Fünfter Auftritt.

[38] Der Bischof, die Vorigen.


DER BISCHOF zum Markgrafen. Gnädiger Herr, ich habe einen Brief von meinem Bruder, dem General, erhalten; seiner Anzeige nach ist er auf dem Wege nach Bologna. Er weiss nicht, dass der Chevalier schon hier ist, und scheint ungeduldig zu seyn, ihm zuvorzukommen.

JERONYMO. Ich zittere vor dieser Ungeduld, und vor der Unruhe, die uns seine allzu grosse Hitze verursachen könnte. Er hat die Sache des Grafen von Belvedere zu der seinigen gemacht, er liebt ihn –

DER MARKGRAF. Ich liebe ihn auch; aber ich liebe meine Tochter noch mehr. Ich habe nur Eine Klementina – Ich Unglücklicher! ich [38] habe sie gehabt, sollte ich sagen! Ich muss das marternde Andenken dessen, was sie gewesen ist, verbannen, um nicht völlig unter meinem Gram zu ersinken.

JERONYMO. Der General macht mir Kummer! Er kennt meinen Grandison nicht, wie wir ihn kennen. Er hat Vorurtheile wider ihn; er ist von einem andern eingenommen; ich besorge –

GRANDISON. Besorgen Sie nichts, liebster Freund! Ich verehre die Verdienste des Herrn Generals, ohne seine Hitze zu scheuen. Wenn er Vorurtheile hat, so ist seine Hieherkunft das beste Mittel sie zu heben. Und was auch endlich sein Betragen gegen mich seyn möchte, so bin ich meiner selbst so gewiss, dass es niemahls in seiner Gewalt seyn wird, mich vergessen zu machen, was ich dem ersten Sohne des Markgrafen von Porretta schuldig bin.

DER MARKGRAF. Und er müsste nicht mein Sohn seyn, wenn er dem Chevalier Grandison anders begegnete, als es sein Karakter und seine Freundschaft gegen uns verdienen.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 38-39.
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Klementina von Porretta
C. M. Wielands sämtliche Werke: Supplement, Band V. Klementina von Porretta; Pandora; Die Bunkliade; Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt