Zwölfter Gesang

[359] 1.

Indessen sucht auf Polstern von Damast

Almansaris, mit Amors wildstem Feuer

In ihrer Brust, umsonst nur eine Stunde Rast.

Ist's möglich, oder hat das schnöde Abenteuer

Der letzten Nacht ihr nur geträumt?

Ein Mann Verachtet dich, Almansaris?

Er kann Dich sehen und für eine andre brennen,

Kann dich verschmähn, und darf es dir bekennen?


2.

Zur Wut treibt der Gedanke sie;

Sie schwört sich grenzenlose Rache.

Wie häßlich wird er ihr! Ein Ungeheur, ein Drache

Ist lieblicher, als ihre Phantasie

Den Undankbaren malt – Wie lang? – In zwo Minuten

Ist sie des vorigen sich schon nicht mehr bewußt:

Bald soll er tropfenweis im Staub vor ihr verbluten,

Bald drückt sie ihn entzückt an ihre Brust.


3.

Nun steht er wieder da in seiner ganzen Schöne,

Der erste aller Erdensöhne,

Ein Held, ein Gott! – Unmöglich ist er nur

Der Neffe Ibrahims; in seinem ganzen Wesen,

In seinem Ton und Anstand ist die Spur

Von dem, was er umsonst verbergen will, zu lesen;

Wo ist der Stempel der Natur,

Der einen König macht, sichtbarer je gewesen?


4.

Er, er allein, ist ihrer wert,

Ist wert in ihrem Arm sich zu vergöttern.[359]

Und, o! ihr fehlt ein Blitz, die Feindin zu zerschmettern

Die ihn bezaubert hält und ihr den Sieg erschwert!

»Doch, wie, Almansaris? Fühlst du dich selbst nicht besser?

Gönn ihm den kleinen Stolz, sich pfauengleich zu blähn

In seinem Heldentum! Selbst Dir zu widerstehn!

Das alles macht doch nur die Lust des Sieges größer!


5.

Bestürm ihn erst, eh du den Mut verlierst,

Mit jedem Reiz, auf den sich wahre Schönheit brüstet;

Begib, damit du ihn um so viel sichrer rührst,

Der fremden Waffen dich, womit die Kunst uns rüstet;

Er fühl und seh was Götter selbst gelüstet!

Und wenn du dann sein Herz noch nicht verführst,

Er dann dich noch verschmäht – dann, Königin, erwache

Dein Stolz, und schaffe dir die süße Lust der Rache!«


6.

So flüstert ihr aus einer Zofe Mund

Der kleine Dämon zu, den ihr, mit vollem Köcher,

Gebietrisch sitzen seht auf diesem Erdenrund!

Der alle Welt aus seinem Zauberbecher

Berauscht, und den, wer ihn nicht besser kennt,

Zur Ungebühr den Gott der Liebe nennt!

Denn – jeder jungen unerfahrnen Dame

Zur Nachricht sei es kund! – Asmodi ist sein Name.


7.

Almansaris, in deren warmem Blut

Schon ein Verführer schleicht, ist gegen den Betrüger Von außen, weniger als jemals auf der Hut;

Sein Anhauch nährt und fächelt ihre Glut,

Und kaum daß sie, zur Zier, dergleichen tut

Als widerstände sie, so ist Asmodi Sieger.

Die Zofe Schmeichlerin, sein würdiges Organ,

Legt den Entwurf sogleich mit vieler Klugheit an.


8.

O! raubet nun dem Blitz die Feuerschwingen,

Ihr Stunden, ihn herbei zu bringen,

Den saßen Augenblick! Zu langsam schleichet ihr

(Wie schnell ihr eilt!) der lechzenden Begier![360]

Doch – Sie ist's nicht allein, die jetzt Sekunden zählet:

Auch Hüon überlebt, von Ungeduld gequälet,

Den trägen Gang der drei verhaßten Tage kaum,

Und wachend und im Schlaf ist Rezia sein Traum.


9.

Der zweite Morgen war dem sehnlichen Verlangen

Der Haremskönigin nun endlich aufgegangen;

Goldlockig, schön und rosenatmend stieg

Er, wie der Herold, auf, der ihr den schönsten Sieg

Verkündigte; schon säuselt durch die Myrten,

Die, dicht verwebt, der Grotten schönste gürten,

Ein leichter Morgenwind, und tausendstimmig schallt

Der Vögel frühes Chor im nah gelegnen Wald.


10.

Doch um die Grotte her ist unterm Myrtenlaube

In ewger Dämmerung das Heiligtum der Ruh.

Hier girret nur die sanfte Turteltaube

Dem Tauber ihre Sehnsucht zu.

In diesen lieblichen Gebüschen,

Dem dunkeln Sitz verborgner Einsamkeit,

Pflegt öfters sich zur stillen Morgenzeit

Almansaris mit Baden zu erfrischen.


11.

Der anmutsvolle Morgen rief

Den schönen Hassan auf, indes noch alles schlief,

Die Blumenkörbe voll zu pflücken,

Die er an jedem Tag dem Harem zuzuschicken

Verbunden war: als ihm ein Sklav entgegen lief,

Und keichend ihm befahl die Grotte aufzuschmücken.

Der Neger fügt, zur Eil ihn anzuspornen, bei,

Daß eine Dame dort zu baden Willens sei.


12.

Verdrossen geht Herr Hüon auszurichten

Was ihm befohlen war. Er füllt mit bunten Schichten

Von Blumen, Florens ganzem Schatz,

Den größten Korb, und eilt zum angewiesnen Platz.

Fern ist's von ihm, der Sache mißzutrauen.

Allein, beim Eintritt in die Grotte fällt auf ihn[361]

Ein dumpfes wunderbares Grauen,

Und ein verborgner Arm scheint ihn zurück zu ziehn.


13.

Betroffen setzt er seine Blumen nieder;

Doch faßt er Augenblicks sich wieder

Und lächelt seiner Furcht. Das zweifelhafte Licht,

Das unter tausendfachem Flittern

In diesem Labyrinth mit sichtbarm Dunkel ficht,

Ist ohne Zweifel Schuld an diesem kindschen Zittern,

Denkt er, und geht getrost, bei immer hellerm Schein,

Mit seinem Blumenkorb ins Innerste hinein.


14.

Hier herrscht ein Tag wie zu verstohlnen Freuden

Die schlaue Lust ein Zauberlicht sich wählt,

Nicht Tag nicht Dämmerung; er schwebte zwischen beiden,

Nur lieblicher durch das, was ihm zu beiden fehlt;

Er glich dem Mondschein, wenn durch Rosenlauben

Sein Silberlicht zerschmilzt in blasses Rot.

Der Held, wiewohl ihm hier noch nichts Gefährlichs droht,

Erwehrt sich kaum, bezaubert sich zu glauben.


15.

Was er am wenigsten sich überreden kann,

Ist, daß man hier, wo alles um und an

Von Blumen strotzt, noch Blumen nötig hätte.

Doch, wie sein Auge nun auf allen Seiten irrt,

O wer beschreibt, wie ihm zu Mute wird,

Da ihm auf einem Ruhebette

Sich eine Nymph aus Mahoms Paradies

Im vollen Glanz der reinsten Schönheit wies!


16.

In einem Licht, das zauberisch von oben

Wie eine Glorie1 auf sie herunter strömt,

Und, durch die Dunkelheit des übrigen erhoben,

Mit ihres Busens Schnee die Lilien beschämt;

In einer Lage, die ihm Reizungen entfaltet

Wie seine Augen nie so schön entschleiert sahn;

Mehr wert als alles was zum Farren und zum Schwan

Den Jupiter der Griechen umgestaltet.
[362]

17.

Die Gaze, die nur, wie ein leichter Schatten

Auf einem Alabasterbild,

Sie hier und da umwallet, nicht verhüllt,

Scheint mit der Nacktheit selbst den Reiz der Scham zu gatten.

Weg, Feder, wo Apell und Tizian

Bestürzt den Pinsel fallen ließen!

Der Ritter steht, und bebt, und schaut bezaubert an,

Wiewohl ihm besser war die Augen zuzuschließen.


18.

In süßem Irrtum steht er da

Und glaubt, doch nur zwei Augenblicke,

(So schön ist was er sieht) er sehe Rezia.

Allein, mit Recht mißtrauisch einem Glücke

Das ihm unglaublich däucht, tritt er ihr näher, sieht,

Erkennt Almansaris, und wendet sich und flieht;

Er flieht, und fühlt im Fliehn von zwei elastisch runden

Milchweißen Armen sich gefangen und umwunden.


19.

Er kämpft den schwersten Kampf, den je seit Josefs Zeit

Ein Mann gekämpft, den edlen Kampf der Tugend

Und Liebestreu und feuervollen Jugend

Mit Schönheit, Reiz und heißer Üppigkeit.

Sein Will ist rein von sträflichem Entzücken;

Allein, wie lange wird er ihrem süßen Flehn,

Den Küssen voller Glut, dem zärtlich wilden Drücken

An ihren Busen, widerstehn?


20.

O Oberon, wo ist dein Lilienstengel,

Wo ist dein Horn in dieser Fährlichkeit?

Er ruft Amanden, Oberon, alle Engel

Und Heilige zu Hülf – Und noch zu rechter Zeit

Kommt Hülf ihm zu. Denn just, da jede Sehne

Ermatten will zu längerm Widerstehn,

Und mit wollüstger Wut ihn die erhitzte Schöne

Fast überwältigt hat, läßt sich Almansor sehn.


21.

Gleich einem angeschoßnen Wild,

Und wütend, eine Frau, die ihn verschmäht, zu lieben,[363]

Hat er, verfolgt von Zoradinens Bild,

Schon eine Stunde sich im Garten umgetrieben:

Der Zufall leitet ihn in dieses Myrtenrund;

Er glaubt die Stimme von Almansaris zu hören,

Und, weil die Grottentür nur angelehnet stund,

Geht er hinein, sich näher zu belehren.


22.

Der Dämon, der durch seiner Priesterinnen

Gefährlichste des Ritters Treu bestritt,

Wird schon von fern an seinem Sultansschritt

Almansors nahe Ankunft innen.

»O Hülfe, Hülfe!« schreit das schnell gewarnte Weib,

Und wechselt stracks mit Hüons Ihre Rolle,

Stellt sich, als kämpfte sie um ihren eignen Leib

Mit einem Wütenden, der sie entehren wolle.


23.

Ihr wilder Blick, ihr halb zerrissenes Gewand,

Ihr fliegend Haar, des jungen Gärtners Schrecken,

Der von der unversehnen kecken

Beschuldigung wie blitzgetroffen stand,

Der Ort, wo ihn der Sultan fand;

Kurz, alles schien in ihm den Frevler zu entdecken.

»O! Allah sei gelobt!« rief die Betrügerin,

»Daß ich Almansorn selbst die Rettung schuldig bin!«


24.

Drauf, als sie schamhaft sich in alle ihre Schleier

Gewickelt, lügt sie, mit dem Ton

Der Unschuld selbst, ein falsches Abenteuer:

Wie dieser schändliche verkappte Christensohn,

Da ihr die Lust im Kühlen sich zu waschen

Gekommen, sich erfrecht sie hier zu überraschen,

Und wie sie mit Gewalt sich seiner kaum erwehrt,

Als ihn, zu größtem Glück, der Sultan noch gestört.


25.

Um von dem häßlichen Verbrechen,

Des er beschuldigt wird, den Ritter los zu sprechen,

Bedurft's nur Einen unbefangnen Blick;

Doch seinem Richter fehlt auch dieser einzge Blick.[364]

Der Held verachtet es, mit einer Frauen Schande

Sich selbst vom Tode zu befrein;

Er schmiegt den edeln Arm in unverdiente Bande,

Und hüllet schweigend sich in sein Bewußtsein ein.


26.

Der Sultan, den sein Unmut zum Verdammen

Noch rascher macht, bleibt dumpf und ungerührt.

»Der Frevler werd in Ketten weggeführt,

(Herrscht er den Sklaven zu, die sein Befehl zusammen

Gerufen) werfet ihn in eine finstre Gruft;

Und morgen früh, so bald vom Turm der Imam ruft,

Werd er, im äußern Hof, ein Raub ergrimmter Flammen

Und seine Asche streut mit Flüchen in die Luft!«


27.

Der Edle hört sein Urteil schweigend, – blitzet

Auf das verhaßte Weib noch Einen Blick herab,

Und wendet sich, und geht in Fesseln ab,

Auf einen Mut, den nur die Unschuld gibt, gestützet.

Kein Sonnenblick erfreut das fürchterliche Grab,

Worin er nun tief eingekerkert sitzet;

Der Nacht des Todes gleicht die Nacht, die auf ihn drückt

Und jeden Hoffnungsstrahl in seinem Geist erstickt.


28.

Ermüdet von des Schicksals strengen Schlägen,

Verdrossen, stets ein Ball des Wechselglücks zu sein,

Seufzt er dem Augenblick, der ihn befreit, entgegen.

Schreckt ihn das Vorgefühl der scharfen Feuerpein:

Die Liebe hilft ihm's übertäuben;

Sie stärkt mit Engelskraft die sinkende Natur.

»Bis in den Tod (ruft er) getreu zu bleiben,

Schwor ich, Amanda, dir, und halte meinen Schwur!


29.

O daß, geliebtes Weib, was morgen

Begegnen wird, auf ewig dir verborgen,

Auf ewig auch, Dir, treuer alter Freund,

Verborgen blieb'! – Wie gern erlitt' ich unbeweint

Mein traurig Los! Doch, wenn ihr es erfahret,

Erfahret wessen ich beschuldigt ward, und mit[365]

Dem Schmerz um meinen Tod sich noch die Schande paaret

Zu hören, daß ich nur was ich verdiente litt –


30.

O Gott! es ist zu viel auch dies noch zu erdulden!

Es büße immerhin für meine Sündenschulden

Der strengste Tod! Ich klage niemand an!

Dies einzge nur, o Oberon, gewähre

Dem, den du liebtest, noch: beschütze meine Ehre,

Beschütze Rezia! – Du weißt, was ich getan!

Sag ihr, daß ich, den heilgen Schwur der Treue

Zu halten, den ich schwor, den Feuertod nicht scheue.«


31.

So ruft er aus, und, vom Vertraun gestärkt

Daß Oberon ihn hört, berührt ihn unvermerkt

Der mohnbekränzte Gott des Schlummers

Mit seinem Stab, dem Stiller alles Kummers,

Und wieget ihn, wiewohl nur harter Stein

Sein Küssen ist, in leichte Träume ein.

Hat ihm vielleicht, zum Pfand, daß bald sein Leiden endet,

Der gute Schutzgeist selbst dies Labsal zugesendet?


32.

Noch lag die halbe Welt mit Finsternis bedeckt,

Als ihn aus seiner Ruh ein dumpfes Klirren weckt.

Ihn däucht er hör im Schloß die schweren Schlüssel drehen;

Die Eisentür geht auf, des Kerkers schwarze Wand

Erhellt ein blasser Schein, er höret jemand gehen,

Und stemmt sich auf und sieht – in schimmerndem Gewand,

Die Krone auf dem Haupt, die Lampe in der Hand,

Almansaris zu seiner Seite stehen.


33.

Sie reicht die Lilienhand ihm, reizvoll lächelnd, dar,

Und – »Wirst du«, spricht sie, »mir vergeben,

Was nur die Schuld der Not, nicht meines Herzens, war?

O du Geliebter, hängt an Deinem schönen Leben

Mein eignes nicht? Ich komme, der Gefahr

Dich zu entziehn, (trotz deinem Widerstreben!)

Vom Holzstoß dich, wozu dich der Barbar

Verdammt, auf einen Thron, den du verdienst, zu heben!
[366]

34.

Die Liebe öffnet dir der Hoheit Sonnenbahn:

Auf, mache sie von deinem Ruhm erschallen!

Nimm diese Hand, die dir sich schenket, an:

In einem Wink soll dein Verfolger fallen,

Und all sein Volk, wie Staub, um deine Füße wallen.

Im ganzen Harem ist mir alles untertan;

Vertraue dich der Liebe sichern Händen,

Und, was sie wagte, wird dein eigner Mut vollenden!«


35.

»Hör auf, o Königin! Dein Antrag häufet bloß

Mein Leiden durch die Qual dir alles abzuschlagen.

O! warum zwingst du mich's zu sagen?

Ich kaufe mich durch kein Verbrechen los!«

»Ist's möglich«, ruft sie, »kann so weit der Unsinn gehen?

Unglücklicher, im Angesicht

Der Flamme, die bereits aus deinem Holzstoß bricht,

Kannst du Almansaris und einen Thron verschmähen?«


36.

»Sag mir«, versetzt er, »Königin,

Ich könne dir mit meinem Blute nützen,

So soll die Lust, womit ich eil es zu verspritzen,

Dir zeigen, ob ich unerkenntlich bin!

Ich kann, zum Danke, dir mein Herzensblut, mein Leben,

Nur meine Ehre nicht, nicht meine Treue geben.

Wer Ich bin weißt du nicht, vergiß nicht wer Du bist,

Und mute mir nichts zu, was mir unmöglich ist.«


37.

Almansaris, aufs Äußerste getrieben

Durch seinen Widerstand, sie wendet alles an,

Was seine Treu durch alle Stufen üben

Und seinen Mut ermüden kann.

Sie reizt, sie droht, sie fleht, sie fällt, verloren

In Lieb und Schmerz, vor ihm auf ihre Kniee hin:

Doch unbeweglich bleibt des Helden fester Sinn,

Und rein die Treu, die er Amanden zugeschworen.


38.

»So stirb denn, weil du willst!« – ruft sie, des Atems schier

Vor Wut beraubt, »ich selbst, ich will an deinem Leiden[367]

Mein gierig Aug mit heißer Wollust weiden!

Stirb als ein Tor! des Starrsinns Opfertier!«

Schreit sie mit funkelndem Aug, und flucht der ersten Stunde

Da sie ihn sah, verwünscht mit bebendem Munde

Sich selbst, und stürmt hinweg, und hinter ihr

Schließt wieder klirrend sich des Kerkers Eisentür.


39.

Inzwischen hatte das Gerüchte,

Das Unglücksmären gern verbreitet und verziert,

Von ihrem Herrn die traurige Geschichte

Auch Scherasmin und Fatmen zugeführt.

Der schöne Hassan, hieß es, sei im Bade

Vom Sultan mit Almansaris allein

Gefunden worden, und morgen ohne Gnade

Werd er, im großen Hof, ein Raub der Flammen sein.


40.

Ob Hüon schuldlos sei, war ihnen keine Frage;

Sie kannten ja der Sachen wahre Lage.

Doch, hätt er auch gefehlt, so war er mitleidswert.

In Fällen dieser Art wird echte Treu bewährt.

Anstatt die Zeit mit Jammern zu verderben,

Beschlossen sie, das Äußerste für ihn

Zu wagen, um ihn noch aus dieser Not zu ziehn,

Und, schlüg es fehl, mit ihrem Herrn zu sterben.


41.

Kurz eh der Tag begann, gelingt es Fatmens Mut

Und Wachsamkeit, die Hüter zu betrügen,

Und unerkannt sich bis ins Schlafgemach zu schmiegen,

Wo Rezia, von Hüon träumend, ruht.

Des unverhofften Wiedersehens Freude

Macht einen Augenblick sie sprachlos alle beide.

Das erste Wort, das Fatme sprechen kann,

Ist Hüon, ist Bericht von dem geliebten Mann.


42.

»Was sagst du, goldne Amme?« ruft Amande,

Und fällt ihr um den Hals – »Mein Hüon, mir so nah?

Wo ist er?« – »Ach! Prinzessin, was geschah!

(Schluchzt jene weinend) Hilf! zerreiße seine Bande![368]

Spreng seinen Kerker auf! Dem Unglückselgen droht,

Aus Liebe bloß zu dir, ein jämmerlicher Tod.«

Und drauf erzählt sie ihr genau die ganze Sache,

Und ihres Ritters Treu und der Sultanin Rache.


43.

»Schon«, ruft sie, »steht der Holzstoß aufgetürmt,

Nichts rettet ihn, wenn ihn nicht Zoradine schirmt!«

Mit einem Schrei der Angst, halb sinnlos, fährt Amande

In wilder Hast von ihrem Lager auf,

Wirft, wie sie steht, im leichten Nachtgewande,

Den Kurdé2 um, und eilt in vollem Lauf

Des Sultans Zimmer zu, durch alle Sklavenwachen,

Die sie mit Wunder sehn, und schweigend Platz ihr machen.


44.

Sie dringt hinein, nichts achtend daß es früh

Am Tage war, und wirft mit lilienblassen Wangen,

Und Haaren, die zerstreut um ihre Schultern hangen,

Sich vor dem Sultan auf die Knie:

»Almansor, laß mich nicht vergebens

Dir knieen! Schwöre, wenn mein Leben dir

Erhaltenswürdig scheint, daß du die Bitte mir

Gewähren willst! Es gilt die Ruhe meines Lebens!«


45.

»Begehr, o Schönste«, spricht erstaunt und froh zugleich

Der Sultan, »laß mich nicht in Ungewißheit schweben!

Dir zu gefallen ist mein feurigstes Bestreben;

Begehre frei! Mein Schatz, mein Thron, mein Reich,

Nichts ist zuviel, was ich zu geben

Vermag. Ein einzigs nur behält sich Mansor vor,

Dich selbst!« – »Du schwörst es mir?« – Der liebestrunkne Mohr

Beschwört's. – »So schenke mir des Gärtners Hassan Leben!«


46.

»Wie?« ruft er mit bestürzter Miene,

»Welch eine Bitte, Zoradine?

Was geht das Leben dich von diesem Sklaven an?«

»O, viel, Almansor, viel! Mein eignes hängt daran!«

»Sprichst du im Fieber? Schwärmest du? Verzeihe,

Doch, du mißbrauchst des unbegrenzten Rechts[369]

Das dir die Schönheit gibt. – Am Leben eines Knechts

Der sein Verbrechen büßt?« – »Er büßt für seine Treue!


47.

Mir ist sein Herz bekannt, er hält an seiner Pflicht,

Ist schuldlos, ist ein Mann von unverletzter Ehre;

Und doch – o Mansor! – wenn er schuldig wäre,

So räche sein Vergehn an Zoradinen nicht!«

Mit Augen die von kaum verhaltnem Grimme funkeln

Ruft Mansor: »Grausame, was quält dein Zögern mich!

Welch ein Geheimnis dämmert aus dem dunkeln

Verhaßten Rätsel auf! Was ist dir Hassan? Sprich!«


48.

»So wiß es denn, weil mich die Not zum Reden zwinget,

Ich bin sein Weib! Ein Band, das nichts zerreißen kann,

Ein Band, gewebt im Himmel selber, schlinget

Mein Glück, mein Alles fest an den geliebten Mann.

Uns drückt mit seiner ganzen furchtbarn Schwere

Des Schicksals Arm – Wer weiß, wie bald an dich

Die Reihe kommt! – Du siehst mich elend – Ehre

Mein Leiden, Glücklicher! – Du kannst es, rette mich!«


49.

»Wie? du bist Hassans Weib, und liebst ihn?« – »Über alles!«

»Unglückliche, er ist dir ungetreu!«

»Er ungetreu? Die Ursach seines Falles,

Ich bin's gewiß, ist einzig seine Treu.«

»Ich glaube was ich sah!« – »So ward er erst betrogen,

Und du mit ihm!« – Mit zürnendem Gesicht

Spricht Mansor: »Spanne nicht den Bogen,

Zu stolz auf deinen Reiz, so lange bis er bricht!


50.

Dein Hassan stirbt – und ich kann nichts, als dich beklagen.«

»Er stirbt?« schreit Rezia – »Tyrann,

Er, dem ein Wort von dir das Leben schenken kann,

Er stirbt? Du hast ein Herz mir das zu sagen?«

»Er hat des Harems Zucht verletzt«,

Erwidert Mansor kalt; »ihm ist der Tod gesetzt!

Doch, weil du willst, so sei des Sklaven Leben,

Sein Leben oder Tod, in deine Hand gegeben!
[370]

51.

Gib, Schönste, mir ein Beispiel edler Huld

Gib mir die Ruh, die du mir raubtest, wieder

Ich lege Kron und Reich zu deinen Füßen nieder

Ergib dich mir, so sei dem Frevler seine Schuld Geschenkt!

Er zieh, mit königlichen Gaben

Noch überhäuft, zu seinem Volk zurück!

O zögre nicht, die Güte selbst zu haben

Die du begehrst! – Ein Wort macht mein und sein Geschick.«


52.

»Unedler!« ruft mit eines Engels Zürnen

Das schöne Weib, »so teuer kauft der Mann,

Den Zoradine liebt, sein Leben nicht! – Tyrann,

Kennst du mich so? – Die schlechteste der Dirnen,

Die mich bedienten einst, verschmähte deinen Thron

Und dich um solchen Preis! Zwar steht, uns zu verderben,

In deiner Macht: doch, hoffe nicht davon

Gewinn zu ziehn – Barbar, auch Ich kann sterben.«


53.

Der Sultan stutzt. Ihn schreckt des edeln Weibes Mut.

Sein feiges Herz wird mehr von ihrem Dräun gerühret

Als da sie bat; doch, ihre Schönheit schüret

Das Feuer der Begier zugleich in seinem Blut.

Was sagt' er nicht ihr Herz mit Liebe zu bestechen!

Wie bat er sie! wie schlangenartig wand

Er sich um ihren Fuß! – Umsonst! Ihr Widerstand

War nicht durch Drohungen, war nicht durch Flehn zu brechen.


54.

Sie blieb darauf, ihr soll der Tod willkommner sein.

Der Sultan schwört mit fürchterlicher Stimme

Bei Mahoms Grab, nichts soll vor seinem Grimme

Sie retten, geht sie nicht sogleich den Antrag ein.

»Ist's nicht mein letztes Wort, soll Allah mich verdammen!«

Hört man den Wütenden bis in den Vorsaal schrein:

»Entschließe dich, sei auf der Stelle mein,

Wo nicht, so stirb mit dem Verworfnen in den Flammen!«


55.

Sie sieht ihn zürnend an, und schweigt. – »Entschließe dich!«

Ruft er zum zweiten Mal. – »O so befreie mich[371]

Von deinem Anblick«, spricht die Königin der Frauen;

»Des Todes Grinsen selbst erweckt mir minder Grauen.«

Almansor ruft, und gibt, von Wut erstickt,

Den grausamen Befehl, und Höllenfunken sprühen

Aus seinem Aug. Der Schwarzen Erster bückt

Sich bis zur Erde hin, und schwört, ihn zu vollziehen.


56.

Schon steht der gräßliche Altar

Zum Opfer aufgetürmt; schon drängt sich, Schar an Schar,

Das Volk herzu, das, gern in Angst gesetzet,

An Trauerspielen dieser Art

Die Augen weinend labt, und schaudernd sich ergetzet.

Schon stehn, zum Leiden und zum Tode noch gepaart,

An einen Marterpfahl gebunden,

Die einzgen Liebenden, die Oberon rein erfunden.


57.

Ein edles Paar in Eins verschmolzner Seelen,

Das treu der ersten Liebe blieb,

Entschlossen, eh den Tod in Flammen zu erwählen,

Als ungetreu zu sein selbst einem Thron zu Lieb!

Mit nassem Blick, die Herzen in der Klemme,

Schaut alles Volk gerührt zu ihnen auf,

Und doch besorgt, daß nicht den freien Lauf

Des Trauerspiels vielleicht ein Zufall hemme.


58.

Den Liebenden, wie sie gebunden stehn,

Ist zwar der Trost versagt einander anzusehn;

Doch, über alles, was sie leiden

Und noch erwarten, triumphiert

Die reinste, seligste der Freuden,

Daß ihre Lieb es ist, was sie hierher geführt.

Der Tod, der ihre Treu mit ewgem Lorbeer ziert,

Ist ihres Herzens Wahl; sie konnten ihn vermeiden.


59.

Inzwischen siehet man mit Fackeln in den Händen

Zwölf Schwarze sich dem Opfer paarweis nahn.

Sie stellen sich herum, bereit es zu vollenden,

So bald der Aga winkt. Er winkt. Sie zünden an.[372]

Und stracks erdonnert's laut, die Erde scheint zu beben,

Die Flamm erlischt, der Strick, womit das treue Paar

Gebunden stand, fällt wie versengtes Haar,

Und Hüon sieht das Horn an seinem Halse schweben.


60.

Im gleichen Augenblick, da dies

Geschah, zeigt sich von fern in zwei verschiednen Reihen,

Von ängstlicher Bekümmernis

Gespornt, Almansor hier, und dort Almansaris,

Er Zoradinen, Sie den Hassan zu befreien.

»Halt!« hört man sie aus allen Kräften schreien.

Auch stürzt mit blitzendem Schwert durch die erschrockne Menge

Ein schwarzer Rittersmann sich mitten ins Gedränge.


61.

Doch Hüon hat das Pfand, daß nun sein Oberon

Versöhnt ist, kaum mit wonnevollem Schaudern

An seinem Hals erblickt, so setzt er ohne Zaudern

Es an den Mund, und lockt den schönsten Ton

Daraus hervor, der je geblasen worden.

Sein edles Herz verschmäht ein feiges Volk zu morden:

»Tanzt«, ruft er, »tanzt, bis euch's den Atem raubt;

Dies sei die einzige Rache, die Hüon sich erlaubt.«


62.

Und wie das Horn ertönt, ergreift der Zauberschwindel

Zuerst das Volk, das um den Holzstoß steht,

Schwarzgelbes, lumpiges, halb nackendes Gesindel,

Das plötzlich sich, wie toll, im schnellsten Wirbel dreht;

Bald mischet sich mit allen seinen Negern

Der Aga drein; ihm folgt – was Füße hat

Bei Hof, im Harem, in der Stadt,

Vom Sultan an bis zu den Wasserträgern.


63.

Unlustig faßt der Schach – Almansaris beim Arm;

Sie sträubt sich; doch was hilft sein Unmut und ihr Sträuben,

Der Taumel reißt sie fort, sich mitten in den Schwarm

Der Walzenden mit ihm hinein zu treiben.

In kurzem ist ganz Tunis in Alarm,

Und niemand kann auf seiner Stelle bleiben:[373]

Selbst Podagra, und Zipperlein und Gicht

Und Todeskampf befreit von dieser Tanzwut nicht.


64.

Indessen, ohne auf das Possenspiel zu blicken,

Hält das getreue Paar, in seligem Entzücken,

Sich sprachlos lang umarmt. Kaum hat ihr Busen Raum

Für diesen Überschwang von Freuden.

Er ist nun ausgeträumt der Prüfung schwerer Traum!

Nichts bleibt davon als was ihr Glück verschönt:

Gebüßt ist ihre Schuld, das Schicksal ausgesöhnt,

Aufs neu von ihm vereint, kann nun sie nichts mehr scheiden!


65.

Teilnehmend inniglich, sieht, noch auf seinem Roß,

Der biedre Scherasmin (Er war der schwarze Ritter)

Der Wonne zu, worin ihr Herz zerfloß.

Er ist's, der wie ein Ungewitter

Vorhin daher gestürmt, um das geliebte Paar

Zu retten aus der feigen Mohren Händen,

Und, schlüg's ihm fehl, ein Leben hier zu enden,

Das, ohne sie, ihm unerträglich war.


66.

Er springt herab, drängt durch den tollen Reigen

Mit Fatme, die ihm folgte, sich hinan,

Den Liebenden von ihrem Throne steigen

Zu helfen, und sie im Triumphe zu empfahn.

Groß war die Freude, doch sie schwoll noch höher an,

Da sie den wohl bekannten Wagen,

Von Schwanen durch die Luft, stets niedriger, getragen,

Zu ihren Füßen nun auf einmal halten sahn.


67.

Sie stiegen eilends ein – Die Mohren mögen tanzen

So lang es Oberon gefällt!

(Wiewohl der Alte raspeln oder schanzen

Für eine beßre Kurzweil hält.)

Der lüftge Phaethon, fliegt leicht und ohne Schwanken,

Sanft wie der Schlaf, behender als Gedanken,

Mit ihnen über Land und Meer,

Und Silberwölkchen wehn, wie Fächer, um sie her.
[374]

68.

Schon tauchte sich auf Bergen und auf Hügeln

Die Dämmerung in ungewissen Duft;

Schon sahen sie den Mond in manchem See sich spiegeln,

Und immer stiller ward's im weiten Reich der Luft;

Die Schwanen ließen itzt mit sinkendem Gefieder

Allmählich sich bis auf die Erde nieder:

Als plötzlich, wie aus Abendrot gewebt,

Ein schimmernder Palast vor ihren Augen schwebt.


69.

In einem Lustwald, mitten zwischen

Hoch aufgeschoßnen vollen Rosenbüschen,

Stand der Palast, von dessen Wunderglanz

Der stille Hain und das Gebüsche ganz

Durchschimmert schien – »War's nicht an diesem Orte«,

Spricht Hüon leis und schaudernd – Doch, bevor

Er's ausspricht, öffnet schnell sich eine goldne Pforte,

Und zwanzig Jungfraun gehn aus dem Palast hervor.


70.

Sie kamen, schön wie der Mai, mit ewig blühenden Wangen.

Gekleidet in glänzendes Lilienweiß,

Die Erdenkinder zu empfangen

Die Oberon liebt. Sie kamen tanzend, und sangen

Der reinen Treue unsterblichen Preis.

»Komm«, sangen sie (und goldne Zimbeln klangen

In ihren süßen Gesang, zu ihrem lieblichen Tanz)

»Komm, trautes Paar, empfang den schönen Siegeskranz!«


71.

Die Liebenden – sich kaum besinnend – in die Wonne

Der andern Welt verzückt – sie wallen, Hand in Hand,

Den Doppelreihen durch: als, gleich der Morgensonne

In ihrem Bräutgamsschmuck, der Geist vor ihnen stand.

Nicht mehr ein Knabe, wie er ihnen

In lieblicher Verkleidung sonst erschienen –

Ein Jüngling, ewig schön und ewig blühend, stand

Der Elfenkönig da, den Ring an seiner Hand.


72.

Und ihm zur Seite glänzt, mit ihrer Rosenkrone

Geschmückt, Titania, in milderm Mondesglanz.[375]

In beider Rechten schwebt ein schöner Myrtenkranz.

»Empfange«, sprechen sie mit liebevollem Tone,

»Du treues Paar, zum edlen Siegeslohne,

Aus deiner Freunde Hand den wohl verdienten Kranz!

Nie wird von euch, so lang ihr dieses Zeichen

Von unsrer Huld bewahrt, das Glück des Herzens weichen.«


73.

Kaum daß das letzte Wort von Oberons Lippen fiel,

So sah man aus der Luft sich eine Wolke neigen,

Und aus der Wolke Schoß, bei goldner Harfen Spiel,

Mit Lilien vor der Brust drei Elfentöchter steigen.

Im Arm der dritten lag ein wunderschöner Knab,

Den sie, auf ihren Knien, Titanien übergab.

Süß lächelnd bückt zu ihm die Königin sich nieder,

Und gibt, mit einem Kuß, ihn seiner Mutter wieder.


74.

Und, unterm Jubelgesang der Jungfraun, die in Reihn

Vor ihnen her den Weg mit Rosen überstreun,

Ziehn durch die weite goldne Pforte

Die Glücklichen hinein in Oberons Freudenhaus.

Was sie gesehn, gehört, an diesem schönen Orte,

Sprach ihre Zunge nie beim Rückerinnern aus.

Sie sahn nur himmelwärts, und eine Wonneträne

Im glänzenden Auge verriet wohin ihr Herz sich sehne.


75.

In einen sanften Schlaf verlor sich wonniglich

Der selge Traum. Und mit dem Tage fanden

Sie beide, Arm in Arm, wie neu geboren, sich

Auf einer Bank von Moos. Zu ihrer Seite standen

Im leicht umschattenden Gebüsch,

Reich aufgeschmückt, vier wunderschöne Pferde,

Und ringsum lag ein schimmerndes Gemisch

Von Waffen, Schmuck und Kleidern auf der Erde.


76.

Herr Hüon, dem das Herz von Freude überfloß,

Weckt seinen Alten auf; Amande

Sucht ihren Sohn, der noch auf Fatmens Schoß

Sanft schlummernd lag. Sie sehn sich um. Wie groß[376]

Ist ihr Erstaunen! – »Herr, in welchem Lande

Glaubt ihr zu sein?« ruft Scherasmin entzückt

Dem Ritter zu – »Kommt, seht von diesem Stande

Nach Westen hin, und sagt, was ihr erblickt!«


77.

Der Ritter schaut hinaus, und traut

Dem Anblick kaum. – Er, der so viel erfahren,

Und dessen Augen so gewöhnt an Wunder waren,

Glaubt kaum was er mit offnen Augen schaut.

Es ist die Sein', an deren Bord sie stehen!

Es ist Paris, was sie verbreitet vor sich sehen!

Er reibt sich Aug und Stirn, schaut immer wieder hin,

Und ruft: »Ist's möglich, daß ich schon am Ziele bin?«


78.

Nicht lange schaut er hin, vor Freude ganz betroffen,

So stellt sich ihm ein neues Schauspiel dar.

Ihm däucht, daß alles um die Burg in Aufruhr war.

Man hört Trommetenschall, und eine Ritterschar

Trabt dem Turnierplatz zu, die Schranken stehen offen.

»Mein Glück«, ruft Hüon, »läßt mein Hoffen

Stets hinter sich. Geh, Freund! wofern nicht alles mich

Betrügt, gibt's ein Turnier; geh, und erkundge dich.«


79.

Der Alte geht. Inzwischen wird Amande

Von Fatmen angekleidt. Denn, was sie haben muß,

Sich, mit dem Glanz, der ihrem hohen Stande

Und ihrer Schönheit ziemt, in diesem fremden Lande

Zu zeigen, fanden sie im reichsten Überfluß

Gehäuft zu ihren Füßen liegen.

Herr Hüon läßt indes, mit manchem Vaterkuß,

Den kleinen Hüonnet auf seinem Knie sich wiegen,


80.

Und sieht, mit inniglicher Lust,

Das schöne Weib, durch alles fremde Zieren

Und Schimmern nichts gewinnen noch verlieren.

Ob eine Rose ihre Brust

Umschattet, ob ein Strauß von blitzenden Juwelen

In Glanz sie hüllt – stets durch sich selber schön[377]

Und liebeatmend, scheint durch Den

Ihr nichts geliehn, bei Jener nichts zu fehlen.


81.

Der Alte kommt itzt mit der Nachricht an,

Drei Tage sei bereits der Schranken aufgetan.

»Karl, (spricht er) immer noch durch seinen Groll getrieben,

Hat ein Turnier im Reiche ausgeschrieben:

Und ratet, welchen Dank der Sieger heut erhält!

Nichts Kleiners, Herr, als – Hüons Land und Lehen!

Denn, euch aus Babylon mit Ruhm gekrönt zu sehen,

Ist was dem Kaiser nicht im Schlaf zu Sinne fällt.«


82.

»Auf, waffne mich«, ruft Hüon voller Freuden;

»Willkommner konnte mir kein andre Botschaft sein.

Was die Geburt mir gab, sei nun durch Tugend mein!

Verdien ich's nicht, so mag's der Kaiser dem bescheiden

Der's würdig ist!« – Er sagt's, und siehet Rezia

Ihm lächelnd stillen Beifall nicken.

Ihr Busen klopft ihm Sieg! – In wenig Augenblicken

Steht glänzend schon ihr Held in voller Rüstung da.


83.

Sie schwingen sich zu Pferd, die Ritter und die Frauen,

Und ziehen nach der Stadt! und allenthalben schauen,

Von ihrer Pracht entzückt, die Leute nach, und wer

Die Gassen müßig tritt, läuft hinter ihnen her.

Bald langt mit Rezia Herr Hüon vor den Planken

Der Stechbahn an. Er läßt, nachdem er sich bei ihr

Beurlaubt, Scherasmin zu ihrem Schützer hier,

Zieht sein Visier herab, und reitet in die Schranken.


84.

Ein lautes Lob verfolgt von beiden Seiten ihn,

Ihn, der an Anstand und an Stärke

Den besten, die der ritterlichen Werke

Bisher gepflegt, weit überlegen schien.

Scheel sehend stand am Ziel, auf seinem stolzen Roß,

Der Ritter, der in diesen dreien Tagen

Des Rennens Preis davon getragen,

Und mit den Fürsten sah der Kaiser aus dem Schloß.
[378]

85.

Herr Hüon neigt, nach ritterlicher Weise,

Sich vor dem Kaiser tief, dann vor den Damen und

Den Richtern – tummelt drauf im Kreise

Den mutgen Hengst herum, und macht dem Sieger kund,

Daß er gekommen sei, den Dank ihm abzujagen.

Er sollte zwar erst Stand und Namen sagen;

Allein sein Schwur, daß er ein Franke sei,

Und seines Aufzugs Pracht, macht vom Gesetz ihn frei.


86.

Er wiegt und wählt aus einem Haufen Speere

Sich den, der ihm die meiste Schwere

Zu haben scheint, schwingt ihn mit leichter Hand,

Und stellt, voll Zuversicht, sich nun an seinen Stand.

Wie klopft Amandens Herz! wie feurige Gebete

Schickt sie zu Oberon und allen Engeln ab,

Als itzt die schmetternde Trompete

Den Ungeduldigen zum Rennen Urlaub gab!


87.

Dem Ritter, der bisher die Nebenbuhler alle

Die Erde küssen hieß, schwillt mächtiglich die Galle,

Daß er gezwungen wird, auf diese neue Schanz

Sein Glück und seinen Ruhm zu setzen.

Er war ein Sohn des Doolin von Maganz,

Und ihm war Lanzenspiel kaum mehr wie Hasenhetzen.

Er stürmet, wie ein Strahl aus schwarzer Wolken Schoß,

In voller Wut auf seinen Gegner los.


88.

Doch, ohne nur in seinem Sitz zu schwanken,

Trifft Hüon ihn so kräftig vor die Brust,

Und wirft mit solcher Macht ihn seitwärts an die Planken

Daß alle Rippen ihm von seinem Fall erkranken.

Zum Kampf vergeht ihm alle weitre Lust;

Vier Knappen tragen ihn ohnmächtig aus den Schranken.

Ein jubelnd Siegsgeschrei prallt an die Wolken an,

Und Hüon steht allein als Sieger auf dem Plan.


89.

Er bleibt am Ziel noch eine Weile stehen,

Ob jemand um den Dank noch kämpfen will, zu sehen;[379]

Und da sich niemand zeigt, eilt er mit schnellem

Trab Amanden zu, die, hoch auf ihrem schönen Rosse,

Wie eine Göttin glänzt, und führt sie nach dem Schlosse.

Sie langen an. Er hebt gar höflich sie herab,

Und führt sie, unterm Vivatrufen

Des Volks, hinauf die hohen Marmorstufen.


90.

Wie eine Silberwolk umwebt

Amandens Angesicht ein undurchsichtger Schleier,

Durch den sich jedes Aug umsonst zu bohren strebt.

Voll Ungeduld, wie sich dies Abenteuer

Entwickeln werde, strömt die Menge ohne Zahl

Dem edeln Paare nach. Itzt öffnet sich ein Saal;

Hoch sitzt auf seinem Thron, von seinem Fürstenrate

Umringt, der alte Karl in kaiserlichem Staate.


91.

Herr Hüon nimmt den Helm von seinem Haupt,

Und tritt hinein, in seinen schönen Locken

Dem Gott des Tages gleich. Und alle sehn erschrocken

Den Schnell-erkannten an. Der alte Kaiser glaubt

Des Ritters Geist zu sehn. Und Hüon, mit Amanden

An seiner Hand, naht ehrerbietig sich

Dem Thron, und spricht: »Mein Lehnsherr! siehe mich,

Gehorsam meiner Pflicht, zurück in deinen Landen!


92.

Denn, was du zum Beding gemacht

Von meiner Wiederkehr, mit Gott hab ich's vollbracht!

In diesem Kästchen sieh des Sultans Bart und Zähne,

An die, o Herr, nach deinem Wort, ich Leib

Und Leben aufgesetzt – und sieh in dieser Schöne

Die Erbin seines Throns, und mein geliebtes Weib!«

Mit diesem Worte fällt von Reziens Angesichte

Der Schleier ab, und füllt den Saal mit neuem Lichte.


93.

Ein Engel scheint, in seinem Himmelsglanz,

(Gemildert nur, damit sie nicht vergehen)

Vor den Erstaunten da zu stehen:

So groß, und doch zugleich so lieblich anzusehen,[380]

Glänzt Rezia in ihrem Myrtenkranz

Und silbernen Gewand. Die Königin der Feen

Schmiegt, ungesehen, sich an ihre Freundin an,

Und alle Herzen sind ihr plötzlich untertan.


94.

Der Kaiser steigt vom Thron, heißt freundlich sie willkommen

An seinem Hof. Die Fürsten drängen sich

Um Hüon her, umarmen brüderlich

Den edeln jungen Mann, der glorreich heim gekommen

Von einem solchen Zug. Es stirbt der alte Groll

In Karls des Großen Brust. Er schüttelt liebevoll

Des Helden Hand, und spricht: »Nie fehl es unsern Reiche

An einem Fürstensohn, der Dir an Tugend gleiche!«
[381]

1

Glorie, XII. 16. »Wie eine Glorie.« – Wenigstens in dieser zu unsrer Malerkunstsprache gehörigen Bedeutung, in welcher es das Bild des sich öffnenden Empyreums und der Erscheinung himmlischer Wesen, Engel, und Heiligen, in der Phantasie erregt, sollte, dünkt uns, dieses zwar fremde, aber schon in Kaisersbergers Postille und einigen unsrer ältesten Kirchenlieder vorkommende, und also längst verbürgerte Wort beibehalten werden. Aber auch bloß als poetische Farbe ist es der Dichtersprache, um den höchsten Grad von Ruhm, Herrlichkeit und Majestät auszudrücken, (wie so manche andre Wörter, deren man uns ohne Not oder Nutzen berauben will) unentbehrlich.

2

Kurdé, XII. 43. Ein weites Oberkleid der Türkischen Damen. S. Letters of Lady M. Worthley Montague, L. XXIX.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 5, München 1964 ff., S. 359-382.
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