Vierter Auftritt.

[32] Gracchus, Euporus, Lätorius.


GRACCHUS hört Klopfen an der Hausthür; unwillig auffahrend. Läßt man mich nie allein? Wer will schon wieder zu mir? Euporus erscheint hinten mit Lätorius, den Teppich zurückschlagend. Wer bist du, was führt dich her?

LÄTORIUS tritt näher. Bürger Volkstribun, sieh mich nicht mißtrauisch an. Ich bin Publius Lätorius, ein guter römischer Bürger.[32]

GRACCHUS für sich. Die Augen dieses Menschen sagen nicht gut für ihn! Laut. Was ist dein Begehr?

LÄTORIUS. Dich zu warnen.

GRACCHUS. Vor wem oder was? – du weißt, ich kenne dich nicht.

LÄTORIUS. Um so besser ich dich, da ich dich bewundre und verehre! – Ich bin nur ein Plebejer, doch ehrlicher Leute Sohn; wohne am Aventin, – gehöre zu Denen, die den Senat hassen und von dir die Freiheit erwarten. Und weil meine Freunde und ich offene Augen haben und wachsame Ohren, so komme ich, Volkstribun, um dich zu warnen.

GRACCHUS. Vor wem?

LÄTORIUS. Vor den Senatoren und den Meuchelmördern. Vor Opimius. Er und Seinesgleichen wollen deinen Tod.

GRACCHUS ungläubig. Wer verrieth dir das, junger Mann?

LÄTORIUS. Einer von den Unsern, der eben am Tiberufer im Buschwerk lag, hundert Schritte von hier: da hört' er Opimius und noch Einen von der Sache reden, ohne daß sie ihn sahn.

GRACCHUS. Einer von den Euren? Wer seid ihr?

LÄTORIUS. Volkstribun, – vergönne, daß ich zwei Worte von mir selber rede: um so besser wirst du verstehen, wer wir sind! – Ich war ein unwürdiger Mensch, hatte meine Jahre verloren, in schlechten Gedanken, mit wüsten Gesellen die Jugendkräfte verthan. Da hört' ich – vier Jahre sind es nun her – da hört'[33] ich dich auf dem Forum, wie du den Vettius gegen seine falschen Ankläger vom Senat vertheidigtest! Wie du donnertest, wie die Begeisterung, der Tyrannenhaß, die Freiheitsliebe wie Blitze von dir ausfuhren! – Bürger Gracchus, seit dem Tag ward ich ein anderer Mensch. Ich gab die gemeinen Gesellen auf, ging in den Tempel des »rächenden Mars«, that mein heiliges Gelübde, dir nachzueifern, für die Vernichtung unsrer Tyrannen, für die Freiheit zu leben. Und dafür leb' ich seitdem! du bist Schuld daran: du hast aus dem Knaben einen Mann, aus dem Würfelspieler einen Bürger gemacht.

GRACCHUS ihn mit wachsendem Antheil betrachtend, für sich. Wie ich jetzt das Feuer in diesen Augen verstehe! Zu Euporus, laut. Geh; laß uns allein. Euporus verschwindet.

LÄTORIUS. Der allweise Senat schickte dich zum Heer, Bürger Gracchus, um dich nicht in der Liebe der Römer wachsen zu lassen; – doch die erste Saat hattest du gesäet! Wir thaten uns zusammen, Alles was jung, heiß und ohne Furcht war, – erinnerten uns, wie unsere Vater sich verschworen hatten, und Nachts auf dem Aventin, vor dem Tempel der Diana, beschwuren wir unsern Bund: Freiheit und Rache! Bewegung von Gracchus. Wir hofften auf die Zukunft und auf dich! du bist gekommen! Die römische Jugend hat sich nicht in ihrem Führer getäuscht. Wie olympisches Feuer bist du unter deine Feinde gefahren! Seit du an jenem Morgen mitten unter sie tratest, ihre Anklage niederschlugst, statt des Kerkers dir das Tribunat erkämpftest, – seitdem sind wir dein, Gracchus, auf Leben und Tod. Bei den unterirdischen Göttern haben wir unsern Eid geleistet, Alles für dich zu thun – auch die blutigste That, die du im Namen der Freiheit von uns forderst.

GRACCHUS. Auch die blutigste That! – Mensch, wer bist du, daß dir so ein Wort so leicht über die Lippen fließt?

LÄTORIUS. Darf der blutscheu sein, der Tyrannen bekämpfen und die Freiheit begründen will? Denkst du, es kann enden ohne Blut?[34] – Bürger Volkstribun, wer waren denn die Männer, die deinen Bruder erschlugen? du stehst ihnen zu hoch, daß sie dich Aug' in Auge fassen können; so werden sie dir meuchlerisch in die Ferse stechen! Klopfen an der Hausthür.

GRACCHUS. Wunsch ist noch nicht That.

LÄTORIUS. Ich sagte dirs: sie bedrohen dich! Opimius – Euporus erscheint wieder hinten am Teppich.

GRACCHUS. Was willst du?

EUPORUS aufgeregt. O Herr! Man ruft mich auf die Straße hinaus: mein Bruder, rufen sie, sei von einem Gerüst gestürzt. Herr, darf ich gehn –?

GRACCHUS. Geh; eile! – Todt? In Gefahr?

EUPORUS. Nicht todt, Herr; doch verwundet, sagen sie, liegt er da. Zwei, drei Straßen von hier –

GRACCHUS. Geh! Euporus ab. Ich kann nicht fort; – es ist ein wackerer, treuer Mann; willst du ihm helfen, Freund?

LÄTORIUS. Ich? Gebiete mir, was du willst: Alles, was Menschen möglich ist, das thu' ich für dich! – Gracchus, du bist unser Held, unsre Hoffnung: sei auf deiner Hut! Willst du, daß wir dich schützen, daß wir deine Feinde in ihrem Blut ersticken sollen, – ruf' uns auf, und wir kommen.

GRACCHUS giebt ihm die Hand. Ich danke dir, tapfrer Freund! Nein, laß mich einstweilen denken, ich sei in der Götter Schutz! – Geh![35]

LÄTORIUS. Ich eile. – Sei auf deiner Hut, rette dich für Rom! Nach hinten ab. Der Teppich schließt sich wieder hinter ihm.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 32-36.
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