Neuntes Capitel
Folgen des Abenteuers mit dem Sommer-Vogel
Der Leser wird mit einer neuen Person bekannt gemacht

[39] Der getreue Pimpimp hatte seine Zeit so wohl genommen, daß er mit seinem Herrn eben anlangte, als es Zeit war zu Tische zu gehen. Ein tiefes Stillschweigen herrschte über der Tafel, und Don Sylvio war, wie man leicht denken kann, derjenige nicht, der es unterbrochen hätte. Er war zu sehr in seine Angelegenheiten vertieft, als daß er hätte bemerken sollen, wie sehr es seine gnädige Tante in die ihrige war. Eben so wenig beobachtete er, daß sie sich ungewöhnlich geputzt hatte, und daß sie von Zeit zu Zeit in einen gegenüberstehenden Spiegel Gesichter machte, welche dem Pedrillo, der bei Tisch aufwartete, so sonderbar vorkamen, daß er sich in die Lippen beißen mußte, um nicht überlaut zu lachen.

Nach dem Essen kündigte Donna Mencia ihrem Neffen an, daß sie in Geschäften genötiget sei, in die Stadt zu fahren und darin über Nacht zu bleiben.

Don Sylvio war zu höflich einige Neugierigkeit über die Natur dieser Geschäfte merken zu lassen, und er konnte es desto leichter sein, da er in der Tat keine hatte. Sie schieden also sehr vergnügt von einander, und unser junger Ritter verschwand bald darauf, ohne daß jemand im Hause gewahr wurde, wohin er ging.

Da er gewohnt war, die Sieste in seinem grünen Schloß zu halten, so vermißte man ihn nicht eher als da es Abendessens Zeit war. Man suchte ihn hierauf im Hause, im Garten, in den Feldern, im Wald, aber überall umsonst; Man rief seinen Namen, aber da war kein Don Sylvio.

Der vorgedachte Pedrillo, ein junger Bursche aus dem Dorfe, der ihm zur Aufwartung gegeben war, eine Küchenmagd, ein Stallknecht und die schöne Maritorne, deren wir schon erwähnt haben, machten in Abwesenheit der Donna Mencia und der Dame Beatrix, ihrer getreuen Kammerfrau, die ganze Hausgenossenschaft aus. Diese vier guten Leute waren nicht wenig betrübt darüber, daß sie nicht wußten, was aus ihrem jungen[39] Herrn geworden sei; denn sie liebten ihn wegen seines angenehmen und leutseligen Wesens recht herzlich. Nachdem sie ihn nun beim Mondschein bis in die späte Nacht umsonst gesucht hatten, kamen sie endlich auf den Gedanken, daß er vielleicht zu seiner Tante gegangen sei; denn das Städtchen war kaum drei Stunden weit vom Schloß entfernt. Sie gingen also heim und legten sich schlafen.

Allein Pedrillo, der oft genug um seinen Herrn war, daß ihm seine Neigung zur Feerei nicht unbekannt sein konnte, kam bei näherm Nachdenken auf die Vermutung, daß er sich auf einem seiner gewohnten Spaziergängen im Walde, vielleicht über irgend einem Abenteuer, verirrt haben möchte. Er stund also den folgenden Morgen früh auf, und durchstöberte nochmals den ganzen Wald, ohne glücklicher zu sein als den Abend zuvor.

Er wollte eben wieder heimkehren, als er in einem Felsen, um welchen etliche Reihen von wilden Lorbeer-Bäumen im Cirkel stunden, eine mit Geißblatt bewachsene Höhle gewahr ward.

Pedrillo, dem es ungeachtet seiner ziemlich schafmäßigen Mine nicht an Witz fehlte, und der in den Ritterbüchern und Märchen nicht weniger bewandert war als sein Herr, hielt diesen Ort für Feen-mäßig genug, daß er ihn vielleicht darin finden könnte. Er betrog sich nicht; denn wie er an den Eingang der Grotte kam, sah er ihn auf einem Lager von Moos und Blumen ausgestreckt in tiefem Schlafe liegen; der kleine Pimpimp schlief zu seinen Füßen, neben ihm lag seine Cither, und an seinem Halse hing das Kleinod mit dem Bildnis der schönen Schäferin.

Pedrillo, der es noch nie gesehen hatte, wurde von dem Glanz der Steine und Perlen, wovon dieses Halsgeschmeide schimmerte, nicht wenig geblendet; und ob er gleich kein großer Kenner von Juwelen war, so deuchte ihn doch, daß sie wenigstens zehen Dörfer, wie das seinige, wert sein könnten. Er betrachtete sie lang ohne auf das Gemälde Acht zu geben, und konnte nicht begreifen, woher Don Sylvio einen so kostbaren Schmuck bekommen haben möchte. Seine Neugierigkeit wurde endlich so dringend, daß er sich kaum enthalten konnte ihn aufzuwecken. Das tat er nun zwar nicht, denn Pedrillo war ein so höflicher Bauer-Junge, als irgend einer in Valencia; aber er nahm doch die Cither, und klimperte darauf so laut er konnte,[40] und endlich sang er gar dazu, ohne daß er seine Absicht desto mehr erreichte.

Nun, bei meiner Six! rief er endlich ganz ungedultig aus, das geht nicht natürlich zu; wenn das nicht ein bezauberter Schlaf ist, so versteh ich nichts davon. Vielleicht steckt die Zauberei in diesem Kleinod hier; wenn das wäre, so ist es besser, ich nehm' es ihm vom Hals, oder ich zerbrech es gar, wenns nötig ist, als daß mein junger Herr hier ein paar tausend Jahre wie ein Murmeltier an einem Stück verschnarche.

Indem er das sagte, langte er nach dem Kleinod, stieß aber von ungefähr mit dem Ellbogen an den Don Sylvio an, der davon erwachte, und, weil er die Augen noch nicht recht auftun konnte, den Pedrillo nicht sogleich erkannte, sondern nur eine Menschen-Figur sah, die ihm seine geliebte Schäferin stehlen wollte.

Er geriet darüber in eine außerordentliche Wut. Verfluchte Zauberin, rief er, ist es dir nicht genug, daß du diese unschuldige Princessin ihrer himmlischen Schönheit beraubt und in einen elenden Sommer-Vogel verwandelt hast? Willst du mir auch das einzige rauben, was mir das Übermaß meines Unglücks noch erträglich machen kann? Aber wisse, vorher mußt du dieses Herz ausreißen, worin ihr Bildnis mit feurigen Zügen eingegraben ist.

Ums Himmels willen, Herr, rief Pedrillo, indem er an den Eingang der Grotte zurück sprang, was meinet ihr mit allem diesem seltsamen Zeug? Ich bin weder ein Zauberer noch ein Schwarzkünstler, Gott sei Dank; ich bin Pedrillo, euer Diener, von alt-christlichem Geschlecht, so gut als einer in unserm Kirchspiel, und es tut mir leid, nachdem ich euch in allen vier Enden der Welt gesucht habe, euch in dieser verfluchten Grotte und in einem solchen Zustand anzutreffen, was sagt ihr da von Zauberern und von dem Übermaß der Sommer-Vögel, die in Princessinnen verwandelt sind? Gott sei es geklagt, ich dachte gleich, daß es nichts Gutes bedeuten werde, wie ich euch hier eingeschlafen fand.

Bist du Pedrillo, versetzte Don Sylvio, der sich in des die Augen gerieben hatte? Wenn du Pedrillo bist, wie deine Gestalt es allerdings zu bezeugen scheint, so bin ich schon zufrieden, und die[41] Vorwürfe gehen dich nichts an, die ich dir machte, indem ich dich für einen andern ansah. Aber was wolltest du mit diesem Bildnis anfangen.

Mit was für einem Bildnis, fragte Pedrillo?

Schurke, versetzte Don Sylvio, mit dem Bildnis, das du im Begriff warest, mir zu entwenden, als ich von einer unsichtbaren Hand erweckt wurde, um einem so großem Unfall zuvor zu kommen.

Beim Element, Herr Don Sylvio, erwiderte Pedrillo, ich glaube ihr träumet, wenn ihr nicht noch was ärgers tut. Wir suchten euch gestern den ganzen Abend, bis um die Zeit, da, Gott sei bei uns! die Gespenster zu gehen pflegen; aber es war alles umsonst. Diesen Morgen früh lief ich im ganzen Wald herum, und suchte alle Gesträuche und Büsche durch, endlich fand ich euch in dieser Höhle schlafen, und da sah ich dieses Kleinod, und weil ihr so gar fest schliefet, so bildete ich mir ein, daß es vielleicht ein Telesman sein könnte, wodurch ihr in dieser Höhle in einem ewigen Schlaf bezaubert liegen müßtet, bis jemand käme, der den Telesman zerbräche, wie ich dergleichen Exempel viel in den großen dicken Büchern gelesen habe, die in der gnädigen Frauen ihrer Bücher-Kammer stehen; und weil ihr mir nun lieb seid, Herr, und weil ihr mich daurtet, daß ihr wie Dämonion, den die Göttin Dina einsmals bezauberte, daß er hundert Jahre lang schlafen mußte, damit sie sich recht satt an ihm küssen könnte, die alte verliebte Hexe! ihr wißt ja die Historie, Herr? sie steht in einem alten Buch, das ich aus der Erbschaft meiner Großmutter für dreizehn Maravedis annehmen mußte, ob es gleich keinen Deckel und kein Titel-Blatt mehr hatte; es waren die Menge gemalter Figuren darin, woran ich mich erlustigte, wie ich noch ein kleiner Junge war, und dann las mir meine Großmutter die Historien, die daneben stunden, es ist mir, als ob ich sie noch vor mir sitzen sehe, die gute alte Frau, Gott tröste sie! Aber was wollt ich sagen? Ja, und seht ihr, weil ihr mich nun halt daurtet, wollt ich sagen, daß ihr so lange schlafen solltet, und so wollte ich den Telesman zerbrechen; das ist das Ganze, seht ihr, und ich denke, da ist nichts, darüber ihr euch erzürnen solltet.

Don Sylvio, so gute Lust er auch hatte, böse zu sein, konnte[42] sich doch des Lachens nicht enthalten, da er den Pedrillo so reden hörte. Höre, Pedrillo, sagte er zu ihm, es ist mir schon genug, daß du es nicht übel gemeint hast, aber ich versichere dich, du warst im Begriff mir einen sehr schlimmen Streich zu spielen. Es ist nur allzugewiß, daß ich von demjenigen bezaubert bin, was du für einen Talisman angesehen hast; aber lieber wollt ich das Leben verlieren, als zugehen, daß diese Bezauberung aufgelöst würde. Ich habe diese Nacht Sachen von großer Wichtigkeit erfahren; aber frage mich nicht was es sei, du sollst alles wissen, so bald es Zeit ist; denn ich bin deiner Dienste benötiget: Mehr kann ich jetzt nicht sagen.

Pedrillo verstund kein Wort von diesen Reden; aber das machte ihn eben desto neugieriger. Ich will auch nichts fragen, Herr, sagte er, indem sie nach Hause gingen, ihr habt mir's verboten, und ich weiß den Gehorsam wohl, den ich euch schuldig bin; denn erstlich, so seid ihr mein Junker, weil ich aus eurem Dorfe bin, und dann seid ihr mein Herr, weil ich in eurem Muß und Brot stehe; denn obgleich die gnädige Frau die Haushaltung führt, so weiß ich doch wohl, daß alles aus eurem Beutel geht. O das versprech' ich euch, wenn ich schon einfältig aussehe, so merk' ich doch wohl, wo der Hase liegt. Ich will also nicht neugierig sein und fragen, was das für wichtige Dinge sind, die ich nicht fragen darf, weil ihr mir sie nicht sagen könnt, ob ihr schon wolltet, wenn es Zeit wäre, daß ich sie wisse? Sagtet ihr nicht so, Herr? Aber es ist doch was seltsames, ich glaube bald, ich bin selbst bezaubert; denn ich verstand euch sonst alles was ihr sagtet; aber seit dem ich diesen Telesman angerührt habe, ist mir nicht anders, als ob ihr calecutisch redet. Ich will gleich des Todes sein, wenn ich von allem, was wir da miteinander gesprochen haben, ein Wort verstehe. Ich habe schon oft gehört, viel wissen macht Kopfweh; aber wenn einer wißte, wo ihr diese Nacht gewesen seid, da wir euch in der ganzen Welt suchten, so könnte einer vielleicht erraten, – – mehr sag' ich nicht, ihr könntet sonst meinen, daß ich vorwitzig sei, und euch fragen wolle, und Vorwitz das ist mein Fehler nicht. Was mich nicht brennt, das blase ich auch nicht. Zum Exempel, wenn ich vorwitzig wäre, so hätt' ich wohl erfahren können, warum die gnädige Frau seit acht Tagen so oft in die Stadt[43] fährt; denn unter uns geredt, Herr, ich gelte was bei der Frau Beatrix, ob ihr mirs gleich nicht angesehen hättet; Sie hat es hinter den Ohren, das versprech ich euch, wenn sie schon einen so großen Rosenkranz am Gürtel hängen hat als ein Waldbruder, und so leise daher tritt, als ob sie auf Eiern gehe. Stille Wasser gründen tief, und es sind nicht alle Köche, die lange Messer tragen. Kurz und gut, Herr, ich ging gestern bei ihrem Zimmer vorbei, und wie sie sah, daß ichs war, denn die Tür war halb offen, so rief sie mir, und bat mich, daß ich ihr das Halstuch heften möchte; und da weiß ich nicht, wie es kam, aber ich, sollt es auf dem Rücken heften, und da heftete ichs vornen, und konnte nie fertig werden; aber sie lachte nur über meine Ungeschicklichkeit, und, Gott verzeih mirs; ich glaub, ich wäre noch dabei, wenn die gnädige Frau nicht geschellt hätte. Das erstemal hörten wir nichts, so viel hatte ich zu tun; aber sie schellte wieder und das so stark, daß Frau Beatrix sagte: Ich muß gehen, Pedrillo, sonst werde ich gezankt; wenn ich gewußt hätte, daß du so ungeschickt wärest, so hätt ich dich nicht gerufen; denn siehst du, du machst schon so lang, und jetzt muß ichs doch selbst heften. Und da lief sie fort, Herr, und, was ich sagen wollte? Ja, da hätt' ich sie fragen können, warum die gnädige Frau so oft in die Stadt fährt, und zu wem, und dieses und jenes, aber wie ich sagte, über dem Halstuch hatt' ich alles vergessen. Ihr seht also, daß ich nicht neugierig bin; denn die Dame Beatrix war bei guter Laune, und ich glaube, sie hätte mir alles gesagt.

In diesem Ton fuhr Pedrillo den ganzen Weg lang fort, ohne daß Don Sylvio darauf Acht gab, was er schwatzte, so sehr war er in Gedanken vertieft. Allein, so bald sie zu Hause waren, erinnerte ihn sein Magen, daß er seit gestern Mittag gefastet hatte; denn, wie wir schon bemerkt haben, die Bezauberung erstreckte sich bei ihm niemals bis auf den Magen. Er ließ sich also einen Eier-Kuchen und ein paar fricassierte Hühner zum Frühstück machen, und aß mit so gutem Appetit, daß Pedrillo wieder Mut schöpfte, und eine bessere Meinung von dem Verstande seines Herrn faßte, als er diesen Morgen gehabt, da er ihn von Verwandlungen, Princessinnen, und bezauberten Sommer-Vögeln reden hörte.[44]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 39-45.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva
C. M. Wielands Sammtliche Werke (11); Die Abenteuer Des Don Sylvio Von Rosalva
C. M. Wielands Sammtliche Werke (12); Die Abenteuer Des Don Sylvio Von Rosalva
Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva - Aus der Serie: Deutsche Klassiker - Bibliothek der literarischen Meisterwerke

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon