Zweyter Auftritt.

[90] Grandison, Klementina.


KLEMENTINA. O Chevalier, in was für einem Augenblick kommen Sie!

GRANDISON. Endlich, theuerste Gräfin, endlich ist es Ihrem Grandison erlaubt zu reden. Die gütige Aufmunterung Ihrer Familie erlaubt mir, meine Wünsche zu ihrer geliebten Klementina zu erheben. Alle Schwierigkeiten sind gehoben. Ich darf Ihnen sagen, wie sehr ich Sie verehre, und es steht nur allein in Ihrer Macht, den Ausspruch zu thun, ob der zärtlichste und dankbarste unter den Menschen auch der glücklichste seyn soll?

KLEMENTINA. Was sagen Sie mir, Chevalier? – Ists möglich? – Sie kommen von meinen Ältern?

GRANDISON. Ich komme von ihnen. Der Bischof, Ihr Jeronymo und der Pater Mareskotti waren zugegen. Die feurige Freundschaft des zärtlichen, des grossmüthigen Jeronymo hat alle zu meinem Vortheil eingenommen. Sie haben mir erlaubt, unter den Bedingungen, die ich vor meiner letzten Abreise vorgeschlagen, mich um die grösste Glückseligkeit zu bewerben, die ein[91] Sterblicher diesseits des Himmels sich wünschen kann. Darf ich hoffen, gnädige Gräfin, nachdem ich auf eine so grossmüthige Art mit dem Beyfall Ihrer Ältern beehret worden, dass die vortreffliche Klementina nicht minder gütig gegen einen Mann seyn werde, der sich bestreben wird, durch alle Handlungen seines Lebens eine Liebe und Dankbarkeit zu beweisen, die zu gross ist mit Worten ausgedrückt zu werden?

KLEMENTINA. Wie willig, wie allzu willig ist mein Herz, Ihnen zu glauben! – Es ist nun in meiner Macht, sagen Sie, den Chevalier Grandison glücklich zu machen? – Wollte der Himmel, es wäre in meiner Macht! Wollte der Himmel, ich könnte Sie glücklich machen! Wer würde es besser, sorgfältiger, freudiger thun als ich? – Aber ich bin nicht zu einer so schönen Bestimmung auserwählt! – Mein Herz ist sehr beunruhigt, Herr Grandison, mehr als ich Ihnen sagen kann! Ich fühle den ganzen Umfang der Verbindlichkeiten, die wir Ihnen haben, die ich Ihnen besonders habe – und diess Gefühl vollendet mein Elend.

GRANDISON. Kränken Sie mich nicht, theuerste Gräfin, durch die Erwähnung von Verbindlichkeiten. Was habe ich anders gethan, als dem Rufe der Freundschaft folgen, welchem ein jeder von Ihrer Familie, in gleichen Umständen würde gefolget haben? Und gesetzt, es wäre in[92] meiner Macht gewesen, Sie zu verbinden, so ist es in der Ihrigen –

KLEMENTINA. Hier ist meine Schwierigkeit, Herr Grandison! Sie können nicht belohnt werden – Ich kann Sie nicht belohnen. – Sehen Sie mich nicht mit dieser zärtlichen Traurigkeit an! – Meine Seele leidet nur zu sehr unter dem Gedanken, dass ich Sie nicht belohnen kann! – Wie soll ich Ihnen beschreiben, was in meinem Gemüthe vorgeht? Meine Pflicht gegen Gott, gegen meine Ältern, – meine Dankbarkeit gegen Sie – Aber ich kann noch nicht von dieser Sache reden. Ich wünschte gross zu handeln. Sie haben mir ein Beyspiel gegeben, Herr Grandison!

GRANDISON. Theuerste Klementina, Sie erschrecken mich! Was bedeutet dieser feierliche Ernst, und diese Reden, die irgend ein trauriges Geheimniss zu verhüllen scheinen? Warum sollte es nicht in Ihrer Macht seyn, mich glücklich zu machen? – Das Beyspiel, dessen Sie erwähnen, kann keines für Sie seyn. Die Umstände sind ganz verschieden. Es wird nichts von Ihnen gefordert, was Ihr Gewissen nicht erlauben könnte zu bewilligen. Sie werden, wenn Sie die Meinige sind, in Ausübung Ihrer Religion völlige Freyheit behalten. Ich verehre Ihre Frömmigkeit, gnädige Gräfin, und die Ruhe Ihrer Seele ist so wichtig für mich, als die Ruhe der meinigen.[93]

KLEMENTINA. Grossmüthiger Mann! was soll ich Ihnen sagen? – ich, die nicht weiss, was ich mir selbst sagen soll! Aber ich habe angefangen alles aufzuschreiben, was mir über diese wichtige Sache beygefallen ist. Ich darf meinem Gedächtniss nicht trauen – auch meinem Herzen nicht! Ich will fortfahren, meine Gedanken aufzuschreiben –


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 90-94.
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