Sechster Auftritt

[252] Judith aus dem Garten zu den vorigen. Bei ihrem Eintritt entsteht eine peinliche Stille, während sich alle ehrfurchtsvoll verneigen.


JUDITH zu Lothar.

Ihr seid bei Laune, kaiserlicher Sohn,

Ihr scherzt mit Eurem Bruder, wie ich hörte.

LOTHAR.

Euer kluger Geist, wie immer, hohe Mutter,

Traf ganz die Sache.[252]

KARL zu Mutter gewandt.

Heiß' ihn anders scherzen!

Mir graust vor seinen Scherzen!

JUDITH leise zu Karl.

Törichter –


Zu den andern.


Verzeiht ihm – er ist jung.

KARL flüsternd.

Hör' was er sprach!

JUDITH hastig, leise.

Still – sprich kein Wort!

KARL ebenso.

Aus meinem Haupt die Augen –

JUDITH.

Ich weiß – sei stumm!


Sie geht mit Karl bis in den Vordergrund der Bühne und bleibt mit ihm, den Rücken gegen die anderen gewendet, stehen, so daß ein Zwischenraum zwischen ihnen entsteht. Lothar unterhält sich flüsternd mit den anderen, Ludwig blickt stumm auf die Gruppe vorn.


LUDWIG.

Wie steht es mit der Jagd?

Wir wollten jagen.

LOTHAR.

Ja, wir wollen jagen.

LUDWIG.

Nun, Bruder Karl, gehst du mit uns zur Jagd?

JUDITH.

Geht, bitt' ich, heute ohne ihn zur Jagd,

Ich hab' ein Wort mit meinem Sohn zu sprechen.

LUDWIG.

Wie Ihr es wünscht.

LOTHAR zu Judith.

Erhabene Frau Mutter,

Wir nehmen Urlaub.[253]

JUDITH.

Geht mit Gott, Ihr Herren.

All meine Wünsche folgen Euch.

LOTHAR.

Wir wissen

Und danken Eurer Gnade – kommt Ihr Herren.


Alle verneigen sich ehrerbietig vor Judith, welche ihren Gruß leicht erwidert und gehen nach dem Garten ab.


JUDITH bleibt unbeweglich stehen, bis daß der letzte aus dem Saale ist, dann öffnet sie die Arme und umarmt Karl, während sie in leidenschaftliche Tränen ausbricht, die ihr zuerst die Sprache rauben.

Ihr Sterne meines Trosts, geliebte Augen,

Euch will er blenden! Kind und Kindeskinder,

Verdirb ihm, Gott, wenn du gerecht dich nennst!


Karl weint.


Nicht weine, Knabe, laß die Mutter weinen,

Sie ist ein Weib, du aber bist ein Mann,

Du hasse ihn!

KARL.

Ich wollt' ihn lieben, Mutter,

Doch warum haßt er mich?

JUDITH.

Nicht lieben sollst du!

Ein Tiger ist er, Tiger liebt man nicht!

Komm, laß mich deine süßen Augen küssen –

In diese Augen seine Stachel bohren –

KARL.

Nicht er alleine, alle diese Männer,

Sie alle hassen mich. Für welche Schuld?

JUDITH.

Daß du geboren wardst ist deine Schuld,

Daß du zum Vater einen Kaiser hast,

Doch keinen Mann, das ist dein Unheil, Karl!

Verlaßner Sohn – unglücklich du wie ich,

Und dennoch glücklicher als deine Mutter,

Dir lebt ein Herz, in diesem Busen schlägt,

An das du flüchten kannst in deiner Not –

Doch ich – in diese böse Welt gestoßen –[254]

Gekrönt mit Ehren, die mein Leid verhöhnen –

Weib eines Mannes, der mich nicht beschirmt –

Bin ich nicht Fleisch und Blut? Ich brauche Menschen,

Und wilde Tiere lagern um mich her!

Im Zwinger leb' ich! – Still – der Kaiser naht –

Glätte dich, Stirne, lächle, Angesicht –

Lächeln ist der Gekrönten bittre Pflicht.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1911–1918, S. 252-255.
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