Sechster Auftritt.

[127] Die Vorigen; Tryphena, dann Persida, Herennianos, Jarchai der erste Bürger aus dem ersten Aufzug, jetzt weißhaarig, auf einen Stab gestützt, doch noch nicht entkräftet. Volk, später Pausanias alle von rechts.; Apelles' Gesinde von links.


TRYPHENA hereinstürzend.

Vater! Vater! Rette mich!


Sinkt ihm zu Füßen hin.
[127]

Sie kommen – horch! Sie kommen, mich zu greifen.

Du, du, verlaß mich nicht! An deine Kniee

Klammr' ich mich, Vater; schütze du dein Kind!

APELLES.

Wär ich dein Vater, wenn ich dich nicht schützte? –

Steh auf! – Was ist geschehn?

TRYPHENA.

Sie wollen mich

Zum Eide zwingen – ewig lassen sol ich

Den Bräutigam meines Herzens – oder draußen

Im fernen Lande, fern von euch vergehn.

Doch sterben will ich hier zu deinen Füßen,

Als dem gehorchen. Rette mich! Sie drohten,

Da rief mir der Verzweiflung Stimme: flieh!

Und floh hinaus – und durch die Menge, die

Da draußen stand, hindurch – hinweg, hierher –

Und bin nun hier bei dir!

APELLES.

Und wohl behütet.

Steh auf!


Erhebt sie.


Wer wagt die Tochter des Apelles

So ruchlos zu bedrängen –


Der Lärm hat sich genähert.


PERSIDA hinter der Scene.

Schont sie, schont sie!

Es ist mein Kind![128]

JARCHAI hinter der Scene.

Das Kind des Herrn ist sie

Und will ihm trotzen!


Tritt ins Thor, aufgeregtes Volk ihm nach, auch Persida und Herennianos.


Seht, dort steht sie. Seht,

's ist richtig! Dort den Heiden will sie frei'n,

Und er steht neben ihr. Sie trotzt dem Herrn.

Reißt sie hinweg!

APELLES.

Hinweg? Was schreist du, Alter?

Ich steh' bei ihr, der Vater!

JARCHAI.

Heid' auch du!

Du hast kein Wort in dieser Sache. Die da

Ist Christin; laß sie gehn. Herennianos,

Was schweigst du? Auf, und sprich!

HERENNIANOS.

Du hörst, Apelles.

Das Wort des Herrn wird laut durch diesen Mund.

Tryphena trotzt dem heiligen Gebot.

Gib sie dem Hirten, mir; und füge dich –

APELLES ihn unterbrechend.

Ich? Hat ein Kind nicht Vater mehr, noch Mutter? – –

Dort steht die Mutter, Persida. Sie soll euch

Das Wort, das rechte, sagen; sie, die Christin –

HERENNIANOS.

Nun, Persida, so sprich![129]

PERSIDA in heftigem Kampf, für sich.

O Gott!

HERENNIANOS leiser.

Du mußt.

Der Herr erwartet, daß du ihm nun dienest

Und nicht den Menschen. Sprich!

JARCHAI tritt näher.

So rede! rede!

PERSIDA mit zitternder, allmählich festerer Stimme.

Tritt her, Tryphena. Beuge dich dem Herrn

Und denen, die ihm dienen. Und gelobe,

Was dir sein Zorn gebietet!

APELLES nach starrem Schweigen, mühsam.

Persida! –

Ich hör' nicht recht.

HERENNIANOS.

Du hörtest recht. Sie sprach

So, wie sie muß.

JARCHAI.

In ihr hat Gott gesprochene

Und du tritt her, Tryphena!


Die Menge wächst allmählich an, von rechts und von links. Apelles' Sklaven und Sklavinnen sind nach und nach aus dem Hause gekommen.
[130]

APELLES.

Persida!

So hör auch du mich recht. Dies Kind, das hier

In meinem Arme bebt – von dir verlassen,

Weil du's dem Zorngott opferst – dies mein Blut

Und Leben halt' ich fest


Mit einer grimmigen Gebärde gegen Jarchai.


dem Schakal trotzend

Und allen Jarchais dieser tollen Erde.

Doch dich verwerf' ich, wenn du mich verwirfst;

Von meinem Herzen fällst du, wenn die Jarchais

In deiner Brust gebieten. Her zu mir

Und weg von ihm – sonst fahren Lieb' und Treu'

Und Pflicht und Glück wie dieser Hauch dahin!

HERENNIANOS.

Was willst du? Was bedrohst du sie so schwer

Und feierlich – und siehst, wie sie erzittert?

Sie folgt nur Gottes Spruch –

APELLES.

Bist du ihr Mund?

Ich sprach zu Persida. – Gib Antwort! Bist du

Apelles' Weib, Tryphenas Mutter, oder

Sklavin der Sklaven Jarchais?


Pause.


Sprich!


Persida, eine Hand am Herzen, will reden, bewegt sich, wie zu Apelles hin; Herennianos tritt einen Schritt vor, bannt sie durch seinen Blick.


JARCHAI.

Sie schweigt,

Der Herr schließt ihr die Zunge. – Gib Tryphena

Heraus![131]

APELLES.

Du Schakal!

JARCHAI.

Hört! Der Heide will uns

Das Kind des Herrn verweigern! – Werft ihn nieder!

Reißt sie aus seinen Armen!

VOLK wild durcheinander.

Her mit ihr!

Her mit Tryphena!

PERSIDA mit schwacher Stimme.

Haltet ein!


Sie sinkt; Herennianos hält sie in seinen Armen aufrecht. Das Volk dringt auf Apelles ein; Jamlichus tritt vor, um ihn und Tryphena zu schützen.


APELLES zu Jamlichus, ihn zurückweisend.

Gib mir

Nur freie Bahn. – Kommt an! Noch hab' ich Mark,

Um euch den Haß, den euer Bellen weckt,

Wie einen Donnerkeil ins Herz zu schmettern!

Ihr herrenlosen Hunde, die der Samum

Der Wüste toll macht – denn das Heilige wird

In euch um Wahnwitz, heiß wie Wüstenwind –

Kommt an, zerschellt an mir die hohlen Schädel,

Daß ihnen dieser Irrwahn, der euch hetzt,

Als heißer Dunst entflattert!


Das Volk bleibt in einiger Entfernung eingeschüchtert stehen, weicht zum Teil zurück.
[132]

JARCHAI zum Volk.

Was? Ihr wollt ihm

Die Christin lassen? – Her, Tryphena! Du

Bist unser; her zu deinem Volk!


Tryphena schmiegt sich zitternd in Apelles' Arme.


Sie will nicht!

Sie trotzt dem Volk des Herrn! – So greift sie, greift sie!

HERENNIANOS.

Halt ein!

PERSIDA ihm aus den Armen sinkend.

Ich sterbe!

EIN BÜRGER mitten in der Menge.

Steinigt, steinigt sie!

APELLES.

Wer ruft da »steinigt sie«? Den will ich töten

Mit diesem nackten Arm!


Dringt wild auf die Menge ein. Alle fliehen nach hinten; nur Pausanias bleibt stehen, der – mittlerweile ungesehen unter das Volk getreten, wie die Bürger gekleidet – den Apelles starr und ruhig anblickt. Apelles, ihn erkennend tritt in der ersten Ueberraschung einen Schritt zurück.


Gespenst des Abgrunds! –

Du auch hier? Rabe, der das Opfer wittert? –

Bin ich unsterblich, bin ich stark wie du –

Bin Herr des Todes. Nieder, Höllengeist,

Auf deine Kniee!


Faßt ihn gewaltig, beugt ihn auf ein Knie.


Fürcht' ich dich? Ich fürchte

Nicht Tod noch Leben; – auch das Leben nicht.[133]

Und komm' es hundertmal mit Grimm und Haß

Und bellendem Wahnsinn und mit Herzenbrechen,

Ich trotz' ihm – halt' es fest – umklammr' es so,


Die zu ihm flüchtende Tryphena wieder in die Arme schließend.


Wie ich dies Kind umklammre – und dich Erbfeind

Schüttl' ich wie Staub hinweg!


Zum erschreckten Volk.


Gebt Raum! Ich kann euch

Dem Tod hinwerfen, ihr könnt mich nicht töten.

Palmyra bleib' euch! Glaub' und Haß und alles –

Gebt mir nur Raum, zu gehn!

JARCHAI scheu, wie betäubt.

Er redet irre!

PERSIDA am Boden, von einigen Bürgern gehalten.

Sie gehn! – O Heiland!

HERENNIANOS neben ihr, leise.

Sühne deine Schuld!

Es spricht der Herr: Sei treu bis in den Tod,

So will ich dir des Lebens Krone geben –

APELLES zu Longinus und Jamlichus.

Ihr Freunde, gehn wir! Niemand, der uns hält.

Im Land des Perserkönigs wohnen Menschen,

Raum ist noch viel auf Erden! Komm, Tryphena,


Nach einem Blick auf Persida.


Nun doppelt mein! ganz mein!


Das scheu zurückweichende Volk hat ihnen eine weite Gasse gemacht; Apelles, Tryphena, Longinus und Jamlichus ab, nach links.
[134]

PERSIDA indem sie gehn, vor sich hin.

»Und Gottes Finger

Wird ihm die Thränen aus den Augen wischen« ...


Plötzlich laut.


Apelles! – – Helft mir!


Schließt die Augen.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Der Meister von Palmyra. Stuttgart 61896, S. 127-135.
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