Siebenter Auftritt

[30] Frau Schmalenbach im Rollstuhl sitzend. Lene, Paul Ilefeld schieben den Rollstuhl im schnellsten Tempo durch die Gittertür herein.


FRAU SCHMALENBACH hält sich mit den Händen an den Armlehnen. Nich zu doll, Kinder, man nich zu doll.


Sobald der Wagen am Eingange des Gartens ist, verlangsamt sich die Bewegung.


LENE. Das is Herr Ilefeld, Mutter, der so schiebt. Herr Ilefeld, Sie schmeißen mir heilig noch Muttern vom Wagen.[30]

ILEFELD. Da sei'n Sie man janz unbesorgt, Fräulein Schmalenbach; so wat passiert 'nem Büttgesellen nich. Ja, wenn ick so'n ordinärer Maschinenmops wäre – aber so –


Sie haben den Wagen jetzt zum Stillstand gebracht.


LENE. Na, Mutter, wat sagste nu dazu? Eine feine Eklipage? Hem?

ILEFELD. Zwei Pferde davor, und was for welche!

FRAU SCHMALENBACH. Jott, Kinder, ich bin ganz dammlich geworden von das schnelle Gefahre.

ILEFELD. Das kommt davon, weil Ihnen die Sonne hier uff'n Kopp brennt; fassen Sie an, Fräulein Schmalenbach, wir fahren Muttern in den Schatten.

LENE. Rin in den Schatten!


Beide schieben den Wagen mit Frau Schmalenbach unter das Gebüsch.


FRAU SCHMALENBACH. Hier is es schön – hier is es wundervoll schön.

ILEFELD schiebt Lene einen Gartenstuhl hin. Darf ick Ihnen einen Fauteuil anbieten, Fräulein Schmalenbach?

LENE. Immer jalant, Herr Ilefeld.

ILEFELD. Liegt bei uns Büttgesellen so drin. Aber wissen Sie was? Wenn's Geschäft hier nich mehr jeht, dann können wir zwei beide uns vermieten als Trabrenner nach Weißensee.

LENE. Ach so – Sie wollen mir eine Laufbahn vorschreiben?[31]

ILEFELD. Meinen Sie nich, daß wir zwei janz jut zusammen einen Strang ziehen könnten?

LENE. Aber, Trab, Herr Ilefeld? Sie bringen einen ja doch immer auf'n Galopp.

ILEFELD. Das bringt die Hantierung so mit sich; ein Büttgeselle, das muß ein flinker Kerl sein. Wat meenen denn Sie dazu, Frau Schmalenbachen?

FRAU SCHMALENBACH. Zu was?

ILEFELD etwas verlegen. Na – so im alljemeinen – und insbesondere – was ick da vorhin sagte?

LENE. Ach Jott, Herr Ilefeld, Sie sagen aber so mancherlei; das müssen Sie Muttern ein bißchen deutlicher machen, sonst find't sie sich nicht zurecht.

FRAU SCHMALENBACH. Na weeßte du, so auf'n Kopp gefallen bin ich nu jrade auch nicht und auf die Ohren pflege ich auch nich zu sitzen. Ich hab's janz gut gehört, daß Herr Ilefeld sehr eine hohe Anschauung von einem Büttgesellen hat.

ILEFELD. Des ist wahr. Wenn ick kein Büttgeselle wäre –

FRAU SCHMALENBACH. Denn –?

ILEFELD. Na – denn möchte ick einer sein.

LENE. Siehste, Mutter?

FRAU SCHMALENBACH. Wat soll ich denn sehn? Das hatte ich ja schon gehört.[32]

LENE. Ja – na aber – es is doch auch wahr.

FRAU SCHMALENBACH. Was is wahr?

LENE. Ein Büttgeselle – das is doch auch was – das – Sie kichert. na, ich will man lieber nichts mehr sagen.

FRAU SCHMALENBACH. Sei du man auch stille.

ILEFELD. Ne, aber warum denn, wenn's doch die Wahrheit is? Sehn Sie mal, Frau Schmalenbachen, so an die Maschine stehn und die Kurbel drehn – das kann doch ein jeder –

LENE. Das kann ein jeder.

ILEFELD. Und so ein bißken aufpassen und denn die Bogen von die Maschine nehmen – das is wohl auch nich so was Besonders.

LENE. Ne Mutter, das mußt du doch zugeben.

ILEFELD. Hinjejen aber – wenn man so vor die Bütte steht und mit die Schöpfform hineinlangen soll in die Bütte und soll die Masse auf die Form bringen – na – da hilft einem keene Maschine nich – dazu da braucht man seine leibhaftigen Hände.

LENE. Ja Mutter, das mußt du doch auch zugeben?

ILEFELD. Das is eine schöpferische Tätigkeit und dadrum nennt man den Büttgesellen einen Schöpfer, und auf dem Titel da bild' ick mir was ein, das is ein schöner Titel.[33]

LENE. Ja Mutter, da kann doch Herr Ilefeld auch stolz darauf sein.

FRAU SCHMALENBACH. Na ja – es is schon gut.

ILEFELD. Und sehn Sie, wenn nu alsdann der Herr kommt und sagt, Paul Ilefeld, sagt er, heute müssen wir Papier machen von die und die Stärke, und es muß jenau so dick sein, aufs Haar, und nich ein bißken dicker oder dünner, und jeder Bogen akkurat wie der andere – na sehn Sie, Frau Schmalenbachen, das is denn jar nich so leicht, wie sich das anhört. Denn heißt es, die Masse auf die Schöpfform hin und her schwappern, bis daß sie sich janz jenau und ejal verteilt – dazu gehört eine sichere Hand, aber sehr – und ville Übung, aber sehr, und wer in 'ne Sache Übung haben will, der muß fleißig jewesen sind – aber sehr –

LENE. Siehste, Mutter, das is nu doch wieder wahr?

FRAU SCHMALENBACH. Laß du man jut sein, hab' ick dir jesagt.

ILEFELD. Und wenn der Herr denn sagt, Paul Ilefeld, sagt er, es is wichtig mit der Sache, denn es is eine Bestellung vom Staat, indem daß von das Papier, was wir heute machen, Papierjeld soll gemacht werden – und wenn das Papier jut wird, denn kriejen wir ooch künftig Bestellungen und können ville verdienen, hinjejen aber, wenn's nich jut wird, denn is es mit die Bestellungen nischt –

LENE. Nu hör' doch man, Mutter, Herr Ilefeld macht Papierjeld!

ILEFELD. Na Fräulein, das müssen Sie nu richtig verstehn: was so das Jeld selbst is, das muß ja nu erst drufjedruckt werden: fufzig Mark, oder hundert Mark, oder wieviel daß es nu is, das besorgen ja natürlich die andern – aber was das Papier is, worauf sie drucken – des is wahr, das mache ick.[34]

LENE. Aber Herr Ilefeld, denn sind Sie ja ein furchtbar wichtiger Mann?

ILEFELD. Na – wie man es nu eben nimmt. Aber wat ick sagen wollte, sehn Sie, wenn der Herr nu fragt: trauen Sie sich's zu, Paul Ilefeld? Wird's jut werden? Und wenn man sich dessen nu bewußt is, daß es keine Kleinigkeit nich is, sondern eine verdeibelt jroße Aufgabe, und wenn man denn aber weiß, daß man's kann und mit jutem Gewissen sagen kann: ja Herr Aujust, des will ick schon besorgen – und es soll unsere Fabrike keine Schande nich machen, sondern im Jejenteil – sehn Sie, das – das is was – da kann man –

LENE sieht ihn mit leuchtenden Augen an, schlägt in die Hände. Das is famos! famos!


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 30-35.
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