Bentheim.

Ich rufe mir gern den Abend ins Gedächtniß zurück, als ich nach einer lästigen und langweiligen Reise über die westphälische Haide hinter Osnabrück, mich im Städtchen Bentheim, an der Grenze von Deutschland und Holland, eine halbe Nacht ausruhte. Es war ein lieblicher, elfenartiger Mondschein im Frühjahre 1831; der Postillon fuhr mich halb im Schlafe die dunkle Schlucht nach Bentheim hinunter, zu gleicher Zeit blies er einige schlaftrunkene Stoßseufzer auf seinem Horn – es klang mir, wie


Schlaf' wohl mein liebes Deutschland,

Liebes Deutschland, schlaf' wohl.


Die Bentheimer hatten schon ihre Lichter ausgethan und sich aufs Ohr gelegt. Aber im Posthause gab es noch muntere Leute. So eben war ein russischer Feldjäger nach dem Haag durchgegangen, und der Postmeister dampfte noch von[1] den neuesten Nachrichten, die er vermuthlich aus dem Felleisen herausgerochen. Er nöthigte mich sehr artig in sein Haus. Im Hintergrunde der hohen westphälischen Scheundiele brannte lustiges Feuer, rings herum saßen am Spinnrade der Frau Postmeisterin Mägde mit feldbraunen Gesichtern und westphälischen Schinkenhüften, dicht an der Flamme kauerte ein altes Weib, die einen Faden spann, der immer zerriß, und eine Gespenstergeschichte erzählte, die ihr böser Husten alle Augenblicke unterbrach.

Müde und zerstoßen, wie ich war, ließ ich mir ein Zimmer geben, um einige Stunden zu schlafen. Allein ich konnte kein Auge zuthun. Ich stand daher wieder auf und machte einen Spaziergang im Freien, der mich aus Bentheimer Schloß führte. Die Natur hat bei Bentheim einen Fels hingeworfen, die alten Grafen von Bentheim haben sich darauf feudaliter eingerichtet, und ihre Unterthanen, die treuen Bentheimer, haben sich unten im Thal angesiedelt und machen seit uralters Pergament. Gute Deutsche, die Bentheimer, obgleich sie an der Grenze wohnen. Sie machen Pergament – Schuhleder für die Pfauenfüße des deutschen Hochmuthteufels.

Das alte Schloß von Bentheim ist massiv und fest gebaut. Ich erinnerte mich aus der Zeit,[2] als ich Heinrichs deutsche Reichsgeschichte las, daß die von Bentheim sich oft hinter diesen Mauern und Thürmen vertheidigt. Sonst kenne ich die Geschichte derer von Bentheim nicht ganz genau; ich glaube, sie sind aus Grafen zu Fürsten promovirt. Aber das Wappen über ihrem Schlosse vergesse ich in meinem Leben nicht. Es war ein hochgewölbter, blaustählerner Schild, im Mittelfelde ein silberner Halbmond, rings zerstreut funkelnde Sterne, Alles in natürlicher Größe und fast übernatürlichem Glanze. Eine schöne Nacht. Der Mond spiegelte sich in den Bogenfenstern des Schlosses, und vor dem Thor stand ein Bentheimer Schildwache. Ein bentheimer Soldat ist an sich schon keine geringe Merkwürdigkeit, wenn man bedenkt, daß die flora Soldatesca Benthemiana eine der seltensten Gewächse in Europa ist und kaum ein Dutzend Exemplare davon auf diesem Felsen krüppeln.

Aber der oben schildernde Bentheimer hatte in meinen Augen noch einen besondern und fast rührenden Reiz. Es war ein alter Mann, er sah so alt, so grau, so mährchenhaft aus im Mondschein, daß ich ihn Anfangs für das Gespenst der deutschen Reichsarmee hielt, die der alte Fritz im siebenjährigen Kriege in die Pfanne hieb. Dann dachte ich wieder, er lebt noch und erwartet nur, als ein[3] treuer Soldat, den Tod auf seinem Posten. Er kreuzte seine Arme über seinem Schießgewehr, dessen rothverrosteter Lauf keinen Strahl des Mondes mehr auffing, eben so wenig wie seine Augen, die unter langen grauen Wimpern klein und blind in den Nachthimmel hinausstarrten. Er suchte dort oben etwas, oder er sah etwas, vielleicht sah er den Himmel offen, den lieben Gott, mit Caroli Magni Bart und Scepter, sitzen auf kaiserlichem Thron, an seiner Seite die Paladine des Reichs, die Erzengel, den Erzmundschenken, die apostolischen Nuntien St. Peter, St. Paul u.s.w. auf der Himmelswiese die Reichsarmee der Seligen, die seligen Reichsbürger und den ganzen seligen Pöbel, hier und da einhauende Cherubime, welche im Himmel als Polizeibeamte angestellt sind. –

Denn, Lavater, in seinen »Aussichten in die Ewigkeit« mag sich die Sache vorstellen, wie er will, ich behaupte, daß die Polizei im Himmel eben so nöthig, wie auf Erden und vielleicht noch nöthiger ist. Der Bauer, ich will nur von Bauern sprechen, ist weder gewöhnt an den himmlischen Müssiggang seines Pfaffen, noch an den weltlichen seines gnädigen Herrn, und man weiß, wie er's treibt, wenn er hier unter dem Mond an Sonn- und Festtagen nur ein bischen selig ist.[4]

Dort oben aber, wo er einen ewigen Sonntag feiert, wo er nicht mehr pflügt und drischt, nicht mehr schwitzt und keucht, nicht mehr geplackt und geschunden wird, dort oben, meine ich, wird er vor Seligkeit sich kaum zu lassen wissen. Gnade Gott, wenn sein gnädiger Junker ihm in den Wurf kommt, er macht ihn selbst im Himmel todt; daher auch jener mecklenburgische Edelmann vom lieben Gott sich einen gesperrten Sitz im Himmel ausbat.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 1-5.
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