53.
Learch an Aristipp.

[378] Der Antheil, den du, mit Kleonidas und Musarion, vermuthlich nie aufhören wirst an den Schicksalen der schönen Lais zu nehmen, macht es mir als einem gemeinschaftlichen Freunde zur Pflicht, euch von ihrer dermaligen Lage ausführlich zu unterrichten, da euch vielleicht Gerüchte oder Nachrichten aus minder lautern Quellen zukommen möchten, die euch ihrentwegen mehr beunruhigen könnten, als, vor der Hand wenigstens, nöthig seyn möchte. Du kennst sie zu gut, lieber Aristipp, um dich nach diesem Eingang nicht auf einen von den wunderlichen Streichen gefaßt zu halten, deren ihre Phantasie und Laune ihr schon mehrere gespielt haben: aber des Abenteuers, worin sie dermalen verwickelt ist, dürftest du dich doch schwerlich versehen haben. Ich will euch mit keinem langen Vorbericht aufhalten; aber der Vollständigkeit wegen werde ich dennoch etwas weit ausholen müssen, und nicht vermeiden können, des Antheils, den ich selbst an dieser Geschichte habe, umständliche Erwähnung zu thun.

Antipater hat dir schon vor geraumer Zeit von der Veränderung Nachricht gegeben, welche sie bald nach ihrer Zurückkunft aus Thessalien in ihrer Lebensweise vorzunehmen nöthig fand. Es wurde in und außerhalb Korinth viel Schiefes darüber geschwatzt, vermuthet und gefabelt: das Wahre ist, daß diese Veränderung nicht plötzlich sondern stufenweise vorging, und daß die immer zunehmende Menge und die unbescheidene[379] Zudringlichkeit ihrer öffentlich erklärten Liebhaber diese Maßregel schlechterdings nöthig machte. Unter jenen Beschwerlichen befanden sich mehrere Auswärtige, welche die Reise nach Korinth nicht vergebens gemacht haben wollten, da sie bloß der schönen Lais wegen gekommen waren. Ueberhaupt schienen die Herren durch die letzte Wanderung unsrer Freundin sich berechtigt zu glauben, ihren Ansprüchen einen Nachdruck zu geben, der dem Stolz und dem Zartgefühl einer Frau von so seltnen Vorzügen gleich anstößig seyn mußte. Die Reichsten (meist Einheimische) glaubten sich durch die prächtigen Feste, die sie ihr gaben, ein Recht an ihre Dankbarkeit zu erwerben. Andere hingegen spielten geradezu die Freier der Penelope, und nahmen von ihrem nur allzu gastfreien Hause Besitz, als ob sie immer da zu bleiben gedächten; in Hoffnung, sie werde sich durch die unverschämte Art, wie sie darin schalteten, genöthiget sehen, sich desto bälder mit ihnen abzufinden. Die Sache hörte in der That bald genug auf kurzweilig für sie zu seyn; wie sie aber gewohnt ist alles mit guter Art zu thun, so fing sie damit an, sich den Festen und Aufwartungen meiner Korinthischen Mitbrüder nach und nach zu entziehen, und immer seltener große Gastmahle in ihrem eigenen Hause zu geben. Die Fremden, welche auf allerlei Wegen Mittel gefunden hatten Empfehlungen an sie zu erhalten, wurden zwar noch immerfort aufs beste bewirthet; aber sie selbst erschien, unter mancherlei Entschuldigungen, selten bei Tische und im Gesellschaftssale, und wurde zuletzt, einer vorgeblichen Unpäßlichkeit wegen, gänzlich unsichtbar: und weil die Herren auf den Einfall kommen konnten, die[380] Freier der Penelopeia auch in den Entschädigungen, welche diese sich zu verschaffen wußten, nachzuahmen, so wurde allen ihren Gesellschafterinnen und Sklavinnen aufs schärfste untersagt, sich vor keinem von ihnen sehen zu lassen, geschweige das Geringste zu ihrer Unterhaltung beizutragen. Dieses Mittel konnte seine Wirkung nicht verfehlen; und da sie sich vollends auf einige Zeit Geschäfte halber von Korinth entfernte, so mußten die Beschwerlichen endlich das Feld räumen, und Lais war nun nach ihrer Zurückkunft für niemand mehr zu Hause, als für etliche Freunde vom engeren Ausschuß, die durch einige persönliche Eigenschaften und ein gehöriges Betragen diese Unterscheidung verdienten.

Ich glaube nicht daß Lais einen ältern Bekannten hat als mich. Die vertraute Freundschaft, welche zwischen meinem Vater und dem Eupatriden Leontides statt hatte, gab mir schon in meiner frühen Jugend Gelegenheit, im Hause des letztern ein- und auszugehen, und ich erinnere mich noch sehr wohl, die kleine Lais als ein Mädchen von eilf oder zwölf Jahren gesehen zu haben. Der Alte fand großes Vergnügen daran, seinen kleinen Liebling loben zu hören, und seine Freunde zu Zeugen der außerordentlichen Anlagen zu machen, die sie in der Musik und Tanzkunst zeigte. Ich hatte damals etwa achtzehn Jahre, und natürlich konnte mir das schönste Mädchen, das ich noch gesehen hatte, nicht gleichgültig seyn; aber die angenehmen Eindrücke die sie auf mich machte, streiften nur leicht an mir hin; ich wußte daß Laiska nicht mein seyn konnte; es fehlte nicht an hübschen Mädchen in Korinth; überdieß war ich keiner von denen, die sich einbilden, sie müssen alles[381] Schöne, was ihnen zu Gesichte kommt, haben, es koste was es wolle; und es gab viele Dinge, die mir noch lieber waren als ein hübsches Mädchen. Eine Abwesenheit von mehreren Jahren brachte mir den kleinen Abgott des alten Leontides gänzlich aus dem Sinne. Als ich nach Korinth zurückkam, fand ich sie auf dem Punkt ihrer schönsten Blüthe, im Besitz der reichen Erbschaft ihres Patrons und einer gänzlichen Unabhängigkeit, von einer Menge Freier und Anbeter umgeben, mit denen sie sich auf einen solchen Fuß setzte, daß keiner ohne alle Hoffnung war, wenige sich eines merklichen Vorzugs, und niemand dessen, wornach sie alle trachteten, zu rühmen hatte.

Keinen Zutritt im Hause der schönen Lais zu haben, wurde damals in Korinth für ein unzweifelhaftes Zeichen eines schlecht erzogenen und von allen Grazien verabsäumten Menschen angesehen. Ich unterließ also nicht, von der allgemeinen Freiheit, die sie allen meinesgleichen zugestanden hatte, Gebrauch zu machen, zumal da ich nirgends bessere Gesellschaft, und mehr Gelegenheit mit interessanten Fremden bekannt zu werden, finden konnte als in ihrem Hause. Lais, die ihre eigentlichen Liebhaber so ziemlich auf dem nämlichen Fuß behandelte, wie andere Schönen ihre Schoßhündchen, Katzen, Wachteln und Sperlinge, ermangelte nicht diejenigen zu unterscheiden, deren Anhänglichkeit an sie mehr auf die seltnen Vorzüge ihres Geistes, als auf übel verhehlte Ansprüche an ihre Schönheit, gegründet war; und da ich das Glück hatte einer von jenen zu seyn, so fand sich unvermerkt, daß ich mich unter die wenigen zählen durfte, denen sie eine schmeichelhafte[382] Art von Achtung dadurch bewies, daß sie von ihren häuslichen Angelegenheiten mit ihnen sprach, sie mit kleinen Aufträgen beehrte, und bei wichtigern Vorfallenheiten sich ihres Rathes oder ihrer Dienste bediente. Dieß, Freund Aristipp, war ungefähr das Verhältniß, worin ich mit der schönen Lais stand, bis sie Milet zu ihrem Aufenthalt wählte, und dort mit dem vornehmen Perser bekannt wurde, der (wenn ich nicht irre) nach dir selbst der erste war, der sich ihres Besitzes rühmen konnte; mit dem kleinen Unterschied, daß du sie besaßest, er hingegen von ihr besessen war154. Nach ihrer Zurückkunft von Sardes lebte sie eine Zeit lang mit dem Prunk einer morgenländischen Fürstin unter uns; und während sich jedermann zudrängte ihren Hof vergrößern zu helfen, hielt ich mich so lange in geziemender Entfernung, bis sie für gut fand, sich allmählich wieder auf einen bescheidenern Fuß zu setzen. Ohne den großen Gesellschaften gänzlich zu entsagen, oder ihr Haus vor irgend jemand zu verschließen, der sich berechtigt halten durfte jedes gute Haus offen zu finden, lebte sie jetzt am liebsten mit einer kleinen Zahl auserlesener und vertrauter Personen, und unter diesen fand dann auch dein Freund Learch seinen alten Platz wieder. Ich muß gestehen, daß bei dieser Erneuerung unsrer alten Verhältnisse auf meiner Seite unvermerkt einige Veränderung vorging. Mir war als hätte ich die schöne Lais, sogar in ihrer höchsten Blüthe selbst, nie so unwiderstehlich reizend und liebenswürdig gesehen als jetzt, und der Wunsch, ihr mehr zu seyn als andere, ward immer lebhafter: aber Euphranor hatte sich durch seine Kunst Verdienste um sie gemacht, und ich war zu[383] sehr sein Freund, um ihm den Vorzug, den sie ihm zu geben schien, zu mißgönnen.

Inzwischen warest du von deiner langen Wanderschaft nach Athen zurückgekommen. Sie begab sich, nach dem bekannten Abenteuer mit dem jungen Aspendier, auf ihr Gut zu Aegina, wo sie einen Besuch von dir erwartete, und wohin ich, wiewohl eingeladen, ihr nicht eher folgen wollte, als ich für nöthig hielt, um dich noch ein paar Tage dort zu sehen. Aber du hattest dich bereits wieder entfernt, und ich glaubte eine Veränderung an Lais wahrzunehmen, die ich mir nicht erklären konnte, bis ihre Vertraute (die schon lange auch die meinige ist) mir den Schlüssel zu dem Räthsel gab. Es brauchte also nichts als einen einzigen jungen Menschen, – der (wie er mir in der Folge selbst gestand) mehr aus Schüchternheit und Eigensinn, als aus einem mächtigen Drang den Hippolytus mit ihr zu machen155, sich bei einer hartnäckigen Gleichgültigkeit gegen ihre Reizungen zu erhalten wußte, – es bedurfte nichts als diese kleine Demüthigung, um ihrer gekränkten Eitelkeit eine unumschränkte Gewalt über die bessere Seele zu verschaffen! Mit einem kaum verhehlbaren Unwillen war ich ein Augenzeuge der Thorheiten, wozu sie sich erniedrigte; und sie sank damals beinahe noch tiefer in meinen Augen, indem sie in den Anbetern, mit welchen sie sich umringt hatte, durch alle nur ersinnlichen Hetärenkünste eine Leidenschaft zu entzünden suchte, welche sie nicht zu erwiedern gesonnen war, als wenn sie sich, wie eine gemeine Priesterin der Pandemos, einem nach dem andern Preis gegeben hätte.

In dieser Stimmung war ich nicht sehr aufgelegt, ihr[384] Abenteuer mit dem Thessalier in dem mildesten Lichte zu betrachten, wie der Ton, worin ich dir darüber schrieb, nur zu sehr verrathen haben wird. Daß sie aber durch ihren letzten Aufenthalt in Aegina und die Thessalische Reise auch in der öffentlichen Meinung gesunken war, zeigte sich nach ihrer Wiederkunft, in der Art, wie unsre jungen Leute bei Erneuerung ihrer Bewerbungen zu Werke gingen. Sie konnte bald genug gewahr werden, daß man es als etwas Ausgemachtes voraussetze: nachdem sie dem Neffen des Darius einen Thessalischen Centaurensohn zum Nachfolger gegeben, dürfe sich jeder »hellumschiente Achäer« ohne Uebermuth berechtigt halten, Ansprüche an die Gunst einer Schönen zu machen, deren eigentliche Classe keinem Zweifel mehr unterworfen sey. Du kannst dir vorstellen, wie empfindlich ihr Stolz sich durch diese Wahrnehmung gekränkt fühlen mußte. Gleichwohl hielt sie noch eine Zeit lang Stand, in Hoffnung durch ein gewisses vornehmes Ansichhalten, und eine völlige Gleichheit ihres Betragens gegen alle ihre Liebhaber, die Sachen wieder auf den alten Fuß zu setzen. Als aber die Abnahme der hohen Achtung, an welche sie schon so lange gewöhnt war, täglich sichtbarer ward, blieb ihr kein anderer Ausweg, als sich auf die bereits erwähnte Art aus der Gesellschaft zurückzuziehen; eine Maßnehmung, worüber zwar anfangs ganz Korinth in Aufruhr gerieth, die man aber, da Lais von allem, was über sie geschwatzt, gewitzelt und geverselt wurde, keine Kunde nahm und fest bei ihrem neuen Lebensplan beharrete, sich endlich gefallen lassen mußte, und deren man bereits so gewohnt ist, daß von der weltberühmten Lais vielleicht nirgends weniger[385] die Rede ist als zu Korinth, wo sie lebt, aber schon seit mehr als Einem Jahre, außer dem Bezirk ihres Hauses und seiner Gärten, nirgends, und auch dort nur für wenige sichtbar ist.

Ich gestehe dir unverhohlen, lieber Aristipp, daß ich seit diesem Rückzug, mit dessen Beweggrunde ich es nicht gar zu genau nehmen möchte, mich nicht erwehren konnte, sie immer weniger schuldig zu finden, je mehr ich bedachte, wie wunderbar die Natur ihre Fehler mit dem, was das Liebenswürdigste an ihr ist, verwebt hat, und wie verzeihlich es überdieß seyn sollte, daß ein so lange von aller Welt vergöttertes Weib von dem vielen Weihrauch endlich schwindlicht ward, und in der Meinung, daß man ihr auch die Privilegien einer Göttin zugestehen werde, sich mehr herausnahm, als einer Sterblichen, die auf Achtung Anspruch macht, geziemt. Diese Betrachtungen bewogen mich, seit der Zeit, da sich beinahe ganz Korinth gegen sie erklärt hat, ihre Partei wieder mit aller Wärme eines alten Freundes zu nehmen. Was die natürliche Folge davon war, kannst du leicht errathen, und wirst hoffentlich nicht mehr als billig finden, daß dein Freund Learch eine Zeit lang der einzige Korinthier war, der das Vorrecht eines freien Zutritts bei ihr mit Euphranorn und dem Arzt Praxagoras (der sich vor kurzem bei uns niedergelassen hat) und mit dem kurzweiligen Sohn des Momus und der Penia, Diogenes von Sinope, nicht nur theilte, sondern vielleicht noch etwas voraus hatte, was ihre Dankbarkeit seiner so lange und vielfach bewährten Freundschaft nicht länger vorenthalten konnte.

Aber höre nun auch, was uns der Götter und Menschen[386] beherrschende Dämon Eros unversehens für einen verzweifelten Streich gespielt hat!

Vor ungefähr einem Monat läßt sich in meinem und Euphranors Beiseyn ein fremder Sklavenhändler bei Lais melden, und bietet ihr einen jungen Sklaven zum Verkauf an, den er (seinem Vorgeben nach) als Kind von Seeräubern gekauft und mit beträchtlichen Kosten so erzogen habe, daß man weit und breit wenige seinesgleichen finden werde. Der Mann machte so viel Rühmens von der Gestalt und Wohlerzogenheit seines Sklaven, und von seiner Geschicklichkeit im Vorlesen, Abschreiben, Rechnen und in der Musik, daß wir Lust bekamen, seine Waare in Augenschein zu nehmen. Dorylas (so nannte er den Sklaven) wurde also vorgeführt. Lais stutzte, glaube ich, nicht weniger als wir beide, da wir einen schlanken, zierlich gewachs'nen Jüngling mit einer edlen Gesichtsbildung, großen funkelnden Augen und goldgelbem dichtgelocktem Haupthaar, vor uns sahen, etwas bräunlich aber frisch und rosig von Farbe, kurz, einen jungen Menschen von neunzehn oder zwanzig Jahren, den Euphranor auf der Stelle zum Modell eines von den Mantineern bei ihm bestellten Hermes erwählte. Der junge Mensch schien beim Anblick seiner künftigen Gebieterin nicht weniger betroffen, als wir bei dem seinigen, und machte (unfreiwillig oder absichtlich) eine Bewegung, wie einer der unversehens von einem Blick in die Sonne geblendet wird. Ich beobachtete ihn von diesem Augenblick an scharf, und konnte mich kaum erwehren, den ganzen Handel verdächtig zu finden. Du nennst dich Dorylas? fragte ihn Lais, mit einem Blick, der mir ähnliche Zweifel[387] zu verrathen schien. Er bejahete es mit sittsam niedergeschlagenen Augen. – »Woher bist du gebürtig?« – Ich weiß es nicht; meine Erinnerungen reichen nicht so weit zurück. Ich war noch Kind, als ich meinen Eltern geraubt wurde. – »Du bist im Vorlesen geübt?« – Wenigstens hatte ich einen berühmten Lehrmeister. – »Und dieser Mann hier hat dich erzogen?« – Ich kaufte ihn (fiel der Sklavenhändler ein) bloß in der Absicht, ihn, wenn er erwachsen und gehörig ausgebildet seyn würde, mit einem ansehnlichen Gewinn an irgend eine Herrschaft, die einen solchen Sklaven zu schätzen wüßte, wieder zu verhandeln. – »Was forderst du für ihn?« fragte Lais mit ihrer gewöhnlichen Raschheit. – Einen sehr mäßigen Preis in Betracht dessen was er werth ist; nicht mehr als dreitausend Drachmen: aber davon geht auch kein Triobolon ab. – Der Handel wurde auf der Stelle geschlossen, der Verkäufer ausgezahlt, und der schöne Dorylas in das Amt eines Vorlesers seiner neuen Gebieterin eingesetzt. Aber, sagte sie lachend, indem sie sich gegen mich und Euphranor wandte, woher wissen wir daß er lesen kann? Billig hätten wir ihn vorher prüfen sollen. Ich glaube daß ich ihr mit einem unfreiwilligen Achselzucken antwortete. Auf alle Fälle, sagte Euphranor, bitte ich mir zur Gnade von dir aus, ihn zum Modell für eine Gruppe des jungen Achilles156 und der schönen Tochter des Fürsten Lykomedes von Skyros zu nehmen, die ich eben in der Arbeit habe. – Sehr gern, wenn du ihn dazu gebrauchen kannst, versetzte sie lachend, vermuthlich um die plötzliche Röthe zu verhehlen, die über ihr ganzes Gesicht hin loderte. Zufällig lag ein Anakreon auf einem Tischchen.[388]

Ich schlug die Ode an den Maler seiner Freundin auf, und sagte zu Lais: gefällt es dir etwa, deinen Vorleser eine kleine Probe seiner Kunst machen zu lassen? – Wie du willst, erwiederte sie gleichgültig. Sobald Dorylas vernahm, wovon die Rede war, bat er sich eine gestimmte Cither aus, und sang uns das Lied mit einer ziemlich angenehmen Stimme, nach der bekannten Melodie von Antigenidas, indem er sich selbst auf der Cither begleitete. Lais schien mit den Talenten ihres neuen Hausgenossen sehr zufrieden zu seyn; sie empfahl ihn ihrem Hausverwalter und winkte ihm abzutreten. Es erfolgte eine kleine Stille. Da habe ich nun einmal wieder in der Laune des Augenblicks eine Thorheit begangen, sagte sie mit einer ziemlich merklichen Bemühung, ihrer Miene mehr Unbefangenheit zu geben als sie sich bewußt seyn mochte. Vielleicht ein gutes Werk, versetzte ich; der junge Mensch scheint mir nicht zu seyn wofür er dir gegeben wurde. »Wie so, Learch?« – Ich sollte denken es fiele sogleich in die Augen, daß er weder das Aussehen noch den Anstand eines Sklaven hat, sagte ich. – Ich kann eben nichts Besonder's an ihm sehen, erwiederte sie, abermals erröthend. – Du hast diesen Morgen vergessen Roth aufzulegen, liebe Lais; auch wär' es sehr überflüssig gewesen, da die schönsten Rosen freiwillig auf deinen Wangen blühen. – Learch ist heute sehr scherzhaft, sagte sie zu Euphranorn: aber findest du wirklich, daß Dorylas in Weiberkleidern einen leidlichen Achill zu Skyros abgeben könnte? Wir wollen auf der Stelle die Probe machen. Sie rief ihrer Vertrauten. Sorge gleich dafür, Eudora, daß der Sklave, den ich so eben gekauft habe, in ein[389] Mädchen verkleidet und so schön herausgeputzt werde, wie es das Costume der Fürstentöchter in der heroischen Zeit erfordert, und führe ihn dann in die große Rosenlaube. Das Mädchen eilte hinweg, Lais fing von andern Dingen zu reden an, und wir folgten ihr in den Garten. Nach einer Stunde erschien die Vertraute mit dem verweiblichten jungen Achill an der Hand, welcher seine Rolle für einen Anfänger nicht übel spielte, und sich seiner Vortheile in dieser Verkleidung sehr wohl bewußt zu seyn schien. Die Mädchen hatten ihn prächtig herausgeputzt, und Euphranor schwur bei allen Göttern, so müßten die Atalanten, Deianiren und Penthesileen der Heldenzeit ausgesehen haben. Da sagst du ihnen eben nichts sehr Schmeichelhaftes, versetzte Lais; aber die Frage ist, ob du ihn noch zum Modell deines verkleideten Achills nehmen willst? – Ich wünsche mir kein besseres, sagte der Künstler; und du, Dorylas, hast gar nicht nöthig so trotzige Gesichter zu schneiden; das Wahre ist, daß du wie Achill aussehen mußt ohne es zu wissen. – »Aufrichtig zu reden. Euphranor, wenn der junge Achill in Frauenkleidern einem Mädchen nicht ähnlicher sah, so hätte es des erfindungsreichen Odysseus nicht bedurft, um ihn aus den Gespielen der Deidamnia heraus zu wittern.« – Indem Lais dieß in einem spöttelnden Ton sagte, bemerkte ich sehr wohl, daß ihre großen Augen, mit einem Ausdruck den ich noch nie darin gesehen hatte, auf dem schönen Dorylas verweilten; und daß die vorgebliche Pyrrha nicht ermangelte, die ihrigen in einer Sprache antworten zu lassen, deren Sinn der scharfsichtigen Lais nichts weniger als unverständlich seyn konnte.[390]

Als Dorylas wieder entfernt worden war, konnt' ich mich nicht enthalten, ihr noch deutlicher als ich schon gethan hatte zu sagen, daß mir der Sklavenstand des jungen Menschen verdächtig vorkomme, und daß irgend ein sonderbares Geheimniß hinter dieser Sache stecken müsse. – Ich fange selbst zu vermuthen an, sagte Lais, daß ich für meine dreitausend Drachmen einen albernen Kauf gethan habe. Und doch seh' ich nicht, was der junge Mensch, wenn er etwas Besseres wäre, für ein Vergnügen daran finden könnte, sich mir für einen Sklaven verkaufen zu lassen. – Wenn es nicht eine Art von Liebeserklärung ist, sagte ich, so wüßte ich auch nicht, was ihn dazu hätte bewegen sollen. – Du könntest mir mit deinen Grillen den ganzen Spaß verderben, erwiederte sie. – Da hättest du Unrecht, schöne Lais, sagte Euphranor; gibt es denn nicht der schönen jungen Sklaven bei Tausenden in Griechenland? oder ist es so unerhört, daß man einem jungen Sklaven, den man zu etwas Besserm als gemeinen Knechtsdiensten bestimmt, eine Erziehung gibt, die ihn über andere seines Standes erhebt? – »Das Lustigste wäre, wenn mein Vorleser am Ende nicht lesen könnte. Da hätt' ich freilich seine gelben Locken und seine Achillesmiene ein wenig zu theuer bezahlt. Indessen, wenn Euphranor ihn als Modell gebrauchen kann, bleibt mir doch das Verdienst, etwas zum Wachsthum der Künste beigetragen zu haben. Der einzige Achill im Frauengemach der Tochter Lykomeds, den du aus ihm machen willst, wäre die Summe, die ich für das Modell gegeben habe, zwiefach werth.«

Sie lenkte nun das Gespräch auf etwas anders, und in[391] den nächstfolgenden Tagen war keine Rede mehr von Dorylas. Doch erfuhr ich von unsrer gemeinschaftlichen Vertrauten: Dorylas habe am dritten Morgen seiner Anstellung, während Lais sich unter den Händen ihrer Aufwärterinnen befand, zur Probe seiner Kunst ein Stück aus Xenophons Symposion vorlesen müssen; er habe sich aber, entweder aus Zerstreuung, oder Mangel an Sinn für die feinsten Schönheiten dieses Meisterstücks von Attischer und Sokratischer Urbanität, nicht zu seinem Vortheil aus der Sache gezogen. Es hätte ihr gedäucht, als ob Lais wenig auf die Vorlesung Acht gebe; und da sie, sobald sie sich mit ihrer Gebieterin allein gesehen, sich über die Ungeschicklichkeit des neuen Vorlesers ein wenig lustig gemacht, habe Lais etwas trocken versetzt: Dorylas scheine noch schüchtern zu seyn, und, anstatt unzeitigen Tadels, vielmehr Aufmunterung nöthig zu haben. Am folgenden Tage sey eine ziemlich lange Unterredung ohne Zeugen zwischen Lais und Dorylas vorgefallen. Ihre Gebieterin habe, wider ihre Gewohnheit, sich nichts davon gegen sie verlauten lassen, sey aber den ganzen Abend etwas finster und einsylbig gewesen, und habe sich eher als sonst in ihre Schlafkammer eingeschlossen.

Zufälligerweise mußte sich's treffen, daß mich um diese Zeit ein unverschiebliches Geschäft nach Argos rief, und beinah' einen ganzen Monat da zu verweilen nöthigte. Nach meiner Zurückkunft glaubte ich unsre Freundin sehr verändert zu finden. Es däuchte mich als ob sie in Verlegenheit sey, etwas vor mir zu verbergen, das sie mir gern entdeckt hätte, wenn sie nur mit sich selbst einig werden könnte, wie sie anfangen[392] und wie weit sie gehen wolle. Zwischen so vertrauten Freunden, wie wir seit geraumer Zeit waren, konnte ein solcher Zwang nicht anders als peinlich, und also von keiner langen Dauer seyn. Wiewohl sie sich geflissentlich hütete allein mit mir zu seyn, fand ich endlich doch Gelegenheit, sie in einem abgelegenen Plätzchen ihres Gartens zu überraschen, und sie dahin zu bringen, daß sie sich des Geheimnisses, wovon sie gedrückt zu werden schien, gegen mich entledigen mußte. Ich bin in der Kunst zu erzählen so wenig geübt, daß ich dir lieber den Dialog, der sich nun zwischen uns entspann, in seiner eigenen Form, so getreu als mir möglich ist, mittheilen will.

Lais. Ich habe dir seltsame Dinge zu entdecken, Learch. Du hast richtig vermuthet; Dorylas ist nicht, wofür er sich von dem Sklavenhändler ausgeben ließ. – Hier hielt sie inne, als ob sie erwarte daß ich ihr weiter fort helfen sollte.

Ich. Und wie machte sich diese Entdeckung?

Lais. Höre nur, wie es damit zuging. Ich hatte ihn an einem Morgen auf mein Zimmer rufen lassen, um mir, während meine Mädchen sich mit meinem Kopfputz und Anzug beschäftigten, Xenophons Gastmahl vorzulesen. Er las ziemlich schlecht, aber, wie mich dünkte, weniger aus Ungeschicklichkeit, als weil er sich nicht bezwingen konnte, statt auf sein Buch zu sehen, alle Augenblicke nach mir hinzuschielen, wiewohl dafür gesorgt war, ihm alle Versuchungen zu einer solchen Zerstreuung so viel möglich zu entziehen. Aber seine Ohren schienen eben so scharf zu hören als seine Blicke einzudringen, und die leiseste Bewegung irgend einer Falte an meinem[393] Gewand erregte seine Aufmerksamkeit. Dieß brachte mir deine Zweifel wieder in den Sinn, und ich beschloß, mich ohne Verzug ins Klare zu setzen. Ich ließ ihn unversehens zu mir in den kleinen Saal am Ende des Gartens holen, und befahl ihm sich mir gegen über zu setzen. Er gehorchte, erhob sich aber sogleich wieder als ob er sich plötzlich besonnen hätte, und blieb, die Arme über die Brust geschränkt, mit gesenktem Haupte vor mir stehen. Höre auf eine übel gelernte Rolle zu spielen, sagte ich: du bist nicht wofür du dich ausgegeben hast. – Er schien bestürzt. Wie kann meine Gebieterin glauben, stotterte er und hielt inne. – Die Rede ist nicht von dem was ich glaube, sondern was ich sehe. Noch einmal, wer bist du? und wie kommst du dazu, dich durch eine so unbesonnene List in mein Haus einzustehlen? – Ich weiß nicht, ob meine Augen die Härte und den strengen Ton meiner Worte Lügen straften; genug, er warf sich mir zu Füßen, umfaßte meine Kniee, und bat mit Thränen in den Augen, ihm einen jugendlichen, beinahe unfreiwilligen Frevel zu verzeihen, den er allzuschwer büßen müßte, wenn ich ihn mit meiner Ungnade bestrafen wollte. – Wer bist du also, wenn du nicht Dorylas bist, sagte ich in einem mildern Ton, indem ich ihm befahl aufzustehen, und den Platz zu nehmen, den ich ihm gewiesen hatte. Und nun erfolgte ein umständliches Bekenntniß, woraus ich zu vernehmen hatte: daß er der jüngste von sechs Brüdern aus einer edeln Thessalischen Familie sey; während meines Aufenthalts zu Larissa sey er außer Landes gewesen, habe aber bei seiner Zurückkunft ganz Thessalien meines Ruhmes so voll gefunden, daß er dem[394] Verlangen mich selbst zu sehen nicht habe widerstehen können. Er habe sich also, von einem einzigen Diener begleitet, zu Pferde auf den Weg gemacht, sey aber in einem Hohlwege des Berges Cithäron von Räubern überfallen worden, die ihn, nachdem sein Diener in seiner Vertheidigung das Leben verloren, beraubt und ausgezogen hätten. Da er nun in dem Aufzug eines Bettlers keinen Zutritt zu mir habe hoffen können, sey er auf den verzweifelten Entschluß gekommen, sich einem Thespischen Sklavenhändler unter der Bedingung anzubieten, daß er ihn unverzüglich nach Korinth führen und an die schöne Lais verkaufen sollte. Meine Absicht war (fuhr er fort) sobald ich in deine Gegenwart gekommen seyn würde, mich dir zu entdecken; aber es erfolgte was ich hätte vorher sehen sollen: dein erster Anblick machte mich auf ewig zu deinem Sklaven, wenn du mich auch nicht gekauft hättest; und der Gedanke, dir als wirklicher Sklave anzugehören, in deinem Hause zu leben und des Glücks dich anzuschauen vielleicht täglich gewürdiget zu werden, wirkte mit einem so unwiderstehlichen Reiz auf mein Gemüth, daß es mir schlechterdings unmöglich war meinen ersten Vorsatz auszuführen. Ich fühle nur zu sehr wie strafbar ich bin – und unterwerfe mich jeder Züchtigung die du mir auferlegen willst; nur die Verbannung aus deinen Augen würde eine unendlichemal grausamere Strafe seyn, als wenn du mir mit eigener Hand den Tod gäbest. – Ich sagte ihm: wie er hoffen könne, nach einem solchen Geständniß nur einen Tag länger in meinem Hause geduldet zu werden? – Das hoffe ich allerdings von deiner Großmuth, versetzte er in einem mehr zuversichtlichen[395] als bittenden Ton. Ich bitte nur so lange darum, bis die Unterstützung, die ich von meiner Familie bereits begehrt habe, angelangt seyn wird. Ich bin gewiß daß meine Brüder mich nicht verlassen werden. Warum solltest du mir auf so kurze Zeit deinen Schutz versagen? Mein Geständniß hab' ich nur dir gethan. In deinem Hause bin ich ein von dir erkaufter Sklave; deine Hausgenossen wissen nichts anders; und wofern du auch die Güte hättest mich täglich um dich zu dulden, so würde – So würde, fiel ich ihm in die Rede, da er das folgende Wort nicht gleich finden zu können schien, so würde jedermann es sehr natürlich finden, meinst du? du hegest eine sehr bescheidene Meinung von dir selbst. – Die schlechteste, erwiederte er, wenn ich das Unglück habe, der göttlichen Lais zu mißfallen; die größte, wofern mir die Grazien hold genug wären, ihr gütige Gesinnungen für mich einzugeben. – Was hätte ich nun mit diesem Menschen anfangen sollen, Learch?

Ich. Verlangst du im Ernst es zu wissen?

Lais. Deine Meinung wenigstens.

Ich. Es ist nicht unmöglich, daß dir der junge Dorylas oder Pausanias nichts von sich gesagt hat, was er im Nothfall nicht beweisen könnte; aber, aufrichtig zu reden, er sieht mir einem ziemlich gefährlichen Abenteurer ähnlich.

Lais. Gefährlich? Mir gefährlich, Learch?

Ich. Wahr ist's, wenn die schöne Lais nicht berechtigt wäre, sich über die Schwachheiten ihres Geschlechts erhaben zu glauben, welche andere dürfte es? Und doch, wäre sie[396] auch der Göttin der Weisheit eben so ähnlich, als sie es der Göttin der Schönheit ist, so –

Lais. Ich erlasse dir den Nachsatz, lieber Learch! Die ganze Gefahr, wenn ja Gefahr seyn sollte, bestände dann doch nur darin, daß mir Pausanias gefallen, daß ich ihn wohl gar lieben könnte; und wo wäre da das große Unglück?

Ich. Darüber kannst du in der That allein entscheiden. Verzeih, wenn mich die wohlmeinende Freundschaft unbescheiden gemacht hat.

Lais. Das wirst du nie seyn, Learch – Aber deine Meinung, was ich hätte thun sollen, bist du mir noch schuldig.

Ich. Wenn du, z.B. dem schönen Dorylas, weil du doch schon zwei oder drei sehr gute Vorleserinnen hast, die Freiheit und die dreitausend Drachmen, die er dich kostet, geschenkt, und ihm beim Abschied noch eine Handvoll Dariken zur Wegzehrung mitgegeben hättest: so hätte er damit wohl behalten nach Hause kommen können, und jedermann würde gesagt haben, du hättest eine sehr großmüthige That gethan.

Lais. Aber du scheinst zu vergessen, Learch, daß hier nicht die Rede davon seyn kann, was jedermann davon denken und sagen würde; denn außer meinen Leuten weiß niemand von der Sache, und niemand hat sich auch um das Innere meines Hauswesens zu bekümmern. Ueber die Urtheile der Korinthier bin ich ohnehin schon lange weg, wie du weißt.

Ich. Allerdings! Ich hätte sagen sollen: du würdest, wenn du so mit dem vorgeblichen Pausanias verfahren wärest, sicher auf den Beifall deines eigenen Herzens haben rechnen können.

[397] Lais. Das wäre denn doch vielleicht noch die Frage. Uebrigens kann ich dir zu deiner Beruhigung melden, daß Pausanias im Begriff ist, mein Haus zu verlassen.

Ich. Er geht wieder von Korinth ab?

Lais. Das nicht; er bezieht nur eine eigene Wohnung; denn er gedenkt sich noch einige Zeit hier aufzuhalten.

Ich. Die Unterstützung von seiner Familie ist also glücklich angelangt? –

Ich besorge, Aristipp, ich sagte dieß in einem ironischen Tone; denn die arme Lais verfärbte sich, schien verlegen, und hatte Mühe ein paar Thränen, die ihr in die Augen schossen, zurückzuhalten. Sie mußte sich etwas bewußt seyn, das ihren Stolz demüthigte, und sie fürchtete vermuthlich, daß ich sie errathen hätte. Ich sah daß es hohe Zeit sey, einer Unterredung, welche beiden Theilen peinlich zu werden anfing, ein Ende zu machen. Mir ist lieb (sagte ich mit der unbefangensten Miene, und im gutmüthigsten Tone der mir möglich war), daß ich mich, wie es scheint, in meiner Meinung von diesem jungen Menschen geirrt habe; und in der That hätte ich besser gethan, mich auf den feinen Ahnungssinn, der deinem Geschlecht eigen ist, zu verlassen, und dem Sokratischen Glauben, daß ein schöner Leib für eine schöne Seele bürge, mehr Gehör zu geben, als meinem Argwohn. Da der junge Pausanias sich hier zu verweilen gedenkt, so wird es mir nicht an Gelegenheit fehlen, besser mit ihm bekannt zu werden, und ich will nicht zweifeln, er werde sich der Nachsicht, die du mit seiner jugendlichen Unbesonnenheit getragen hast, durch seine Aufführung würdig zu zeigen suchen.[398]

»Wir sind (erwiederte sie mit einem erzwungenen Lächeln) ich weiß nicht recht wie, in einen ernsthaftern Ton gerathen als die Sache zuläßt, und du kannst mir nicht übel nehmen, guter Learch, wenn ich dich bitte, die allzu ängstlichen Besorgnisse, worin ich dich meinetwegen sehe, auf den Fall zu sparen, wo etwa ein Mädchen von sechzehn Jahren vor Schaden gewarnt zu werden nöthig hat.«

Und hiermit endigte sich die letzte vertrauliche Unterredung, die ich mit der schönen Lais zu pflegen Gelegenheit gehabt habe. Wir schieden zwar, dem Ansehen nach, als gute Freunde von einander; aber ich habe sie, von diesem Tag an, immer seltner und nie wieder allein gesehen.

Inzwischen erfuhr ich von ihrer Vertrauten: Lais habe, wenige Tage nach ihrer ersten Unterredung mit dem vorgeblichen Dorylas, diesen unter seinem wahren Namen für frei erklärt, und zugleich in ihrem Hause bekannt werden lassen, daß er aus einem der vornehmsten Thessalischen Geschlechter stamme, von welchem sie, während ihres Aufenthalts in diesem Lande, mit so vielen Verbindlichkeiten überhäuft worden sey, daß sie nicht umhin könne, sich derselben bei dieser Gelegenheit zu entledigen. Seit dieser Zeit komme Pausanias (die Morgenstunden des Putztisches ausgenommen) den ganzen Tag nicht von ihrer Seite, speise mit ihr, und sey bereits allen, mit welchen sie noch in einiger Verbindung steht, von ihr vorgestellt worden. Sie gebe vor, ihn schon zu Larissa gekannt und mit seinen Verwandten in freundschaftlichen Verhältnissen gestanden zu haben; woraus sich dann von selbst erkläre, warum Pausanias, nach dem Unfall der ihn auf dem Cithäron[399] betroffen, seine Zuflucht zu ihr genommen habe. Uebrigens werde der junge Thessalier unvermerkt immer lebhafter, freier und zuversichtlicher, und entfalte tagtäglich irgend ein neues Talent; denn er sey ein großer Reiter, Springer, Tänzer, Jäger, Vogelsteller, Fischer, und Lustigmacher oben drein, und Lais scheine von der Gewandtheit und Artigkeit, die er bei allen diesen Uebungen zeige, und überhaupt von seiner ganzen Person so bezaubert zu seyn, daß sie sich zusehends erheitere und verjünge, ja wohl gar (ohne sich's vermuthlich bewußt zu seyn) nicht selten, wiewohl immer mit aller ihr eigenen Grazie, in die naive Fröhlichkeit eines Mädchens von sechzehn zurückfalle. Bei allem dem scheine sie ihren jungen Freund, der ganz öffentlich den feurigsten und hoffnungsvollsten Liebhaber mit ihr spiele, so kurz als möglich zu halten, und jede Gelegenheit mit ihm allein zu seyn, oder von ihm überrascht zu werden, aufs sorgfältigste zu vermeiden; und daher habe sie auch geeilt, ihm ohne Aufschub ein eigenes schönes Haus, in der Nähe des ihrigen, aussuchen, miethen und prächtig einrichten zu lassen. Daß alles auf Kosten ihrer Gebieterin gehe, daran sey kein Zweifel; denn man wisse bereits zuverlässig, daß seine Familie von keiner Bedeutung in Thessalien sey, und daß er sein kleines Erbtheil schon zu Athen, wo er sich zuletzt aufgehalten, mit Rennpferden, Banketten und Hetären, bis auf den letzten Heller aufgezehrt habe.

Dieß, lieber Aristipp, ist alles (und für einen so warmen Freund der schönen Lais schon zu viel) was ich dir bis jetzt von diesem neuen Abenteuer berichten kann. Ich überlasse[400] dir selbst was davon zu denken ist. Immer ist es seltsam genug, daß diese allgewaltige Männerbeherrscherin, welche, während sie zwanzig Jahre lang alle Welt bezauberte, ihrer selbst immer mächtig blieb, eine so lange behauptete Freiheit noch in ihrem vierzigsten an einen jungen Thessalischen Glücksritter157 verlieren soll, der unter allen, die jemals Anspruch an sie machten, gerade der unwürdigste ist, und (wie ich sehr besorge) nicht sowohl nach ihrem Herzen als nach ihrem Geldkasten trachtet. Sollte sich nicht sogar, wer nie an etwas Dämonisches geglaubt hat, von einem solchen Beispiele genöthigt fühlen, zu glauben daß es unholde schadenfrohe Dämonen gebe, die uns zwingen auf den Köpfen zu tanzen und wider Willen tausend Thorheiten zu begehen, bloß um sich selbst Stoff zum Lachen zu verschaffen? – Es wäre denn, daß Xenophons zweierlei Seelen in einer und eben derselben Person hinlänglich wären, uns solche widersinnische Erscheinungen begreiflich zu machen. Doch was kann es uns nützen, die Ursache eines Uebels zu wissen, dem nicht zu helfen ist? Die unwürdige Leidenschaft, worin sich unsre arme Freundin verfangen hat, ist, wie ich fürchte, ein Uebel dieser Art; – wiewohl ich dich damit nicht abgeschreckt haben will einen Versuch zu machen, da du billig mehr über sie vermögen solltest als ich. Auf alle Fälle werde ich nicht ermangeln, dir vom weitern Verlauf dieses sonderbaren Liebeshandels mit der ersten Gelegenheit Nachricht zu geben.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 378-401.
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