Vierundzwanzigste Vorlesung.

[236] Heinrich Heine verdient in doppelter Hinsicht die Aufmerksamkeit der deutschen Prosaisten, sowohl wegen der Tugenden, als der Fehler seines Stils, die eben so viel Lichter und Schatten seines Genius sind. Im allgemeinen verdient er aber durchaus die Auszeichnung, die wir ihm vor andern großen Prosaisten zuteil werden lassen, als Charakterbild der neuen Prosa zu gelten; weder Goethe, noch Jean Paul, noch irgendein anderer von den ausgezeichneten Geistern der jüngst vergangenen ästhetischen Epoche ist geeignet, den Geist der Zeit und der neuesten Bewegungen aus der Abspiegelung ihrer Prosawerke erkennen zu lassen. Es liegt eine Kluft zwischen uns und jenen Werken, die dem gewöhnlichen Auge unsichtbar sein mag, die aber dem schärferen und geübteren Blick in ihrer ganzen Breite und Tiefe nicht entgeht. Dies auszuführen wird meine heutige Aufgabe sein.

Es ist schwer, mit einigen Worten diesen Unterschied anzugeben; derselbe liegt nicht allein in der Natur der ausgesprochenen Ansichten, namentlich[237] in der größeren Freiheit der politischen, sondern im verborgenen Räderwerk des Geistes, im Schwung, in der Konzentration der Gedanken nach einer gewissen Richtung, in der Wahl des Ausdrucks, im Bau der Periode, selbst in scheinbaren Kleinigkeiten, wie Absätze, Punkte und Kommata sind. Dennoch bringt es unsere Aufgabe mit sich, wenigstens den Versuch zu machen, uns über das Charakteristische des Sonst und Jetzt in der Prosa so gut, als es geschehen kann, aufs Reine zu bringen.

Gewiß, meine Herren, Sie werden sich keinen größeren Unterschied in der Schreibart denken können, als zwischen der Goetheschen und der von Jean Paul, obgleich man doch beide als Zeitgenossen zu betrachten hat; ebenso auffallend wird Ihnen die Heinesche Schreibart von der des edlen Börne abzustechen scheinen. Dennoch wird ein der Geschichte kundiger, geistreicher Mann, der nach hundert Jahren die frühere und jetzige deutsche Literatur seiner Aufmerksamkeit würdig hält, ohne weiteres Goethe mit Jean Paul, Heine mit Börne verbinden und jedem Paar seine eigentümliche Periode anweisen; so stark und durchsichtig sind die Kennzeichen, die jedes Zeitalter seinen bedeutenden Organen und Schriftstellern anhängt. Charakterisieren wir vorläufig die vier genannten Schriftsteller und ihre Schreibart durch einige der hervorstechendsten Züge, welche jedermann bei ihrer Lesung in die Augen springen. Goethe schreibt in seinen besten Werken wie ein Künstler des Altertums meißelt, jeder Meißelschlag von den Tausenden, die leicht und zierlich vor unseren Augen[238] angebracht wer den, bringt eine neue Schönheit aus Licht, zeigt uns eine neue Ader, Muskel des Apoll, der Venus, des Herkules, bis die ganze kunstreich verkörperte Idee Fleisch und Blut zu gewinnen scheint und mit der zartesten Haut umgeben vor uns steht. Während nun Goethe bei allen seinen Produktionen die Idee der Kunst vor Augen schwebte und er kein Wort, keinen Gedanken niederschrieb, um außer der Reihe der übrigen damit zu glänzen, sondern jeden Ausdruck dem höheren Ganzen unterordnete, hatte Jean Paul, sein Zeitgenosse, gar keine Ahnung von Kunst und künstlerischer Darstellung, das Herz voll unaussprechlicher tiefer Gefühle, den Kopf schwanger von Witz und Phantasie, goß er eine Flut von Gedanken und Gefühlen aufs Papier hin, sowie er jedesmal im Moment angeregt und aufgelegt war, ohne sich eben, zum Behuf einer konzipierten Kunstidee, viel um die Stelle zu bekümmern, wo er sein Genie leuchten ließ. Meistens gibt er zu viel und erdrückt, im Laufe eines Satzes fällt ihm hunderterlei ein, was als Parenthese oder zwischen Kommaten eingeschlossen wird, und so gleichen seine Perioden dem Zickzack der Blitze und sind nicht selten, wie diese, taube Schläge, die wohl erschüttern, aber nur momentan und keine Nachwirkung zurücklassen. Börne, an Gemüt ihm ähnlich, ist ihm hierin ganz entgegengesetzt, jeder Satz ein abgeschlossener Gedanke, Schlag um Schlag eine neue Behauptung, Schritt vor Schritt ein Stück Weges zurückgelegt, Stoß um Stoß irgendeine träge Masse von Vorurteilen und Dummheiten[239] verdrängt. Absicht und Kunst, wie bei Goethe, sind selten an seiner Darstellung zu merken, er drängt und fährt nur so darein und kümmert sich nicht um das, was die Leute dazu sagen. Man sollte meinen, daß Heine dies auch nur so tut, allein man würde sich irren. Vergleichen Sie den Heineschen Stil mit dem Börneschen, so werden Sie die Absichtlichkeit der Heineschen Darstellung als etwas ihr Eigentümliches nicht verkennen. Heine bedenkt sich, wo Börne unbedenklich hinschreibt und wo Jean Paul zwei Gedanken für einen ineinander mischt. Nicht, daß er um das, was er sagen will, verlegen wäre, nicht, daß ihm irgendeine Anspielung, eine Vergleichung, eine geistreiche Wendung nicht zu Gebot stände, er bedenkt sich, um den Ausdruck zu treffen, der das, was er sagen will, unvergeßlich macht, das Wort zu finden, das seinen Gedanken auf das eigentümlichste und schlagendste wiedergibt.

Hält man nun diese Züge der bewährtesten Schriftsteller miteinander zusammen, so möchte man eher Börne mit Jean Paul, Heine mit Goethe in Vergleichung setzen, wenn man bei Beurteilung eines Stilistikers von der Idee der Kunst als tertium comparationis ausgeht. Heine und Goethe, Börne und Jean Paul sind sich in der Tat auch in Anlagen und geistigem Vermögen verwandt, was auch von ihnen selbst, ich meine von den jüngeren, Heine und Börne, richtig gefühlt und ausgesprochen ist; von letzterem in der herrlichen Rede auf Jean Pauls Tod, das schönste Denkmal, das den Manen des großen Dichters errichtet[240] worden und das zugleich, sowohl durch die Begeisterung der Sprache, als durch diese selbst dem Redner einige unverwelkliche Blättter aus Jean Pauls eigenem Ehrenkranz zusichert. Von ersterem hier und da in seinen Schriften und namentlich an zwei Stellen, denselben, die ich ihrer naiven Offenheit und Wahrheit wegen anzuführen mich veranlaßt fühle.

In einer Kritik des berühmten Menzelschen Werkes über die neuere deutsche Literatur, befindlich in den Cottaischen Analen, deren Herausgeber Heine eine Zeitlang war, wirft er Menzel die unanständige Geringschätzung vor, mit welcher dieser über den König der Schriftsteller, Goethe, aburteilt und ihm nur, statt des Genies, lächerlicherweise ein Talent zur Schriftstellerei einräumt, bei welcher Gelegenheit Heine so witzig als beiläufig ausruft: Menzel muß wenigstens eingestehen, daß Goethe mitunter das Talent hat, ein Genie zu sein. Allein bei der Rechtfertigung Goethes unterläßt er selbst nicht, diesem einen Vorwurf darüber zu machen, daß er in seinen alten Tagen ganz und gar die Titanenflegeljahre seiner Jugend, den rauhen Götz, den schwülen Werther, die stachlichten Xenien vergesse, die jungen Schriftsteller von Talent nicht anerkennen wolle, und dagegegen die liebe geistige Mittelmäßigkeit seiner Nachbeter und Schüler mit vornehmer Protektion beehre. Der Goethe käme ihm vor wie ein Räuberhauptmann, der sich vom Handwerk zurückgezogen und den Abend seines Lebens in einem kleinen Landstädchen unter Philistern zubringe und vor dem[241] zufälligen Anblick eines alten kalabresischen Waldgefährten unangenehm zurückschaudere – man sieht, daß Heine sich diese Rolle zuteilt. Der anderen Stelle begegnet man in dem neuesten Heinischen Werk, Geschichte der deutschen Literatur, wo er eine unbegrenzte Ehrfurcht vor Goethes Genie ausspricht und das etwas arrogante Eingeständnis macht, nun, da Goethe tot sei, dürfe er wohl bekennen, daß alles, was er früher gegen ihn hatte und äußerte, nur Folge seiner Eifersucht gewesen.

Welches Merkmal ist es also, das die Ästhetik der neuesten Literatur, die Prosa eines Heine, Börne, Menzel, Laube von früherer Prosa unterscheidet? Ich möchte ein Wort dafür geben und sagen, dies Merkmal ist die Behaglichkeit, die sichtbar aus der Goetheschen und Jean Paulschen Prosa spricht und die der neuesten fehlt. Jene früheren Großen unserer Literatur lebten in einer von der Welt abgeschiedenen Sphäre, weich und warm gebettet in einer verzauberten idealen Welt, und sterblichen Göttern ähnlich auf die Leiden und Freuden der wirklichen Welt hinabschauend und sich vom Opferduft der Gefühle und Wünsche des Publikums ernährend. Die neueren Schriftsteller sind von dieser sicheren Höhe herabgestiegen, sie machen einen Teil des Publikums aus, sie stoßen sich mit der Menge herum, sie ereifern sich, freuen sich, lieben und zürnen wie jeder andere, sie schwimmen mitten im Strom der Welt, und wenn sie sich durch etwas von den übrigen unterscheiden, so ist es, daß sie die Vorschwimmer sind, und sei[242] es nur trocken und elegant auf dem Rücken eines Delphins, wie Heine, oder naß und bespritzt, wie Börne, den Gestaden der Zukunft entgegeneilen, welche die Zeit für »ihre hesperischen Gärten glücklicher Inseln« ansieht.

Behaglichkeit ist in solcher Lage und bei solchem Streben nicht wohl denkbar, die Schriftstellerei ist kein Spiel schöner Geister, kein unschuldiges Ergötzen, keine leichte Beschäftigung der Phantasie mehr, sondern der Geist der Zeit, der unsichtbar über allen Köpfen waltet, ergreift des Schriftstellers Hand und schreibt im Buch des Lebens mit dem ehernen Griffel der Geschichte, die Dichter und ästhetischen Prosaisten stehen nicht mehr, wie vormals, allein im Dienst der Musen, sondern auch im Dienst des Vaterlandes und allen mächtigen Zeitbestrebungen sind sie Verbündete. Ja, sie finden sich nicht selten im Streit mit jenem schönen Dienst, dem ihre Vorgänger huldigten, sie können die Natur nicht über die Kunst vergessen machen, sie können nicht immer so zart und ätherisch dahinschweben, die Wahrheit und Wirklichkeit hat sich ihnen zu gewaltig aufgedrungen, und mit dieser, das ist ihre Schicksalsaufgabe, mit dieser muß ihre Kraft so lange ringen, bis das Wirkliche nicht mehr das Gemeine, das dem Ideellen feindlich Entgegengesetzte ist. Daher begreifen sie auch, woher diese Quelle der Behaglichkeit, welche über Goethes Kunstprosa, über Jean Pauls Humor so ruhig und lieblich hinfließt, und der selbst diesem, so unkünstlerisch er auch zu Werke geht, weit mehr die Empfindung der Ruhe und Befriedigung mitteilt,[243] welche mit dem Anschauen klassischer Werke verknüpft ist, als den Heineschen Kunstprodukten.

Ich würde in Verlegenheit geraten, sollte ich im einzelsten Einzelnen an einem Satz, einer Periode das Gesagte nachweisen, nichtsdestoweniger ist eben dieser verschiedene Charakter im ganzen, großen, allen prosaischen Werken dieser und jener Zeit aufgedrückt. Die neue Prosa ist von der einen Seite vulgärer geworden, sie verrät ihren Ursprung aus, ihre Gemeinschaft mit dem Leben, von der anderen Seite aber kühner, schärfer, neuer an Wendungen, sie verrät ihren kriegerischen Charakter, ihren Kampf mit der Wirklichkeit, besonders auch ihren Umgang mit der französischen Schwester, welcher sie außerordentlich viel zu verdanken hat. Der deutsche Prosaist ist seit der französischen Revolution und eben durch französische Schriften, Herr und Meister geworden über das ungeheure Material der Sprache, das den früheren Schriftstellern in ellenlangen Perioden nachschleppte, von Goethe aber freilich schon zu Kunstarbeiten glücklich verzimmert worden war. Die größte Meisterschaft hat sich Heine darin erworben, der den flüchtigen Ruhm, Liederdichter zu sein, sehr bald mit dem größeren vertauscht hat, auf dem kolossalen, alle Töne der Welt umfassenden Instrument zu spielen, das unsere deutsche Prosa darbietet.

Die Witzader ist bekanntlich die Hauptader der Heineschen Prosa, ja der ganzen Heineschen Person, der immer etwas auf den Lippen schwebt, was einem Witz ähnlich sieht. Der Witz ist das, was Heines Schriften so verbreitet und wirksam[244] macht, was aber auch zugleich die steifen Herren, die aristokratischen Herren, die pfäffischen Herren wider sie aufbringt. Es ist überhaupt in Deutschland noch nicht lange her, daß es den Schriftstellern ungestraft hinging, witzig zu sein; die meisten Schriftsteller gehörten zur Klasse der Gelehrten und unter dieser saftlosen und hochmütigen Klasse hatte sich eine solche Verachtung der ursprünglichen und angeborenen geistigen Gaben und namentlich des Witzes eingenistet, daß es um den Ruf eines jungen Mannes unwiderbringlich geschehen war, wenn ihm das Malheur passierte, in seinen Schriften und Vorträgen eine geistreiche, blühende und witzige Sprache zu führen. Die deutschen Gelehrten mieden die witzigen Leute, als wären sie Aussätzige, und wirklich nannte der Schweizer Bodmer den Witz eine Krätze des Geistes, die nicht eher Ruhe läßt, als bis sie sich durchjuckt. Allmählich aber sind den Deutschen die Augen, wie über viele Dinge, so auch über den Witz aufgegangen. Die Notwendigkeit deutscher witziger Kultur verteidigt Jean Paul mit folgenden Worten: es gibt nicht bloß Entschuldigungen der Kultur des Witzes, sondern sogar Aufforderungen dazu, welche sich auf die deutsche Natur gründen. Alle Nationen bemerken an der deutschen, daß unsere Ideen wand-, band-, niet- und nagelfest sind und daß mehr der deutsche Kopf und die deutschen Länder zum Mobiliarvermögen gehören als der Inhalt von beiden (nämlich die Gedanken und die Menschen). Wie Wedekind den Wasserscheuen beide Ärmel aneinandernäht und beide Strümpfe, um ihnen das[245] Bewegen einigermaßen unmöglich zu machen, so werden von Jugend auf unseren inneren Menschen alle Glieder zusammengenäht, damit ruhiger Nexus vorliege und der Mann sich mehr im ganzen bewege. Aber Himmel, welche Spiele könnten wir gewinnen, wenn wir mit unseren einsamen Ideen rochieren könnten.

Zu neuen Zeiten gehören durchaus freie; zu diesen wieder gleiche; und nur der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorhergibt. Er ist für den Geist, was für die Scheidekunst Feuer und Wasser ist. Chemica non agunt nisi soluta, das ist, nur die Flüssigkeit gibt die Freiheit zu neuer Gestaltung, oder, nur entbundene Körper schaffen neue. Besinnt sich ein Autor zum Beispiel bei Sommerflecken des Gesichts auf Herbst-, Lenz-, Winterflecken desselben, so offenbart er dadurch wenigstens ein freies Beschauen, welches sich nicht in den Gegenstand eingekerkert verliert und vertieft.

Uns fehlt zwar Geschmack für den Witz, aber gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phantasie; und die Phantasie kann sich leicht zum Witz einbücken, wie ein Riese zum Zwerg, aber nicht dieser sich zu jenem aufrichten. In Frankreich ist die Nation witzig, bei uns die Elite.

Da dem Deutschen, fährt Jean Paul satirischwitzig fort, folglich zum Witz nichts fehlt als Freiheit, so geb' er sich doch diese. Etwas glaubte er freilich für diese zu tun, daß er neuerer Zeit ein und das andere rheinische Länderstück in Freiheit setzte, nämlich in französische und wie sonst den[246] Adel, so jetzt (dieser Aufsatz ist unter Napoleons Herrschaft geschrieben) die besten Länder, zur Bildung sozusagen auf Reisen schickte zu einem Volk, das gewiß noch mehr frei ist als groß.

Hier ist nur ein alter, aber unschuldiger Weltzirkel, der überall wieder vorkommt. Die Menschheit kann nie zur Freiheit gelangen ohne geistige hohe Ausbildung: Freiheit gibt Witz, und Witz gibt Freiheit. Die Schuljugend übe man im Witz; das spätere Alter lasse sich zu dem Witz freilassen.

Soweit Jean Paul. Er selbst hat zur geistigen Emanzipation der Deutschen, durch Humor und Witz, mehr als irgend ein anderer Schriftsteller seiner Zeit, beigetragen. Ihm stand mehr Witz zu Gebot, als allen deutschen Schriftstellern zusammengenommen, eine einzige Seite seiner Schriften wird selbst durch den witzigsten Franzosen und Engländer kaum durch vier andere Seiten aufgewogen. Dennoch mangelte seinem Witz der Charakter der Einheit, welchen die Kunst und eine bestimmte Gemütsund Lebensrichtung den Strahlen des Witzes verleiht. Der Witz an sich ist ein geistiges Quecksilber, das in tausend Kügelchen über die Papierfläche rollt, ein scherzender Schmetterling, der von Blume zu Blume fliegt, ein ungewisser Strahl, der sich in Luft und Wasser bricht und das reinste Kristall, wie die trübste Glasscheibe durchflittert und vergoldet. Der Witz an sich ist der Diener aller Herren, der Dummen ausgenommen, aber nicht der Schlechten, nicht der Servilen; denn er kehrt sich nicht an Herz und Gesinnung, sondern nur an den Verstand, und ein elender Saphir, ein Mensch,[247] den man durch Furcht dahin bringen kann, die Peitsche zu küssen, die ihn gezüchtigt hat, kann einen Washington, einen Lafayette an Witz besiegen und überflügeln.

Nur wenn der Witz sich mit edlerem Vermögen paart, wenn er phantasiereichen und gemütvollen Menschen zu Gebot steht, wenn er einem Jean Paul dient, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft miteinander zu verknüpfen, kann er dem ernsteren Deutschen gefallen: um uns am Witze nicht zu ärgern, muß uns der Charakter des Witzigen nicht ärgerlich sein, um uns am Spiel des Witzes zu ergötzen, müssen wir ihn über der Tiefe des Ernstes schweben sehen. Das ist auch die Natur des deutschen Witzes, der an Zweideutigkeiten und Wortspielen wenig Geschmack findet; und daß seine Natur so ist, verdankt er eben seiner Verbindung mit der Phantasie, welche ihn auf ihre Schwingen nimmt und ihn vor der Gefahr schützt, ins Kleinliche oder Gemeine auszuarten. Allein auf der anderen Seite hat diese Verbindung des Witzes mit der Phantasie auch ihre Nachteile; wie aus dem Beispiel Jean Pauls erhellt; dessen Witz, bei einem geringeren Grad von Phantasie, schlagender gewesen wäre als bei dieser Überfülle. Das ist der Abweg des deutschen Witzes, er wird zu phantastisch, er entfernt sich zu weit von der nächsten geraden Gedankenlinie und verliert über dem Haschen das endliche Ziel aus den Augen. Sie sehen wohl, wo die Quelle dieser wildgewordenen Witze, dieser ins Blaue streifenden Phantasie zu suchen ist. Denken Sie an Jean Paul. War eine[248] Lebenseinheit in seinem Charakter, schwebte ihm ein bestimmtes Ziel vor Augen? Nein. Er strebte allem Höchsten nach, aber, nach Art der damaligen Poeten, mehr im Traum als im Wachen, er war ein edler, freier Mann, er kannte die Gebrechen der Zeit, er fühlte die Schmach des Vaterlandes, er zürnte über Aristokratismus und Möncherei, allein sein Ringen nach einer besseren Zeit zerfloß immer in Sentimentalität, und wenn er einmal eine starke Lanze einlegte und gegen einen bestimmten Feind zu Felde zog, so war ihm dieser eher das Nachdruckergesindel und sonstige deutsche Schofel und Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Landesübel, die der Patriot aufs Korn nehmen soll. Das lag in seiner Zeit; in der unserigen hat sich der Witz einen Kampfplatz aufgesucht, wo er mit der Freiheit vereint gegen verrostete Helme und Kapuzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen schon Splitter und Stücke genug auf dem Boden, welche seine Schärfe und Kraft beurkunden.

Man läßt den Witz nicht mehr auf seine eigene Hand und nach den Grillen der Phantasie hinlaufen, er ist nicht mehr ein ungesatteltes flüchtiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts und links ausschlägt und bloß mit Lust und Bewunderung über seine Kühnheit erfüllt, es sitzt ihm ein Reiter auf dem Nacken, auf dessen Wink und Führung es die verhaßten Barrieren überspringt und niederreitet, welche die Dummheit und die Unverschämtheit vor dem Genuß der Welt aufgeschlagen hat. Der Witz unserer neuen Prosa ist nicht mehr ein reiner Phantasiewitz, sondern Charakterwitz, er ist[249] unserer heutigen Prosa, ich meine, unserm heutigen Bürgerstande, unsere bürgerliche Freiheit. Der Adel hat sich oft mit der Poesie des Lebens verglichen, mag er sie repräsentieren auf die unschädliche Weise, wie es die Goldenschnittstaschenbuchspoeten in Deutschland tun, er ist ihr ein unentbehrliches Werkzeug, um den vernichtenden Krieg zu führen, dessen Ende sich wohl bis zu künftigen Geschlechtern hinziehen wird, um das Säuberungsgeschäft im Augiasstall von Europa durchzusetzen, um reine Bahn zu machen für andere Füße, als die mit Ketten und Vorurteilen belasteten. Diese Bedeutung des Witzes für unsere Zeit spricht Heine, dessen Witz eben hierin vorleuchtet, mit folgenden Worten aus:

Es gibt trockene Leute in der Welt, die den Witz gern proskribieren möchten und man kann täglich hören, wie Pantalon sich gegen diese niedrigste Seelenkraft, den Witz, zu ereifern weiß und als guter Staatsbürger und Hausvater die Polizei auffordert, ihn zu verbieten. Mag immerhin der Witz zu den niedrigsten Seelenkräften gehören, so glauben wir doch, daß er sein Gutes hat. Wir wenigstens möchten ihn nicht entbehren. Seitdem es nicht mehr Sitte ist, einen Degen an der Seite zu tragen, ist es durchaus nötig, daß man Witz im Kopfe habe. Und sollte man auch so übellaunig sein, den Witz nicht bloß als notwendige Wehr, sondern sogar als Angriffswaffe zu gebrauchen, so werdet darüber nicht allzusehr aufgebracht, ihr edlen Pantalone des deutschen Vaterlandes. Jener Angriffswitz, den ihr Satire nennt, hat seinen guten[250] Nutzen in dieser schlechten, nichtsnutzigen Zeit. Keine Religion ist mehr imstande, die Lüste der Erdenherrscher zu zügeln, sie verhöhnen euch ungestraft und ihre Rosse zertreten eure Saaten; eure Töchter hungern und verkaufen ihre Blüten dem schmutzigen Parvenü, alle Rosen dieser Welt werden die Beute eines windigen Geschlechts von Stockjobbern und bevorrechteten Lakaien und vor dem Übermut des Reichtums und der Gewalt schützt euch nichts als der Tod und die Satire.[251]

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Aesthetische Feldzüge. Hamburg, Berlin 21919, S. 236-252.
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