26.
Aristipp an Lais.

[183] Die Gemälde deines Freundes Euphranor sind glücklich angelangt, und zieren bereits die kleine Galerie, welcher du ein so reiches Geschenk zu machen die Güte hast. Wohl verdiente die schöne Scene deiner Unterhaltung mit Sokrates unter dem heiligen Oelbaum der Athene Polias von einem Maler dargestellt zu werden, der neben einem Parrhasius und Timanthes mehr wie ein glücklicher Nebenbuhler als wie ein Nacheiferer erscheint, und das große Talent Seelen zu malen von der Natur selbst in dem Geschenk des innigsten Gefühls für sittliche Schönheit und Grazie empfangen zu haben scheint. Aber womit kann ich dir, o du liebenswürdigste der Weiber, den Gedanken vergelten, daß du auch den schönen Augenblick unsers ersten Zusammentreffens der Gewalt der Zeit entreißen, und, wofern mir ein so langes Leben bestimmt wäre, daß ein allmählich abbleichendes und verwitterndes Gedächtniß eine solche Nachhülfe nöthig machte, das schönste aller Bilder, die meine Einbildungskraft aufbewahrt, immer jugendlich frisch und blühend in mir erhalten helfen wolltest? Euphranor selbst müßte mir seinen Pinsel und seine glühenden Farben leihen können, wenn ich dir auch nur einen kleinen Theil dessen schildern sollte, was ich fühlte, bis das Entzücken der ersten Ueberraschung in den reinen Genuß des ruhigen Anschauens überging. Ohne Zweifel war es gerade die Vereinigung aller möglichen Forderungen der Kunst in diesem so sehr vollendeten[184] Werke, was die Ursache war, warum ich beim ersten Anblick nur von dieser bis zur Täuschung aller Sinne getriebenen Wahrheit und Aehnlichkeit getroffen wurde, die den beiden Figuren den Schein als ob sie wirklich lebten in einem desto höhern Grade gibt, weil sie Lebensgröße haben, und alles was um sie her ist, durch den Zauber der natürlichsten Beleuchtung und Färbung, die Illusion vollkommen machen hilft. Erst lange nachdem der kurze Wahnsinn des ersten Eindrucks vorüber war, gewann ich Besonnenheit genug, dem Geist und der Hand des Meisters ins Besondere und Einzelne zu folgen, und zu bemerken, wie günstig der gewählte Moment seiner Kunst war, aber auch welcher Geschicklichkeit sich der bewußt seyn mußte, der einen solchen Moment zu wählen wagen durfte.

Du wirst mir's hoffentlich nicht für Schmeichelei ausdeuten, wenn ich dir sage, daß dieses Gemälde, seitdem es meine kleine Pökile92 verherrlicht, das erste ist, was alle Augen an sich lockt, und das letzte, von welchem man sich trennt. Beinahe werd' ich mich noch genöthigt sehen, es an einen geheimern und heiligern Ort zu versetzen, wenn ich verhüten will, daß es den übrigen nicht gar zu viel unverschuldeten Schaden thue. – Aber meinen Abderiten (den jungen Onokradias, von welchem ich dir neulich schrieb, hättest du sehen sollen, als ihm das Anschauen dieses Wunders der Natur und Kunst (die ihm beide gleich unbekannte Gottheiten sind), zum erstenmal verstattet wurde! Seine ohnehin etwas weit hervorstehenden Augen wurden plötzlich noch einmal so groß, und die seltsamen Gebärdungen, womit er die Einwirkung[185] eines für ihn so ganz neuen Schaugerichts zu Tage egte, machten uns einige Augenblicke befürchten, daß er wirklich närrisch geworden sey. Es dauerte eine ziemliche Weile, bis er sich durch mehr als Einen Sinn überzeugen konnte, daß die Nymphe, die er aus der marmornen Kufe auftauchen sah, nur gemalt sey. Nun, bei Jason und Latona! rief er endlich, wenn dieß nur ein gemaltes Bild ist, wie ich nun wohl sehe, so muß ich das Original haben, und wenn es mich das ganze Erbgut meiner Familie kostete! Man versicherte ihn, das Original sey zu Korinth alle Tage in vollem Leben zu sehen. – So bestelle ich heute noch ein Schiff, rief er. – »Weißt du auch wie das Sprüchwort lautet93?« – O! um dieses Mädchens willen reise ich in einem Fischerkahn bis zu den Säulen des Hercules. »Aber die Sache hat noch einen andern Haken. Wenn du sie auch zu sehen bekommst, desto schlimmer für dich! Denn das Haben mußt du dir ein- für allemal vergehen lassen.« – Dafür macht euch keine Sorge, versetzte der Abderit in einem triumphirenden Ton; ich habe Creditbriefe für zehn Talente bei mir. – »Närrischer Mensch, und wenn du Credit für zehntausend Talente hättest, siehest du denn nicht, daß wir nur unsern Spaß mit dir treiben, und daß diese Auftaucherin – mit Einem Wort, Aphrodite selbst ist?« – O weh! rief er mit einer kläglichen Miene; das ist freilich ein ander Ding! Aber das hättet ihr mir gleich sagen sollen. Ich bin unschuldig, wenn sich die Göttin durch meine vermessenen Reden beleidigt finden sollte. Hoffentlich wird sie mich's nicht entgelten lassen. – »Das hättest du selbst sehen sollen, guter[186] Onokradias, daß es Aphrodite ist, und du wirst auf alle Fälle wohl thun, wenn du den Zorn der Göttin durch so viele schneeweiße Tauben, als du in ganz Attika zusammentreiben kannst, zu versöhnen suchst. Sahst du denn den Menschen hier nicht, der in einer so andächtigen Stellung hier an der Thür steht, und die Göttin anbetet?« – Ja wirklich! Was ich für ein Dummkopf bin! Aber daß ich keinen mit weißen Tauben bespannten Wagen neben der Göttin sah, betrog mich. Freilich hätte mir dieser junge Priester, oder was er ist, das Verständniß öffnen können, wenn ich ihn nur nicht vor dem schönen Mädchen – der Göttin wollt' ich sagen – gänzlich übersehen hätte.

Du siehst, schöne Lais, daß ich mit meinem Abderiten noch nicht sonderlich weit gekommen bin. Ich habe mich aber auch zu nichts anheischig gemacht, als ihn ungefähr zu lassen wie ich ihn fand. Er weiß sich doch wenigstens ziemlich bald wieder zu fassen, und für einen Abderiten ist das schon viel.

Deine Lasthenia und ihr etwas zweideutiger Seelenliebhaber sind inzwischen aus ihrer Wolke hervorgetreten, und haben sich mir, um meinem Scharfblick zuvorzukommen, in höchstem Vertrauen entdeckt. Ich stellte mich überrascht, versprach ihnen aber alle guten Dienste, die sie nur immer von mir erwarten könnten. Das Mädchen macht wirklich große Fortschritte, und hat mir noch ganz kürzlich Platons Ideen so artig vorpoetisirt, daß ich sie beinahe für mehr als bloße Hirngespenster halten möchte, wenn's nur irgend möglich wäre. Sie besitzt eine ganz eigene Ahnungsgabe für alles Uebersinnliche und Unbegreifliche, und spricht von Dingen,[187] wovon niemand etwas weiß noch wissen kann, ohne selbst das Geringste mehr davon zu wissen als andere, mit so viel Geist und Gemüthlichkeit, daß es eine Lust ist, ihr (zumal bei rosenbekränzten Bechern) zuzuhören. Aber was den armen Speusipp in keine geringe Verlegenheit setzt, ist der Umstand, daß der göttliche Plato selbst eine ziemlich warme Zuneigung – für den schönen Kleophron gefaßt hat. Die kleine Spitzbübin scheint mir mehr Freude als Schrecken über diese Entdeckung zu verrathen, welche sie selbst (wie natürlich) zuerst gemacht hat, und wodurch sich ihre Eitelkeit mächtig geschmeichelt fühlt. Indessen tröstet sich Speusipp mit der Hoffnung, daß die Liebe seines Oheims vermuthlich – platonischer seyn werde, als die seinige; und ich bestärke ihn, wie billig, in dieser Ueberredung aus allen Kräften.

Zum Beweise, wie treulich ich deine guten Lehren in Ausübung gebracht habe, und wie gut ich dermalen mit dem ehrwürdigen Aldermann der Akademie stehe, will ich dir nicht verhalten, liebe Laiska (wie sehr auch meine Bescheidenheit dabei ins Gedränge kommt), daß mir diesen Morgen sogar das Glück geworden ist, ihn selbst mit etlichen seiner Vertrauten in meine Galerie treten zu sehen. Er sprach mit mir von meinen Wanderungen, und wunderte sich, daß ein so viel gereister Cyrener Aegypten noch nicht gesehen habe. Es ist noch immer Zeit, sagte ich, die Pyramiden und Obelisken und den Nilmesser in Augenschein zu nehmen; Katarakten habe ich anderswo schon gesehen, und für die Weisheit der Aegyptischen Priester – hab' ich, die Wahrheit zu gestehen, keinen Sinn. – Dagegen ist nichts zu sagen, versetzte er mit einem kleinen[188] Zucken der Nase und Augenbrauen. Bei den Gemälden machte er hier und da eine kurze Bemerkung, welche bewies, daß er mit der Kunst bekannt ist, und das Schönste gesehen hat. Auf Kleombrot warf er im Vorbeigehen einen ernsten Blick, und kehrte sich sogleich wieder von dem Bilde weg; bei dem sterbenden Sokrates hingegen verweilte er desto länger, zwar stillschweigend, aber mit großer Aufmerksamkeit und einigen leisen Zeichen von Rührung. Auch die schöne Anadyomene fesselte seine Augen eine kleine Weile; er rühmte den Maler, der den Zeuxis selbst in einem Theil, worin dieser am größten sey, in der Kunst die Farben in einander zu schmelzen, noch zu übertreffen scheine. Als er im Begriff war, sich wieder davon zu entfernen, heftete er einen Blick auf mich, als ob er mich mit dem unverschämten jungen Gaffer im Gemälde vergleiche. Vermuthlich eine Scene aus deiner eigenen Geschichte, sagte er zu mir mit einem kaum merklichen Lächeln. Die schönste, versetzte ich mit gebührender Dreistigkeit, und (wie sich von selbst versteht) ohne roth zu werden. Er weilte noch einige Augenblicke bei dem Tode des Sokrates, und sagte dann im Weggehen etwas feierlich: »es war ein Unglück für mich, Aristipp, daß ich unpäßlich war; aber daß du nicht zu Aegina warst, magst du deinem Glücke danken.« – Ich fürchte, er hat Recht.

Die Hoffnung mit Euphranor künftigen Sommer durch deine Vermittlung in ein näheres Verhältniß zu kommen, hat nun einen ungleich größern Reiz für mich. Ich werde dir dafür, wenn du es erlaubst, in der Person meines jungen Landsmannes Antipater, der sich seit einiger Zeit bei mir[189] aufhält, einen Jüngling vorstellen, dessen gleichen man auch nicht alle Tage sieht.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 183-190.
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