Orgelconcert.

Nicht lange nach meiner Ankunft besuchte ich ein Concert, das der Organist der französisch reformirten Kirche im Haag auf der Orgel zum Besten. gab. Heilige Cäcilie, welche Orgelei! Doch hielt ich es aus, der Merkwürdigkeit wegen, denn der Besuch war zahlreich und das Concert eigentlich veranstaltet für die braven jongelinge, die hinausgezogen in den Krieg fürs Vaterland, im Grenzlager siech geworden. Am Ende freute ich mich, daß ich geblieben war, denn das versammelte Publicum gab mir Gelegenheit zu einer Beobachtung, die mich anfangs zwar überraschte, die ich aber bald in ihrem Zusammenhang mit dem holländischen Nationalcharakter für nicht weniger natürlich, als scherzhaft anerkannte. Man denke sich einen betagten holländischen Organisten, dessen Alter so ungefähr an die Sechziger streifen mag. Eben hat er uns die Ohren mit dem Gepfeiff und Geschnarr seiner[1] Orgel zerrissen und nun erhebt er sich und pflanzt seine ehrwürdige Gestalt kerzengerade auf dem Chor der Orgel auf und beginnt mit heiser zitterndem Baß ein patriotisches Lied in holländischer Sprache abzusingen. Es ist zum Todtlachen, wenn man den Alten nicht sieht – das ist wahr; aber nun betrachte man sein bloßes Gesicht, nun höre man die tiefe Rührung, die nicht zu verkennen, selbst den unerschütterlichen Tact, den er, es mag kommen, wie es will, beobachtet, so wird man gestehn, daß ein solcher Gesang mehr zum Mitleiden, als zum Spott aufzufordern geeignet sei. Nun denke man sich aber lebhaft den patriotischen Zweck des Concerts, Zuhörer, die einem Volk angehören, das sich mit ungewöhnlicher Leidenschaft und dem bittersten Ernste diesem hingibt, so wird man die Wirkung eines solchen Auftritts sich nicht leicht anders denken, als eine unangenehme, verstimmende, der man sich am Ende ganz einfach durch Weggehen entziehen wird, schwerlich aber als lächerliche und zur allgemeinen Heiterkeit stimmende; wie es in der That der Fall bei dem holländischen Publicum war. Die Frauen kicherten, die Männer scherzten und lachten und mein alter Cigarrenhändler aus Westeinde, der mit seiner jungen Frau hinter mir im Kirchstuhl saß, rieb sich vor Vergnügen die Hände und rief hoor de oude baas (hör den alten Knaster).[2] Est-il possible, rief mein Begleiter, Legationssecretair. Es ist weiter nichts, erwiederte ich, als daß wir den glücklichen Augenblick getroffen haben, den Holländer wieder einmal chez soi in seiner alten blauen Jacke zu sehn, worin er das spaßhafteste Wesen ist, das in Europa auf zwei Beinen geht.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 1-3.
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