Zwölftes Capitel
Ein weiblicher Dialogus

[141] Sie sind ungewöhnlich tiefsinnig, gnädige Frau.

Tiefsinnig?

Wenn sie es nicht ungnädig nehmen wollen, und bei nahe schwermütig, wenn sich ein so verdrießliches Wort für ein Gesicht schickte, worin selbst der Unmut reizend ist.

»Ich weiß nicht, was du damit sagen willst; mich deucht ich bin so aufgeräumt, als ich es diesen ganzen Tag gewesen bin.«

Nicht ganz so aufgeräumt, gnädige Frau.

»Warum sollt ichs denn nicht sein, wenn man fragen darf?« Das weiß ich nicht; aber mich deucht, ich hörte eben jetzt einen kleinen Seufzer – –

»Einen Seufzer?«

Ja, aber nur einen kleinen, so eine Art von Seufzern, wie ein Mädchen von vierzehn Jahren seufzt, wenn sich ein hübscher junger Liebhaber um ihre ältere Schwester bewirbt.

»Du hast unverschämte Gleichnisse, Mädchen; du verwandelst einen armen unschuldigen Atemzug in einen Seufzer, um einen Einfall anzubringen, auf den du dich seit einer ganzen Viertelstunde besonnen hast.«

Ich danke Ihro Gnaden für das Compliment, das sie meinem Witz machen; aber weil sie weder tiefsinnig aussehen noch geseufzt haben wollen, ob sich gleich noch manches dagegen einwenden ließe, so wollen wir von etwas anderm reden, wenn es Ihnen beliebt.[141]

»Ich bin diesen Abend nicht sehr zum Plaudern aufgelegt.«

Es war ein recht angenehmer Ort, wo Ihro Gnaden diese Rosen brachen, welche, die Wahrheit zu sagen, (denn ich bin kein Poet) bereits an Ihrem Busen zu verwelken anfangen – es war ein recht angenehmer Ort!

»Das war es.«

Ein recht poetischer Ort, in der Tat, und ich hoffe, es hat Ihre Gnaden nicht gereut, daß Sie da abgestiegen sind – ungeachtet des kleinen Endymions, den wir da schlafend gefunden haben. Gestehen sie, gnädige Frau, daß man in Valencia nichts so schönes sieht.

»Du sprichst mit einer Lebhaftigkeit von ihm, die mich bei nahe glauben macht, daß du verliebt seist.«

Vielleicht könnten Ih. Gnaden das eher von mir glauben, wenn ich nichts von ihm sagte.

»Ich verstehe dich; du magst dir aber einbilden, was du willst, so kann ich doch nicht sagen, daß er mir so übernatürlich schön vorgekommen sei, als du ihn machst.«

Übernatürlich schön? das wollt ich eben nicht sagen, denn ich verstehe mich nicht viel auf übernatürliche Sachen; aber das werden sie doch zugeben, daß er weit schöner ist als Don Alexis, der doch in Valencia eine so wichtige Person vorstellt, daß die Damen nicht warten können, bis er sich ihnen anträgt, und daß, (Donna Felicia von Cardena ausgenommen,) keine ist, die nicht dafür angesehen sein wollte, ihn wenigstens ein paar Tage gehabt zu haben.

»Schöner als Don Alexis, sagt nicht so viel als du meinst; ich habe ihn nie für etwas anders gehalten als für einen abgeschmackten kleinen Gecken, dessen größtes Verdienst ist, daß er weiche Hände und weiße Zähne hat, und daß er uns, mit aller nur möglichen Einbildung von sich selbst, eine ungeheure Menge plattes Zeug vorzuschnarren weißt.«

Auch weiß ich selbst nicht, warum mir gerade dieser Don Alexis in den Sinn kam; denn in der Tat, ich habe nie begreifen können, was unsre Damen an ihm sahen. Er mag sich in Acht nehmen; wenn unser Don Sylvio in Valencia auftreten sollte, so wird ihm nicht einmal so viel Verdienst übrig bleiben,[142] als er braucht, um ein armes zärtliches Kammer-Mädchen Herz zu verführen.

»Ich weiß nicht, mit was für Augen du diesen Don Sylvio, wie du ihn nennst, angesehen haben mußt; ich gesteh es, er kam mir liebenswürdig vor, aber so sehr schöne als du sagst – –«

Ihre Gnaden haben das rechte Wort gebraucht, liebenswürdig, das ist das Wort, das wollt ich eben sagen; denn in der Tat, was seine Schönheit betrifft, daran ließ sich vielleicht manches aussetzen. Blondes Haar – –

»Castanien-braun, willt du sagen – –«

Nun ja, Castanien-braun, aber weil er eine so überaus feine Farbe hat, eine Frauenzimmermäßige Farbe, möchte man sagen, so würde blondes Haar, deucht mich – –

»Und mich deucht, die Natur habe das besser gewußt als du; sein Haar steht würklich ungemein gut zu seiner Gesichts-Farbe.«

Aber ich denke, er sollte doch mehr männliches in seinem Gesicht haben; Ich stehe Ihnen davor, wenn man ihn in ein Mädchen verkleidete, Donna Leonora von Zuniga selbst, die gewiß eine Kennerin von Mannspersonen ist, würde betrogen werden.

»Gut, er ist kein Hercules, das ist ausgemacht; aber ungeachtet der vollkommenen Feinheit und Regelmäßigkeit seiner Züge, finde ich doch, daß er etwas großes und heroisches in seiner Bildung hat, das du notwendig bemerkt haben solltest, da du ihn, wie es scheint, so genau betrachtet hast.«

In der Tat scheint es, daß ihn Ih. Gnaden in einem einzigen Augenblick richtiger betrachtet haben, als ich in einer Viertel-Stunde. Aber was sagen sie zu seinem Munde? Ich gestehe, daß er schön ist, aber doch ein wenig zu klein, deucht mich – –

»Ich möchte nur wissen, warum du affectierst, gerade das an ihme zu tadeln, was er würklich schönes hat.«

Ich bitte Ih. Gnaden um Vergebung, ich rede nur, wie es mir vorkommt, und wenn ich nicht besorgte, Ih. Gnaden zu mißfallen – –

»Mir zu mißfallen? Ich glaube du bist nicht klug; Aber wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich selbst nicht viel klüger, daß ich deinen tollen Einfällen so viel Gehör gebe. Was bekümmert uns das, ob Don Sylvio schön ist, oder wie schön er ist. – –[143] «

Das ist auch wahr; genug, daß er liebenswürdig ist, das ist doch immer der Punct, worauf alles ankommt. Mich deucht, ich habe irgendwo gelesen, daß uns nichts so schön vorkommt als was wir lieben.

»Wenn das ist, so müßtest du sehr in diesen Unbekannten verliebt sein; denn wenn man dich hört, so ist der Vaticanische Apollo von keiner untadelichern Schönheit als Don Sylvio.«

Er hat wenigstens den Vorzug vor ihm, daß er Atem holt, und das ist nach meiner geringen Einsicht, ein großer Vorzug.

»Wir wollen einmal aufhören zu tändeln. Sage mir einmal Laura, erinnerst du dich noch, was dieser Pedrillo, oder wie er sich nannte, uns von ihm sagte.«

Wenn man diesem Burschen glauben dürfte, so wäre unser Unbekannter von gutem Hause, ein Sohn von Don Pedro von Rosalva, von dem ich Ih. Gnaden Herrn Vater öfters als von einem wackern Officier sprechen hörte. Aber wenn ich meine wahre Meinung sagen soll, so glaube ich, Herr Pedrillo könnte mehr gesagt haben, als er jemals wird beweisen können.

»Nun ja, das Ansehen kann betrügen, denn das ist vollkommen auf seiner Seite; aber deine Ursachen, wenn ich bitten darf?«

Wenn wir dem Pedrillo, der mir die Mine eines schnakischen Gesellen hat, glauben sollen, so müssen wir auch glauben, daß Don Sylvio in einen Schmetterling verliebt ist, daß er, der Himmel weißt, was für einen Zwerg zu einem Nebenbuhler hat, und eine gewisse Fee zur Beschützerin, durch deren Beistand der Schmetterling in eine Princessin verwandelt werden soll, und so weiter. Das ist nun alles toll genug, deucht mich. Das ärgste ist, daß der Bauer-Junge alles dies abgeschmackte Zeug mit einer so verwünschten ehrlichen Schafs-Mine vorbrachte, mit einem so trostlosen Ton der Aufrichtigkeit, daß uns alle Hoffnung benommen ist, er möchte es nur zum Spaß gesagt haben. Das ist verzweifelt!

»Ich gestehe dir, Laura, und warum sollt ich dir ein Geheimnis daraus machen? ich interessiere mich für diesen jungen Menschen. Er müßte verrückt sein, wenn Pedrillo die Wahrheit gesagt hätte.«

Und Pedrillo müßte noch verrückter sein, gnädige Frau,[144] denn man kann nicht gelassner von den alltäglichsten Dingen reden, als er von Sommervögeln, Zwergen, Feen, Princessinnen und Marquisaten spricht.

»Es ist etwas unbegreifliches in allem diesem. Aber so viel läßt sich doch aus dem verworrenen Geschwätze des Dieners erraten, daß sich Don Sylvio um einer Liebes-Angelegenheit willen von Hause weggestohlen hat; der Bursche erwähnte einer alten Tante, die vermutlich seiner Liebe Hindernisse in den Weg legt; vielleicht ist er darüber närrisch worden. Eine heftige Leidenschaft kann durch einen unvorsichtigen Widerstand zu seltsamen Ausbrüchen getrieben werden.«

Das ist gewiß, zumal da ohnehin nichts leichters sein soll, als daß Liebe und Vernunft Händel mit einander kriegen, aber wenn wir nicht voraus setzen, daß Pedrillo eben so verliebt und eben so toll ist als sein Herr, so haben wir mit unsrer Hypothese nichts gewonnen. Ich habe einen wunderlichen Einfall, gnädige Frau, aber er kann doch immer gut sein, bis wir einen bessern haben. Es ist ein so schwermütiger Gedanke, wenn wir uns einen so liebenswürdigen jungen Cavalier verrückt vorstellen sollen! In der Tat, es wäre ein Gedanke, der des Seufzers wohl wert wäre, der ihnen jetzt entgangen ist – Dieses mal wenigstens gestehen sie es nur, daß sie geseufzt haben; es war einer von den Seufzern, die sich nicht verleugnen lassen; ich sah ihm von seiner Empfängnis an zu, wie er sich aus ihrem schönen Busen allgemach empor arbeitete, bis zu dem Augenblick, da er, zwischen ihren halb geöffneten Lippen hervor schlüpfend, in Gestalt eines kleinen Amors davon flog.

»Närrisches Ding; – Aber was war denn das für ein Einfall, den du mir sagen wolltest?«

Ich bilde mir ein, Don Sylvio könnte mit Erlaubnis, ein wenig närrisch sein, ohne daß er gerade das sein müßte, was man rasend heißt; kurz, er könnte mit einer Art von Narrheit oder Schwärmerei, oder wie mans nennen will, behaftet sein, die ihn nichts desto unwürdiger machte, einer jeden Dame, die ihn unter einem so anmutigen Rosengebüsche schlafen gesehen hätte, liebenswürdig vorzukommen.

»Ich merke, Mädchen, du hast dir in den Kopf gesetzt, daß ich notwendig in ihn verliebt sein müsse – aber darüber wollen wir[145] jetzt nicht disputieren. Und worin soll denn diese Schwärmerei bestehen?«

Mich deucht, er könnte eine Art von einem jungen Don Quixotte sein, der, nach Pedrillo Ausdruck, auf der Feerei, wie der Ritter von Mancha auf der irrenden Ritterschaft herum zöge. Wär es so etwas unbegreifliches, daß ein junger Mensch von lebhafter Gemüts-Art, der die Welt nie gesehen hat, und in seinem Dorfe nichts fand, das der Zärtlichkeit seines Geschmacks ein Genügen hätte tun können, durch das Lesen der Romanen und Feen-Märchen auf den wunderlichen Einfall geraten wäre, die Feen und die bezauberten Paläste mit allen ihren Drachen, Zwergen, Popanzen und blauen Centauren für würkliche Dinge zu halten?

»Es wäre eine seltsame Art von Schwärmerei, und doch, deucht mich, ich begreife, daß sie möglich sein könnte. Aber was sollen wir in diesem Fall aus seiner Liebe zu der Princessin machen, die in einen Sommervogel verwandelt ist?«

Ich wette gleich was man will, gnädige Frau, diese Princessin ist weder mehr noch weniger als ein hübsches Bauermädchen, das ihm in die Augen gestochen hat; seine bezauberte Phantasie hat sie zuerst zu einer Princessin erhöht, und endlich mit Hülfe eines gelben Zwergs, oder einer bucklichten Magotine in einen Papilion verwandelt, und es wird sonst nichts nötig sein, als daß er eine junge Dame zu sehen bekommt, die seiner lebhaften Einbildungs-Kraft genug tut, so wird seine Geliebte, ohne Zauberstab und Talisman, in einem Augenblick wieder ihre erste Gestalt bekommen, und mit Pedrillo zu reden, zwar nicht in eine Princessin, aber doch in ein Bauer-Mädchen zurück metaphrasiert werden.

»Ich gestehe dir, Laura, daß meine Neugierigkeit rege gemacht ist, es reuet mich jetzt, daß ich nicht wartete, bis er erwachte.«

Weil er nur wenige Meilen von uns wohnt, so wird es nicht schwer sein, Nachrichten einzuziehen, die uns aus dem Wunder helfen können. Und wer weißt, ob die Kobolte, die sich mit seinem Schicksal abgeben, ihn nicht eben so gut nach Lirias führen können, als sie uns heute in dieses Rosengebüsche geführt haben, welches, so wahr ich ein Mädchen bin! der bezauberten[146] Laube einer Feen-Königin so ähnlich sah, als ich in meinem Leben was gesehen habe.

Indem Laura dieses sagte, waren sie in dem innern Schloß-Hofe zu Lirias angelangt, wo wir die Freiheit nehmen wollen uns von ihnen zu beurlauben, um zu sehen, was indessen aus dem Helden unsrer Geschichte geworden ist, den wir, so angenehm uns auch die Gesellschaft der Donna Felicia sein mag, ohne strafwürdige Nachlässigkeit nicht länger aus den Augen lassen können.[147]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 141-148.
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