Die Sonnenblume

[91] Auf sandiger Heide am Kiefernforst

Kauert ein Häuschen gedrückt,

An Fenster, Dach und Lehmgewand

Verwahrlost und zerstückt.


Des bretternen Stalles Türe klafft;

Verloren sind Schafe und Ziegen.

Im Dünger ein letztes Hühnchen scharrt,

Mürrisch brummen die Fliegen.


Und in der Stube da quarrt das Kind,

Das Weib, das zornige, schilt,

Des Häuslers Stimme vom Trunke rauh

Lästert dazwischen wild ....


Am Fenster die schlanke Sonnenblume

Erbebt in heimlichem Leid.

Aus Schutt und Unkraut strebt sie scheu

Und starrt in die Ferne weit.


Dort hinter vergilbtem Kartoffelkraut

Und blondem Stoppelhaar

Erglänzt der Himmel wie mattes Gold,

Wie Feiergesang so klar.
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Dort loht aus überirdischem Licht

Eine andere Blume: die Abendsonne.

Sie neigt sich zu Grab. Wer die heilige liebt,

Sauge noch einmal einzige Wonne!


Und die Sonnenblume, am Glutenball

Hängt schwärmerisch starr ihr Angesicht,

Ihr gelbumkränztes Träumergesicht,

Selig ertrunken im Purpurlicht.


So steht sie, bei Nesseln an wüster Mauer,

Wie bebende Arme die Blätter gebreitet ...

Versunken die Sonne ... Hinterdrein gleitet

Ein Schmachten hinunter mit Todesschauer.

Quelle:
Bruno Wille: Der heilige Hain. Jena 1908, S. 91-93.
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