Politische Zukunft.

[126] Nach den Zeitungen, besonders nach der Zeitung von Breda und dem Journal de la Haye, nach der beständigen Opposition der holländischen Deputirten gegen die belgischen, so oft diese auf eine zeitgemäße Constitution drangen, ferner nach der Wuth, womit die holländische Nation über das constitutionelle Belgien herfiel, nach den Reden der Holländer über Louis Philipp, die Julitage, die Franzosen und ihre Constitution, nach dem Umstande, daß man in holländischen Kaffeehäusern nur selten liberale französische Blätter antrifft und die Gazette de France diejenige Pariser Zeitung ist, die am meisten in Holland gelesen wird, endlich, nach der Sprache, die sie über den Aufstand der Polen führten und hauptsächlich nach dem Eifer, womit sie die Ansprüche ihres souverainen Königs auf Belgien unterstützten, nach allem diesen sollte man auf den Gedanken gerathen, daß[127] das Princip der legitimité und souverainité unter keinem Volk tiefere Wurzeln geschlagen, als unter den Holländern und daß gleichsam ihr Haß gegen das constitutionelle Nachbarland sich in Haß gegen alle Constitution verwandelt hat.

Allein ich kenne die Holländer zu gut, um ihnen dies Unrecht anzuthun. Noch ist er im Rausche, aber er wird sich bald die Augen ausreiben, und mit gewohnter Nüchternheit um sich her sehen. Er kann wohl, wie man gesehen hat, ein Raub der Leidenschaften, des Hasses und der Rache werden, allein nicht auf lange Zeit und kaum in dem Maße, daß er darüber seinen Vortheil ganz aus dem Gesicht verliert und – vielleicht schlägt ihm selbst der Krieg gegen Belgien besser zu Buch, als ich für meine Person einsehen und begreifen kann. Kein Volk ist mehr dazu geeignet, politische Freiheit in dem ganzen Umfange zu genießen, soweit Charakter und Sitte dieselbe zu genießen ihm wünschenswerth machen. Stolz auf seinen Ruhm und seine Geschichte ist er freimüthig, thätig, klug und immer für das, wobei ihm am, meisten herauskommt. Deswegen verjagte er in alter Zeit den König von Spanien, weil ihm, bei allem Glanz, den die Krone beider Indien auf die von ihr beherrschten Länder warf, kein rechter Segen wuchs.[128] Er besitzt durchaus keine Eigenschaften, welche auf die Dauer das Herz bethören und den Verstand gefangen nehmen. Er ist von Natur unempfänglich gegen den Witz, der den Franzosen besticht, wird nicht, wie dieser, vom Ehrgeiz angespornt und durch unruhige Träume von Schlachten und Kriegsruhm nicht in beständigem Zittern gehalten. Er hat keine Sinne, die sich bezaubern lassen, wie die Sinne des Italieners, der in der Kirche sich fromm, im Opernhause sich frei singen läßt. Er hat keine Phantasie, wie der Deutsche, die ihm Luftschlösser baut und ihm die wirkliche Welt vergessen macht, keine Phantasie, die, wenn es ihm erbärmlich geht, ihm zur Unterhaltung schöne Geschichten und Mährchen erzählt, die ihn speist, wenn ihn hungert, die ihn tränkt, wenn ihn dürstet, die ihn tröstet, wenn er klagt, die ihn zum Gott macht, wenn er ein Narr ist, zum freisten Menschen und wär' er in Ketten geboren, und also in summa, die ihm, wie dem Deutschen, Alles in Allem wäre. Dunkle Empfindungen, schöner oder häßlicher Art sind ihm fremd. Selbst die Liebe ist ihm, als Jüngling, keine Träumerei, kein Geheimniß, keine Idiosynkrasie des Gefühls, sondern eine Sache, die ihre guten Gründe hat, gleichwie der Haß, den Zwedenborg eine umgekehrte Liebe nennt, der ihm auch nicht[129] auf dunklem Grunde ruht und dem er sich eben so wenig aus einem bloßen Zuge der Natur, einer unerklärlichen Abneigung überläßt, als der Liebe, woher man auch von einem Nationalhaß der Holländer gegen die Belgier nicht in dem Sinne sprechen kann, wie man z.B. vom Nationalhaß der Dänen gegen die Schweden und umgekehrt spricht.

Kurzum, der Holländer hat Hörner, aber es hält schwer, ihm ein Seil um die Hörner zu werfen.

Man merke auf, wenn die Geschichte mit Belgien vorüber ist und sie wieder zur Ruhe kommen. Ich prophezeie lebhafte Debatten in den Kammern. Verantwortlichkeit der Minister, Abschaffung der ersten Kammer, volksthümlicheer Wahlgesetze werden die drei großen Gegenstände sein, worüber das Volk, die Zeitungen, die Schriftsteller und insbesondere die dem Volke angehörigen Deputirten der zweiten Kammer ihre Stimmen erheben werden. Der Hof, der Adel wird sich steifen, allein, es kann nicht fehlen, sie werden sich überzeugen, daß die französische Revolution, die Julitage, die Brüsseler Kammer, das kurze Kriegsspiel selbst, das die junge Mannschaft von Holland zu den Waffen rief und Bürgerliche und Adelige durcheinander mischte in den Grenzlagern, aus Holland ein ganz anderes Land gemacht haben,[130] als dasselbe zu den Zeiten der sogenannten Republik unter den Statthaltern war.

Schon jetzt hört man mehr als eine Stimme aus dem Volk, die laut und frei die Mängel und Uebelstände in der Verfassung rügt, Verbesserungen vorschlägt und in diesen gar nicht selten Ideen entwickelt, die ans Republikanische streifen und mit dem in Europa neuerdings ausgeprägten Begriff von constitutioneller Monarchie in Mißverhältniß stehen. »Aber so werden wir wieder eine Republik!« läßt einmal bei solcher Gelegenheit ein neuerer Schriftsteller seinen Leser ausrufen. »Nun,« antwortet er, »nun, wir Holländer werden doch nicht in Schreck gerathen über einen Namen, der unsere Vorväter berühmt gemacht hat.«

Derselbe beginnt dieselbe Schrift, die den Titel führt: »Niederlands Bedürfniß einer besseren Staatsverfassung« mit folgenden Worten, die mein Capitel schließen mögen:

»Was ist es doch,« ruft er aus, »daß ganz Holland zur Stunde der Gefahr um den Thron sich drängte, und so viele und so ansehnliche Opfer dargebracht hat. Ist es unsere Zufriedenheit mit dem sogenannten Grundgesetz und der an dieses geknüpften Staatseinrichtungen. Fühlten wir uns dabei so wohl zu einer Zeit, wo andere Völker[131] ihre Regierungen mit Klagen und Beschwerden bestürmten?«

»Nein, wahrlich nicht!« gibt er zur Antwort, und ich glaube, er antwortet nicht allein für sich, sondern im Namen der Nation.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 126-132.
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