[260] Die Vorigen. Guilford.
GUILFORD.
Verwünscht sey diese ungeheure Welt,
Und das Gezücht von Schlangen und Harpyen,
Das sie bewohnt! – Wie? – Sind diess Menschen? – Nein!
Des Abgrunds Rachen hat euch ausgespien,
Verräther! Euer schwarzer Hauch vergiftet
Die milde Luft! – O Sonne, kannst du noch
Dein heilig Licht zu solchen Greueln leihen!
Wie tobt mein feurig Blut! –
LADY JOHANNA.
Mein Guilford!
Was ists?[260]
LADY SUFFOLK.
Was kann noch ärgers auf uns warten,
Als was wir wissen?
GUILFORD.
Alle diese Freunde,
Johanna, die mit falscher Zunge dir
Vor wenig Stunden noch ihr Leben weihten,
Die schmeichlerische Brut der Höflinge,
Die kaum vor uns ihr schändlich Knie noch beugten,
Und selbst – o Scheusal! – deine Räthe selbst.
Die kaum mit aufgehobnen Händen schwuren,
Dir, dem Gesetz und unserm heil'gen Glauben
Getreu zu bleiben, alle sind Verräther,
Verdammte Heuchler! – Pembrok,– ach! mein Freund,
Mein Pembrok selbst, – von Gardiner betrogen,
Fiel zu Marien ab!
LADY JOHANNA.
Und kannst du, Guilford,
Mir einen Zeitlauf nennen, da die Menschen
Nicht so geartet waren? Glaube mir,[261]
Die schöne Tugend hat zwar viele Schmeichler
Doch wenig treue Freunde! Glück, und Macht,
Und Pomp und Glanz, wenn diese das Gefolge
Der Tugend sind, dann findet sie Verehrer;
Doch fallen diese von ihr ab,
So flieht der Heuchler Schwarm, vergöttert jetzt
Mit gleicher Falschheit das gekrönte Laster,
Und du, o nackte Tugend, bleibst allein.
LADY SUFFOLK.
Den Schmerz, der meine Brust zerreisst,
Hat keine Mutter noch gefühlt! – Mein Mund
Versagt mir Klagen, meine Qual zu lindern,
Meine Auge Thränen.
LADY JOHANNA.
Warum kann ich doch
Die Einzige nicht seyn, die leidet? – Ach! Mein Schicksal
Liegt hart auf mir! – Ich bin dazu verurtheilt,
Die Freude aller, die Natur und Freundschaft
Mir theuer macht, in Jammer zu verkehren.
Doch murre nicht, mein Herz! – Die Leiden, die der Himmel
Uns schickt, sind heilsamer als selbstgewählte Freuden.[262]
GUILFORD.
Gott! welche schreckliche Verwandlung!
Wo bin ich? – Bin ich Guilford? – Bin ich der,
Der noch vor wenig Stunden, kaum die Engel
Beglückter hielt als sich? – War's nur ein Traum
Als lauter Wonne lauter Hoffnung mich
Umlächelte? – Wozu erwach ich jetzt?
Zu welcher dunkeln grauenvollen Aussicht
In Jammer ohne Mass! – Ein Augenblick
Hat rings um mich die Welt in eine Hölle
Verwandelt! Die ich Menschen glaubte.
Sind Furien und Schreckgespenster worden!
O! dieses blaue himmlische Gewölbe,
Der Thron des Tages, ist ein schwarzer Kerker
In meinen Augen! Diese Frühlingsluft,
Der Blumen reinster Athem, haucht mir Gift!
Mich dünkt, ich steh allein, auf den Ruinen
Der eingesunknen Welt, von todten Schatten
Und Schrecknissen umringt. –
LADY SUFFOLK.
Welch ein Getümmel.
Wer kommt? – O weh uns! Gardiner! –
Er ist es selbst. –
Buchempfehlung
»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro