2.
Aristipp an Kleonidas.

[4] Die Nachrichten, die du mir von unsrer Freundin mittheilst, stimmen zu gut in meine üppigsten Wünsche für ihr Glück, als daß sie mir nicht große Freude gemacht haben sollten. Die Liebe eines solchen Mannes, wie dein Perser, ist das einzige ihrer nicht ganz unwürdige Mittel, ihre gewohnte Lebensart immer fortzuführen, insofern sie nur von sich erhalten kann, ihrer großherzigen Verachtung des verächtlichsten und schätzbarsten, unentbehrlichsten und unbrauchbarsten aller sublunarischen Dinge einige Schranken zu setzen, und nur so viel Oekonomie in ihr Hauswesen zu bringen, als der große König selbst nöthig hat,[4] wenn er mit seinen Einkünften auslangen will. Daß sie den prächtigen Vogel nicht eher, als bis es ihr selbst gefällt, aus ihrem goldnen Käfig entlassen, und hingegen fleißig dafür sorgen wird, ihre eigene Person von den verhaßten Gesetzen der morgenländischen Gynäceen frei zu erhalten, bin ich zu gewiß, als daß sie hierüber meines Rathes bedürfte. Es bleibt mir also nichts übrig, als mich ihres Glückes zu freuen, und zu wünschen, daß sie es recht lange dauern lasse.

Du urtheilst sehr richtig von mir, Freund Kleonidas, wenn du mich der Narrheit, die Sonne für mich allein behalten zu wollen, unfähig glaubst. Eben so wenig soll es, wie ich hoffe, jemals in die Macht einer Person oder einer Sache, die ich liebe, kommen, sich mir in einem so hohen Grade wichtig zu machen, daß ich ihrer nicht ohne Verlust meiner Gemüthsruhe entbehren könnte. Ich liebte die schöne Lais beim ersten Anblick, weil sie mir gefiel; und sie gefiel mir aus eben der Ursache, warum mir irgend etwas gefällt, und desto mehr, je mehr sie zugleich die Summe meiner feineren Gefühle vermehrte, und meinen Geist in die angenehmste Thätigkeit setzte. In allem diesem ist mir's, denke ich, wie jedem andern Menschen. Aber was ich vor meinem unbekannten Freund Arasambes und vielen andern voraus habe, ist: daß die schöne Lais selbst mit allen ihren Vollkommenheiten für mich kein unentbehrliches, geschweige mein höchstes Gut ist. Ich habe Augen für alle ihre Vorzüge, Sinn für alle ihre Reize; sie ist mir alles, was sie einem Manne von Verstand und Gefühl seyn kann; aber sie vermag (einzelne Augenblicke vielleicht ausgenommen) wenig oder nichts über[5] meine Freiheit; ich verlasse sie ohne mich losreißen zu müssen, sogar wenn sie lieber sähe daß ich bliebe; ich komme mit dem lebhaftesten Vergnügen wieder, und scheide zum zweiten, dritten und viertenmal, immer durch den Gedanken des Widersehens wohl getröstet und im Gleichgewicht erhalten. Indessen würde ich mich selbst belachen, wenn ich mir deßwegen viel auf meine Weisheit zu Gute thun wollte. Du weißt daß ich mit einem Frohsinn, der an Leichtsinn gränzt, geboren bin; ich fühle mehr schnell und lebhaft als tief; ich habe Sinn für alles Schöne und Gute, ohne Affectation einer besondern Zartheit, und das Schönere und Bessere benimmt nach meiner Schätzung dem Geringern nichts. Bei einer solchen Anlage war es natürlich, daß die bewundernswürdige Gleichmüthigkeit, wozu es mein edler Lehrer Sokrates mit einem vielleicht nicht so lenksamen Temperamente gebracht hatte, einen so starken Eindruck auf mich machte, daß ich mir vornahm, mich öfters, auch ohne besondere Veranlassung, in Bezwingung meiner Begierden und Schwichtigung meiner Wünsche zu üben. Kurz, ich machte mir zur Maxime: mich in allem mit dem Guten in jedem leidlichen Grade zu behelfen, ohne hartnäckig auf dem Besten zu bestehen; und ich befinde mich bei dieser Mäßigung so wohl, daß ich meine Diät einem jeden anrathen möchte, der es mit sich selbst so gut meint, daß er um größere Unlust zu vermeiden, lieber weniger Vergnügen haben, als Gefahr laufen will, einen Platz an der Göttertafel mit der Strafe des Tantalus zu bezahlen. Dadurch gewinne ich den Vortheil, daß ich mich auch bei Nektar und Ambrosia bescheiden aufführe, und daher nie[6] in den Fall kommen kann, meinen Uebermuth so streng wie jener Göttersohn zu büßen.

Dieß heißt viel über sich selbst philosophirt! Brauche davon was du kannst, und fahre fort, mir mitzutheilen, was du mir gut findest.

Es war ein herrlicher Gedanke, Lieber, den du hattest, die schöne Lais unter zwei so entgegengesetzten und beide doch so gut passenden Charaktern darzustellen. Du würdest dich mir durch eine Copey von deiner eigenen Hand unendlich verbinden, wär' es auch nur von den beiden einzelnen Figuren. Vermuthlich setzt dein persischer Freund seine Hoffnung auf die gefälligere Gestalt, wiewohl er seine Göttin unter beiden anbetet. Gewiß ist schwerlich jemals ein schönes Weib so gleich geschickt gewesen, beide Personen zu spielen, und sich selbst, sobald sie will, durch sich selbst auszulöschen. Ein gefährliches Talent, welches zu mißbrauchen sie, glücklicherweise, keine Anlage hat. Indessen werde ich sie doch nie aus den Augen verlieren, um auf den Fall, da sie eines Freundes bedürfte, immer bei der Hand zu seyn; denn auf dem schönen, breiten und kurzweiligen Wege, den sie geht, nicht zu verirren, ist schwerer als sie zu glauben scheint.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 4-7.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aristipp und einige seiner Zeitgenossen
Aristipp Und Einige Seiner Zeitgenossen (3)
Sammtliche Werke (34 ); Aristipp Und Einige Seiner Zeitgenossen Bd. 2
Aristipp und einige seiner Zeitgenossen
Werke in zwölf Bänden: Band 4: Aristipp und einige seiner Zeitgenossen
Werke in zwölf Bänden: Band 4: Aristipp und einige seiner Zeitgenossen