Java und die Javanesen.

[55] Um das Unglück der Javanesen und ihren Schmerz in seiner ganzen Tiefe zu begreifen, muß man wissen, daß sie Nachkömmlinge eines alten gebildeten Volkes sind, das einst diese paradiesische Insel bewohnte und verschiedene mächtige Königreiche bildete. Sie sind im Besitz einer Art von Literatur, haben dramatische Spiele, geschichtliche Werke, Lieder des Kriegs und der Liebe, große Erinnerungen von Königen und Helden, steinerne Denkmäler, Ruinen, die durch ihren Kunststyl, ihre kolossale Anlage noch gegenwärtig den einsamen Forscher in Erstaunen setzen, das Herz der Eingeborenen mit wehmüthiger Trauer erfüllen. – Die heutigen Javanesen selbst sind ihrem Körperbau nach schlank und stark, regsam, sinnlich-poetisch von Geist, künstlich und zierlich in allerlei Handarbeiten, wie ich denn im Königlichen Museum im Haag unter andern die allerkünstlichsten Dolche und[56] Waffen bewundert habe, die nur wenige Stahlarbeiter und Waffenschmiede in Paris und London nachzuahmen im Stande sein möchten. Ihre Krieger sind gewandt, in Unternehmungen kühn und unermüdlich, voll unauslöschlichem Haß gegen die Unterdrücker ihres Volkes. Es ragen von Zeit zu Zeit Talente unter ihnen hervor, die sich Jahre lang gegen die holländischen Bajonette im Kampf erhalten, Haufen sammeln, die Gebirge flüchtig durchstreifen, siegen und geschlagen werden, überall und nirgends sind, dort immer am ehesten, wo man sie am wenigsten erwartet. Sie verspritzen ihr Blut für die Freiheit mit demselben Jubel, mit demselben Liebesleichtsinn wie – die Polen in Europa, auch mit demselben Erfolg. Alle ihre Unternehmungen hatten bisher ein tragisches Ende, und das nicht allein, weil sie der europäischen Taktik in offener Schlacht nicht gewachsen waren, sondern hauptsächlich, weil die Holländer unter ihren eigenen Fürsten den Samen der Verrätherei ausstreuten. Der letzte Aufstand ist erst seit kurzer Zeit gedämpft, einer der furchtbarsten, welche die Holländer zu bestehen hatten; er erfüllte die Regierung mit Schrecken und Besorgnissen. Auf die Dauer, so versicherte mir ein holländischer Arzt, der sehr lange auf der Insel gelebt hatte, müsse die Besitzung für Holland verloren gehn,[57] es bedürfe dazu nur noch zwei oder drei Stöße von der Natur des letzten. Wer wünscht nicht, daß dieses prophetische Wort recht bald in Erfüllung gehe, oder, wenn die Vorsehung es anders beschlossen und die ausgestorbene geschichtliche Lebenskraft dieser Insulaner und ganz Asiens nur durch europäischen Bildungssamen neu geschwängert werden kann, wer möchte nicht den Engländern oder Franzosen hundertmal lieber als den Holländern die Oberherrschaft über Java und die andern asiatischen Inseln wünschen. Scheinen doch namentlich die Engländer von der Vorsehung dazu bestimmt zu sein, um durch Uebernahme des Geschäftes großartiger Colonisationen die einst in grauester Vorzeit von Asiens Hochgebirgen, als ihrer Urwiege, ausgegangene, von dort in Europa eingedrungene, durch das Christenthum und die Völkerfreiheit eigenthümlich umgestaltete Bildung, nach einem vieltausendjährigen Kreislaufe über Länder und Meere nach Asien zurückzuführen. Wenigstens ist dies der große Gedanke, der mir oft das Herz erwärmt, der mir aber, sobald ich an die Stelle der Engländer mir die Holländer denke, sogleich als die bitterste Satyre erscheint. Der Britte – ich liebe ihn nicht – er ist stolz und ich liebe die Stolzen nicht – aber er trägt den Strahl der Humanität an seiner stolzen Stirn.[58]

Einen guten Anfang hatten die Engländer schon gemacht, wovon das schöne Werk des Sir Raffles, ehemaligen englischen Gouverneurs von Batavia, ein erfreuliches und ehrenvolles Zeugniß ablegt. Es handelt von Java, dem Lande, den Einwohnern, ihrer Geschichte, Literatur, Sitte und Lebensart und von den Einrichtungen, welche die englische Regierung zur Verbesserung ihres sittlichen und bürgerlichen Zustandes in der kurzen Zeit getroffen, zwei Bände in Quart, das ausführlichste Werk, das uns über Java aufklärt. Unter dem Vorsitz dieses verdienstvollen Mannes bildete sich außerdem eine Gesellschaft der Wissenschaften, deren Eifer man die reichste Ausbeute für die geologische, botanische, geschichtliche und statistische Kunde des Landes verdankt, Forschungen, die sich nicht allein auf Java beschränkten, sondern die sämmtlichen östlichen Inseln umfaßten und selbst bis nach Japan sich erstreckten. Auf Kosten und Veranlassung der Gesellschaft ward eine Reise durchs Innere von Java unternommen, welche über den Zustand desselben sehr schätzbare Aufklärungen gab. Nachstehende Resultate, die hauptsächlich die alten Denkmäler auf der Insel betreffen, in sofern diese selbst noch in ihrer Zerstörung die sprechendsten Beweise liefern von ehemaliger Macht und Pracht großer javanischer Reiche, theile ich nach dem am[59] 11. December 1815 gehaltenen Vortrag des Präsidenten willfährig meinen Lesern mit, ihre Theilnahme dafür stillschweigend voraussetzend.

Die Insel Java, sagt der Präsident, ist sechshundert englische Meilen lang und fünfundneunzig Meilen breit. Die geologische Natur der Insel scheint ausschließlich vulcanischen Ursprungs zu sein, ohne einige Mischung mit den Urfelsen des Festlandes. Java weicht von der Richtung Sumatra's und der Halbinsel Malacca östlich und westlich ab. Dieser Richtung folgen auch die größeren naheliegenden Inseln Bali, Sumbawa, Endi und Timor, so wie auch einige kleinere Inseln. Diese Richtung sowohl als auch die geologische Beschaffenheit aller genannten Inseln zeigt deutlich das Dasein eines ausgedehnten vulcanischen, mit dem Aequator beinahe parallel laufenden Schlundes in diesem Theil des Erdballs. Daher ist auch der Umstand erklärlich, daß, während Sumatra viele Metalle enthält, Java von denselben entblößt ist, dagegen Sumatra viele ausgedehnte völlig unfruchtbare Landstriche aufweist, während Java mit wenigen Ausnahmen einen durchgehends im höchsten Grade fruchtbaren, alle Gattungen des Pflanzenreichs in größter Ueppigkeit hervorbringenden Boden hat.

Bei dem ausgedehnten Thermometerstande[60] der Insel hat der Naturforscher wenigstens sechs verschiedene Flora's zu beobachten, welche in eben so viel verschiedenen durch die größere und geringere Erhöhung des Bodens über die Meeresfläche hervorgebrachten Climaten einheimisch sind.

Die größten Berge auf der Insel sind sieben bis achthundert Fuß über der Meeresfläche erhaben. Auf der höchsten Spitze des Berges Sindoro stand im Mai 1813 das Fahrenheitische Thermometer auf 36°, während der Nacht wechselte es zwischen 36 und 44°.

Wenn Java den Naturforschern eine so ausgedehnte und wunderbare Mannigfaltigkeit von Gegenständen darbietet, so findet der Alterthümler, der Philolog nicht mindere und selbst größere Seltenheiten in der Beschauung der glänzenden Ueberbleibsel alter Tempel und Städte, in Erforschung der Landessprache und Literatur und im Studium der Sitten und Gebräuche der Eingebornen.

Die ausgezeichnetsten jener Denkmäler finden sich zu Prambanam, Boro-Bodo und Singa-Sari. Der Ursprung dieser weitläufigen Ruinen ist im tiefsten Alterthum zu suchen und ohne Zweifel bezeichnen sie den Sitz der Könige, die in frühester Zeit über Java geboten. Ein gelehrter Forscher, der diese Ruinen kürzlich bereisete, drückt sich so darüber aus:[61]

Nichts gleicht dem traurigen Gefühl, das beim Anblick dieser Verwüstungsscenen sich dem Forscher aufdringt, wenn er über den Ursprung dieser einst bewunderten, jetzt verödeten Hallen nachdenkt. Hier zeigten sich in großer Vollkommenheit schöne Künste, deren Spur auf Java verschwunden ist; hier sieht man die Sinnbilder einer Religion, die in unsern Tagen kaum noch dem Namen nach dem Volk bekannt ist; hier erblickt man die unverkennbaren Spuren grenzenloser Thätigkeit, außerordentlicher Geschicklichkeit und Geduld; hier erkennt man in den noch lesbaren Inschriften den edlen Geist eines schönen Wetteifers und des Schutzes, der vormals den Künsten und Wissenschaften verliehen ward; hier sieht man den unerschöpflichen Reichthum an Hülfsquellen, welche Java in jenen Zeiträumen besaß. Nie sah ich solche erstaunungswürdige vollendete Beweise menschlicher Arbeiten und des verfeinerten Geschmacks der frühesten Zeit auf einen so mäßigen Raum zusammengedrängt.

Nächst den Ruinen von Prambanam sind die von Bodo die merkwürdigsten. Sie liegen im Bezirk von Boro. Der mit einer Kuppel verzierte Tempel von Bodo liegt am obern Theil eines schmalen Hügels und bildet ein regelmäßiges Viereck mit sieben Terrassen. An jeder Seite des Vierecks führt eine breite Treppe zu dem Eingange.[62] In abgesonderten Nischen oder vielmehr Tempeln, welche in den Mauern der Terrassen angebracht sind, befinden sich mehr als dreihundert Bildsäulen von Heiligen in sitzender Stellung, jede über drei Fuß hoch. Aehnliche Bildsäulen zieren die Kuppel des Tempels und an den äußern und innern Mauern sind Gruppen, welche geschichtliche Bilder und gottesdienstliche Festhandlungen vorstellen, in vortrefflicher halberhabener Arbeit angebracht. Sowohl die Gestalten, als die Trachten sind sichtbar indisch, und man ist zweifelhaft, ob man die Größe und Erhabenheit des ganzen Baues, oder die Schönheit, den Reichthum und die Sorgfalt der Bildhauerarbeiten am meisten bewundern soll. Die Aehnlichkeit der Namen und Gestalten, mit denen des Gottes Budha hat zu der Vermuthung geführt, diese Tempel wären ausschließlich seinem Dienst gewidmet gewesen; allein zur Widerlegung dessen mag dienen, daß in benachbarten kleinen Tempeln noch eine Menge Bildhauerarbeiten und Bildsäulen sich befinden, welche offenbar dem Dienst des Brama angehören. Vielleicht gab es auch eine Zeit, wo beide Gottheiten zugleich verehrt wurden.

Auch zu Singa Sari im Bezirk von Pasaruan gibt es merkwürdige Ruinen, welche trefflich gearbeitete Bildsäulen des Brama und anderer[63] Gottheiten enthalten. Nicht minder sehenswerth ist in einem andern Bezirk eine kolossale Statue eines auf den Knien liegenden Mannes, zwölf Fuß lang und zwischen den Schultern neun und einen halben Fuß breit, mit verhältnißmäßigen Anständen der übrigen Körpertheile von einander. Diese Bildsäule scheint von einer benachbarten Terrasse herunter gestürzt zu sein, obwohl es schwer zu begreifen, wie sie ohne mechanische Hülfsmittel, deren Kenntniß man für jene Zeit, woraus die Bildsäule stammt, kaum voraussetzen kann, auf die Höhe der Terrasse gebracht werden konnte. Eine zweite Figur vom nämlichen Umfang, hat man neuerlich in der Nähe der ersteren aufgefunden. Ohne Zweifel wird man, nach Aushauung des nahen dichten Waldes, Spuren des Tempels finden, zu welchem diese beiden Bildsäulen anscheinend den Zugang bildeten. Unweit Singa Sari, wo vor Alters der Sitz des Reiches sich befand, und im Bezirk von Malang sind ebenfals sehenswürdige Ruinen von Tempeln ähnlicher Bauart und Verzierung.


Alle diese Gebäude, welche in mäßiger Entfernung von einander liegen, bezeichnen einen Zeitpunct hoher Kunstbildung, und bestätigen die einzelnen Thatsachen der Landesgeschichte, welche in[64] mehrern inländischen historischen und dramatischen Werken enthalten sind.

Zu den javanischen Alterthümern gehört in mythologischer Rücksicht der Berg Hunung Praha auf der Nordseite der Insel, welchen die Einwohner als den Sitz des Gottes Arjuno und der Halbgötter und Heroen verehren, die sich einst im heiligen Kriege hervorthaten. Hier sieht man noch die Ruinen eines Palastes, von dem die Sage berichtet, er habe einst goldene Bildsäulen enthalten.

Große Aufmerksamkeit verdienen auch die mannigfaltigen Inschriften, welche man in mehrern Theilen der Insel findet und die bereits durch Facsimile's vervielfältigt sind. Die Schriftzüge sind zum Theil unverkennbar indisch, mehrere der anziehendsten sind durch die Gesellschaft entziffert.

In der Nachbarschaft des ehemaligen Königreichs Jong'golo, unfern dem jetzigen Surabaja, hat man mehrere große Steine von der Gestalt unserer Grabsteine aufgefunden, welche mit Inschriften der Kawisprache und altjavanischer Schriftzüge bedeckt sind. Sie enthalten Gebete und Anrufungen der Gottheit. Auch Kupferplatten und Handschriften, neuerlich zu Scheribon gefunden, sind der Gesellschaft übergeben. Die Kupferplatten enthalten Jahres- und Tagesangaben und sind[65] äußerst wichtig für javanische Sprache und Wissenschaft. Blos dadurch, daß man eine möglichst große Anzahl von Angaben der Art mit den Ueberbleibseln der Kunst, Sprache und Einrichtungen zusammenstellt und mit den zuverlässigsten Nachrichten über andere östliche Länder vergleicht, darf man hoffen, zu befriedigenden Resultaten zu gelangen.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 55-66.
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