücklich durch den Trost, zum wenigsten zugleich

Eins an des andern Brust zu sinken ins Verderben.

Ach! hofft es nicht! Zu sehr auf euch erbost

Versagt euch Oberon sogar den letzten Trost,

Den armen letzten Trost des Leidenden, zu sterben!
[165]

5.

Zu strengern Qualen aufgespart

Seh ich sie hülflos, nackt, am öden Ufer irren:

Ihr Lager eine Kluft, mit einer Hand voll dürren

Halb faulem Schilf bestreut! und Beeren wilder Art,

Die kärglich hier und dort an kahlen Hecken schmoren,

All ihre Kost! In dieser dringenden Not

Kein Hüttenrauch von fern, kein hülfewinkend Boot,

Glück, Zufall und Natur zu ihrem Fall verschworen!


6.

Und noch ist nicht des Rächers Zorn erweicht,

Noch hat ihr Elend nicht die höchste Stuf erreicht;

Es nährt nur ihre strafbarn Flammen,

Sie leiden zwar, doch leiden sie beisammen.

Getrennt zu sein, so wie in Donner und Blitz

Der wilde Sturm zwei Bruderschiffe trennet,

Und ausgelöscht, wenn im geheimsten Sitz

Der Hoffnung noch ein schwaches Flämmchen brennet:


7.

Dies fehlte noch! – O du, ihr Genius einst, ihr Freund!

Verdient, was Liebe gefehlt, die Rache sonder Grenzen?

Weh euch! Noch seh ich Tränen in seinen Augen glänzen;

Erwartet das Ärgste wenn Oberon weint! –

Doch, Muse, wohin reißt dich die Adlersschwinge

Der hohen trunknen Schwärmerei?

Dein Hörer steht bestürzt, er fragt sich was dir sei,

Und deine Gesichte sind ihm geheimnisvolle Dinge.


8.

Komm, laß dich nieder zu uns auf diesen Kanapee,

Und – statt zu rufen, »ich seh, ich seh«,

Was niemand sieht als Du – erzähl uns fein gelassen

Wie alles sich begab. Sieh, wie mit lauschendem Mund

Und weit geöffnetem Auge die Hörer alle passen,

Geneigt zum gegenseitigen Bund,

Wenn du sie täuschen kannst sich willig täuschen zu lassen.

Wohlan! so höret denn die Sache aus dem Grund!


9.

Der Paladin, mit dessen Abenteuern

Wir euch zu ergetzen (sofern ihr noch ergetzbar seid)[166]

Entschlossen sind, war seit geraumer Zeit

Gebunden durch sein Wort nach Babylon zu steuern.

Was er zu Babylon verrichten sollte, war

Halsbrechend Werk, sogar in Karls des Großen Tagen:

In unsern würd es, auf gleiche Gefahr,

Um allen Ruhm der Welt kein junger Ritter wagen.


10.

»Sohn«, sprach sein Oheim zu ihm, der heilge Vater in Rom,

Zu dessen Füßen, mit einem reichlichen Strom

Bußfertger Zähren angefeuchtet,

Er, als ein frommer Christ, erst seine Schuld gebeichtet;

»Sohn«, sprach er, als er ihm den Ablaß segnend gab,

»Zeuch hin in Frieden! Es wird dir wohl gelingen

Was du beginnst. Allein vor allen Dingen,

Wenn du nach Joppen kommst, besuch das heilge Grab!«


11.

Der Ritter küsset ihm in Demut den Pantoffel,

Gelobt Gehorsam an, und zieht getrost dahin.

Schwer war das Werk, wozu der Kaiser ihn

Verurteilt hatte; doch, mit Gott und Sankt Christoffel

Hofft er zu seinem Ruhm sich schon heraus zu ziehn.

Er steigt zu Joppen aus, tritt mit dem Pilgerstabe

Die Wallfahrt an zum werten heilgen Grabe,

Und fühlt sich nun an Mut und Glauben zwiefach kühn.


12.

Drauf geht es mit verhängtem Zügel

Auf Bagdad los. Stets denkt er, »kommt es bald?«

Allein da lag noch mancher steile Hügel

Und manche Wüstenei und mancher dicke Wald

Dazwischen. Schlimm genug, daß in den Heidenlanden

Die schöne Sprache von Ok2 was Unerhörtes war:

»Ist dies der nächste Weg nach Bagdad?« fragt er zwar

An jedem Tore, doch von keiner Seele verstanden.


13.

Einst traf der Weg der eben vor ihm lag

Auf einen Wald. Er ritt bei Sturm und Regen

Bald links bald rechts den ganzen langen Tag,

Und mußt oft erst mit seinem breiten Degen[167]

Durchs wilde Gebüsch sich einen Ausgang haun.

Er ritt Berg an, um freier umzuschaun.

Weh ihm! Der Wald scheint sich von allen Seiten,

Je mehr er schaut, je weiter auszubreiten.


14.

Was ganz natürlich war däucht ihm ein Zauberspiel.

Wie wird ihm erst, da in so wilden Gründen,

Woraus kaum möglich war bei Tage sich zu finden,

Zuletzt die Nacht ihn überfiel!

Sein Ungemach erreichte nun den Gipfel.

Kein Sternchen glimmt durch die verwachsnen Wipfel;

Er führt sein Pferd so gut er kann am Zaum,

Und stößt bei jedem Tritt die Stirn an einen Baum.


15.

Die dichte rabenschwarze Hülle

Die um den Himmel liegt, ein unbekannter Wald,

Und, was zum ersten Mal in seine Ohren schallt,

Der Löwen donnerndes Gebrülle

Tief aus den Bergen her, das, durch die Todesstille

Der Nacht noch schrecklicher, von Felsen widerhallt:

Den Mann, der nie gebebt in seinem ganzen Leben,

Den machte alles dies zum ersten Mal erbeben!


16.

Auch unser Held, wiewohl kein Weibessohn

Ihn jemals zittern sah, fühlt doch bei diesem Ton

An Arm und Knie die Sehnen sich entstricken,

Und wider Willen läuft's ihm eiskalt übern Rücken.

Allein den Mut, der ihn nach Babylon

Zu gehen treibt, kann keine Furcht ersticken;

Und mit gezognem Schwert, sein Roß stets an der Hand,

Ersteigt er einen Pfad, der sich durch Felsen wand.


17.

Er war nicht lange fortgegangen,

So glaubt er in der Fern den Schein von Feuer zu sehn.

Der Anblick pumpt sogleich mehr Blut in seine Wangen,

Und, zwischen Zweifel, und Verlangen

Ein menschlich Wesen vielleicht in diesen öden Höhn

Zu finden, fährt er fort dem Schimmer nachzugehn,[168]

Der bald erstirbt und bald sich wieder zeiget

So wie der Pfad sich senket oder steiget.


18.

Auf einmal gähnt im tiefsten Felsengrund

Ihn eine Höhle an, vor deren finsterm Schlund

Ein prasselnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten

Ragt aus der dunkeln Nacht das angestrahlte Gestein,

Mit wildem Gebüsche versetzt, das aus den schwarzen Spalten

Herab nickt, und im Widerschein

Als grünes Feuer brennt. Mit lustvermengtem Grauen

Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzuschauen.


19.

Indem schallt aus dem Bauch der Gruft ein donnernd »Halt!«

Und plötzlich stand vor ihm ein Mann von rauher Gestalt,

Mit einem Mantel bedeckt von wilden Katzenfellen,

Der, grob zusammen geflickt, die rauhen Schenkel schlug;

Ein graulich schwarzer Bart hing ihm in krausen Wellen

Bis auf den Magen herab, und auf der Schulter trug

Er einen Cedernast, als Keule, schwer genug

Den größten Stier auf Einen Schlag zu fällen.


20.

Der Ritter, ohne vor dem Mann

Und seiner Ceder und seinem Bart zu erschrecken,

Beginnt in der Sprache von Ok, der einzgen die er kann,

Ihm seinen Notstand zu entdecken.

»Was hör ich« ruft entzückt der alte Waldmann aus,

»O süße Musik vom Ufer der Garonne!

Schon sechzehnmal durchläuft den Sternenkreis die Sonne,

Und alle die Zeit entbehr ich diesen Ohrenschmaus.


21.

Willkommen, edler Herr, auf Libanon, willkommen!

Wiewohl sich leicht erachten läßt

Daß ihr den Weg in dieses Drachennest

Um meinetwillen nicht genommen.

Kommt, ruhet aus, und nehmt ein leichtes Mahl für gut,

Wobei die Freundlichkeit des Wirts das Beste tut.

Mein Wein (er springt aus diesem Felsenkeller)

Verdünnt das Blut, und macht die Augen heller.«
[169]

22.

Der Held, dem dieser Gruß gar große Freude gab,

Folgt ungesäumt dem Landsmann in die Grotte,

Legt traulich Helm und Panzer ab,

Und steht entwaffnet da, gleich einem jungen Gotte.

Dem Waldmann wird als rühr ihn Alquifs3 Stab,

Da jener itzt den blanken Helm entschnallet,

Und ihm den schlanken Rücken hinab

Sein langes gelbes Haar in großen Ringen wallet.


23.

»Wie ähnlich«, ruft er, »o wie ähnlich, Stück für Stück!

Stirn, Auge, Mund und Haar!« – »Wem ähnlich?« fragt der Ritter.

»Verzeihung, junger Mann! Es war ein Augenblick,

Ein Traum aus beßrer Zeit! so süß, und auch so bitter!

Es kann nicht sein! – Und doch, wie euch dies schöne Haar

Den Rücken herunter fiel, war mir's ich seh Ihn selber

Von Kopf zu Fuß. Bei Gott! sein Abdruck, ganz und gar;

Nur Er von breitrer Brust, und eure Locken gelber.


24.

Ihr seid, der Sprache nach, aus meinem Lande; vielleicht

Ist's nicht umsonst, daß ihr dem guten Herrn so gleicht,

Um den ich hier in diesem wilden Haine,

So fern von meinem Volk, schon sechzehn Jahre weine.

Ach! ihn zu überleben war

Mein Schicksal! Diese Hand hat ihm die Augen geschlossen,

Dies Auge sein frühes Grab mit treuen Zähren begossen,

Und itzt, ihn wieder in euch zu sehn, wie wunderbar!«


25.

»Der Zufall spielt zuweilen solche Spiele«,

Versetzt der Jüngling. – »Sei es dann«,

Fährt jener fort, »genug, mein wackrer junger Mann,

Die Liebe, womit ich mich zu euch gezogen fühle,

Ist traun! kein Wahn; und gönnet ihr den Lohn

Daß Scherasmin bei euerm Namen euch nenne?«

»Mein Nam ist Hüon, Erb und Sohn

Des braven Siegewin, einst Herzogs von Guyenne.«


26.

»O!« ruft der Alte, der ihm zu Fußen fällt,

»So log mein Herz mir nicht! O tausendmal willkommen[170]

In diesem einsamen unwirtbarn Teil der Welt,

Willkommen, Sohn des ritterlichen, frommen,

Preiswerten Herrn, mit dem in meiner bessern Zeit

Ich manches Abenteur in Schimpf4 und Ernst bestanden!

Ihr hüpftet noch im ersten Flügelkleid,

Als wir zum heilgen Grab zu fahren5 uns verbanden.


27.

Wer hätte dazumal gedacht,

Wir würden uns in diesen Felsenschlünden

Auf Libanon nach achtzehn Jahren finden?

Verzweifle keiner je, dem in der trübsten Nacht

Der Hoffnung letzte Sterne schwinden!

Doch, Herr, verzeiht daß mich die Freude plaudern macht.

Laßt mich vielmehr vor allen Dingen fragen,

Was für ein Sturmwind euch in dieses Land verschlagen?«


28.

Herr Hüon läßt am Feuerherd

Auf einer Bank von Moos sich mit dem Alten nieder,

Und als er drauf die reisemüden Glieder

Mit einem Trunk, so frisch die Quelle ihn beschert,

Und etwas Honigseim gestärket,

Beginnt er seine Geschichte dem Wirt erzählen, der sich

Nicht satt an ihm sehen kann, und stets noch was bemerket

Worin sein vorger Herr dem jungen Ritter glich.


29.

Der junge Mann erzählt, nach Art der lieben Jugend,

Ein wenig breit: wie seine Mutter ihn

Bei Hofe (dem wahren Ort um Prinzen zu erziehn)

Gar fleißig zu guter Lehr und ritterlicher Tugend

Erzogen; wie schnell der Kindheit lieblicher Traum

Vorüber geflogen; und wie, so bald ihm etwas Flaum

Durchs Kinn gestochen, man ihn zu Bordeaux, von den Stufen

Des Schlosses, mit großem Pomp zum Herzog ausgerufen;


30.

Und wie sie drauf in eitel6 Lust und Pracht,

Mit Jagen, Turnieren, Banketten, Saus und Brause,

Zwei volle Jahre wie einzelne Tage verbracht;

Bis Amory, der Feind von seinem Hause,[171]

Beim Kaiser (dessen Huld sein Vater schon verscherzt)

Ihn hinterrücks gar böslich angeschwärzt;

Und wie ihn Karl, zum Schein in allen Gnaden,

Nach Hofe, zum Empfang der Lehen, vorgeladen;


31.

Wie sein besagter Feind, der listige Baron

Von Hohenblat, mit Scharlot, zweitem Sohn

Des großen Karls, dem schlimmsten Fürstenknaben

Im Christentum, (als der schon lange Lust gehegt

Zu Hüons Land) es heimlich angelegt

Auf seinem Zuge nach Hof ihm eine Grube zu graben;

Und wie sie, eines Morgens früh,

Ihm aufgepaßt im Wald bei Montlery.


32.

»Mein Bruder«, fuhr er fort, »der junge Gerard, machte,

Mit seinem Falken auf der Hand,

Die Reise mit. Aus frohem Unverstand

Entfernt der Knabe sich, da niemand Arges dachte,

Von unserm Trupp, läßt seinen Falken los,

Und rennt ihm nach: wir andern alle zogen

Indessen unsern Weg, und achteten's nicht groß

Als Falk und Knab aus unserm Blick entflogen.


33.

Auf einmal dringt ein klägliches Geschrei

In unser Ohr. Wir eilen schnell herbei,

Und siehe da! mein Bruder liegt, vom Pferde

Gestürzt, beschmutzt und blutend auf der Erde.

Ein Edelknecht (von keinem unsrer Schar

Erkannt, wiewohl es Scharlot selber war)

Stand im Begriff ihn weidlich abzuwalken,

Und seitwärts hielt ein Zwerg mit seinem Falken.


34.

Von Zorn entbrannt rief ich: ›Du Grobian,

Was hat der Knabe dir getan,

Der wehrlos ist, ihm also mitzuspielen?

Zurück, und rühr ihn noch mit einem Finger an,

Wofern dich's jückt mein Schwert in deinem Wanst zu fühlen.‹

›Ha!‹ schrie mir jener zu – ›bist du's? Dich sucht ich just;[172]

Schon lange dürst ich nach der Lust

Mein racheglühend Herz in deinem Blut zu kühlen.


35.

Kennst du mich nicht, so wiß, ich bin der Sohn

Des Herzogs Dietrich von Ardennen:

Dein Vater Siegewin (mög er im Abgrund brennen!)

Trug über meinen einst bei einem offnen Rennen7

Mit Hinterlist den Dank8 davon,

Und durch die Flocht allein entging er seinem Lohn.

Doch, Rache hab ich ihm geschworen,

Du sollst mir zahlen für ihn! Da, sieh zu deinen Ohren!‹


36.

Und mit dem Worte rennt er gegen mich,

Der, unbereit zu solchem Tanze,

Sich dessen nicht versah, mit eingelegter Lanze.

Zum Glück pariert ich seinen Stich

Mit meinem linken Arm, um den ich in der Eile

Den Mantel schlug, und auf der Stell empfing

Mit meinem Degenknopf der Unhold eine Beule

Am rechten Schlaf, wovon der Atem ihm entging.


37.

Er fiel, mit Einem Wort, um nimmer aufzustehen.

Da ließen plötzlich sich im Walde Reiter sehen

In großer Zahl; doch des Erschlagnen Tod

Zu rächen, war dem feigen Troß nicht Not.

Sie hielten, während wir des Knaben Wunde banden,

Sich still und fern, bis wir aus ihren Augen schwanden;

Drauf legten sie den Leichnam auf ein Roß

Und zogen eilends fort zum kaiserlichen Schloß.


38.

Unwissend, wie bei Karl mein Handel sich verschlimmert,

Verfolg ich meinen Weg, des Vorgangs unbekümmert.

Wir langen an. Mein alter Oheim, Abt

Zu Saint Denis, ein Mann mit Weisheit hochbegabt,

Führt beim Gehör das Wort. Wir werden wohl empfangen,

Und alles wär erwünscht für uns ergangen:

Doch, wie man eben sich zur Tafel setzen will,

Hält Hohenblat am Schloß mit Scharlots Leiche still.
[173]

39.

Zwölf Knappen tragen sie, in schwarzen Flor vermummet,

Die hohen Stufen hinan, und wer sie sieht verstummet

Und steht erstarrt. Sie nehmen ihren Lauf

Dem Saale zu. Die Türen springen auf:

Da tragen zwölf Gespenster eine Bahre,

Mit blutgen Linnen bedeckt, bis mitten in den Saal.

Der Kaiser selbst erblaßt, uns andern stehn die Haare

Zu Berg, und mich trifft's wie ein Wetterstrahl.


40.

Indem tritt Amory hervor, hebt von der Leiche

Das blutge Tuch, und – ›Sieh! (ruft er dem Kaiser zu)

Dies ist dein Sohn! und hier der Frevler, der dem Reiche

Und dir die Wunde schlug, der Mörder unsrer Ruh!

Weh mir! ich kam zu spät dazu!

Sich nichts versehend fiel dein Scharlot im Gesträuche,

Durch Meuchelmord, nicht wie in offnem Feld

Von Rittershand ein ritterlicher Held.‹


41.

Wie viel Verdrieß9 dem alten Herrn auch täglich

Sein böser Sohn gebracht, so blieb er doch sein Sohn,

Sein Fleisch und Blut. Erst stand er unbeweglich;

Dann schrie er laut vor Schmerz, ›mein Sohn! mein Sohn!‹

Und warf sich in Verzweiflung neben

Den Leichnam hin. Mir war der bange Vaterton

Ein Dolch ins Herz; ich hätt um Scharlots Leben

In diesem Augenblick mein bestes Blut gegeben.


42.

›Herr‹, rief ich, ›höre mich! Mein Will ist ohne Schuld;

Er gab sich für den Sohn des Herzogs von Ardennen,

Und was er tat, bei Gott! es hätte die Geduld

Von einem Heilgen morden können!

Er schlug den Knaben dort, der ihm kein Leid getan,

Sprach lästerlich von meines Vaters Ehre,

Fiel unverwarnt mich selber mördrisch an –

Den möcht ich sehn, der kalt geblieben wäre!‹


43.

›Ha! Bösewicht!‹ schreit Karl mich hörend, springt entbrannt

Vom Leichnam auf, mit Löwengrimm im Blicke,[174]

Reißt einem Knecht das Eisen aus der Hand,

Und, hielten ihn mit Macht die Fürsten nicht zurücke, Er hätt in seiner Wut mich durch und durch gerannt.

Auf einmal rüttelt sich der ganze Ritterstand;

Ein wetterleuchtender Glanz von hundert bloßen Wehren10

Scheint stracks in jeder Brust die Mordlust aufzustören.


44.

Die Hall erdonnert von Geschrei,

Das Estrich bebt, die alten Fenster klirren.

Aus jedem Mund schallt Mord! Verräterei!

Die Sprachen scheinen sich aufs neue zu verwirren.

Man schnaubt, man rennt sich an, man zückt die drohende Hand.

Der Abt, den noch allein Sankt Benedikts Gewand

Vor Frevel schützt, hält endlich unsern Degen

Mit aufgehobnem Arm sein Skapulier entgegen.


45.

›Ehrt‹, ruft er laut, ›den heilgen Vater in mir

Des Sohn ich bin! Im Namen des Gottes, dem ich diene,

Gebiet ich Fried!‹ – Er rief's mit einer Miene

Und einem Ton, der Heiden zur Gebühr

Genötigt hätt. Und stracks auf einmal legen

Des Aufruhrs Wogen sich, erhellt sich jeder Blick,

Und jeder Dolch und jeder nackte Degen

Schleicht in die Scheide still zurück.


46.

Nun trug der Abt den ganzen Verlauf der Sache

Dem Kaiser vor. Die Überredung saß

Auf seinen Lippen. Allein, was half mir das?

Die Leiche des Sohns liegt da und schreit um Rache.

›Hier‹, ruft der Vater, ›sieh, und sprich

Dem Mörder meines Sohns das Urteil! Sprich's für mich!

Ja, rachedürstender Geist, dein Gaumen soll sich laben

An seinem Blut! Er sterb und mäste die Raben!‹


47.

Itzt schwoll mein Herz empor. ›Ich bin kein Mörder‹, schrie

Ich überlaut. ›Der Richter richtet nicht billig

In eigner Sache. Der Kläger Amory

Ist ein Verräter, Herr! Hier steh ich, frei und willig,[175]

Will in sein falsches Herz, mit meines Lebens Fahr,

Beweisen, daß er ein Schalk und Lügner ist, und war

Und bleiben wird; so lange sein Hauch die Luft vergiftet.

Sein Werk ist alles dies, Er hat es angestiftet!


48.

Ich bin, wie er, von fürstlichem Geschlecht,

Ein Pär des Reichs11, und fordre hier mein Recht;

Der Kaiser kann mir's nicht versagen!

Da liegt mein Handschuh, laßt ihn's wagen

Ihn aufzunehmen, und Gott in seinem Gericht

Entscheide, welchen von uns die Stimme dieses Blutes

Zur Hölle donnern soll! Die Quelle meines Mutes

Ist meine Unschuld, Herr! Mich schreckt sein Donner nicht.‹


49.

Die Fürsten des Kaiserreichs, so viel von ihnen zugegen,

Ein jeder sieht sich selbst in meiner Verdammung gekränkt.

Sie murmeln, dem Meere gleich, wenn sich von fern zu regen

Der Sturm beginnt: sie bitten, dringen, legen

Das Recht ihm vor. Umsonst! den starren Blick gesenkt

Auf Scharlots blutiges Haupt, kann nichts den Vater bewegen:

Wiewohl auch Hohenblat, der's für ein leichtes hält

Mir obzusiegen, selbst sich unter die Bittenden stellt.


50.

›Herr‹, spricht er, ›laßt mich gehn, den Frevler abzustrafen,

Ich wage nichts wo Pflicht und Recht mich schützt.‹

›Ha!‹ rief ich laut, von Scham und Grimm erhitzt,

›Du spottest noch? Erzittre! immer schlafen

Des Rächers Blitze nicht‹. – ›Mein Schwert‹, ruft Hohenblat,

›Soll, Mörder, sie auf deine Scheitel häufen!‹

Doch Karl, den meine Glut nur mehr erbittert hat,

Befiehlt der Wache, mich zu greifen.


51.

Dies rasche Wort empört den ganzen Saal

Von neuem; alle Schwerter blitzen,

Das Ritterrecht, das Karl in mir verletzt, zu schützen.

›Ergreift ihn‹, ruft der Kaiser abermal;

Allein er sieht, mit vorgehaltnen Klingen,[176]

In dichtem Kreis die Ritter mich umringen.

Vergebens droht, schier im Gedräng erstickt,

Der geistliche Herr mit Bann und Interdikt.


52.

Des Reiches Schicksal schien an einem Haar zu schweben.

Die grauen Räte flehn dem Kaiser auf den Knien,

Dem Recht der Ritter nachzugeben:

Je mehr sie flehn, je minder rührt es ihn;

Bis endlich Herzog Nayms12 (der oft in seinem Leben,

Wenn Karl den Kopf verlor, den seinen ihm geliehn)

Den Mund zum Ohr ihm hält, dann gegen uns sich kehret,

Und zum begehrten Kampf des Kaisers Urlaub schwöret.«


53.

Herr Hüon fahr dann zu erzählen fort:

Wie stracks auf dieses einzge Wort

Der Aufruhr sich gelegt, die Ritter alle zurücke

Gewichen, und Karl, wiewohl im Herzen ergrimmt,

Mit stiller Wut im halb entwölkten Blicke,

Den achten Tag zum Urteilskampf bestimmt;

Wie beide Teile sich mit großer Pracht gerüstet,

Und, des Triumphs gewiß, sich Amory gebrüstet.


54.

Der stolze Mann, wiewohl in seiner Brust

Ein Kläger pocht der seinen Mut erschüttert,

War eines Arms von Eisen sich bewußt,

Der manchen Wald von Lanzen schon zersplittert.

Er hatte nie vor einem Feind gezittert,

Und Kampf auf Tod und Leben war ihm Lust.

Doch all sein Trotz und seine Riesenstärke

Betrogen ihn bei diesem blutgen Werke. –


55.

»Gekommen war nunmehr der richterliche Tag,

Versammelt alles Volk. Mit meinem silberblanken

Turnierschild vor der Brust, und, wie ich sagen mag,

Von allen mit Liebe begrüßt, erschien ich in den Schranken.

Schon stand der Kläger da. In einem Erker lag

Der alte Karl, umringt von seinen Fürsten,[177]

Und schien, in offenem Vertrag

Mit Amory, nach meinem Blut zu dürsten.


56.

Die Sonne wird geteilt. Die Richter setzen sich.

Mein Gegner scheint vor Ungeduld zu brennen

Bis die Trompete ruft. Nun ruft sie, und wir rennen,

Und treffen so gewaltiglich

Zusammen, daß aufs Knie die Rosse stürzen, und ich

Und Hohenblat uns kaum im Sattel halten können.

Eilfertig machen wir uns aus den Bügeln los,

Und nun, in einem Blitz, sind beide Schwerter bloß.


57.

Daß ich von unserm Kampf dir ein Gemälde mache

Verlange nicht. An Grimm und Stärke war,

Wie an Erfahrenheit, mein Gegner offenbar

Mir überlegen; doch die Unschuld meiner Sache

Beschützte mich, und machte meine Kraft

Dem Willen gleich.« Der Sieg blieb lange zweifelhaft;

Schon floß aus manchem Quell des Klägers Blut herunter,

Und Hüon war noch unverletzt und munter.


58.

Der wilde Amory, wie er sein dampfend Blut

Den Panzer färben sieht, entbrennt von neuer Wut,

Und stürmt auf Hüon ein, gleich einem Ungewitter

Das alles vor sich her zertrümmert und verheert,

Blitzt Schlag auf Schlag, so daß mein junger Ritter

Der überlegnen Macht mit Mühe sich erwehrt.

Ein Arm, an Kraft mit Rolands zu vergleichen,

Bringt endlich ihn, nach langem Kampf, zum Weichen.


59.

Des Sieges schon gewiß faßt Amory sogleich

Mit beiden angestrengten Händen

Sein mächtig Schwert, den Kampf auf Einen Schlag zu enden.

Doch Hüons gutes Glück entglitscht dem Todesstreich,

Und bringt, eh jener sich ins Gleichgewicht zu schwingen

Vermag, da wo der Helm sich an den Kragen schnürt,

So einen Hieb ihm bei, daß ihm die Ohren klingen,

Und die entnervte Hand den Degengriff verliert.
[178]

60.

Der Stolze sinkt zu seines Gegners Füßen,

Und Hüon, mit gezücktem Schwert,

Dringt auf ihn ein. »Entlade dein Gewissen«,

Ruft er, »wenn noch das Leben einen Wert

In deinen Augen hat.« – »Gesteh es auf der Stelle –

Bandit« schreit Amory, indem er alle Kraft

Zum letzten Stoß mit Grimm zusammen rafft,

»Nimm dies und folge mir zur Hölle!«


61.

Zum Glücke streift der Stoß, mit ungewisser Hand

Vom Boden auf geführt, durch eine schnelle Wendung

Die Hüon macht, unschädlich nur den Rand

Des linken Arms; allein, mein Ritter, in der Blendung

Des ersten Zorns, vergißt, daß Hohenblat,

Um öffentlich vor Karln die Wahrheit kund zu machen,

Noch etwas Atem nötig hat,

Und stößt sein breites Schwert ihm wütend in den Rachen.


62.

Der Frevler speit in Wellen roter Flut

Die schwarze Seele aus. Der Sieger steht, entsündigt

Und rein gewaschen in seines Klägers Blut,

Vor allen Augen da. Des Herolds Ruf verkündigt

Es laut dem Volk. Ein helles Jubelgeschrei

Schallt an die Wolken. Die Ritter eilen herbei

Das Blut zu stillen, das an des Panzers Seiten

Herab ihm quillt, und ihn zum Kaiser zu begleiten.


63.

»Doch Karl (so fährt der junge Ritter fort

Dem Mann vom Felsen zu erzählen)

Karl hielt noch seinen Groll. ›Kann dieser neue Mord

Mir‹, rief er, ›meinen Sohn beseelen?

Ist Hüons Unschuld anerkannt?

Ließ Hohenblat ein Wort von Widerruf entfallen?

Auf ewig sei er denn aus unserm Reich verbannt,

Und all sein Land und Gut der Krone heimgefallen!‹


64.

Streng war dies Urteil, streng der Mund

Aus dem es ging: allein, was konnten wir dagegen?[179]

Das einzige Mittel war aufs Bitten uns zu legen.

Die Pairs, die Ritterschaft, wir alle knieten, rund

Um seinen Thron, uns schier die Kniee wund,

Und gaben's endlich auf, ihn jemals zu bewegen;

Als Karl zuletzt sein langes Schweigen brach:

›Wohlan, ihr Fürsten und Ritter, ihr wollt's, wir geben nach.


65.

Doch höret den Beding, den nichts zu widerrufen

Vermögend ist!‹ – Hier neigt' er gegen mich

Herunter zu des Thrones Stufen

Den Zepter – ›Ich begnadige dich:

Allein, aus allen meinen Reichen

Soll dein verbannter Fuß zur Stunde stracks entweichen,

Und, bis du Stück für Stock mein kaiserlich Gebot

Vollbracht, ist Wiederkunft unmittelbarer Tod.


66.

Zeuch hin nach Babylon,13 und in der festlichen Stunde,

Wenn der Kalif, im Staat, an seiner Tafelrunde,

Mit seinen Emirn sich beim hohen Mahl vergnügt,

Tritt hin, und schlage dem, der ihm zur Linken liegt,

Den Kopf ab, daß sein Blut die Tafel überspritze.

Ist dies getan, so nahe züchtig dich

Der Erbin seines Throns, zunächst an seinem Sitze,

Und küß als deine Braut sie dreimal öffentlich.


67.

Und wenn dann der Kalif, der einer solchen Szene

In seiner eignen Gegenwart

Sich nicht versah, vor deiner Kühnheit starrt,

So wirf dich, an der goldnen Lehne

Von seinem Stuhle, hin, nach Morgenländer-Art,

Und, zum Geschenk für mich, das unsre Freundschaft kröne,

Erbitte dir von ihm vier seiner Backenzähne

Und eine Hand voll Haar aus seinem grauen Bart.


68.

Geh hin, und, wie gesagt, eh du aufs Haar vollzogen

Was ich dir hier von Wort zu Wort gebot,

Ist deine Wiederkunft unmittelbarer Tod!

Wir bleiben übrigens in Gnaden dir gewogen.‹[180]

Der Kaiser sprach's und schwieg. Allein wie uns dabei

Zu Mute war, ist notlos zu beschreiben.

Ein jeder sah, daß so gewogen bleiben

Nichts besser als ein Todesurteil sei.


69.

Ein dumpfes Murren begann im tiefen Saal zu wittern.

›Bei Sankt Georg! (sprach einer von den Rittern

Der auf der Lanzelot und Tristan rauher Bahn

Manch Abenteur mit Ehren abgetan)

Sonst pfleg ich auch nicht leicht vor einem Ding zu zittern;

Setz einer seinen Kopf, ich setz ihm meinen dran:

Doch was der Kaiser da dem Hüon angesonnen

Hätt auch, so brav er war, Herr Gawin nicht begonnen!‹


70.

Was red ich viel? Es war zu offenbar

Daß Karl durch dies Gebot mir nach dem Leben trachte.

Doch, wie es kam, ob es Verzweiflung war,

Ob Ahnung, oder Trotz, was mich so tollkühn machte,

Genug, ich trat vor ihn und sprach mit Zuversicht:

›Was du befohlen, Herr, kann meinen Mut nicht beugen.

Ich bin ein Frank! Unmöglich oder nicht,

Ich unternehm's, und seid ihr alle Zeugen!‹


71.

Und nun, kraft dieses Worts, mein guter Scherasmin,

Siehst du mich hier, nach Babylon zu reisen

Entschlossen. Willst du mir dahin

Den nächsten Weg aus diesen Bergen weisen,

So habe Dank; wo nicht, so mach ich's wie ich kann.«

»Mein bester Herr«, versetzt der Felsenmann,

Indem die Zähren ihm am Bart herunter beben,

»Ihr ruft, wie aus dem Grab, mich in ein neues Leben!


72.

Hier schwör ich euch, und da, zum heilgen Pfand,

Ist diese alte zwar doch nicht entnervte Hand,

Mit euch, dem teuren Sohn und Erben

Von meinem guten Herrn, zu leben und zu sterben.

Das Werk, wozu der Kaiser euch gesandt,

Ist schwer, doch ist damit auch Ehre zu erwerben![181]

Genug, ich führ euch hin, und steh euch festen Muts

Bis auf den letzten Tropfen Bluts.«


73.

Der junge Fürst, gerührt von solcher Treue,

Fällt dankbarlich dem Alten um den Hals.

Drauf legen sich die beiden auf die Streue,

Und Hüon schläft als wär es Flaum. Und als

Der Tag erwacht, erwacht mit muntern Blicken

Der Ritter auch, schnallt seine Rüstung an,

Der Alte nimmt den Quersack auf den Rücken,

Den Knittel in die Hand, und wandert frisch voran.


1

Hesperien, I. 3. Italien, welches die ältesten Griechen, weil es ihnen gegen Abend lag, Hesperia, das Abendland, nannten.

2

Ok, die Sprache von Ok, I. 12. Die so genannte Romanische (romana rustica) Sprache, die nach der Zerstörung der Römischen Herrschaft in Gallien vom Volke gesprochen wurde, teilte sich in zwei sehr ungleichartige Mundarten, in deren einer das dermalige Französische Bejahungswörtchen oui, oil, in der andern hingegen ok ausgesprochen wurde. Diese letztere, die in dem mittäglichen Frankreich herrschte, hieß daher la langue d'oc, und wurde späterhin die provenzalische genannt. S. die Einleitung vor le Grands Fabliaux ou Contes du XII. et XIII. Siècle.

3

Alquif, I. 22. Ein weiser Meister und großer Zauberer im Amadis de Gaule.

4

Schimpf, I. 26. »In Schimpf und Ernst«, d.i. in Ritterspielen und in gefährlichen Abenteuern, wo Leib und Leben gewagt wurde. Schimpf wird hier in der veralteten Bedeutung von Spiel und Scherz gebraucht. Noch im 15ten Jahrhundert waren scherzen und schimpfen gleichbedeutend. So heißt es zum Beispiel (nach Adelungs Zeugnis) in einer zu Straßburg 1466 gedruckten Deutschen Bibel: »Abimelech sah in (ihn, den Isaak) schimpfen mit Rebekka seiner Hausfrauen.« – Es wird aus Schimpf noch Ernst werden, ist eine Redensart, die noch itzt in Oberdeutschland zuweilen gehört wird.

5

Fahren, für reisen, ausziehen, wallfahrten, I. 26. »Als wir zum heilgen Grab zu fahren uns verbanden.« In noch weiterer Bedeutung hieß fahren herum irren, im Lande herum ziehen; daher fahrende Ritter, (Chevaliers errans) fahrende Schüler, Landfahrer u.d. Fahrt, III. 55 ist also so viel als Zug, Ritt, oder das Französische Wort Traite.

6

Eitel, I. 30 in der veralteten Bedeutung: »in eitel Lust und Pracht«, statt, in lauter Lust –

7

Rennen, I. 35. »Bei einem offnen Rennen«, d.i. in einem Turnier; ein in dem alten Amadis aus Gallien und ähnlichen Werken häufig vorkommendes Wort. Noch gewöhnlicher hieß es ein Stechen, Stechspiel, Ritterstechen; daher Stechhelm, ein Turnierhelm, der das ganze Gesicht bedeckte und nur zum Sehen und Atmen Öffnungen hatte, – Stechpferd, ein starkes zum Turnieren abgerichtetes Pferd, Stechbahn, Stechzeug, usw. ein scharfer Stecher, III. 12. Reiten wurde ebenfalls als ein Synonym von turnieren, oder eine Lanze mit einander brechen, gebraucht; daher ein Ritt, III. 10. Für Turnier wurde damals auch Turnei gesagt: II. 19 [186]. im Feld und im Turnei.

8

Dank, kommt mehrmals in der Bedeutung vor, die dies Wort in der alten Turniersprache hatte, worin es den Preis bezeichnete, welchen der Ritter gewann, der alle andern aus dem Sattel gehoben hatte.

9

Verdrieß, I. 41. Die alte Form des Wortes Verdruß, welche hier mit gutem Bedacht der gewöhnlichen vorgezogen worden ist.

10

Wehre für Gewehre, I. 43. Wehrgeschmeide, III. 4 für Waffenschmuck, Waffenrüstung. – Wörter, die in der Dichtersprache erhalten zu werden verdienen.

11

Pär (Pair) des Reichs, I. 48. Es bedarf wohl kaum erinnert zu werden, daß unser Dichter auch hier, da sein Held sich (als Herzog von Guyenne oder Aquitanien) einen Pär des Reichs nennt, in der 49sten Stanze von Fürsten des Kaiserreichs spricht, und in dieser Qualität das Recht seinen Ankläger zum Zweikampf heraus zu fordern geltend macht, nicht der Geschichte, sondern den Ritterromanen von Charlemagne folgt, welche wahrscheinlich erst im XII. und XIII. Jahrhundert ausgeheckt wurden. Der unbekannte Mönch, der seinen aus den abenteuerlichsten Erdichtungen zusammen gestoppelten Roman de Gestis Caroli M. et Rolandi, um ihm das Ansehen einer wahren Geschichte zu geben, dem Erzbischof Tilpin von Reims (den er Turpin nennt) unterschob, hatte so wenig Kenntnis und Begriff von Karl dem Großen und seiner Regierung, daß er nicht nur die Gebräuche, Sitten und Lebensweise der so genannten Ritterzeiten, sondern sogar die ganze Verfassung von Frankreich, wie er sie unter Ludwig VII. und Philipp August (unter deren Regierung er lebte) fand, in die Zeit jenes großen Königs der Franken hinüber trägt. Daher denn auch die vorgeblichen zwölf Pärs desselben, die in diesen Romanen als die zwölf großen erblichen Kronvasallen erscheinen, da man doch damals eben so wenig von Erb-Kronvasallen als von bestimmten Vorzügen und Vorrechten einiger derselben vor allen übrigen wußte, indem alle vom König unmittelbar belehnte Baronen eben darum, weil sie alle einander gleich waren, Pares Franciae hießen, und, in so fern ein jeder nur von seines gleichen gerichtet werden konnte, den Hof der Pärs, la Cour des Pairs ausmachten. Von wem und zu welcher Zeit die ehemals ungeheure Menge der Baronen oder Pärs von Frankreich auf zwölf (sechs geistliche und sechs weltliche) eingeschränkt worden, ist eine eben so problematische oder vielmehr unauflösbare Frage in der Französischen Geschichte, als der Ursprung der Kurfürsten in der Deutschen; aber so viel ist gewiß, daß von diesen zwölf Pärs erst unter Ludewig VII. Erwähnung geschieht. S. Les Moeurs et Coutumes dans les differens tems de la Monarchie Franç. au Tome VI. de l'Hist. de France de le Gendre.

12

Herzog Nayms, I. 52. Die alten Ritterbücher von Charlemagne und den Helden seiner Zeit sprechen viel von einem Herzog Naymes von Bayern, als dem weisesten Mann an Karls Hofe, für dessen Rat dieser Kaiser immer besondere Achtung getragen habe. Bekannter Maßen kennt die Geschichte dieser Zeit keinen andern Herzog in Bayern als den unruhigen Tassilo. Ich habe dem seltsamen Namen Naymes überall nachgespürt, und nichts gefunden, als daß in dem Zedlerischen Universal-Lexikon ein Nainus oder Nämus als ein General der Bayern unter Karl dem Großen aufgeführt wird, ohne die Quelle, woraus diese Angabe geschöpft ist, anzuzeigen.

13

Babylon, wird in diesem Gedichte mehrmals (wiewohl unrichtig) als gleichbedeutend mit Bagdad gebraucht, welches letztere unter den Abassischen Kalifen der Sitz dieser mächtigen Fürsten war. Die alten Romanciers übten eine so willkürliche Gewalt über die Geographie als über Chronologie und Geschichte aus; und unser Dichter hielt es für schicklich, sich ihnen auch in diesem Stücke gleich zu stellen. Übrigens ist nicht zu leugnen, daß das Babylon im Roman von Huon de Bordeaux, dessen so genannte Admirale (Miramolins) in den Romanen von Charlemagne und seinen Pairs eine große Rolle spielen, nicht in Mesopotamien, sondern angeblich in Ägypten gelegen haben soll.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 5, München 1964 ff., S. 164-182.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Oberon
Oberon: Ein Heldengedicht in zwölf Gesängen: Teil II
Oberon: Ein Heldengedicht in zwölf Gesängen: Teil I
Wielands Oberon: Ein Gedicht in Vierzehn Ges Ngen
Wieland, Christoph Martin: C. M. Wielands Sämmtliche Werke / Oberon, Theil 1: [Gesang 1 - 6]
Oberon

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon