Zwölftes Capitel
Fortsetzung der Geschichte der Hyacinthe

[236] Meine ehmaligen Gespielen, die ich seit einiger Zeit selten zu sehen bekam, hatten sich, wie ich in der Folge merkte, gelehriger finden lassen, die Absichten der Alten zu begünstigen. Man hatte bisher Sorge getragen, alles, was im Hause vorging, vor mir zu verhehlen; aber jetzt fand die Alte für gut, den Vorhang aufzuziehen. Die armen jungen Geschöpfe, die von ihrer neuen Lebensart nur die angenehme Seite sahen, schienen ganz davon bezaubert zu sein; sie konnten nicht Worte genug finden, mir ihre Glückseligkeit anzupreisen, und die älteste hatte es schon so weit gebracht, daß sie meine Sprödigkeit, wie sie es nannte, sehr beißend zu verspotten wußte. Ich machte eine ziemlich alberne Figur unter diesen Mädchen; aber meine Verwirrung nahm nicht wenig zu, wie ich nach und nach eine Anzahl junger Mannsleute ankommen sah, die beim ersten Eintritt in ein ab gelegenes Zimmer, wo wir waren, so bekannt taten, als ob sie da zu Hause wären. Weil ihnen mein Gesicht neu war, so hatte ich gleich den ganzen Schwarm um mich her, und sie schienen es abgeredt zu haben, mich durch ausschweifende Lobsprüche in Verlogenheit zu setzen. Die Alte merkte meine Bestürzung;[236] sie nahm mich bei Seite, und sagte mir, daß es Leute vom Stande wären, welche ihr die Ehre täten, den Abend zuweilen bei ihr zuzubringen; sie versicherte mich, daß es sehr wohl, gesittete junge Herren seien, deren Absicht nicht weiter als auf eine unschuldige Ergötzung gehe; ein aufgewecktes Gespräch, ein Spiel, eine Collation, und ein Tanz sei alles, was sie bei uns suchten; sie bezahlten dafür wie Prinzen, und da ihr Haus eine Caffee-Schenke sei, so könne es niemand in der Welt übel finden, daß sie so gute Gesellschaft bei sich sehe. Ich mußte mich hiemit befriedigen lassen, und in der Tat führten sie sich bis zum Nachtessen so anständig auf, daß die Furcht, die ich anfangs vor ihnen gehabt hatte, allmählich meiner gewöhnlichen Munterkeit Platz machte. Ich ließ mich nicht lange bitten, ihnen so viel Romanzen zu singen, als sie nur wollten, und ich gestehe ihnen, daß meine kleine Eitelkeit nicht ganz unempfindlich gegen die Schmeicheleien war, die mir vorgesagt wurden. Allein unter dem Nachtessen, und nachdem ihnen der Wein zu Kopfe gestiegen war, fingen sie an, sich für den Zwang, den sie sich bisher angetan hatten, schadlos zu halten. Die unbesonnene Lebhaftigkeit meiner ehmaligen Gespielen schien sie zu den Freiheiten heraus zu fordern, die sie sich mit ihnen heraus nahmen; Zungen, Augen und Hände wurden immer freier, und ehe man sichs versah, hatte die trunkene Ausgelassenheit eines Bacchanals die Stelle der anständigen Fröhlichkeit eingenommen. Ich würde vergeblich Worte suchen, um ihnen eine Beschreibung von dem Zustande zu machen, worin mich dasjenige, was ich sah und hörte, setzte. Mein Erröten, meine Verwirrung wurde der Gegenstand ihrer Spötterei; ein paar Gecken von unsrer edlen Gesellschaft nahmen es auf sich, mich, wie sie sagten, zahm zu machen, und ihre Nymphen, die man gewiß der Sprödigkeit nicht beschuldigen konnte, munterten sie selbst dazu auf. Ich wollte entfliehen, aber ein paar andere verrannten mir die Türe; ich lief zu der Alten, warf mich zu ihren Füßen, und bat sie, mich zu retten; aber sie lachte nur über mich. Meinst du denn, sagte sie, daß es dir das Leben kosten werde; Fi! wie unartig du bist! wer verlangt dir dann was zu Leide zu tun? du solltest dir es zur Ehre rechnen, daß so artige junge Cavaliers mit dir scherzen mögen, und du weinst und zitterst[237] und schlotterst wie eine kleine Närrin. Kommen sie Don Fernand, und trösten sie das gute Kind – Diese Reden verwandelten meine Angst in eine Art von Verzweiflung; ich stund auf, lief wie eine Unsinnige zum Tisch, bemächtigte mich eines Messers, und drohte mich zu ermorden, wenn jemand sich unterstünde mich anzurühren. O! das fangt an tragisch zu werden, rief einer von unsern Gecken; hat man jemals so was gesehen? Das ist noch mehr als Lucretia, denn die wollte doch erst versuchen, ob es der Mühe wert wäre sich zu erstechen – Dieser vermeinte witzige Einfall zog eine unendliche Menge anderer nach sich, worin immer einer den andern übertreffen wollte, und es erhob sich ein großer Streit, wer, wie sie sagten, das Abenteuer mit dem kleinen feuerspeienden Drachen bestehen sollte, bis zuletzt einer den Vorschlag tat, es durch Würfel auszumachen. Eine so niederträchtige Begegnung schmerzte mich so sehr, daß ich ganz atemlos in einen Lehnstuhl sank, und alle Augenblick dachte, das Herz würde mir zerbersten. Ich weiß nicht, was in diesem Zustand aus mir geworden wäre, wenn nicht einer aus der Gesellschaft, vor dem die übrigen eine Art von Ehrerbietung zu haben schienen, und der diesen ganzen Abend sehr aufmerksam auf mich gewesen war, sich auf einmal zu meinem Beschützer aufgeworfen hätte. Er sagte den übrigen mit einem Ton, der seine Würkung tat, daß ich keine solche Begegnung verdiene; und zu gleicher Zeit gab er der Alten einen Wink mich wegzuführen. Sie brachte mich in ein kleines Zimmer, wo ich mich auf ein Ruhbette warf, und durch einen Strom von Tränen meinem Herzen leichter machte. Die Alte ließ mich hier über eine Stunde allein, und so bald ich wieder zu mir selbst gekommen war, fing ich wieder an, auf meine Flucht zu denken. Alles, was mir vormals unüberwindliche Hindernisse geschienen hatte, war jetzt nichts in meinen Augen; die Fragen, wohin ich fliehen, oder wie ich ohne Geld, unter lauter unbekannten Leuten, und so jung als ich war, fortkommen wollte, fielen mir nur nicht einmal ein. Wenn ich nur aus diesem Hause wäre, dachte ich, so möchte der Himmel für das übrige sorgen. Meine Ungeduld wurde so groß, daß ich keinen Augenblick länger warten wollte, mein Vorhaben, was auch daraus entstehen möchte, ins Werk zu setzen. Aber wie groß[238] war mein Schmerz, da ich die Tür verschlossen fand! Ich lief nach den Fenstern, aber sie waren so hoch, daß ich sie nicht erreichen konnte, und zum Überfluß mit eisernen Gittern verwahrt. Ich schrie so laut als ich konnte, damit man mich auf der Straße hören möchte; aber das Zimmer war weit von der Straße entfernt, und niemand hörte mich. Ich warf mich wieder auf mein Ruhbette, raufte mir die Haare aus, schrie und winselte wie eine Unsinnige, und klagte den Himmel an, daß er mich mit einem Herzen, das für meine Umstände zu edel war, die Tochter einer Zigeunerin hätte werden lassen, oder wenn ich es nicht seie, daß er mich in Umstände hätte geraten lassen, die mich so unerträglichen Beschimpfungen aussetzten. O! gewiß bin ich für einen so schmählichen Stand nicht geboren, dachte ich: Wenn es auch meine Gestalt und Farbe nicht zu verraten schiene, so sagt mirs mein Herz, daß ich keine Enkelin dieser schändlichen Kupplerin bin, die mich, der Himmel weißt durch was für Mittel in ihre Gewalt bekommen hat. Ach! ich bin vielleicht von edeln Eltern geboren, und die zärtliche Mutter, die mich gebar, beweint vielleicht noch jetzt den Verlust einer Tochter, welche sie liebenswürdig und glücklich zu machen hoffte. – –

Meine erregte Phantasie setzte diesen Gedanken lange fort, ob es gleich nicht das erstemal war, daß er mir zu gleicher Zeit meinen Zustand unerträglich machte, und einen gewissen Mut einflößte, mich durch meine Gesinnungen über ihn zu erheben; ich bestrebte mich, so tiefe Blicke in meine Kindheit zu tun, als mir möglich war, um in den schwachen Spuren erloschener Erinnerungen eine Bekräftigung meiner wünsche zu finden; und so eitel und ungewiß auch die Einbildungen waren, womit ich mich selbst zu betrügen suchte, so dienten sie doch dazu, mich in dem Vorsatz zu bestärken, in was für Umstände ich auch kommen möchte, meine Ehre eben so sorgfältig in Acht zu nehmen, als ob das edelste Blut von Castilien in meinen Adern flösse. Ich war noch in diese Gedanken vertieft, als die Alte wieder kam, und mir mit ungemeiner Freundlichkeit sagte, daß ich mich fertig machen sollte, ihr in eine andere Wohnung zu folgen, weil mir, dem Ansehen nach, die ihrige so übel gefalle. Sie setzte hinzu, daß ich dort, an statt von jemand abzuhangen, ganz allein zu befehlen haben würde, und noch viel anders, was[239] mir eine große Meinung von dem Glücke, das mir bevor stehe, geben sollte. Sie wollte mich bereden, ihre Absicht sei diesen Abend nur gewesen, mich auf eine Probe zu setzen; sie lobte mein Betragen, und sagte, daß ich demselben die glückliche Veränderung zu danken habe, worin ich noch in dieser Nacht mich sehen würde. Der junge Cavalier fiel mir so gleich ein, der sich meiner angenommen hatte; ich fragte die Alte, aber sie gab mir lauter unbestimmte Antworten auf meine Fragen. Meine Begierde, aus einem so schändlichen Hause zu kommen, verkleinerte die neue Gefahren, worein ich geraten konnte, zu sehr, als daß eine ungewisse Furcht den Abscheu vor einem Schicksal, das in diesem Hause fast unvermeidlich schien, hätte überwiegen können; und zudem, so hätte mir, da ich nun einmal in ihren Händen war, die Weigerung mit ihr zu gehen, wenig helfen können. Ich ließ es mir also gefallen; sie putzte mich so gut auf, als es in der Eile möglich war, warf einen Schleier über mich und sich selbst, und führte mich aus dem Hause. Es war um Mitternacht, und der Mond schien unter einem leichten Gewölk hervor. Nachdem wir einige kleine Gassen durchkrochen hatten, fanden wir eine Kutsche, die auf uns wartete. Wir stiegen ein, und ich war ein wenig bestürzt, wie ich eine von meinen vormaligen Gespielen zu uns einsteigen sah, die, wie mir die Alte sagte, mein Aufwartmädchen vorstellen sollte, bis ich ein anders hätte. Indes war es mir doch angenehm, daß sie Sorge getragen hatte, diejenige auszuwählen, die mir immer die liebste gewesen, und die in der Tat, eine einzige Schwachheit ausgenommen, das beste Ding von der Welt war. Wir wurden eine ziemliche Zeit hin und wieder geführt, bis endlich unser Wagen vor einem kleinen Hause still hielt, das kein sonderliches Ansehen hatte. Die Türe öffnete sich, wir gingen hinein, und wurden von einer etwas bejahrten Frau empfangen, die uns mit Lichtern entgegen kam. Sie war in schlechtem grauen Zeug gekleidet, hatte eine von den größten Brillen auf der Nase, und einen Rosenkranz an ihrem Gürtel, der ihr bis auf die Füße herab hing; dieser Aufzug, und ein rundes rötliches Gesicht, das aus einer alt-modischen Schleier-Haube hervor guckte, mit einem paar kleinen Augen, die sie auf eine andächtige Art im Kopf herum drehte, gab ihr so völlig das Ansehen einer Beate,[240] daß ich anfangs in ein Kloster zu kommen meinte. Aber diese Vorstellung verlor sich bald, da sie mich in ein Gemach von vier in einander gehenden Zimmern führte, welches, wie sie sagte, meine künftige Wohnung sein sollte.

Diese Zimmer waren immer eines prächtiger als das andere; Tapeten, Spiegel, Porcellan, Gemälde, Schnitzwerk, Vergoldungen, alles war so schön, daß ich etliche Augenblicke davon verblendet wurde. Die Alte, die mich bis hieher begleitet hatte, wartete nicht, bis ich mich aus der ersten Bestürzung, worin (die Wahrheit zu sagen) Furcht und Vergnügen zu gleichen Teilen vermischt war, erholen konnte. Ich überlasse dich nun dir selbst, meine liebe Hyacinthe, sagte sie zu mir, nachdem sie mich auf die Seite genommen hatte; du bist liebenswürdig, und hast dir in den Kopf gesetzt, auch tugendhaft zu sein; der Einfall ist gut, und wenn du dich dessen zu bedienen weißt, so kann dir deine Tugend hundertmal so viel wert sein, als mir deine Jugend und Schönheit. Mit diesen Worten verließ sie mich, ohne eine Antwort zu erwarten. Die Beate folgte ihr, nachdem sie mir mit einer tiefen Verbeugung eine gute Nacht gewünscht hatte. So bald ich allein war, fing ich an diesem Abenteuer nachzudenken. Ich fragte die kleine Stella, die bei mir geblieben war, und ob sie mir gleich nichts anders sagen konnte, als daß der Marquis von Villa Hermosa, (eben derjenige, der sich diesen Abend meiner angenommen hatte) sich bald nach meiner Entfernung mit der Alten weg begeben, und erst nach einer Stunde wieder gekommen sei; so schien es mir doch genug, mich in der Vermutung zu bestärken, daß ich von der alten Kupplerin diesem jungen Herrn ausgeliefert worden sei. Ich brachte den Rest der Nacht in einer unruhigen Verwirrung hin und wieder laufender Gedanken auf einem Sopha zu. Ich stellte mir vor, wie ich mich gegen den Marquis bezeugen wollte, meine Einbildung malte mir eine Menge von Abenteuern vor, die ich in alten Romanen gelesen hatte, und meine kleine Eitelkeit fand sich durch den Gedanken geschmeichelt, daß ich vermutlich selbst die Heldin eines Romans werden könnte. Ohne Zweifel, dachte ich, liebt mich der Marquis; und wenn er mich liebt, so bin ich wenigstens gewiß, daß er mir anständig begegnen wird. Vielleicht denkt er, mich durch Geschenke, Juwelen, reiche Kleider und[241] eine wollüstige Lebensart zu gewinnen; aber er wird es anders finden. Der bloße Gedanke, daß ein Preis in der Welt sein sollte, um den Hyacinthe sich selbst dahin gäbe, empört mein ganzes Wesen. Von dieser Seite hab ich nichts zu besorgen. – Aber wie wenn er liebenswürdig wäre? Wenn mein eigenes Herz mich unvermerkt verführte, oder wenn es wahr wäre, daß die Liebe nicht in unsrer Gewalt ist? – So ist es doch in meiner Gewalt, es ihm zu verbergen, – und wenn ers auch zuletzt entdeckte, so werd ichs ihm dennoch weder eingestehen, noch seinen Anträgen Gehörgeben, bis ich entdeckt habe, wem ich mein Dasein schuldig bin. O! ihr, deren Blut dieses Herz belebt, rief ich, wer ihr auch sein möget, mein Herz sagt mir, daß ihr einer Tochter würdig seid, die ihr einst ohne zu erröten dafür erkennen dürfet.

Unter allen den Gedanken, die diese Zeit über in meinem Kopf herum schwärmten, war dieser ohne Zweifel der beste; er entsprang aus meinem Herzen, ich fand ein unbeschreibliches Vergnügen, ihm nachzuhängen, und fühlte, daß er mir eine gewisse Stärke mitteilte, die mich über mein Alter und die Niedrigkeit meiner Umstände erhob.

In einer solchen Verfassung fand mich der Marquis, da er bei seinem ersten Besuch mir seine Absichten eröffnete. Ich hatte ihn des Abends zuvor, anfangs gar nicht von den übrigen unterschieden, und hernach nur mit einem zerstreuten Blick und in einer ängstlichen Unruhe, worin ich keiner Aufmerksamkeit fähig war, angesehen. Jetzt, da ich ihn genauer betrachtete, fand ich ihn vollkommen schön; aber mein Herz blieb gleichgültig, und sagte mir kein Wörtchen zu seinem Vorteil. Er schien sich so viel mit seiner Figur zu wissen, daß es ihm nur nicht einfiel, daß man ihm sollte widerstehen können. Dieser Stolz beleidigte den meinigen, und freilich konnte der Marquis nicht vermuten, bei einem kleinen Zigeuner-Mädchen Stolz zu finden. Ich will ihre Geduld durch keine umständliche Erzählung der Erklärungen, die er mir machte, und der Antworten, die ich ihm gab, ermüden. Die Offenherzigkeit, womit ich ihm meine Gleichgültigkeit gegen seine Reizungen zu erkennen gab, und die stolze Bescheidenheit, womit ich einen schönen Schmuck von Diamanten ausschlug, welche (wie er sehr sinnreich sagte) nur dazu dienen sollten, von dem Glanz meiner schönen Augen verdunkelt[242] zu werden – schien ihn ganz aus seiner Fassung zu bringen. Ich sagte ihm, daß er mich durch nichts in der Welt verpflichten könne, als wenn er mich einer Dame von seinen Verwandten oder Freundinnen empfehlen wollte, um in ihre Dienste aufgenommen zu werden. Er konnte eine so niederträchtige Bitte mit dem Stolz, den er in meinen übrigen Gesinnungen fand, nicht zusammen reimen; und nachdem er viele vergebliche Mühe gehabt hatte, mich auf andere Gedanken zu bringen so verließ er mich endlich, in der Hoffnung, wie er sagte, daß die Abgeneigtheit, die seine Figur das Unglück habe mir einzuflößen, nicht unüberwindlich sein werde. Allein seine Hoffnung betrog ihn diesesmal. Er fand nach etlichen andern Besuchen, die er mir machte, daß ich würklich keine Seele haben müsse. Ich bestund schlechterdings darauf, daß er mir meine Freiheit wieder geben sollte. Und was willt du denn mit deiner Freiheit anfangen, kleine Närrin, sagte er? Gnädiger Herr, antwortete ich, es ist mir unmöglich, ihnen Hoffnungen zu machen, die mein Herz verleugnet. Ich weiß es gewiß, daß ich sie in acht Tagen, oder in acht Wochen, wenn sie wollen, eben so wenig lieben werde als jetzt. Darauf können sie sich verlassen, und das ist alles, was sie jemals von mir zu erwarten haben. Ist das alles, erwiderte der Marquis höhnisch? Du bist sehr offenherzig, Hyacinthe, und ich kann mich wenigstens nicht beklagen, daß du mich in Ungewißheit schmachten lassest. Eine andere an deinem Platz würde mich bereden, daß sie mich liebe, wenn es auch nicht wahr wäre.

Ich weiß nicht was eine andere täte, versetzte ich: Aber das weiß ich, daß ich hier nicht an meinem Platze bin, und daß ich nicht begreife, was sie mit mir wollen, nachdem ich ihnen gesagt habe, daß ich sie niemals lieben werde. Höre, Hyacinthe, sagte mir der Marquis, es ist billig, daß ich deine Aufrichtigkeit erwidere; ich habe dich in einem Hause gefunden, wo man keine Spröden sucht, und wo du mir nicht hättest übel nehmen können, wenn ich dir eben so begegnet wäre, wie die jungen Leute, von deren ungestümen Mutwillen ich dich befreite. Ich sahe aber, daß es unbillich wäre, dich mit deinen gefälligen Schwestern in eine Classe zu setzen. Du gefielst mir, deine Unschuld nahm mich ein, kurz, ich fand dich liebenswürdig, und[243] beschloß dich unverzüglich aus einem Hause zu befreien, wo du gewiß noch viel weniger an deinem Platze zu sein schienest als hier. Ich handelte dich deiner Mutter ab – Was sagen sie, gnädiger Herr, rief ich? Sie haben mich abgehandelt? Ja, antwortete er, und teuer genug, daß du nicht verlangen kannst, daß ich mein Geld umsonst ausgegeben haben soll. Aber wissen sie auch, sagte ich, daß diese Alte, die sich für meine Großmutter ausgibt, nichts weniger ist? und wer sind denn deine Eltern, fragte der Marquis? Das weiß ich nicht, antwortete ich; vielleicht sind es rechtschaffene Leute, vielleicht auch ist es mir besser sie nicht zu kennen; aber ich sage ihnen, daß ich in der Ungewißheit, worin ich hierüber bin, für das sicherste halte, mir einzubilden, daß ich vielleicht von gutem Hause sei; und so lächerlich ihnen diese Einbildung vorkommen mag, so vermag sie doch so viel über mich, daß die glänzendsten Verheißungen und die grausamsten Schrecknisse mich nicht von dem Entschluß abbringen sollen, ein ehrliches Mädchen zu bleiben, wie ich bisher gewesen bin, so gerecht auch immer das Vorurteil ist, das meine Umstände gegen mich erwecken. Die Alte hatte kein Recht mich ihnen zu verkaufen, und es ist in ihrer Gewalt, sie zur Rückgabe eines so unerlaubten Gewinnstes zu nötigen.

Meinst du das, sagte der Marquis spottend? Ich sage dir aber, ich, daß ich keine Lust dazu habe, und daß du, mit Erlaubnis aller der schönen Einbildungen, die du dir in den Kopf gesetzt hast mein sein sollst, du magst wollen oder nicht. Siehst du, Hyacinthe, ich glaube nicht an die Tugend eines Mädchens von fünf zehen Jahren, und du wirst doch nicht unter unzählichen die erste unerbittliche sein, die ich gefunden habe; ich versichere dich, daß bessere als du bist, nicht halb so viel Umstände mit mir gemacht haben. Ich antwortete nur mit einem Strom von Tränen auf diese Rede, und der Marquis schien verlegen zu sein, was er mit mir anfangen sollte. Ich warf mich zu seinen Füßen, und bat ihn aufs beweglichste, daß er mich in Freiheit setzen, und meinem Schicksale überlassen möchte. Meine Bitten würkten gerade das Widerspiel. Er hob mich in einer außerordentlichen Bewegung auf, warf sich zu meinen Füßen nieder, und sagte mir alles was die heftigste Leidenschaft eingeben kann. Ich glaube, daß etwas ansteckendes in heftigen Leidenschaften ist,[244] und dasjenige, was die Zuschauer bei der lebhaften und wahren Vorstellung einer Leidenschaft auf dem Schauplatz erfahren, scheint eine Bestätigung meiner Meinung zu sein. Ich liebte den Marquis nicht; aber ich konnte mich nicht erwehren, von der Heftigkeit seiner Liebe beunruhiget zu werden. Er hatte sich meiner Hände bemächtiget, und er fühlte vermutlich, daß mein Puls hurtiger schlug, er sah eine mehr als gewöhnliche Röte auf meinen Wangen, und da die Sinnen mehr Anteil an seiner Liebe hatten als das Herz, so glaubte er, daß dieses der Augenblick sei, da er mich überraschen könnte. Es würde lächerlich sein, wenn ich sie überreden wollte, daß ich keiner Schwachheit fähig sei; die Tugend besteht, meiner Meinung nach, in gewissen Umständen weniger in einer völligen Unempfindlichkeit, die niemals ein Verdienst ist, als in dem Sieg einer stärkern Empfindung oder Leidenschaft über die Regungen der Natur. Dem sei wie ihm wolle, so erfreue ich mich, ihnen sagen zu können, daß der erste Versuch, den der Marquis machte, von meiner Verwirrung Vorteil zu ziehen, mir auf einmal meine erste Stärke wieder gab. Ich riß mich von ihm los, und sagte ihm, daß ich nichts mehr von einer Liebe hören wolle, die ich in keinerlei Betrachtung aufzumuntern Willens sei. Ich setzte so vieles hinzu, ihn gänzlich hievon zu überzeugen, daß ihm endlich die Geduld ausging. Er erzürnte sich heftig über mich, er beschuldigte mich, daß meine Sprödigkeit ein bloßer Kunstgriff sei, wodurch ich ihn zu der Torheit zu bringen hoffte, mir seine Ehre aufzuopfern, und schwur, daß er mich allen meinen Ahnen zu Trotz auf einen wohlfeilern Fuß haben wollte, und wenn ich auch in gerader Linie von dem Egyptischen Könige Misphragmuthosis abstammte. Sein Zorn und seine Drohungen schreckten mich so sehr, daß ich allen meinen Witz anstrengte, ihn durch glimpfliche Worte wieder zu besänftigen; ich bediente mich so gar einiger, die er ohne Zwang so auslegen konnte, daß sie ihn von der Zeit günstigere Gesinnungen hoffen ließen. Er schien sich nach und nach zufrieden zu geben, und verließ mich endlich mit dem Versprechen, daß, wofern ich nach dreien Tagen, die er mir zur Bedenkzeit gebe, auf meiner Abneigung gegen ihn beharrete, er sich meiner Entfernung nicht länger widersetzen wollte. Er sagte mir das mit einer so ungezwungenen Art,[245] daß ich ihm glaubte. Ich brachte also den übrigen Abend ganz ruhig zu, und war nicht wenig über den Sieg vergnügt, den ich mir schmeichelte über ihn erhalten zu haben. Ich nahm meine Theorbe, sang, scherzte mit der kleinen Stella, aß zu Nacht, und legte mich ganz ruhig zu Bette. Ich war noch nicht eingeschlafen, und ein Wachslicht brannte noch auf meinem Gueridon vor meinem Bette, als ich auf einmal die Tür meines Schlafzimmers aufgehen hörte. Ich würde sehr erschrocken sein, wenn ich ein Gespenst vor mir gesehen hätte; aber ich erschrak noch weit mehr, da ich sah, daß es der Marquis war. Er war nur in einem leichten Nachtgewande, und hatte etwas so wildes in seinen Blicken und Gebärden, daß ich vor Angst schlotterte, als ich ihn auf mich zugehen sah. Ich wollte geschwind aus dem Bette springen, denn ich kleidete mich niemals völlig aus, aber er hielt mich zurück, und schwur, daß ich mich ergeben müßte, es möchte auch kosten was es wolle. Ich erhub ein entsetzliches Geschrei, und wehrte mich, ob er sich gleich bemühte mir den Mund mit Küssen zu verstopfen, mit einer solchen Wut, daß er sich genötiget sah einen Augenblick Atem zu schöpfen. Ich fing von neuem an zu schreien, und machte es laut genug, daß Stella, die in dem vierten Zimmer von dem meinigen schlief, davon erwachte, und in einem Anzug, der von ihrem Schrecken zeugte, mir zu Hülfe eilte. Ihr Anblick verdoppelte meinen Mut, so schwach auch der Beistand war, den ich von ihr erwarten konnte; ich stieß den Marquis mit einer solchen Stärke zurück daß er über die kleine Stella hinweg taumelte, und mit ihr zu Boden fiel. Dieser Umstand, so gering er an sich selbst scheinen mag, war diesesmal mein Glück.

Das gute Mädchen hatte keines von den Gesichten, die man in Spanien schön nennt, ob ihr gleich unter den Caffern vielleicht nichts als die Farbe des Landes gefehlt hätte, um eine Gratie zu sein; Allein zum Ersatz entdeckte die Unordnung, worein ihr Fall ihre ohnehin sehr leichte Bekleidung brachte, dem erhitzten Marquis andre Schönheiten, wodurch die Natur sie wegen ihres Gesichts vollkommen entschädiget zu haben schien. Er wurde so sehr dadurch gerührt, daß er plötzlich den Entschluß faßte sie zum Werkzeug seiner Rache an meiner Sprödigkeit zu machen. Er entdeckte ihr, indem er sie aufhub, den Eindruck, den ihre[246] Reizungen auf ihn gemacht hatten, in so lebhaften Figuren, daß sie nicht lange einen Scherz daraus machen konnte; sie floh wie Daphne, und er verfolgte sie wie Apollo, aber mit besserm Erfolg. Mit einem Wort, er verschloß sich in ihre Kammer, und erinnerte sich vermutlich in wenig Augenblicken nicht mehr, daß eine Hyacinthe in der Welt war. Diese unverhoffte Veränderung der Scene gab mir einen Einfall ein, den ich unverzüglich ins Werk zu richten beschloß. Ich kleidete mich völlig an, und nachdem ich eine Weile gewartet hatte, schlich ich an Stella Türe, um zu horchen, ob ich mich sicher glauben könne. Keinen günstigern Augenblick zur Flucht konnte ich niemals wieder hoffen. Die alte Beguine hatte sich, weil sie wußte, daß der Marquis selbst im Hause war, ganz sorgenlos zur Ruhe begehen, und dieser war so sehr mit seiner neuen Eroberung beschäftigt, daß er mich vielleicht nicht gehört hätte, wenn ich auch weniger behutsam gewesen wäre. Ich schlich also, wiewohl so furchtsam, daß ich mir kaum Atem zu holen getrauete, aus meinem Zimmer, und kam endlich nach einer guten Weile, (denn es war sehr dunkel, und ich besorgte alle Augenblicke anzustoßen oder ein Geräusch zu machen) bis an die Haustüre, die ich verschlossen fand. Ich tappte so lange herum, bis ich eine Art von einer kleinen Kammer offen fand, die gegen die Straße eine Öffnung hatte, so statt der Fenster mit eisernen Stäben verwahrt war. Ich fand sie weit genung von einander, um mich durchpressen zu können; und es gelang mir endlich wiewohl mit vieler Mühe und Schmerzen.

Sie können sich die Freude kaum vorstellen, die ich hatte, wie ich mich auf der Straße sah. Ich lief, was ich konnte, ohne zu wissen wohin, und weil das Haus, worinne ich war, in einer von den Vorstädten stund, so befand ich mich in kurzer Zeit auf dem freien Felde. Niemals hatte mir der gestirnte Himmel so schön geschienen als jetzo, da er meine Flucht beförderte. Ich befahl mich den unsichtbaren Beschützern der Unschuld, und so bald ich merkte, daß ich auf der Landstraße war, so lief ich so schnell davon, als ob ich Flügel an den Fersen hätte. Wie die Sonne aufging, war ich schon drei Stunden von Sevilla entfernt. Ich tauschte meine Kleider mit einem jungen Bauer-Mädchen von meiner Größe, die mir begegnete, und nachdem ich mich[247] in einem Dorfe mit Brot, und meinen Kruge mit frischer Milch versehen hatte, setzte ich meine Reise fort; ich ruhte den Tag über in dichten Gebüschen aus, und ging des Abends, bis ich ein Wirtshaus antraf, wo ich die Nacht zubringen konnte. Ich richtete meine Reise nach Calatrava, wo ich die gute Dame zu erfragen hoffte, auf deren Großmut und Neigung zu mir ich alle meine Hoffnungen gründete; aber weil ich gezwungen war, zu Fuße zu gehen, (denn ich hatte aus einer vielleicht übertriebenen Bedenklichkeit nichts mit mir genommen, als das wenige Geld, so ich bei mir trug, wie ich das Haus der Zigeunerin verließ, und dieses reichte kaum zu meiner Reise-Zehrung zu,) so ging meine Wanderschaft über aus langsam, und ich hatte Zeit genug meinen vergangenen Begebenheiten und meinem künftigen Schicksal nachzudenken. So ungünstig auch das gegenwärtige aussah, so blieb ich doch immer munter; der Gedanke, daß ich meine Unschuld aus so schlüpfrigen Umständen davon gebracht hatte, machte mich leicht und fröhlich, und von allem, was mir in dem kleinen Hause des Marquis zu Dienste gestanden war, bedaurte ich nichts als meine schöne Theorbe von Sandelholz, womit ich mir unterwegs die Zeit hätte verkürzen können. Ich sang nichts desto minder, so lange der Tag war, und machte mir eine Zeitkürzung daraus, den Gesang der Nachtigallen nachzuahmen, worin ich, ohne Ruhm zu melden, eine so große Meisterin wurde, daß ich die Nachtigallen selbst eifersüchtig machen konnte.

Auf diese Art kam ich endlich glücklich, und ohne daß mir ein merkwürdiges Abenteuer zugestoßen wäre, im Schloß an, wo die Dame, die ich suchte, gewohnt hatte; aber, urteilen sie, wie groß meine Bestürzung war, da man mir sagte, das junge Fräulein, ihre einzige Tochter, sei vor etlichen Monaten an den Pocken gestorben, und ihre Mutter hätte sich aus Betrübnis über den Verlust eines Kindes, das ihr einziges Vergnügen gewesen war, bald darauf in ein Kloster unweit Toledo vergraben. Diese Nachrichten schlugen mir den Mut so sehr nieder, daß ich ein paar Tage ganz krank davon wurde. Meine Umstände konnten nicht verzweifelter sein, ich war ohne Geld, unter lauter Unbekannten, und in dem schlechten Aufzug, den ich machte, um so mehr vielen Unbequemlichkeiten ausgesetzt,[248] da man gar leicht sah, daß ich verkleidet war. Ich hatte keinen andern Ausweg, als bei irgend einer Dame Dienste zu suchen, aber die Schwierigkeit war, jemand zu finden, der es auf sich nehmen wollte mich in einem guten Hause zu empfehlen.

Indem ich in dieser Verlegenheit nicht wußte, wohin ich mich wenden sollte, begegnete es, daß eine kleine Gesellschaft von Comödianten in das Wirtshaus kam, wo ich mich aufhielt. Die Frau des Vorstehers, eine Person von feinem Ansehen und sehr einnehmenden Manieren, machte Bekanntschaft mit mir; wir gefielen einander beim ersten Anblick, und es währete nicht lange, so hatte sie mein Vertrauen so sehr gewonnen, daß ich ihr meine Geschichte und meine dermaligen Umstände entdeckte. Sie hatte eben eine junge Person nötig, um die Stelle ihrer besten Schauspielerin zu ersetzen, welche ihr der Graf von L. erst kürzlich entführt, und ihrer Gesellschaft dadurch keinen geringen Schaden zugefügt hatte. Sie machte mir den Antrag, ob ich nicht Lust hätte mich dem Theater zu widmen, und sparte keine Vorstellungen und Überredungen, um mir Lust dazu zu machen. Natürlicher Weise hätte ein Mädchen, das bisher die Person einer kleinen Zigeunerin gespielt hatte, sich durch die Ehre zu einer Theater-Heldin erhoben zu werden sehr geschmeichelt finden sollen; Allein so jung ich war, so wußt ich doch wohl, daß in den Augen der Welt der Unterschied zwischen einer Comödiantin und einer Zigeunerin nicht so groß ist als sich die Theater-Princessinnen einbilden, und die gute Dame Arsenia hatte sehr vieles zu tun, bis sie mit allen meinen Bedenklichkeiten fertig war. Sie schien von meinen Gesinnungen ganz bezaubert, und verdoppelte ihre Liebkosungen und Zureden, um mich zu einer Lebensart zu bewegen, die ihrer Meinung nach, an sich selbst nichts unedles oder verächtliches habe, und bloß durch die schlechte Sitten der meisten, welche sie treiben, in einen etwas zweideutigen Ruf gekommen sei. Sie sagte mir zum Beweis dieses Satzes sehr vieles, das mir einen großen Schein der Wahrheit zu haben schien, und ob sie gleich nicht in Abrede war, daß eine junge Schauspielerin mehr Versuchungen ausgesetzt sei als andre Frauenzimmer, so behauptete sie hingegen, daß sie desto mehr Ehre davon habe, wenn sie den Mut und die Standhaftigkeit besitze, in einem[249] Stande, worin man ihr so viel zu gut halten würde, würklich tugendhaft zu sein. Kurz, die Vorstellungen der Arsenia, ihre Liebkosungen, ihre Bitten, die Freundschaft, die sie mir versprach, und meine gegenwärtige Not, die mir keine Wahl übrig ließ, überwanden endlich meine Bedenklichkeiten ohne sie zu heben, und ich erklärte mich für eine Profession, zu der sie ein ganz besonderes Talent bei mir entdeckt haben wollte. Ich wurde also mit allgemeinem Beifall in die Gesellschaft aufgenommen, und nachdem mich Arsenia in den Geheimnissen ihrer Kunst unterrichtet hatte, wurde Corduba zum Ort ausersehen, wo ich meinen ersten öffentlichen Auftritt machen sollte. Die Zuschauer urteilten eben so günstig von mir als von Arsenia, und ich gestehe ihnen, daß das frohe Geklatsch und der lebhafte Ausdruck eines allgemeinen Vergnügens, der einer gefallenden Schauspielerin, so bald sie nur erscheint, von allen Seiten entgegen lächelt, ein süßer und gefährlicher Augenblick für die Eitelkeit eines jungen Mädchens ist.

Indes konnte doch die Empfindlichkeit, die ich, so lange das Schauspiel daurte, für einen Beifall hatte, wovon ich vielleicht das meiste der Neuheit meiner Figur zu danken hatte, die demütigenden Vorwürfe nicht verhindern, die ich mir selbst machte, so bald ich aufhörte Ines oder Roxelane zu sein. Ich errötete vor mir selbst, wenn ich dachte, daß ich unverschämt genug gewesen war, mich gleichsam den Augen des Publici Preis zu geben, und in einer angenommenen Person Leidenschaften zu erregen, die einer zügellosen Jugend eine Art von Recht zu geben schienen, von mir zu erwarten, daß ich in meiner eigenen Person die ihrigen begünstigen sollte. Diese Betrachtungen, indem sie mir alle Annehmlichkeiten meines Standes verbitterten, machten mich desto behutsamer in meiner Aufführung. Mein Herz, welches niemals schlimme Neigungen gehabt hatte, machte mirs leicht, mich vor der Verführung zu bewahren; aber die Schwierigkeit war, in einer so schlüpfrigen Lebens-Art auch den Schein zu vermeiden, und die schalksaugige Verleumdung selbst zu nötigen, mein Betragen wenigstens durch ihr Stillschweigen für untadelhaft zu erklären. Ich weiß nicht in wie weit ich hierin glücklich gewesen sein mag; aber ich würde undankbar sein, wenn ich vergäße, ihnen[250] zu sagen, daß Arsenia, die ich meiner Hochachtung immer würdiger fand je besser ich sie kennen lernte, indem sie die Stelle einer Mutter bei mir vertrat, mir zu Erreichung meiner Absicht unendlich nützlich war. Ich verlor mich niemals aus ihren Augen, ich aß und schlief bei ihr, ihr Umgang und Beispiel entwickelte und unterhielt meine Gesinnungen, und ihr Character, dem alle Welt Gerechtigkeit widerfahren lassen mußte, schützte mich vor der Bosheit derjenigen, die als eine Grundregel annahmen: daß eine Person, welche tugendhaft zu sein scheint, in der Tat nur behutsam sei. Wir verließen Corduba in wenig Wochen, und begaben uns nach Grenada, wo wir uns bei nahe ein Jahr lang aufhielten, und eines ununterbrochenen Beifalls genossen. Hier hatte ich das Glück mit Don Eugenio bekannt zu werden. Die Hochachtung, worin er seiner Verdienste und Sitten wegen stund, unterschied ihn zu sehr von dem großen Haufen des jungen Adels, als daß Arsenia sich hätte ein Bedenken machen können von ihm und einer kleinen Anzahl seiner Freunde Besuche anzunehmen, die an statt uns Tadel zuzuziehen, vielmehr für einen Beweis angesehen wurden, daß wir schätzbarer sein müßten als unser Stand anzukündigen schien. In einer Gesellschaft wie diese, und wo die allzu gütige Parteilichkeit des Don Eugenio für mich kein Geheimnis sein kann, wird es mir erlaubt sein zu sagen, daß ich ganz unempfindlich hätte sein müssen, um von seinen Gesinnungen nicht gerührt zu werden. Ich erröte nicht ihnen zu gestehen, daß ich vom Anfang unsers Umgangs an eine Achtung für ihn empfand, die ich vorher für niemand empfunden hatte, und wie ich glaube, für keinen andern jemals empfinden werde. Wenn ich auf etwas stolz zu sein berechtiget wäre, so müßte es auf die Freundschaft sein, womit er mich beehret hat. Die Welt, die immer urteilt ohne zu kennen oder sich die Mühe der Untersuchung zu geben, hat mir künstliche Absichten beigemessen, deren die Aufrichtigkeit meiner Seele nie fähig gewesen ist. Allein ich habe mich jederzeit damit beruhiget, daß Don Eugenio mich besser kennt, und die Ausführung eines Entschlusses, der schon lange fest bei mir steht, wird, wie ich hoffe, die Freundschaft am besten rechtfertigen, deren er mich nicht unwürdig gefunden hat.[251]

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Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 236-252.
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