Erster Auftritt.

[86] Nacht. Bewaffnete Bürger liegen theils um ein Feuer unweit der Mauer, theils auf den Tempelstufen; andre, zum Theil behelmt und gepanzert, darunter Agricola, stehn rechts am Thor und links neben den Bäumen. Ein alter Priester im Tempel, vor dem Altar der Diana opfernd. Gleich darauf Euporus; später Pomponius.


AGRICOLA am Thor. Wer da?

EUPORUS draußen. Guter Freund.

AGRICOLA. Die Losung!

EUPORUS. Der Aventin.

AGRICOLA. Das Zeichen!

EUPORUS. Tempel der Diana.

AGRICOLA öffnet. Tritt ein. – Euporus![86]

EUPORUS tritt ein, in einen Mantel mit Kapuze gehüllt, ein Schwert umgegürtet. Ja, ich bin's. Beim Zeus, ihr bewacht euch gut! Dreimal hab' ich so stehn müssen und Antwort geben: zuerst unten am Fuß des Aventin, dann beim großen Thor, jetzt hier an der Tempelmauer. Wo ist Gracchus, mein Herr? – Heiliger Cerberus, was für eine Nacht!

AGRICOLA. Stör' den Volkstribun nicht; Nach links zeigend. dort in dem Priesterhäuschen sitzt er, will allein sein mit seinen Gedanken. Was giebts? Seit zwei Stunden schon halten wir hier oben alle Löcher besetzt, wie in einer Burg, hören den verfluchten dumpfen Lärm aus der Stadt herauf, und erwarten den Tag! Will's denn heut niemals Morgen werden? Mich friert.

EUPORUS. Laß mich zu meinem Herrn! Ich bring' ihm Botschaft herauf.

AGRICOLA. Was soll's? Hast du des Gracchus Frauen aus der Stadt geleitet?

EUPORUS. Ich nicht; der alte Seleukus führt sie nach Ostia zu, – durch die dunkle Nacht. 'S war hohe Zeit, daß sie abzogen; wie da unten in den Gassen Alles durcheinanderrennt, nach Waffen schreit, und tobt gegen meinen Herrn! Laß mich hinein, sag' ich! Wissen muß er –

AGRICOLA. Schrei nicht so, Sclav: bei der Diana auf dem Aventin muß man stille sein. Wenn du mit deinem Herrn schwatzen willst –

POMPONIUS ein Schwert an der Seite, tritt links aus dem Priesterhäuschen hervor; mit gedämpfter Stimme. Was spricht da? – Euporus, du zurück? Hast du gehorcht, gespäht?

EUPORUS nickt. In diese Kapuze verkrochen, bin ich umhergezogen mit den wilden Haufen, den Sclaven der Senatoren; Niemand hat mich[87] erkannt. Ich war auf dem Capitol, Herr! Da sieht's fürchterlich aus – Zeus soll mich bewahren!

POMPONIUS. Sprich kurz wie ein Römer: was giebt's auf dem Capitol?

EUPORUS. Kretische Bogenschützen stehn da, wohin man sieht; betrunkene Sclaven zu Tausenden mit Fackeln und langen Schwertern laufen umher, fluchen, schreien: »Nieder mit Gracchus! Nieder mit den Mördern!« Und unten vor dem Rathhaus die Senatoren, die großen Herren, alle Mann für Mann, alle blitzend von Waffen; auch der alte, graue Metellus darunter, die Brauen über die Augen gezogen, mit Schild und Schwert. Und die Leiche des Scipio mitten auf dem Platz, ein Feuermeer von Fackeln um sie her; und die singenden Priester, und das schreiende Volk!

POMPONIUS. Eine schöne, liebliche, glückverheißende Nacht! – Hast du auch Opimius, den großen Metzger, gesehn?

EUPORUS. Er stand – Gracchus erblickend, leise. Still! Er ist da.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 86-88.
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