Das neunte Abenteuer

Wie das Lichtreich aus der Goldhöhle kam


[281] Was im Traumgesicht der qualvollen Nacht mein Vater mir verheißen, hat sich erfüllt. Zur Abendburg bin ich wieder gelangt.

Den Sommer über war mein Fuß heil geworden, und nach treuherzigem Abschied von meinen Pflegern hatte ich mich auf die Suche nach Theklas Spur begeben. Da bei vergeblichem Kreuz- und Querreisen mein Pferd verunglückt, mein Geld aber zur Neige gegangen war, litt ich Hunger und konnte das abgerissene Gewand und Schuhwerk nicht durch besseres ersetzen. Statt der Stiefel Lappen an den Füßen, war ich vom Wandern bis zur Verzweiflung erschöpft. Durfte auch noch keine Stunde davor sicher sein, streifenden Parteien in die Hände zu fallen.

Als Ende Septembris endlich das Schlesische Gebirge ferne blaute, begegnete mir ein invalider Soldat, dem in der Breitenfelder Schlacht ein Hieb den rechten Arm gelähmt hatte. Von diesem Menschen ward mir wichtige Kunde. Als Rittmeister im Regiment Kronenberg habe Zetteritz die Breitenfelder Schlacht mitgemacht, und in einem Bleihagel, mit dem die schwedischen Musketiere die kaiserlichen Reiter überschüttet hätten, sei er vom Pferde gesunken. Der Invalide schwur mit heiligem Eide, er habe das mit eigenen Augen gesehen. Von Thekla wußte er nichts.

Obwohl nun ihr Geschick ganz ungewiß, schöpfte ich neue Hoffnung. Je näher ich dem Gebirge kam, desto lebhafter bildete ich mir ein, Thekla werde mich im Häusel des Oheims umhalsen. Hatte sie durch den Tod des Zetteritz ihre Freiheit wiedererlangt, so würde sie mich in Schreiberhau suchen. Wie ich aber beim Oheim anlangte, hatte mich die Hoffnung betrogen.

Trostlose Zeiten kamen. Wenn der Novembersturm die Nacht durchheulte und am Dache rüttelte, daß die Balken[282] krachten, so lag ich schlaflos und sahe Thekla im Elend irren oder fühlte mich vom Geiste der Verstorbenen umwittert. Wochenlang staken die Schreiberhauer Hütten so tief im Schnee, daß Nachbarn kaum einander besuchen konnten. Öde und traurig war auch dem Oheim und der alten Beate zumute, da sie mich dem Trübsinn nachhängen sahen. Einen Hauch von Frieden fand ich in Büchern geistlichen Inhalts. Von alchymistischen Arbeiten, zu denen mich der Oheim gern gebracht hätte, mochte ich nichts wissen.

Wie endlich der Schnee schmolz, konnte ich mich neuer Hoffnung nicht erwehren, wiewohl ich ihr nicht traute. Ich hielt es nämlich für möglich, daß Thekla, durch den Winter am Reisen verhindert, im Frühjahr nach Schreiberhau kommen werde. Doch April und Mai vergingen, und es erschien keine Thekla, auch keine Nachricht von ihr.

Längst hatte mich die Sehnsucht angewandelt, auf der Abendburg zu hausen. Menschenscheu war ich, hätte am liebsten selbst den Oheim und Beaten gemieden. Vollends im Frühjahr beunruhigte mich das Schreiberhauer Leben; denn es brachte schier täglich Gerüchte von jener schlimmen Welt, die mir abscheulich geworden. Nichts sehen und hören mochte ich von Kriegszügen und Gefechten, Sengen und Plündern und von den teuflischen Quälgeistern, so in Hirschberg und anderen Orten längs des Gebirges quartierten.

Machte mich also bei Sommeranfang nach der Abendburg auf, mir dorten ein Gehäus herzurichten. Der Oheim half mir, hatte mir auch jene Summe Geldes eingehändigt, die ich vor der Reise nach Magdeburg bei ihm gelassen. Wir brachten die Grotte in wohnlichen Zustand, vergrößerten den Eingang und schlossen ihn durch eine starke Tür. Einen Steinwurf unterhalb des Felsens fand sich eine Quelle, zu ihr machten wir einen Stufengang hinunter. Um den Abendburgfelsen herum fällten wir in beträchtlichem Umkreise die Bäume, weil wir eine Balkenhütte bauen und zugleich Weideland für ein paar Ziegen gewinnen wollten. Die Balkenhütte[283] wurde derart an den Felsen angelehnt, daß sie einen Vorraum der Grotte bildete. Aus Steinen errichteten wir daneben einen Ziegenstall. Die Grotte sollte als Küche und Werkstatt dienen. Um den Rauch aus ihr abzuleiten, brachen wir einen Spalt in die Decke, schmal genung, daß kein Raubtier hindurchschlüpfen konnte, zumal ein paar Eisenstangen quer angebracht waren. Den Herbst verwendeten wir zum Sammeln von Blaubeeren und Pilzen, die für den Winter getrocknet wurden. Auch einen Vorrat von Mehl, Speck und Schinken, hartem Käse und Beerensaft legte ich mir an. Meine Balkenhütte war in traulichem Zustande, als Tobias von mir gegangen, und ich nun allein hausete. Die Fugen zwischen den Balken verschloß Moos, das Fensterlein hatte kleine Glasscheiben und war von außen durch Eisenstäbe vergittert; aus Stein war der Ofen gemauert, der gut heizte. Auf einem Simse stunden Näpfe, Teller, Kannen und Becher. Unter dem Fenster war ein Tisch mit einem Stuhle, am Ofen die Bank. Ich hatte auch etliche gute Bücher auf einem Gestell. Neben der Tür hingen mein Jagdrohr, mein Säbel und ein Pistol. In der Ecke lehnte der Spieß. Zween starke Schäferhunde hauseten bei mir. Wenn mich der eine auf meinen Waldwegen begleitete, so blieb der andere daheim und war so abgerichtet, daß er zuverlässig meine Hütte und den Ziegenstall bewachte. Der Trost, den ich in früheren Jahren inbrünstig ersehnt und damals nirgends gefunden hatte, begann mich nun zu segnen, zumal bis in den November hinein die Sonnenstrahlen, selten nur durch Wolken zurückgehalten, gülden und warm rings auf die Berghäupter niederfluteten.

Das kostbarste Gerät meines Heims war eine Harfe. An Thekla gemahnte sie mich, und es war mir Erquickung, mein Leiden und Sehnen in holden Klängen vom Herzen zu strömen. Täglich übte ich das Schlagen der Saiten und sang dazu Lieder, die ich selbst ersonnen, und es kamen Zeiten, da Verse aus mir sprossen wie Blüten am Frühlingsbaum.[284] Bei solch einsamem Hausen trank meine Seele den Bergfrieden und ward immer stiller. Zuweilen freilich fiel mich Unrast an, und es nagte der Gram am Herzen. Vom Buche, drin ich Trost suchte, sprang ich dann auf, hing das Jagdrohr über die Schulter und bewehrte mit dem Spieße die Faust. Durch Tannen und Knieholz streifend, schoß ich nach dem Auerhahn und der fliehenden Hirschkuh. Wollte mir nachts der Schlaf nicht gelingen, so konnte ich lange draußen beim Felsen sitzen und war unter finsterm Himmel auf der Suche nach inneren Sternen.


Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.


Ich bin ein Erlenstumpf,

Dran bleicher Moder glimmert,

Ein gärend fauler Sumpf,

Wo scheu das Irrlicht flimmert.


Unheimlich düstre Welt,

Du Tummelplatz für Toren!

Bin gänzlich unbestellt

In dich hineingeboren.


Sag an, was hast du für

Mit deinem bangen Kinde?

Und hast du keine Tür,

Wo ich den Ausgang finde?


Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.


Mein Leben schäumend rann,

Ein Sturzbach zwischen Steinen.

Was ich dabei gewann?

Oh bitter möcht ich weinen!


Einst ward ich schmuck und neu

Als Menschlein eingekleidet.[285]

Doch alles Fleisch ist Heu,

Und horch, die Sense schneidet.


Ach wohl, die Jugend reicht

Den süßen Taumelbecher.

Doch Rausch und Minne weicht,

Und Reue weckt den Zecher.


Um jeden Bissen Brot

Muß hart der Frohner schanzen;

Sonst hockt die hagre Not

Ihm auf dem leeren Ranzen.


Mach dich nicht gar zu breit,

Du Herr im güldnen Hause!

Ohn' End ist Ewigkeit,

Und schmal die letzte Klause.


Poch nicht auf Ehr und Zier!

Fortuna hat's geliehen.

Der Hobler wird auch dir

Ein Linnenkleid anziehen,


Zum Pfühle untern Kopf

Zwo Handvoll Späne schieben ...

Nun denke nach, du Tropf,

Wie närrisch du's getrieben!


Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.


Und wie ich ratlos bang

Ins dunkle Rätsel staune,

Horch, sanfter Wiegensang,

Ein wogend Waldgeraune:


»Nur stille, Menschenkind!

Was helfen deine Sorgen?

Die Augen schließe lind!

Derweilen wächst das Morgen.


Die Nacht hat ihren Tau,

Auf daß der Maien blühe,

Und aus dem Wolkengrau

Entsprießt die Purpurfrühe.
[286]

Soll nicht der Sagenstein,

Wo wüste Tannen dunkeln,

Ein Königspalast sein

Und einst entzaubert funkeln?


Zuvor im Puppenkleid,

Soll unsere trübe Erden

Am Glanz der Ewigkeit

Ein Himmelsfalter werden.


Und ob die Wolke hüllt

Den letzten Sternenfunken,

Dein Traum wird noch erfüllt:

Du schaust, von Sternen trunken.«


Eines Abends im November stieg ich auf den Felsengipfel, die Nacht zu belauschen. Stumm starrten rings die Tannenwipfel, vom bleichen Dämmern beleuchtet, das der Mond durch Wolkendunst über die Berge goß. Feiner Wasserstaub schwebte hernieder und kühlte die heiße Stirn. Es tat wohl, zum bleichen Firmament hinanzustarren. Ich sehnte mich, ein Baum zu sein, allhie Wurzel zu schlagen und grüne Arme gen Himmel zu breiten. In der großen Stille ward jetzo Vogelschrei vernehmbar, Wildgänse schnarrten und kamen geflogen. Ob meinem Haupte sauseten die Fittiche, vorüber zog das dunkle Keilgeschwader. Fern und ferner das Krächzen, und wie der Vögel Raunen von der Öde verschlungen war, schrie mir im Herzen die Sehnsucht auf. Ihr geflügelten Geschwister eilet aus dem Nebellande gen Mittag, wo warm die Sonne blühet. Ich aber bleibe in der Öde hausen, wo mich Sturm und Regen an den Herd bannen und des Schnees Woge begraben wird. Ja, komm geschlichen, kalte Winternacht. Was soll die warme Sonne dem Verdüsterten? Trost ist es ihm, wenn auch die Welt ein trübes Antlitz macht. Wohl blühet in der Seele heimlich eine Blume, doch nie darf ich sie kosen. Des Traumes Glück allein ist mir vergönnt – ich sinne, seufze in der Nebelnacht. – Hinunter in meine Klause ging ich, stimmte die Harfe und ersann schwermütige Weisen.[287]

Bald hatte ich auf ein ander Lied zu lauschen: der Sturm heulte um Felsen und Tannen, rüttelte an Balken und Dachsparren. Tag und Nacht ging es so fort, Nacht und Tag. Als dann die Luft wieder lautlos war, sanken Flocken hernieder, dicht und dichter, und es ging ein Schneetreiben los, daß die weiße Decke an mein Fenster reichte, schließlich gar die ganze Hütte einhüllte und verfinsterte. Wie ich durch den Spalt der Grottendecke wahrnahm, daß kein Schnee mehr fiel, und klarer Frost eingetreten, tat ich behutsam die Tür des Blockhauses auf und grub durch die Hülle einen Schacht. Den ausgeschaufelten Schnee schmolz ich im Kessel, und mit dem heißen Wasser erweiterte ich den Schacht. Machte dann einen Aufstieg, der mich über die glitzernde Fläche lugen ließ. Ein Gefangener war ich nun wohl, hätte beim Ausgehen ja versinken müssen in der weißen Woge. Doch ein Trutz erhub sich in mir, ein keck Gelüsten, dem Vogel gleich zu triumphieren über Erdenleibes Schwere, zu schweben, zu gleiten übers glatte Flockenfeld. Ich bedachte, was mir ein schwedischer Soldat zu Magdeburg erzählt hatte. Daß nämlich die Bewohner der nordischen Berge leichte Brettlein von Mannslänge an die Sohlen riemen und dann wie auf Schlittenkufen über den Schnee gleiten, ohne einzusinken, inmaßen des Körpers Schwere durch die Fläche des Brettes auf eine ebenso große Schneefläche verteilt wird. Ich verfertigte mehrere Schneeschuhe nach verschiedenem Plane und fand, nach tagelangem Erproben im Schnee, ein Paar für meinen Zweck geeignet. Mit der Zeit bekam ich solche Übung, daß ich auf schrägem Schneegefild wie der hurtigste Schlitten abwärts flog. Wollt ich bergan, so ging ich Schritt für Schritt, gestützt auf einen Stab, der über seinem Stachel ein dünnes Querbrett hatte, um Halt auf der Schneedecke zu finden. Dann war ich ein Vogel, flog die Abhänge hinunter und überraschte manches Wild beim Lagern – so schnell war mein Kommen. In einem Zauberreiche deuchte ich mich, wenn ich die eingeschneiten Tannen betrachtete.[288] Die niedergedrückten Zweige trugen zackig geformte Schneeklumpen, an der Wetterseite hingen weiße Mäntel, Mönchskutten mit Kapuzen. Auf dem Knieholz bildete der Schnee wunderliche Tiere, weiße Bären, die auf den Hinterbeinen liefen. Wie Rauhreif kam, war alles Grün und Braun der Bäume versilbert. Jede Fichtennadel ergraut, von seinem Kristall eingepudert. Erneuter Rauhreif machte die Kruste immer dicker, und ich staunte, was doch der harte Winter ein Feinbäcker sein kann, so mit kunstvollstem Zuckergusse die düsteren Bäume zum glitzernden Zauberwalde zu wandeln weiß. Aber auch als Schmiedemeister ließ sich der Winter bestaunen, da er den Bäumen klirrende Rüstungen schmiedete. An der Mittagssonne schmolz der Schnee von den Zweigen, und das Tröpfeln gefror zu Zapfen. Purpurn gleißte der Morgenstrahl darauf, und erhub sich ein Hauch, so klirrten und klimperten die Eiszapfen an den wankenden Wipfeln wie Glas und Glocken. Fegte der Wind über die Berghänge und Talflächen, so wirbelten Schneesäulen empor, wallenden Geistern in weißer Gewandung gleich. Einmal glitzerte ein ganzes Heer solcher Schneewirbel im Sonnenschein. Ein Jauchzen brach aus meiner Seele, und ich spürte, wie voll Göttlichkeit diese Welt für den, der zu schauen weiß.

Bei solcher Betrachtung dachte ich oft an meines Vaters Reden vom Himmelreich, wie Gott nicht fern über den Sternen sei, sondern allenthalben bei uns, in uns zugegen. Das Ganze ist Gottes Leib; Sonne, Mond und Sterne hat er als Augen; mit dem Lichte, das in alle Gründe flutet, schaut er; im Finstern spüret er, lauscht, tastet und sinnt. Sein Odem ist die Luft und das Leben aller Kreatur; göttlich Blut träufelt aus der Wolke; Bach und Strom sind Allvaters Adern, und in unserm Pulse regt sich der unermüdliche Schöpfer. Freilich tut es uns not, unsere göttliche Erborenheit und Naturam zu spüren. Das erst ist die Erlösung, daß wir uns fühlen als Gottes Kind. Wer aber nicht ahnt,[289] daß sein Wesen im unendlichen Geiste weset, der dünket sich wohl klein, arm und verloren. Eine Hölle leidet er, denn die ist nichts andres, als daß wir uns getrennt und abgestückelt fühlen vom Ewig-Einen. Finde dich heim, seufzende Seele, spüre durch alle Kreatur hindurch den Urgrund, unsern All-Vater. Solche Andacht deuchte mich der wahre Schatz meiner Wohnstätte. Zu deuten wußt ich die Mär von der Abendburg, wie der wüste Stein sich dem Johanniskinde zum strahlenden Schlosse wandelt, und wie es blühet im Felsenherzen von Gold und buntem Edelkristall.

Seliger noch ward meine Andacht, als der Frühling mit warmem Hauche den Schnee schmolz, daß die Decke von Tag zu Tag dünner ward, bis im Tal die Matten grüneten, und auf meiner Höhe die Tannen und Felsen vom Schnee frei wurden, der nur noch an Hängen gen Mitternacht lag und schließlich in die kalten Schluchten sich zurückzog. Wenn ich den Oheim besuchte, schimmerten auf grünender Wiese die gelben Schlüsselblumen und wie blaue Flämmchen die Krokusblüten. Erlöst war mein Herz, und wie neugeboren kam ich mir in der Frühe vor, wenn ob den dunkeln Talen der Himmel matt erglänzete, wie aus Opal gebildet – wenn sich dann aus den Waldschluchten weiße Dünste huben und zu einem breiten Gewebe zusammentaten, indessen das dunkelblaue Gewölk ob der fernen Ebene von Feuerbächen durchronnen ward und immer mehr erglühte, bis es sich auftat wie ein Augenlid, und rot das Weltenauge übers Bergreich blitzte. Manchmal hüllte der Nebel die ganze Tiefe unter mir, daß nur die Berggipfel herfürrageten. Die weite, wellige Dunstfläche sahe dann aus wie wogende See, drin Felseninseln schwimmen. Beim Auftauchen der Sonne erglühten die starren Wogen, und die Stirnen der steinernen Riesen badeten im flutenden Tagesstrahl. Freudig regten sich die grünen Wipfel unter mir. Geheimnisvoll kam aus dem Nebel, so alle Täler deckte, das Rauschen der Gießbäche und Brünnlein. Dann flog wohl bei mir eine Berglerche[290] trillernd empor, und wenn sie ins Blaue entschwebete, deuchte sie mich meines Herzens Jauchzen. Was konnte bei solchem Schauen mein alter Gram noch sein? Zerflattern mußte er wie düstere Traumgesichte, die der Morgen scheucht.


Willkommen, Ritter Morgen!

Vor deinem güldnen Haupt

Entfliehn die Wölfe Sorgen,

So mir den Schlaf geraubt.


Der Fels vor meiner Klause

Starrt feierlich mich an,

Die Wipfel mit Gebrause

Wiegt unter mir der Tann.


Steingraue Wolkenwogen

Verhüllen noch das Tal,

Darob der Himmelsbogen

Matt leuchtender Opal.


Und aus dem Dunstmeer ragen

Die Berge drüben steil.

Ihr Stirnenglanz will sagen:

Ganz oben thront das Heil.


Nun blüht von Purpursonne

Das Nebelmeer wie Klee,

Und auch mein Gram ward Wonne,

Dieweil ich drüber steh.


Als Lerche schwebt mein Schauen

Hoch ob dem Erdennest

Durch selig freie Auen ....

O Himmel, halt mich fest!


Doch ob ich auch in den Himmel zu tauchen verstund, fest hielt er mich nicht, und wie die Lerche vom jauchzenden Höhenfluge wieder zur Erde sinkt, so geschah auch mir. Ich sehnete mich nach meiner Gattin und kam mir verwaiset für wie Adam, da ihm der Herr das Paradeis genommen. Auch peinigte mich das Mitleiden mit meinen Landsleuten, die immerfort von der Kriegsfuria Folter litten. Sooft mir[291] Kunde aus den Tälern ward, stöhnte ich vor Grimm, und konnte schon gar nicht zum Oheim hinuntergehen, ohne vor dem zu beben, was ich zu hören bekommen sollte. Die Wachsteinposten berichteten von einer Hungersnot, die seit Pfingsten die Ebene heimsuche. Hagere Bettler in Lumpen hätten nach Schreiberhau herauf gewollt, und da man ihnen den Weg versagen gemußt, kläglich um Speise gebeten. Hätten erzählt, wie das Korn so rar, daß nur noch der Reiche Brot habe. Von Kleien und gemahlenem Moose bereite sich der Arme sein Gebäck und esse gekochte Nesseln nebst anderm wilden Kraute. Dabei höre das Plündern und Plagen durch die Soldateska nimmer auf. Erst sei kursächsische Reiterei in Hirschberg gewesen, und mancher Hausbesitzer habe ein Dutzend Soldaten speisen müssen. Endlich, wie pestartige Seuchen herumschlichen, seien die Sachsen aus Scheu vor Ansteckung abgezogen, nicht ohne Abschiedsgeschenke zu erpressen. Im Juli sei abermals Einquartierung gekommen, diesmal kaiserische, und ihr Oberster habe dem Burgemeister unter Flüchen in Aussicht gestellt, die Stadt für die Aufnahme der Sachsen zu züchtigen. Unbarmherzig plünderte sein Volk die Vorstädte und Dörfer. Als eine mörderische Pest auch diese Einquartierung vertrieben hatte, überrumpelte eine Partei Plünderer das Schildauer Tor. Mit Äxten schlugen sie den Bürgern Türen und Schränke auf und raubten den Kirchen, was noch Wertvolles drin vorhanden. Dabei mußten die Einwohner Mißhandlungen über sich ergehen lassen. Als eine Deputation des Rates beim kaiserlichen Kommissar ob der soldatischen Greueltaten Klage führte, kam der trutzige Bescheid: »Ihr seid ja selber schuld; was habt ihr die Tore nicht besser verwahrt? Wart', ich werde euch eine Sicherheitswache senden.« Nun hatten die Hirschberger ihre liebe Not, die Sicherheitswache abzuwenden, denn solche Salvegarden waren allenthalben im Kriege Plagegeister, nicht minder schlimm denn der Feind. Nach und nach hatte sich in der Stadt auch lüderlich Gesindel eingefunden,[292] das eine Rotte bildete, mehrerlei Unfug trieb und sogar eine Hochzeit auf Kosten der Stadt feierte, von den Bürgern Zehrung und Bier erpressend. Etzlers unterirdisch Weingewölbe räumten die Mausköpfe aus, soffen sich voll und erschlugen ein paar Bürgersleute. Schließlich wurden sie vertrieben, nicht ohne blutigen Kampf. Als zu Friedland kaiserisch Hauptquartier war, kam ein Kommando, Hirschberg solle all seine Geschütze und Glocken ausliefern. Die Stadt verlor drei Mörser und eine Kirchenglocke. So ward das Reich von Höllengeistern gepeitscht; bis in unsere abgeschiedenen Täler drang das Seufzen der Verzweiflung.

Für die Schreiberhauer kam eine Gewissensnot hinzu. Unser Prädikant hatte das Zeitliche gesegnet, und obwohl seitdem aus Giersdorf der evangelische Geistliche kam, die Neugeborenen zu taufen, die Toten zu begraben und die Paare zu trauen, war doch keine rechte Seelsorge vorhanden. Endlich ward dem Giersdorfer verboten, sein Amtieren über seine Gemeinde hinaus zu erstrecken. Wie denn überhaupt der evangelische Glaube im Lande vom Kaiser und seinen jesuitischen Helfern drangsaliert ward. Wegen meines Gesanges zur Harfe hatten mich die Schreiberhauer wiederholt zu Feierlichkeiten geladen, die ich durch Lieder verschönern sollte. So war ich zu einem Begräbnisse gegangen, und als der Giersdorfer Prädikant, nachdem wir lange gewartet, nicht erschien, baten mich die Trauernden, ein Gebet zu sprechen, da ich eines Seelsorgers Sohn und ein halbstudierter Mann. Auf diese Weise kam ich zu meiner ersten Predigt, und die Leute waren erbaut. Da nun die Gemeinde sahe, daß kein rechter Prädikant zu erlangen, drang sie in mich, jeden Sonntag zu predigen. Ich sagte zu und sprach, wie es mir ums Herze war. Der Kirche indessen fremd geworden, sahe ich für das schönste Gotteshaus den freien Himmel an. Proponierete also der Gemeinde, bei, gutem Wetter nicht zwischen Mauern, sondern im Waldesdom der Andacht zu pflegen. Kanzel und Altar war ein Felsen, statt der Kirchenbänke[293] dienten Moos und Beerengestäude, als Glocken summten die vom Wind geschwungenen Fichten. Nur die Orgel war von Menschenhand – meine Harfe – sie gab im Walde guten Klang.

In meinen Predigten tat ich kund, woher das Elend teutschen Landes komme, und wie es zu heilen sei durch die Wahrheit. »Die Konfessionen hadern miteinander, jede wähnt, ihre Pfaffen besäßen in den Glaubensartikeln einen Pakt, durch den der Herrgott verbunden sei, den Schäflein die Himmelsweide aufzutun. Dabei gehet es den Parteien keineswegs bloß um geistlich Gut, irdischer Reichtum ist hauptsächlich der Zankapfel. Die evangelischen Fürsten haben der Papistenkirche die Güter genommen, und nun möchte kaiserliche Majestät die Hand darauf legen. Hin und her gezerrt wird das arme Volk von den Confessionibus. In Strömen fleußt Menschenblut, die Saaten werden zerstampft, die Scheuern niedergebrannt, jeder blühende Gau wandelt sich zur Wüste, und zur Hölle das liebe Vaterland, wo Menschenbestien als Teufel hausen. Woher aber das Streiten um den Glauben, aus dem allerdings dieser unselige Krieg herfürgewachsen? Gibt es denn keine Instanz, wo die Hadernden zum Frieden gelangen können? Ist denn nichts Höheres ausfindig zu machen als die Konfession? Ja, das Höhere lebt! In allen Menschenkindern lebt es! Der eine gemeinsame Urquell ist es, dem jede Kreatur entquillt! Er allein, der Ewige, Eine, Unteilbare sei unsere Konfession! Lasset uns nicht geringer sein denn diese frommen Waldbäume! Nadeln und Zweige der Tanne spüren, daß sie demselben Stamme, derselben Wurzel angehörig sind. Doch wehe, die argen Pfaffen predigen einen andern Gott als den Allwesenden, darinnen wir leben, weben und sind. Schwatzen dem törichten Volke vor, Gott sei ferne der Welt, hoch über den Sternen, durch eine Kluft geschieden von seinen Geschöpfen. Ja, wer das gläubet, ist von Gotte hinweggewandt, denn Gott lässet sich spüren nur im Zuge nach dem[294] Einen, das seine Geschöpfe mit ihm verbindet. Wer solch Heimweh nach der Ewigkeit vermisset, ist fürwahr eine rechte Waise und irret höllenwärts. Die Hölle ist nämlich die Abkehr von Gotte. Diese Abkehr wird von den papistischen Pharisäern befördert, und auch die Evangelischen muß ich anklagen, dieweilen sie den fernen Gott lehren und für seinen Stellvertreter ihren Papst von Papier ausgeben. Nicht also, liebe Seele, traue nicht denen, so dir vorspiegeln wollen, ihnen habe der ferne Gott seinen heiligen Geist eingehauchet, oder das Bibelbuch habe ein für allemal die Offenbarung in sich geschluckt. Hoffe nicht, vom Pfaffen Gnade zu erlangen und die ewige Seligkeit. Babel schreit: Hier ist die Kirche, hie Christus, laufet all herzu! Wenn aber dann die Wahrheit in Gestalt eines Redlichen nahen will, geschieht ein Geschrei: Meidet, ihr Schäflein, diesen schwarzen Teufelsbock! Er sei verflucht, Feuer her! – Ach diese Gleisner! Dieselben sind es, so den Heiland ans Kreuz geschlagen haben. Hochmütig blähen sie sich auf und setzen eine Würde auf die Nase: Wir sind Herrgotts Amtsleute, und alles Volk soll uns gehorsamen! Die auf Sankt Petri Stuhle sitzen, nicht minder die andern Schriftgelehrten, tun als besäßen sie des Himmelreiches Schlüssel, vergeben Sünden um Geld, schändlichen Handel treiben sie damit. Jesus war arm auf Erden und hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegte; sie aber wollen an seiner Statt reich und fett sein. Zur Botmäßigkeit beugen sie die Nacken ihrer Gläubigen, heischen den Mammon und häufen ihn derart, daß es dann nicht verwunderlich, wenn beutegierige Herren sich darüber hermachen.

Da hab ich hingewiesen, woher das ganze Elend kommt. Wir Schreiberhauer wollen nun die Glaubensfehler meiden, die übers teutsche Vaterland den Ruin gebracht. Keinen Götzen wollen wir verehren, vielmehr den Vater unser, so in uns waltet. Wir haben ja alle einen Odem und sind aus einer Seele erboren. Die reine Gottheit ist überall gegenwärtig, an allen Orten und Enden, wohin du sinnen magst,[295] auch mitten in der Erde, in Stein und Felsen. Drum laufet nicht zur Mauerkirche, wo der Pfaffe herrscht; sondern unter freiem Himmel, wo euch das Herz aufgeht, ist Gottes Tempel. Kein Pfaffe soll sich zwischen ihn und unsere Seele drängen. Beten wir ihn an in der Wahrheit, die uns die Bäume predigen und die Berge, die Murmelbächlein und die wehenden Lüfte. Gott lächelt aus jedem Stern und jeder Blume, sein Himmel erschleußt sich dem Menschenherzen, wenn es ihn spürt, wie er schöpft und wirkt, wie er heilt, erleuchtet und durchfriedet. Das Paradeis, so dem verschlossen, der sich von Gotte verirrt, stehet offen allen, die sich zu ihm wenden, nur einzugehen brauchen wir. Gedenket der Mär, die in euren Spinnstuben von der Abendburg geraunet wird. Der öde Felsen droben, so sagt man, sei ein heimlich Schloß, verwunschen vom bösen Geiste. Wer aber die Kraft Magiae besitzt, kann den Felsen zur strahlenden Königsburg wandeln. Ich deute euch diese Mär, die mitnichten ein dummes Gemare. Eine Abendburg ist die ganze Welt, der Himmel mit den Sternen, die Erde mit ihren Gewächsen und Tieren, mit uns Menschenkindern, mit Bergen und Gewässern, mit Meer und Luft. Verwunschen und verstört ist die Welt durch den schlimmen Wahn, sie sei von Gotte verlassen und dem Teufel zum Tummelplatz überliefert. Wer so gläubet, dem freilich macht sie ein trüb Gesicht, dem grauen Steine gleich. Wachet auf, ihr Augen, und schauet mit dem magischen Blick, so wandelt sich die Welt zum Gottesleib, drinnen seine Kraft und Herrlichkeit sich auswirkt allerorten, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wer also die unendliche Abendburg entzaubert, dem blühet innen der verheißene Schatz. Es ist die gewisse Zuversicht, daß jedes Menschenkind in sich den Gott heget, mag er auch nur wie ein Körnlein keimen. Der Erlöser in uns lebt und wächst heran zu Schöpfers Ebenbilde. Die Geheiligten lobsingen miteinander und sind auf einmal in der Stadt des ewigen Lichtes. Da lächelt sie nun, unsere Heimat, und alles Heimweh ist selig gestillt. Friede mit uns allen!«[296]

Also ging von der Abendburg ein gülden Schimmern aus. Der Traum vom Lichtreiche, der mir beim Sagenstein gekommen war, teilte sich durch mein Wort den Schreiberhauern mit und ward eine Schwarmgeisterei. »Bauen wir die neue Burg Zion!« hieß es – »auf daß erfüllet werde, was der Psalmist gesprochen: Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten.« – Wohl gut! Doch was sich leicht ersinnen läßt in der Bergeinsamkeit und ungestört seine phantastischen Ranken und Wunderblüten treibt, – ach welch ander Wesen entfaltet es, übertragen auf den harten Acker der Wirklichkeit, wo es gedeihen soll auf unfruchtbaren Steinen, zwischen widerwärtigen Dornen ... Das sollt ich nun erfahren.


Anno 34 war's, an einem Sonntage des Märzen, und ich hatte abermals vom Lichtreiche gepredigt. Warm schien die Sonne in den Waldwinkel, obwohl zwischen den Felsen am Bache noch dicker Schnee lag. Als nach dem Amen die Gemeinde schwieg, ging Windesharfen durch den Tann, die Erlenzweige wiegten ihre rostroten Blütenkätzlein, und der angeschwollene Bach orgelte einen dumpfen Choral. Da erscholl eines Mannes Zuruf von fern, und zwischen den Baumstämmen tauchte einer von denen auf, so beim Wachstein unser Bergdörfel vor feindlichem Volk behüteten. Auf einem Pferde aber saß ein Mägdlein in herrschaftlicher Tracht, und es folgte ein Trupp Leute. »Schauet doch!« raunete man; »ist das nicht unser adlig Fräulein? Ei freilich, die junge Schaffgotschin! Mit Maiwalds Karle kommt sie zu uns. Und da sind ja auch die Knäblein des gnädigen Herrn! Und der Kemnitzer Rentmeister.« Den Ankömmlingen öffnete man eine Gasse und neigte sich vor der jungen Herrschaft. Als ein rechtes Prinzeßlein anzuschauen war Anna Elisabeth, Hans Ulrichs zwölfjährig Töchterlein, schön, zart wie die Mutter selig. Unter den vier blondlockigen Knaben[297] hatte einer schon etwas vom hohen Wuchse seines Vaters. Der kleinste mochte sieben Lenze zählen. Zuerst vermeinete ich, es werde nun auch der Freiherr kommen. Doch nein. Und es schloß nun die Menge den Kreis um unsere Gäste.

Das Pferd ward vor mir angehalten, und die junge Schaffgotschin sprach mit traurigem Lächeln: »Grüß euch, ihr Leute! Ihr wisset, wir sind eures Grundherrn Kinder. Stehet uns nun bei, bitt euch! Unser Vater – ach, unser Vater ...« Nicht weiter konnte sie und brach in Tränen aus, das Tüchel vor dem Angesicht. Weiber küßten ihres Gewandes Saum, und männiglich murmelte bestürzt: »Was hat's denn mit dem gnädigen Herrn?«

»Gute Leute!« nahm der Rentmeister das Wort und zog den Hut vom ergrauenden Haupte – »eine Heimsuchung hat die edeln Schaffgotsche betroffen; unser gnädiger Herr ward auf Befehl des Kaisers verhaftet ...« – »Mein Gott!« rief alles entsetzt. »Verhaftet? Auf Befehl des Kaisers? Was tat denn unser Herr?«

»Die Verhaftung ist geschehen durch den General Colloredo ...« – »Da haben wir's!« rief ich aus, »Italiener und Spaniolen erwürgen unser Volk.« – »Die Pfaffen sein schuld!« meinte der Bauer Dreßler. »Die Jesuiter!« schrien andere.

Der Rentmeister fuhr fort: »Im Ohlauer Schlosse war's – da quartierte unser Herr. Wollte grade ausreiten, die Feldwachen zu besichtigen. Da ziehet klingenden Spiels Colloredosches Fußvolk auf und besetzt sogleich die Schloßpforten. Unseres Herrn Kammerdiener kommt hereingestürzt: Flugs machet fort, Herr! Doch ihm auf den Fersen sind Colloredos Offiziere, die Degen entblößt. Einer weiset den Haftbefehl vor: Im Namen des Kaisers! Herr Feldmarschall Colloredo gebeut, daß wir Ihro Gnaden nach Glatz transportieren, ohne Verzug, lebendig oder tot. – Unser Herr, zuerst starr und sprachlos, schäumte nun wie ein wilder Eber: Lebendig oder tot? Ich will euch zeigen, wer den andern[298] töten wird. – Und stürmte zur Ecke, wo die Standarten lehneten, und wo sein Degen hängen sollte. Doch der Degen fehlte, ein Schelm hatte ihn entwendet, und den Wehrlosen packten die Offiziere ...« – »Mein Gott!« jammerten die Schreiberhauer, und es weineten die jungen Schaffgotsche. Dreßler rief: »Unser Herr ist halt ein Evangelischer, das ist sein Verbrechen!« Der Bericht aber lautete des weitern: »Noch gleichen Tages waren alle Schriftstücke unseres Herrn von den Obersten genommen und versiegelt, und bei anbrechender Dunkelheit fuhr die Karrete mit dem Gefangenen zur Glatzer Feste. Hinterher ging das Gerücht, Herr Schaffgotsch habe benebst dem Herzog Wallenstein und dessen Schwager Tercky Hochverrat am Hause Habsburg begangen, nämlich den untergebenen Obersten befohlen, dem Wiener Hofe nicht Order zu parieren, dieweilen der Generalissimus mit Wien uneins sei und als Führer der Armada über der kaiserischen Regierung stehen müsse.« Da alles betreten schwieg, nahm Dreßler das Wort: »Wie dem auch sei – an unserm gnädigen Herrn ist kein Falsch.« – Dann sprach wieder der Rentmeister: »Ein gut Gewissen muß unser Herr haben, sintemalen er sein Eigentum, ja seine Kinder, ohne Schutz mitten unter Colloredoschem Volke gelassen hat. Das ist nach Lage der Dinge nun freilich schlimm. Es dräuet den Schaffgotschischen Besitzungen, und in puncto religionis auch den Kindern Gefahr von seiten der Jesuiter, so ja den Kaiser beherrschen. Stellet doch der Kardinal Dietrichstein allbereits das Ansinnen, es sollen evangelische Diener hinfürder den jungen Schaffgotschen fern bleiben ...« – »Hoho!« murreten die Schreiberhauer. – »Man will unsere Herrschaft ausrauben«, nahm ich das Wort. »Raunet man doch, es bestehe bei Hofe das tägliche Brot aus konfiszierten Güteln. Da wird ihnen das Maul wässern nach dem Reichtum der Schaffgotsche. Ich möchte die hochgeborenen Kinder nicht bekümmern; jedoch, Herr Rentmeister, sowie ihr lieben Schreiberhauer, man muß der[299] Gefahr ins Auge schauen. Der Papismus recket seine Hand übers Gebirge, will uns Gut und Glauben nehmen. Da gilt es, fest und treu zueinander zu halten. Drum wollen wir unserm Grundherrn beistehen, so gut es unserm schwachen Vermögen gelingt. Nicht also, ihr Leute?« – »Wir stehen bei!« riefen sie. »Ich selber bin ein armer Eremit der Iserwildnis ...« – »Unser Prädikant ist er!« rief man dazwischen. »Einen Buschprediger heißen sie mich. Ohne kirchliche Bestallung predige ich unsern Schreiberhauern, weil sie, geistlich verwaiset, mein Wort nicht ungern vernehmen und mein Saitenspiel. Ich suche ewiges Heil, suche den Frieden für unser armes Vaterland und bin unserm gnädigen Herrn Hans Ulrich ergeben. Seine Kinder haben eine Zuflucht bei uns, und ihre Feinde werden wir zurückscheuchen ...« Dreßler, der reckenhafte Bauer, schüttelte die Faust: »Wir halten Wacht beim Wachstein, und wehe denen, so ihn berennen! Felsen schmettern wir in ihre Reihen ...« – »Gut und Blut für die Herrenkinderla!« rief der älteste Mann des Dorfes, mit einfältigem Lächeln sich neigend. »Sie sein unsre Gäste – wenn sie möchten fürliebnehmen – wir sein geringe Leute!« rief man, und ein Weiblein platzte heraus: »Die Preislerin, die hat's fürnehmste Häusel.« – »Da hat's Speckeier und Brathühnla«, lallte der älteste Mann. »Nu freilich – ein Unterscheid muß halt doch sein zwischen Adelsblut und gemeinen Menschern.« Hellauf lachte das Fräulein unter Tränen. Dreßler entschuldigte: »Halten zu Gnaden!« Die Preislerin trat aus der Menge und neigte sich: »Hätte mir's nicht nehmen lassen, die junge Herrschaft zu bewirten. Ebenfalls den Herrn Rentmeister und unsern Prediger. Wollet mir folgen, meine geehrten Gäste!« Zum Danke reichte das Fräulein der Witfraue die Hand, und nach einem Grüßen und Vivatruf der Menge wurden die Schaffgotsche zur Glashütte geleitet.

Ich ging neben dem Rentmeister und vernahm noch mancherlei von dem Vorgefallenen. »Eine Parteiung« –[300] erzählte er – »zerreißt die kaiserische Armada. Wallensteinisch sind die einen, höfisch die anderen. Unser Herr hat stets zu Wallenstein gehalten; der hinwiederum hat nicht vergessen, daß der Steinauer Lorbeer insonderheit den Schaffgotschischen Dragonern zu verdanken. Im Januar ist unser Herr im Pilsener Hauptquartier gewesen und hat aus Wallensteins eigenem Munde seine Ernennung zum Obergeneral aller schlesischen Völker vernommen. Wie er dann aber in Glogau seine neue Charge dem Generalleutnant Gallas meldet, schüttelt dieser spöttisch das Haupt und weiset einen schriftlichen Armeebefehl vor, wonach Colloredo der schlesische Obergeneral ist. Da stund unser Herr, der mir selber solche Kränkung geklagt hat, wie ein Schulbub errötend und zähneknirschend. Unter Vorbehalt weiterer Schritte hat er Urlaub genommen und nach längerer Ratlosigkeit einen Diener, den hurtigen Trompeterhans, nach Pilsen zum Generalissimo gesandt und um Aufklärung ersucht. Doch bevor der Trompeterhans zurücke war, hat die Verhaftung unseres Herrn stattgefunden.« – »Und welchen Bescheid hat schließlich der Trompeterhans aus Pilsen gebracht?« – »Er ist noch immer nicht zurück. Seit ein paar Wochen haben wir schier jeden Tag gesprochen: Heut muß er endlich kommen. Gebe Gott, daß ihm nichts Schlimmes widerfahren ist. Seltsamerweis konnten wir auch über die Vorgänge im Hauptquartier nichts Gewisses in Erfahrung bringen – als seien alle Botschaften dorther abgeschnitten. Ein Gerücht will wissen, der Kaiser habe den Wallenstein abermals abgesetzt. Wallenstein aber wolle sich das nicht gefallen lassen und wende sich gegen den Hof; wolle mit den Sachsen rasch Frieden schließen, ihre Truppen an die seinen angliedern und den Kaiser zu Wien besuchen. Anders, so scheint's, gibt der Kaiser nicht nach; abpochen muß man ihm, was not tuet. Es wäre wohl besser gewesen, unser Herr Schaffgotsch hätte das früher eingesehen und nicht so lange mit der Tat gezögert. Hätte sollen dem Colloredo zuvorkommen und[301] diesen selber beim Kopfe nehmen, den Gallas dazu und die ganze welsche Canaglia, so uns am Marke zehrt, den Piccolomini und Collalto, Diodati und Caretto, Maradas und Mora ...«

Während dieser Rede hatten sich die Schaffgotschischen Knaben an uns herangemacht und lauschend ihre zagen Herzlein mit Hoffnung geletzet. In Preislers warmer Balkenstube, wo Brathühnla und Speckeier tatsächlich dufteten, tauete die kindliche Munterkeit auf, indessen ich mit dem Rentmeister beim Biere des weitern über die Zeitläufte redete. Der Herr legte dar, weshalb neuerdings der alte Gegensatz zwischen Wallenstein und dem Hofe zur ärgsten Schärfe geraten sei. Zwar zuerst nach dem Siege bei Steinau schien der Jubel zu Wien kein Ende zu nehmen, und Wallenstein war der glorreichste Held. Im Spätherbst jedoch gab es lange und bleiche Gesichter, da auf einmal der Weimaraner Bernhard die Hand auf Regensburg gelegt hatte, den Schlüssel zu Österreich und Bayern. Der Kaiser machte für solch gefährliche Schlappe den Wallenstein verantwortlich, weil dieser den Süden vernachlässigt habe. Vom Kaiser herbeigerufen, versuchte Wallenstein zuerst, in Eilmärschen Entsatz zu bringen, blieb aber auf halbem Wege in böhmischen Winterquartieren liegen. Zur Rechtfertigung machte er geltend, ein Winterfeldzug werde das Heer ruinieren, die Soldateska werde entweder meutern oder desperieren und krepieren. Nun flüsterten die Höflinge, der Generalissimus sei ein gar zu großer Herre worden und habe Absichten auf die böhmische Krone. Wallenstein, der wohl sah, wie man in Wien seine Stellung untergrub, suchte sich der Treue seines Heeres zu versichern. So kam im Jänner jener Oberstenkonvent im Pilsener Hauptquartier zustande, dem auch Herr Schaffgotsch beiwohnte; einer seiner Diener hat mir davon Bericht gegeben. Den aus allen Lagern herbeigerufenen Kommandanten ließ der bettlägerige Generalissimus durch Feldmarschall Ilow eröffnen, wie er der ewigen[302] Verdächtigungen und Zumutungen von Wien müde und höchlich disgustiert, überdies alt und gichtbrüchig sei und deshalb lieber auf sein Generalat verzichten und ins private Leben zurücktreten wolle. Darob gerieten die Herren in nicht geringe Bestürzung. Weil viele ihre Regimenter aus eigenem Beutel geworben und all ihre Wohlfahrt in die Armada gesteckt hatten, so liefen sie Gefahr, alles zu verlieren, sintemalen sie allein in Wallenstein ihre Bürgschaft sahen. Ihn umzustimmen und zum Ausharren zu veranlassen, sollte ein Bankett verhelfen, das Ilow in seinem Losamente gab. Nach dem Mittagsmahle blies Ilow die vom Weine schon heißen Köpfe durch eine Ansprache zur Glut an. Der Hof wolle die Armada um Quartier, Sold und Beute bringen. Die Pfaffen hätten einen Anschlag auf Herzog Wallenstein gemacht und ihn mit Gifte vergeben wollen. Der Herzog bedeute nicht bloß des Reiches, sondern zugleich des Kaisers Rettung und müsse zu diesem Ende seine Macht ohne jede Schmälerung gebrauchen. Er sei auch solchem vaterländischen Werke trotz aller Gegenminen immer noch geneigt, wofern die Obersten ihm Treue schwüren, seine Person und die Armada zu konservieren. »Der das nit tuet, soll vertilgt werden«, ruft Herzog Julius Heinrich. Und wie der hitzige Losy alle Obersten, so nicht mitmachen mögen, vor Hundsnasen ausschreiet, antwortet ihm einer aufbrausend, er verdiene, für dies Wort zum Fenster hinausgeworfen zu werden. Der Kroat Isolano sucht den Tumult mit gezogenem Degen zu stillen und vermehrt ihn nur. Piccolomini gerät mit Tercky in Wortwechsel, heißet ihn einen traditore, heuchelt indessen Trunkenheit und hüpft lachend mit Isolano umher, worauf sich Tercky beschwichtigen läßt. Inzwischen wird ein zu Papier gebrachter Schluß zur Unterzeichnung aufgelegt, der die Offiziere an Stelle eines körperlichen Eides verpflichtet, zum Friedländischen Herzog ohne Absonderung zu halten, wohingegen dieser beim Heer bleiben solle. Die Unterschriften wurden der Reihe nach geleistet;[303] auf den Herzog Julius Heinrich und den Feldmarschall Ilow folgte Herr Schaffgotsch. Manche unterzeichneten rasch, andere unter Bedenken und dissimilando. Etliche, die nicht ganz eingeweiht waren oder so taten, schrien in das Stimmengewirr: »Déchirez la lettre! Wascherei! Pochen wir's dem Kaiser ab!« Es war eine volle Mette, und viele mögen sich nach so starkem Trunke kaum entsonnen haben, was alles getan und geredet worden. Doch mitnichten übergangen hat's der Wiener Hof, der seine Lauscher und Späher halt mitten unter Wallensteins Vertrauten hat. Für Meuterei schreien die Spaniolen den Pilsener Schluß aus, und der Parteien Feldgeschrei lautet: Hie Ferdinandus – hie Wallenstein!« – »Ja,« rief ich aus, »Wallenstein ist der Mann, unser armes Vaterland zu retten. Wenn's doch wahr wäre, daß er die böhmische Krone erstrebt! Ich wünschte ihm gar des Reiches Krone. Er würde die Fürsten und Pfaffen bändigen, den Welschen heimleuchten und den teutschen Stämmen nach dem schändlichen Bruderzwiste Ruhe und Erholung gönnen. Auf der Grundlage eines Toleranzfriedens! Doch freilich, Gott sei's geklagt, der Pfaff will keine Toleranz, die Soldateska keinen Frieden, und der Kaiser ist diesen Fressern unserer Landeskraft zu Willen. Donner und Hagel! So zwinge doch Wallenstein seinen patriotischen Willen dem Ferdinando auf!«

»Der Trompeterhans!« rief auf einmal einer der Junker, so am Fenster gesessen war, und stürmte zur Stube hinaus. Pferdetrappen nahte, und durchs Fenster spähend, sagte der Rentmeister: »Wahrlich, der Trompeterhans – er bringt Botschaft von Wallenstein.« Wir eilten vor die Tür, und da stieg ein Reiter ab, ein junger Gesell mit sprossendem Bart, in rotem Wams, bewaffnet. Kurz und leicht war er, doch sehnig, behend, feurigen Auges. »Was bringst du?« rief der Rentmeister. Ein düsterer Blick war die Antwort, und wir errieten, daß es eine Hiobspost sei. Der Trompeterhans grüßte die jungen Schaffgotsche und den Rentschreiber,[304] atmete tief und brachte heraus: »Wallenstein ist hin – gemeuchelt haben ihn die Kaiserischen!« Nach dieser grauenvollen Mär war mir zuerst, als narre mich ein böser Traum. Wallenstein ermordet? Unsere große Hoffnung mit einem Schlage vernichtet? Wie denn? Der reichste Fürst, der gewaltigste Söldnerführer, von dem alles zitterte, der Kriegsgott, der des Vaterlandes Schicksal in Händen hielt, er sollte auf einmal hin sein? Und gar gemeuchelt? Wir waren bleich und rangen nach Odem. Es quälte mich, daß die Sonne schien und eine Lerche trillerte. Wir gingen langsam in die Balkenstube. Der Trompeterhans nahm den dargereichten Trunk, setzte sich zum Herd und kam mit dem Bericht heraus:

»Nahe bei Pilsen, in einer Dorfschenke, vernehm ich, der Wallenstein sei zween Tage zuvor nach Eger aufgebrochen, wo er sicherer sei und näher den Schweden, denen er sich nun gänzlich in die Arme werfen wolle ...« – »Den Schweden?« unterbrach der Rentmeister bestürzt. »Ja, dem Feinde!« antwortete der Trompeterhans. »Vom Kaiser geächtet, wollte er halt sein Leben retten.« – »Er hatte doch den Wall seiner Regimenter um sich!« – »Keinen Wall! Verlassen hatten ihn sein falscher Freund Piccolomini, Diodati und mehrere Regimenter. Nur noch fünf Kompagnien hielten zu Wallenstein. Nicht mehr stolz zu Rosse kommandierte er seine Völker. In einer alten Sänfte, von Pferden getragen, barg er den siechen, von Schmerz zerwühlten Leib, und einer Flucht glich dieser Zug. Nur wenige Getreue umgaben den Herzog, seine Schwäher Ilow und Tercky nebst deren Gemahlinnen, etliche Karreten und Sänften. Den Beschluß machte ein tückischer Ausländer namens Buttler mit seinen Dragonern. Das war der Judas, der seinen Meister verkaufte. In Mies, wo Wallenstein übernachtet hatte, erfuhr ich, wie schlecht es mit ihm stehe, und in Plana kam mir gar ein Patent vom Hofe unter die Augen; der Kaiser – so hieß es darin – erkläre den Herzog von Friedland für einen Majestätsverbrecher und[305] lasse ihn durch Gallas, Piccolomini und Maradas lebendig oder tot einholen. Am nächsten Tage sah ich hinter dem Flusse Eger die Burg mit ihrem Turme und die Stadtkirche in die graue Winterluft ragen und meldete mich bei der Torwache als Kurier für den Herzog von Friedland ...« – »Und hast ihn gesprochen?« fragte der Rentmeister ungeduldig. Der Trompeterhans schüttelte das Haupt: »Man hat mich nicht zu ihm gelassen. Oberst Gordon, der Kommandant von Eger, war bereits abtrünnig und mit Buttler einig, den Herzog und seine Partei umzubringen. Ich witterte Unrat, da man mich unter einem Vorwande entwaffnet und auf die Burgwache gebracht hatte. Dorten ward mir gewiß, ich sei ein Gefangener. Durch das Gitterfenster der Wachtstube konnt ich hören, teilweise auch sehen, was auf dem Burghofe und im Bankettsaale vor sich ging. Während, wie es hieß, der kranke Herzog von Friedland in der Bürgermeisterei am Ringe seine einsame Erholung suchte, hatten seine Vertrauten, die Grafen Kinsky und Tercky, der Feldmarschall Ilow und der Rittmeister Neumann, die Einladung des hinterhaltigen Gordon zur fröhlichen Tafel angenommen. Da nach dem Schmause die Fenster geöffnet wurden, konnte man hören, wie der Wein die Zungen gelöst hatte. Ein Wallensteinischer prahlte, in wenigen Tagen werde der Herzog eine Armee zusammengebracht haben, der ganz Europien nicht widerstehen könne. Ein anderer rief im Übermut der Trunkenheit: ›Ihr Brüder, wahrlich ich will mein Haupt nicht eher sanfte legen, als bis diese Hand in Habsburgs Blute gewaschen ist, – ja in Habsburgs Blute, dixi!‹ Lautlos still ward alles, dann ging neues Toben los. Soeben war Friedlands Wohl getrunken, als im Hofe dumpf Waffen klirrten und Soldaten sachte schritten. Auf einmal rief eine Stimme im Bankettsaale: ›Nieder mit Friedland! Viva la casa d'Austria! Holla, wer ist gut habsburgisch?‹ Dies war das Feldgeschrei für die kaiserische Partei und das verabredete Zeichen zum Beginne der Mörderei. Unter[306] solchen Rufen hatten Gordon, Leslie und Buttler die drei Kerzenleuchter vom Tische genommen und sich auf die Seite begeben, indessen andrerseits Dragoner mit blanker Waffe auf die überraschten Freunde Wallensteins eindrangen. Und nun ging ein Waffenrasseln los, ein Hilferufen, Wutgebrüll und Stöhnen. Wie man später sagte, war Kinsky der erste, der in sein Blut sank. Ilow, der seinen Degen von der Wand nehmen will, empfängt den mörderischen Stoß durch den Rücken. Tercky, dem es gelingt, seines Degens habhaft zu werden, wehrt sich wie ein Leu. An die Wand gelehnt, fordert er Gordon und Buttler als schändliche Verräter heraus, ritterlich mit ihm zu fechten. Die Dragoner, von denen er schon zwei niedergestreckt hat, stutzen vor seinen Hieben und Stößen und halten ihn schon für gefeit und gefroren, indem sein Lederkoller wie ein Panzer schützt. Da findet Deveroux mit schlitzendem Dolche den Weg zum Herzen, und dies hat ausgeschlagen. Neumann ist zwar aus dem Saale entronnen, doch nur, um in die Spieße der Außenposten zu stürzen. Gleich mir und der ganzen Wachtstube hatten die in einem Gemache neben dem Saale speisenden Diener das Hilfegeschrei ihrer Herren vernommen, konnten aber nicht beistehen, da sie eingesperrt waren. Wohl sprangen etliche aus dem Fenster, wurden jedoch von den unten postierten Soldaten niedergemacht. Ein einziger entkam aus der Burg und rannte, während eine Kugel hinter ihm drein in die Nacht sauste, zur Bürgermeisterei, um den Frauen der getöteten Grafen die Schreckenspost zu überbringen. Schaurig war's für mich, manches von diesen Vorfällen aus der Nähe wahrzunehmen, ohne helfen, ja ohne meine friedländische Gesinnung verraten zu dürfen. In der Wachtstube verblieb ich die ganze Nacht, von den Soldaten als ein Gefangener gehalten, wiewohl sie kameradschaftlich mit mir redeten und nichts dagegen hatten, daß ich über ihre Schultern durchs Fenster lugte, sobald sich auf dem Hofe etwas zutrug. Bald nach der Mordtat trat der Oberstwachtmeister[307] Leslie zu uns in die Wachtstube und sagte, es sei soeben ein Befehl des Kaisers vollstreckt; hinfürder gelte nur noch des Kaisers Wille, und man solle Seiner Majestät schwören; mit der Friedländischen Tyrannei sei es nun endlich aus. Unverzüglich leistete die Wache den verlangten Eid. Drauf beobachteten wir, wie bei Fackelschein die Ermordeten aus dem Burghause in den Hof geschleift und nebeneinander in die Ecke gelegt wurden. Während man in der Wachtstube zechend und knöchelnd disputierte, lag ich auf meinem Strohsack und überlegte, ob Herzog Wallenstein ermordet, gefangen oder entkommen sei, und was aus diesen Ereignissen für unsern Herrn Schaffgotsch zu erwarten. Als der erste Hahn krähte, ward ein Trupp trunkener Offiziere in die Burg eingelassen, und aus ihren Reden entnahmen wir, was in der Stadt vorgefallen war. Bis gegen Mitternacht hatte sich Wallenstein mit seinem Astrologo über das Geheimnis der Sterne beraten und das Verhängnis der kommenden Stunden enthüllen wollen. Seno hatte ihn vor einer großen Gefahr gewarnt, doch nun vermeinte Wallenstein, die Gefahr sei vorüber, und hatte sich zu Bette begeben. An den Fensterscheiben rüttelte der Sturm, und es klirrte ein scharfer Regen. Auf einmal erschallt weibliches Jammergeschrei; es sind die Gräfinnen Tercky und Kinsky, denen der entsprungene Diener den blutigen Tod ihrer Gatten gemeldet hat. Zugleich stampft die Meuchelbande die Wendeltreppe heran und sprengt die Tür. Im Hemde steht Wallenstein beim Fenster, als Deveroux mit gefällter Partisane auf ihn losstürmt: ›Bist du der Schelm, der des Kaisers Volk dem Feinde zuführen und der Majestät die Krone vom Haupte reißen will?‹ Da Wallenstein verächtlich schweigt und die Brust entblößt, seine Arme ausbreitet, so stößt der Mörder zu. Ohne Schmerzenslaut, stumm sinkt der Herzog zu Boden. Ein paar Augenblicke stund die Meuchelbande starr vor ihm, dem sie bisher zitternden Gehorsam entgegenbrachten. Dann vergaß ihre Furia jede Ehrfurcht[308] und vergriff sich an dem Leich nam. Ein paar Dragoner wollten ihn zum Fenster hinauswerfen. Deveroux ließ ihn die Treppe hinunterschleppen und aufs Pflaster legen. Gegen Morgen brachte ihn ein Wagen auf die Burg, wo er neben die anderen Leichen zu liegen kam. Da hab ich ihn gesehen, den Kriegsfürsten, bleich, blutig und starr, in einen roten Teppich wie in einen scharlachenen Königsmantel gehüllt ...«

Der Trompeterhans verstummte, während das gräfliche Fräulein aufschluchzete, und die Junker klagten: »Vater! Was wird nun aus unserm Vater?« – Nach einem düstern Schweigen fragte der Rentschreiber: »Und wann ist die Untat geschehen?« – »Am 25. Feber.« – »Den Tag zuvor geschah die Verhaftung unseres Herrn Schaffgotsch.« – »Nicht zeitig« – so fuhr der Trompeterhans fort – »hab ich die Meldung der Vorfälle heimbringen können, da ich erst vor fünf Tagen aus der Egerschen Gefangenschaft entlassen worden bin.« – »Was wird aus unserm Vater?« klagten die Kinder aufs neue. »Nun ist er auf die gerühmte Klemenz des Hauses Habsburg angewiesen«, sagte der Rentmeister kleinlaut und bitter. Wir trösteten die jungen Schaffgotsche, so gut es gehen wollte. Ich dachte indessen: Da hat nun der kaiserliche Hof neue Beute; die reichsten Herren des Schlesischen und Böhmischen Gebirges liegen auf der Strecke; die Güter der Friedländischen Herrschaft sowie Terckys und Kinskys werden konfisziert, und wer weiß, ob nicht auch die Schaffgotschischen an die Reihe kommen. Mir scheint, das Hauptverbrechen unseres Herrn ist sein Reichtum. Den Teufel auch!

Als wir die besten Männer von Schreiberhau zur Beratung versammelt hatten, schlug uns eine neue Hiobspost aus Kemnitz nieder. Der kaiserliche Fiskal von Knobelsdorf schrieb dem Rentmeister, es seien die Schaffgotschischen Güter dem Fisco Ihrer Majestät verfallen; was aber die Kinder des Freiherrn anlange, so werde ihnen eine Alimentation[309] gewährt, vorausgesetzt, daß sie sich der kaiserlichen Gnade unterwerfen. Nach manchem Hin und Wider der Meinung kamen wir schließlich überein, es sei für die Herrenkinder das Ratsamste, doch lieber nicht im Gebirge versteckt zu bleiben, sondern ins Kemnitzer Schloß zurückzukehren. Schwer und grimm war mein Herz, als ich diesen Abend den einsamen Gang zur Abendburg tat.

Friede! seufzete ich droben bei meinem Felsen, und in den lichtbesäten Nachthimmel sank mein Schauen ... Friede, warum meidest du wie ein Geächteter das Volk der Erdbewohner? Ist unsere Kreatürlichkeit daran schuld, daß wir so unaufhörlich in Habgier und Streite lodern, nicht anders denn Holz, wann es angesteckt in Flammen aufgeht? Von der Erbsünde reden die Gottesgelahrten, und es muß wohl so sein, daß der Mensch durch einen Sündenfall sein ganz Geschlecht aus dem Garten Eden verbannt. Selbstsüchtig hat die Kreatur sich abgesondert von der Einigkeit ihres Ursprungs und ist dem Schweifen in der Fremde verfallen, wie der verlorene Sohn, oder wie der Engel Luzifer, so in den Abgrund stürzte. Und nun – was kann die verlorene, vereinsamte Seele erlösen und heimführen? Zerreißen muß sie den Schleier des Wahns, es seien die Geschöpfe genötigt, einander zu befehden. Das brauchen sie mitnichten; vielmehr soll sich eines im andern wiederfinden und mit ihm heimkehren zum allgemeinsamen Vatergrunde.

Oh ich ahne die Seligkeit dieser Heimkehr. Du gabst sie mir zu kosten, meine Thekla! Drum glaub ich gern, was die Sprachkundigen sagen: der Name Thekla sei griechisch und bedeute »Gottesschlüssel«. Allerdings hast du, Geliebte, mir aufgeschlossen das Sternenland, wo Ich und Du im Ewigeinen zusammenfließen.


O Schwester fern im Sternenland,

Ich grüße dich mit heißem Weinen.

All meine Tiefen sind entbrannt,

Mich deinem Lichte fromm zu einen.
[310]

Du mahnest an den Vatergrund,

Der uns einander eingeboren.

Ein Sündenwahn zerriß den Bund;

Mein Garten Eden ging verloren.


Geschieden aus der Ewigkeit,

Trieb ich der Fremde nach vermessen.

Fort spülte mich die Woge Zeit –

Und meine Schwester war vergessen.


Doch eines Nachts am Felsenstrand,

Als dumpf das Lied der Öde toste,

Da ward ich heimlich süß gebannt,

Weil mich ein Sternenauge koste.


Du warst es, und ich sog den Seim

Der alten Lieb aus diesem Auge.

Nun fühl ich treu, wo ich daheim,

Und daß ich noch zur Heimkehr tauge.


Nun trag ich treu der Fremde Not

Und sehne mich zur Strahlenferne –

Bis alle Fremdheit in mir tot..

O selig Grab im Schwestersterne!


Es war an einem Abend des Julimonds, und ich molk meine Ziegen, als der Oheim nebst einem Fremden auf meine Klause zuschritt. Der war jung, von hohem, schlankem Wuchse, hatte große stahlblaue Augen und schwarzes Haar. Im gebräunten Antlitz sproß der erste Bart. Waffen trug er und sahe wie ein Soldat aus. Als wir einander begrüßt hatten, sprach der Oheim: »Hier ist ein Bote vom Schmiedeberger Stadthauptmann Pretorius, bringet trübe Kunde. Schmiedeberg ist von einer streifenden Partei niedergebrannt.« Seufzend nickte der Bote: »Bis auf wenige zerschlagene Häuser stehet nunmehr alles ganz öde und wüst.« Schweigend sahen wir einander an, verdüstert die Stirnen. Dann fragte ich: »Und hat Er sonst noch etwas von seinem Hauptmann zu vermelden?« – »Allerdings,« entgegnete der Bote, »Pretorius hat einen Teil der Bürgerschaft in den Meltzer Grund[311] gerettet, wohin kein Feind zu dringen wagt. Wir haben ein wenig Vieh und Getreide. Das genügt indessen nicht, und so hat Herr Pretorius Boten in die unterschiedlichen Ortschaften des Gebirges abgesandt, anzufragen, ob für Geld und gute Worte Lebensmittel zu haben seien. Ich bin nach Schreiberhau gekommen, und der Gemeinderat ist meiner Bitte, wie es scheint, geneigt, hat es aber für ratsam befunden, den Herrn Johannes um seine Meinung zu befragen. Da bin ich nun, dein Oheim hat mich hergeleitet. Du wohnest hier dem Himmelslichte nahe und predigest, wie ich vernehme, so wahr, daß ich hoffen darf, auch du wirst uns Lebensmittel bewilligen.« – »Ich stimme bei,« entgegnete ich, »in diesen schlimmen Zeiten sollen wir Bergbewohner zusammenhalten.« Der Bote blickte dankbar und drückte meine Hand. Dann betrachtete er meine Balkenklause, Felsen, Stall und Ziegenweide und schaute über die Bergwälder zur blauen Ferne. Im Seufzer schien ihm eine Bürde vom Herzen zu sinken. »Hier ist es still; wir Schmiedeberger wissen kaum noch, was Frieden ist.« Nachdem er wieder in Sinnen verfallen, meinte er mit traurigem Lächeln: »Denket nur, selbst das Vieh ist der Kriegsunruhe so gewohnt, daß es ohne Antreiben der Hirten auf die Stadt zulief, sobald man anfing, mit dem besondern Hammer die Sturmglocke zu schlagen. Die Tiere wußten dann sogleich, daß Feinde kommen.« Bitter fügte er hinzu: »Freilich, durch das viele Anschlagen ist die Sturmglocke zersprungen.«

Ich lud meine beiden Gäste ein, mit mir das Mahl zu teilen und in meinem Gehäus die Nacht zuzubringen. Da der Bote gern einwilligte, so gingen wir in die Balkenklause. Ich zündete Kienspäne an und trug Brot, Schinken, Milch und Beerenwein auf. Da wir uns zum Essen hingesetzt hatten, faltete ich nebst Tobias die Hände, der Bote aber tat dies nicht, sondern stützte sein Haupt in die Hand. Als wir nun aßen, konnte ich die Frage nicht zurückhalten: »Wie kommt es, lieber Mann aus Schmiedeberg, daß Er vorhin[312] gesagt hat, ich predige Wahrheit, und daß Er gleichwohl an unserm Gebete nicht teilgenommen hat?« – »Ich habe teilgenommen,« erwiderte der Bote, »jedoch auf meine Weise. Wir Putzkeller falten beim Beten nicht die Hände, weil wir nicht droben, nicht jenseits den Gott suchen. Wir schmiegen die Stirn in die Hand, weil in solcher Stellung der Mensch nachzusinnen pflegt. Im Sinnen finden wir den Lichtvater, so nicht im Himmel wie ein Regente waltet, sondern innen im Menschenherzen.« – »Recht so, Schmiedeberger,« erwiderte ich, »des Menschen Herz ist die rechte Kirche, wo er beten soll.« Mit unverhohlner Freude sprach der Bote: »So bist du einer der Unseren, gehörst zu den Putzkellern, ohne es zu wissen.« – »Wer sind denn die Putzkeller?« fragte Tobias, und der Bote antwortete: »Ich habe Euch noch nicht gesagt, daß ich Segebodo heiße, mit dem Beinamen Putzkeller, den auch mein Vater und Großvater führten. So werden seit alter Zeit Anhänger meines Glaubens benamset. Putzkeller waren schon unsere teutschen Urväter, ehe denn die Kirche sie irregeleitet und geknechtet hat.« – »Ei, was glauben denn die Putzkeller sonst noch?« fragte ich, »will Er zum Exempel offenbaren, wie Sein still Gebet gelautet hat?« – »Das will ich«, entgegnete Segebodo, stützte dann seinen Kopf auf die Hand und raunte feierlich:


»Licht-Vader use!

Tovorn wärstu ower uns,

Nu awers bistu under uns,

Un dyn Ryk shall warden binnen uns.«


»Hast du verstanden, Tobias?« sprach ich zum Oheim; »er hat eine ähnliche Mundart, wie man sie im Magdeburgischen redet. Er betet: Licht-Vater unser, zuvor warst du über uns, nun aber bist du unter uns, und dein Reich soll werden innen uns. Fürwahr, ein schön Gebet. Segebodo, sag Er mir, aus welchem Gaue teutschen Landes Er stammt.« – »Im Harzgebirg bin ich geboren, zu Elbingerode, nahe dem Berge Brocken.« – »Und wie kam es, daß Er nach Schmiedeberg[313] verschlagen ward?« – »Mein Vater, das Haupt unserer heimlichen Gemeinde, hat, da ich zwanzig, meine Schwester Berthulde achtzehn Jahre zählte, zu uns gesprochen: Nun gehet, wie es sich für Erleuchtete geziemet, hinaus in die Welt und kündet den blinden Geschwistern das Heil! So bin ich mit Berthulden zunächst nach Goslar kommen. Daselbst haben sie an Berthulden ein Ärgernis genommen und sie der Hexerei angeschuldigt. Beide aber sind wir entwichen und nach den Schlesischen Bergen gezogen.« – Tobias erstaunte: »Wie denn? Eine Hexe soll deine Schwester sein?« Und ich fügte hinzu: »Was hat sie denn getan?« – »Eine Lichtjungfer ist sie«, entgegnete Segebodo; »das will heißen, sie ist geweiht, fromme Dienste zu tun, wenn wir in heiliger Nacht den Vater des Lichts mit Flammen feiern, wie es von alters her auf dem Brocken geschieht.« – »Wie feiert ihr denn?« fragte ich. Segebodo schlug die Augen nieder: »Nichts für ungut, wenn ich auf diese Frage schweige. Unsern Lichtdienst offenbaren wir nur den Eingeweihten. Wir haben unsere Geheimnisse.« – »Und ist euer Geheimnis verraten worden? Hat man euch etwan beim Brockenfeuer belauscht und die Lichtjungfer angegeben?« – »Nein! Wir sichern die heilige Handlung vor Beobachtern durch ausgestellte Wachen; aber zu Goslar hat Berthulde, wiewohl vom Lichte begnadet, einer torenhaften Minne gehuldigt.« – »Wie das?« sagte ich, »oder möchte Er auch darüber schweigen?«

»Ich denke wohl, Euch darf ich es sagen. Erst wenige Tage wohnten wir zu Goslar, als Berthulde ihr Herz an einen Schmiedegesellen verlor, der ein schöner Jüngling war. Ganz unsinnig aber hat sie ihre Minne gemacht, daß sie kaum andere Gedanken gehabt, als ihrem Schatz nachzuschleichen und ihn zur Gegenminne magisch zu bestimmen. Der Geselle jedoch hat nicht ein einzig Mal sein Aug auf sie geworfen. Da hat Berthulde wahrgenommen, wie er des Sonntags gern einen Wald besuchte, wo ein Bach über Steine rauscht. Eines Sonntags nun ist sie rechtzeitig dorthin gegangen,[314] der Zuversicht, ihr Liebster werde sich auch diesmal einstellen. Ihn zu betören, betrieb sie einen seltsamen Plan. Bis auf die weiße Haut hat sie sich entkleidet und die Kleider im Walde versteckt, ihr langes Flachshaar mit Glasperlen durchwirkt und ein Kränzlein von Schilf aufs Haupt getan. So ist sie am Bache gesessen, die Füße netzend, als der Jüngling daherkam. Verwundert blieb er stehen und vermeinete anfangs, es bade sich eine Dirne vom nächsten Gehöft. Berthulde aber hat ein Putzkellerlied mit ihrer schönen Stimme gesungen und mit dem Haarschmuck, den zarten, geschmeidigen Gliedern und ungewöhnlichen schwarzen Augen dem Beschauer mehr und mehr ein übermenschlich Wesen gedünket. Schließlich hat er seinen Hut gezogen und nach demütigem Neigen gesprochen: ›Gnädige Jungfer, oder wie immer Sie zu benamsen! Es mag sich nicht geziemen, daß ein unadliger Mensch sich einem solchen ansehnlichen Frauenzimmer nähert.‹ – ›Das muß Er nicht sagen‹, antwortete mein listig Schwesterlein; ›es ist ein Gottesgeschöpf des andern wert. Überdies hab ich schon hundert Jahr auf Ihn gewartet. Sintemalen es der Himmel nun füget, daß wir diese längst erwünschte Stunde mitsammen erleben, so bitt ich um Gottes willen, Er setze sich zu mir und vernehme, was ich zu reden habe.‹ Der Schmiedeknecht setzte sich, und sie wartete ihm mit folgendem Märlein auf: ›Mein allerliebster Herzfreund, meine Hoffnung und Zuversicht, Sein Name, nicht wahr, ist Jakob? Nun gut! Ich bin Miranda, der Melusine Tochter, die sie mit dem Ritter Stauffenberg erzeugt, leider aber verflucht hat. Drum so soll ich bis zum Jüngsten Tag in diesem Wald verbleiben, es sei denn, daß mich der Schmiedeknecht Jakob aus Goslar zum Ehegemahl erwähle. Nur durch ihn werde ich erlöst – freilich mit dem ausdrücklichen Geding, daß er aller andern Weibsbilder müßig gehe und unsere geheime Heurat ein Jahr lang verschwiegen halte. Darum, so seh Er nun, wie Er's recht mache. Will Er mich ehelichen und diese Dinge halten, so werd ich selig und[315] mach Ihn zum reichsten, glückseligsten Mann auf Erden. So Er mich indessen verschmähet, muß ich zu Wasser zerrinnen.‹ Der einfältige Schmiedeknecht, so die Fabulam der Melusine gelesen, gelobte auf den Knien, der Miranda Ehegesponst zu werden. Gleich hinterher aber nahm er in seiner frommen Scheu unter Verneigungen den Rückzug. Geriet dabei zur Stelle, wo Berthulde ihre Kleider abgelegt hatte, und es dämmerte ihm nun wohl, daß er mit einem gewöhnlichen Menschenkinde zu tun gehabt. Daheim bei seiner Schmiedemeisterin vermochte er nicht reinen Mund zu halten. Er sagte, das nixenhafte Weibsbild habe zusammengewachsene dunkle Augenbrauen gehabt. Die Berthulde kannten, rieten sogleich auf sie, und wegen der Empörung, so im Goslarer Weibsvolk laut ward, konnte der städtische Rat nicht umhin, den Fall zu erwägen. Doch hat's die Schicksalsfrau so gefügt, daß im Rate ein Mann war, so auf meine Schwester ein Auge geworfen. Wie der nun sahe, daß man sie zur Hexe machen wolle, hat er sich still aus der Sitzung entfernt und uns gewarnet. Rechtzeitig konnten wir aus Goslar entweichen, und das war gut, denn sie haben meine Schwester zum Scheiterhaufen verdammt.« – »Aber warum denn?« fragte ich. »Nur eine Komödiantin aus Liebestollheit, keine Hexe ist sie gewesen.« – »Schon recht«, erwiderte Segebodo; »doch kam im Rate noch eine andere Sache zur Sprache. Berthulde hatte ein Zauberding, und nun hieß es, sie stehe mit dem Bösen im Bunde.« – »Was für ein Zauberding?« fragte mein Oheim. Segebodo wollte nicht mit der Sprache heraus. Wie aber Tobias, die Hand auf seinen Arm gelegt, lodernden Blickes in ihn drang, und wie ich hinzufügte, hier seien keine Hexenbrenner, erwiderte Segebodo: »Es war ein Spiritus flammarum.« – »Was ist das?« fragten wir. Aber nun erhielten wir keine Auskunft, und Segebodo stellete uns anheim, das Nähere von seiner Schwester selbst zu erkunden. Da es Schlafenszeit war, machte ich in der Balkenstube für meine Gäste ein Lager zurecht[316] und bat den Oheim, er möge sehen, ob der Ziegenstall verwahret sei.

Kaum war der Oheim hinausgegangen, so rief er jammernd: »Mein Gott! Hirschberg stehet in Flammen!« Wie wir nun kamen, sahen wir den Nachthimmel gerötet, als ob die Sonne aufgehe. Das ganze Hirschberger Tal war besät mit Feuersbrünsten und hinten die Stadt eine einzige Glut. Der Oheim schlug die Hände zusammen und sagte nur immer: »Mein Gott! Mein Gott!« Segebodo knirschte: »Bestien!« Ich preßte die Faust auf mein Herz, das sich schmerzlich zusammenzog. Lange blieben wir unter dem Nachthimmel und berieten, wie sich dem Vaterland oder mindestens den Bewohnern unseres Gebirges helfen lasse. »Das ganze Gebirge sollten wir zur uneinnehmbaren Feste machen,« meinte Segebodo, »und sollten uns abschließen gen alles, was von außen unsern Bergfrieden stören will. Ist nicht zum Exempel die Stätte hier wie zu einer Burg geschaffen? Vor Zeiten hat hier wohl auch eine Burg gestanden, wie der Name Abendburg verrät.« Tobias stimmte bei und berichtete dem Boten die Mär von der Abendburg. Daran knüpfte er die Frage: »Kann deine Schwester, geheimer Künste kundig, wohl eine Zaubersuppe bereiten, die in Sankt Johannis Nacht den Felsen öffnet? Haben wir erst das Gold der Abendburg, so können wir die schönste Burg erbauen und das ganze Gebirge zu einer Feste machen. Wir haben alsodann, woran es uns mangelt: Geld, viele Menschen zu unterhalten und zu besolden.« In stummen Gedanken nickte Segebodo.

Des andern Morgens geleitete ich meine Gäste hinunter zu Oheims Häusel, und wir vernahmen, was sich mit Hirschberg zugetragen. Obwohl die Stadt vom General Colloredo mit einer Schutzwache versehen war, hatten 2000 kaiserische Soldaten die Vorstädte überfallen und geplündert. Hierauf begehrten sie Einlaß in die Stadt. Da man nun die Tore verschlossen hielt, trugen sie Leitern ans Langgassentor, um überzusteigen. Vergebens ließ die Sicherheitswache durch[317] einen Trompeter die Soldateska von Gewalttätigkeit abmahnen. Als Antwort erfolgte heftig Musketenschießen, und ein Vorwerk vor dem Langgassentor ging in Flammen auf. Jetzo gebot der Stadtrat, auf jeden Mordbrenner Feuer zu geben, den man nur erreichen könne. Diese aber zogen sich hinter das Hospital zurück, und am Abend hatten sie Kartaunen aufgefahren, die mit geschmierten Kugeln die Stadt beschossen. Dadurch gerieten ein paar hölzerne Häuser in Brand, und das Feuer flog weiter. So kam es, daß die ganze Stadt in Flammen aufging. Über hundert Menschen, so hieß es, und tausend Stück Vieh hätten dabei das Leben verloren. Viele Hirschberger seien dadurch den Flammen ausgewichen, daß sie über die Stadtmauer in den tiefen Graben gesprungen und hierauf von den Feinden gefangen seien. Sehr geringe Beute sei jedoch den Mordbrennern zugute gekommen, da sie den Rückzug hätten nehmen müssen vor einem Regiment, das Colloredo zum Entsatze der Stadt gesandt habe.

Betrübt stieg ich wieder zur Abendburg empor, und mich quälte ein Zweifel, der mir schon früher zuweilen gekommen war: Wenn Gott in der ganzen Welt lebt und webt, so muß er auch im Mordbrenner sein. Wie lässet sich das nun zusammenreimen? Als Antwort kam mir ein Wort in den Sinn, das ich einmal in einem Buche Philosophiae gelesen: Niemand kann wider Gott sein als Gott selbst. Ist denn also Gott ein Wesen, das mit sich selbst im Widerspruch? Es muß wohl also sein. Was Gott aus sich heraus schöpft, das setzt er sich genüber; indem das Geschöpf anders ist denn Gott, stellt es einen Abfall dar vom Schöpfer. Das eben ist der Sündenfall, daß die Kreatur ihrem Gotte sich entfremdet und Eigenwillen angenommen hat. Doch neben dem Drange, der von Gott absondert, lebt in aller Welt auch noch ein andrer Drang, so fest an Gotte hält und die Geschöpfe wieder hineinreißen möchte in die ewige Einheit, aus der sie gequollen. Solch Heimweh nach dem einen Urgrunde, das sich[318] in mehreren Ständen des Herzens auswirkt, ist des Menschen himmlische Natura, und weil ein Keim davon in jeglichem Geschöpf, verbleibt doch die Lehre sicher: Gott ist in allem, was lebt und webt, auch im Mordbrenner. Ich bedachte noch, wie leichtlich ich selber solch ein Mordbrenner hätte werden können. Magdeburgs Ruinen stunden vor meiner Seele. Daß diese Stadt in Flammen aufging, war ja das Werk patriotischer Bürger, sowie des Obersten Falkenberg, und auch mich hätte man dafür gewinnen können. Wer in der Notwehr, darf Gewalt wider Gewalt setzen. Und so wird es in der gegenwärtigen Lage recht sein, wenn wir angefochtenen Gebirgsbewohner uns verteidigen und nach Segebodos Rate das Gebirge zu einer Feste machen. Auch das Lichtreich hat Mauern und Zinnen nötig, wofern nicht Engel seine Bürger sind. Der Heiland zwar spricht zu Petro: »Stecke dein Schwert in die Scheide!« Wofür indessen hat der Schöpfer den Kreaturen Gebiß, Gehörn und Kralle gegeben, wenn sie sich nicht wehren sollen? Nicht aller Eigenwille der Sonderwesen kann Sünde sein.

In diesem Jahr hat sich nichts Sonderliches mehr begeben. Fern von der schlimmen Welt verblieb ich im Frieden der Abendburg. Das Laub der Birken und Eschen ward gelb und rot. Novemberstürme tobten, dann kehrte wieder die weiße Woge, Tal und Höhe zu überfluten. Als der Frühling des Jahres 35 den Verkehr in den Bergen wieder möglich gemacht hatte, kamen neue Schreckensposten. Die Hirschberger hatten zwar ihre Ruinen notdürftig zum Wohnen eingerichtet. Die Schweden aber waren erschienen und hatten die Auslieferung der kaiserlichen Sicherheitswache gefordert. Nach fruchtlosen Unterhandlungen kam es zur Gewalt, und nun mußten die umliegenden Dörfer, Höfe und Mühlen büßen. Endlich verglich sich der Stadtrat mit dem Feinde, daß dieser 200 Taler Abzugsgelder nahm.

Was Herrn Schaffgotsch anlangt, so stund er vor dem Kriegsgericht zu Regensburg, angeklagt der Meuterei und[319] des crimen laesae majestatis, und war der Stand seines Prozesses für ihn sehr ungünstig. Es hieß, man wolle die Folter über ihn verhängen, damit er seine Schuld gestehe und die Mitschuldigen angebe. Von den Schmiedebergern kam Botschaft durch meinen Oheim, der ihnen etliches Vieh über den Gebirgskamm zugetrieben hatte, da sie weiteren Proviantes bedurften. Der Oheim berichtete, die Schaffgotschischen Kinder seien bei Pretorius, nachdem sie Armut und alle schwere Not zum Erbarmen hätten leiden müssen. Die herrschaftlichen Güter seien ganz enervieret und ausgeschöpfet, so daß es an Speise und Kleidung mangele.


Wie ich an einem Sonntage Aprilis zur Stätte kam, wo ich meine Buschpredigten hielt, war beim Oheim eine Jungfer von seltsamer Schönheit. Hatte feine Glieder, große schwarze Augen unter dunkeln Brauen und ein zart Gesicht. Üppig umwallte sie langes Flachshaar, darauf sie ein blau Kopftüchel trug. Bekleidet war sie mit einem buntbestickten Hemd und einem roten Rock. Die zierlichen Füße waren bloß. Als der Oheim sagte: »Das ist Segebodos Schwester«, neigte sie sich errötend. Auch den andern Sonntag war sie da, und während meiner Predigt ruhte ihr Auge glühend auf mir.

Das nächste Mal wollte ich über Mittag bei Tobias bleiben, dieweilen nachmittags eine Trauung stattfand. Berthulde war nicht bei der Predigt. »Zu Hause wirst du sie finden«, sagte der Oheim; »sie hilft Beaten das Mahl bereiten.« Meinen Besuch zu feiern, hatten die Weibsbilder einen leckern Braten gemacht, auch Kuchen gebacken für das Hochzeitspaar. Das Tischgebet verrichtete Berthulde in derselben Weise, wie Segebodo getan. In sich gekehrt und schweigsam blieb sie während der Mahlzeit. Zuweilen rollte ihr Auge nach mir und betrachtete mich verstohlen. Als Beate das Tischgeschirr abräumte, half Berthulde, und derweilen sie[320] beide in der Küche waren, raunte der Oheim: »Denke nur, diese Jungfer versteht sich auf Magie und versichert, sie könne Zaubersuppen bereiten wie der Giacomini. Hat mir auch ihr flammarisch Zauberding gewiesen. Auch du sollst es betrachten.« Wie die Küchenarbeit besorgt war, sagte Berthulde, sie wolle sich ihr Kränzel für die Hochzeit machen. Sintemalen nun der Oheim in seiner kühlen Stube der Mittagsruhe pflegte, so begleitete ich Berthulden hinaus auf die Wiese. »Nimm blaue Krokusblüten«, sagte ich; »die passen für dein Goldhaar.« Mit einem freundlichen Blicke dankte sie mir. Und wir gingen durch Maiwalds Wiese, sie pflückte einen Krokusstrauß. Hierauf wandelten wir das Bächlein abwärts, der Böhmische Furt geheißen. Murmelnd hüpfte es über die Steine durchs Wiesental. Am Ranfte waren Erlen, Birken, Haselstauden, auch große Felsen. Weiter unten kam hoher Wald, zwischen bemoosten Blöcken bildete das Wasser rauschende Fälle. Wo dazwischen ein kleiner Spiegel war, sahen wir die Forenfischlein gleich dunklen Stäben, bei unserm Nahen schlüpften sie zwischen Steine. Durch die Luft taumelte ein gelber Falter, setzte sich zum Schneeglöckchen in die Sonne und klappte behaglich mit den Flügeln. Ein Schlänglein lag auf besonntem Stein und flüchtete zwischen Gestäude. Der Sturz des Wassers hauchte feuchten Odem. Weil allhie gut sein, setzten wir uns auf einen moosigen Block, der übers Wasser hing. Berthulde legte ihre Krokusblüten hin und hub an, das Kränzel zu winden. Wie ich den Händen zusah und die zierlichen Glieder betrachtete, kam mir in den Sinn, was Segebodo von ihr erzählt hatte, als holdselige Nixe habe sie ihre Füße im Bach gebadet. »Willst du nicht auch mir den Spiritum flammarum weisen?« fragte ich; »hast ihn ja doch den Oheim sehen lassen.« Sie spähte mir ins Auge und schwieg. »Traust mir nicht, Berthulde?« – Sie errötete und schlug die Augen nieder. Um sie zu foppen, neigte ich mich: »Wollet getrost Euer Schicksal mir darlegen, holdes[321] Wasserfräulein Miranda.« Ein Zornblitz fuhr aus ihrem Auge: »Pfui, der Segebodo hat geschwatzet!« – Begütigend ergriff ich ihre Hand: »Macht nichts! Ich bin verschwiegen.« Finster blickte sie seit wärts, vom hastigen Odem wallete ihr Busen. Nach einer Weile blickte sie mich fest an und sprach: »Der Segebodo hat nicht alles erzählt, die Hauptsache fehlt, und die sollet Ihr nun erfahren. Es hat eine sonderbare Bewandtnis mit meinem Zauberdinge. Vor drei Jahren war's, als mein Herz zum erstenmal in Flammen stund ...« Abermals atmete sie rasch und zögerte fortzufahren. »Ich weiß,« sagte ich – »Jakob, der Schmiedeknecht ...« – Sie errötete: »Nein, das war mein Zweiter. Der Erste war ein Junker, und es kam mich bitter an, daß er kein Auge auf mich warf. Sein Reiz nahm alle meine Gedanken, es mied mich der Schlaf, blaß und schmal ward mir das Antlitz. Da begab es sich, daß ein jung Soldatenweib, dem ich mich anvertraute – auch eine Putzkellerin –, mir das Zauberding zum Kaufe anbot. Dieser Spiritus flammarum, so sprach sie, hat die Kraft, seinem Eigentümer dreimal im Leben einen Schatz zu verschaffen – gleichviel ob der Schatz Gold ist oder Minne. Mehr als dreimal aber darf man den flammarischen Spiritum nicht anwenden, sonsten hilft er nichts und versetzet einem auch noch einen Stich. Hat man also dreimaligen Nutzen von ihm gehabt, so soll man trachten, ihn weiterzuverkaufen. Ich bin nun in dieser Lage, so sprach das Soldatenweib, denn mir hat das Zauberding erstens meinen Ehemann, zweitens einen holden Buhlen nebenbei, drittens den Perlenschmuck einer Gräfin eingebracht. Nun muß ich das magische Stacheltier los werden, es möchte mich am Ende durch seine Kapsel hindurch stechen. Willst du mir's abkaufen, so gib drei Groschen. Also sagte das Soldatenweib. Wie ich nun verwundert war, aus was für einem Grunde ein so kostbar Ding für den höchst geringen Preis feil sei, entgegnete sie: Es ist mit dem flammarischen Ding nicht wie mit anderer Ware, bei der man nach[322] einem möglichst hohen Preise trachtet. Dieser Talisman muß von jedem, der ihn weiter verhandelt, um weniger verkauft werden, als dafür gezahlt worden. Ich habe ihn um 31/2 Groschen erworben, so muß ich denn weniger fodern. – Wie denn aber, so fragte ich, wenn der Kaufpreis immer kleiner werden muß, so gibt es doch eine Grenze, dann kann niemand mehr den Talisman kaufen. Ach freilich, entgegnete das Soldatenweib, und das ist schlimm für den letzten Eigentümer. Denn wisse, wer das Ding nicht los wird, nachdem er es dreimal angewendet hat, der muß in Flammen sterben und fährt zum Teufel, wie die Pfaffen sagen. Aber nicht bloß der letzte Eigentümer hat dies Los, sondern auch jeder dreizehnte. Daß er der Dreizehnte ist, zeigt ihm der Spiritus flammarum an, indem alle drei Anwendungen des Zaubers mißlingen und also keinen Schatz verschaffen. Ist die dritte Anwendung mißlungen, so stirbt der Dreizehnte im selben Jahre den Flammentod ...« Das Auge groß und düster, starrte Jungfer Berthulde vor sich hin; ich aber griff ihr an den Arm und rüttelte: »Närrchen! Und daran gläubest du?« Sie nickte: »Bei uns Putzkellern gilt die Magie. Aber höret nur weiter, die Hauptsache kommt erst noch. Wie ich das flammarische Ding – das um drei Groschen mein ward – angewandt habe, den Junker in meine Arme zu bringen, hat es nicht geholfen. Da bin ich denn erschrocken und habe gedacht: Du bist der Dreizehnte! Wie alsdann in Goslar abermals die Minne mich besessen und als ein rechter Quälgeist mich getrieben hat, das Herz des Schmiedeknechts zu erobern, da ist noch die Angst hinzugekommen, und ich habe bei mir gesprochen: Nun aber siehe zu, daß dir nicht auch die zweite Anwendung des Zauberdinges fehlschlägt! Und so bin ich auf das verzweifelte Mittel geraten, meinen Liebsten als Nixe zu betören.« – »Auch das hat aber nichts geholfen, wie mir dein Bruder erzählt hat. Wirst du dich denn nun hüten, zum drittenmal den Spiritum anzuwenden, Berthulde?« –[323] »Weiß nicht« – entgegnete sie. »Das eine aber weiß ich: Sollte mich so heftige Minne befallen, daß ich den dritten Versuch wagete, und sollte auch der fehlschlagen – so möcht ich gar nicht länger dies Leben behalten und wüßte nichts Besseres, als in den Flammen zu sterben, denen ich diene als eine Lichtjungfer. Bei uns Putzkellern – das möget Ihr wissen – geben sich manche Lichtjungfern dazu her, Lichtbräute zu werden. Sie springen dann ins heilige Opferfeuer und werden von den Flammen in Lichtvaters Reich getragen. Die Pfaffen nennen es Hölle.«

Betreten entgegnete ich: »Aber Kind! Fürchtest du denn das Reich des Teufels nicht?« Im Winkel des blühenden Mundes zuckte ein spöttisch Lächeln gleich einem Schlänglein, als sie erwiderte: »Was soll ich ihn denn fürchten? Wir Putzkeller wissen ja besser als die Kirchenschäflein, was der Teufel ist.« – »Nun, was ist er denn?« – Sie hatte ihr Kränzel zustande gebracht und setzte es auf ihr Häuptlein. Wie ein seltsam schön Musikspiel von Flöte und Harfe stimmte zusammen das Goldhaar mit den dunkelblauen Blumen und dazu das nachtende Auge im zart-weißen Gesicht. »Sogar dies will ich dir anvertrauen«, sagte sie, neigte sich zu meinem Ohr, und es kam ein Flüstern, davon ich zuerst nichts verstund, weil mich ihr Hauch verwirrte und ihre Lippe mir das Ohr streifte. »Warum sagst du es nicht laut?« – »Ich sage es so, wie man es mir gesagt hat. Denn es gehört zu den Heilslehren der Putzkeller, wie ich sie vom Vater gelernt habe, und die darf man nur leise weitersagen.« – »So sag es leise!« – Wieder bog sie sich zu mir, und diesmal hörte ich sie raunen: »Der Teufel ist hold. Schön blühen lässet er alle Wesen und ist der Eigenwille der Kreatur.« Staunend überdachte ich das Wort und entgegnete: »Darfst du weiter darüber reden?« Sie nickte. »Mußt du auch das Weitere leise sagen?« Sie schüttelte den Kopf: »Nur die Formeln muß ich leise sagen, sonsten darf ich frei reden.« – »So sage mir, warum er die Kreatur schön blühen läßt.« –[324] Nach kurzem Sinnen meinte Berthulde: »Sieh meinen Kranz, stehet er gut zum Flachshaar? Nun also! So stehet auch die Nacht zum Tage, und so jedes Geschöpf zum andern. Immer muß sich eins vom andern abheben. Siehst du das nicht ein?« – »Allerdings«, entgegnete ich; »ohne Unterscheidung blühen keine Farben und singen keine Töne. Wenn alles nur eins wäre, es gäbe wahrlich keine Kreatur.« – »Nicht wahr?« sagte sie eifrig und fuhr fort: »Was wäre dies alles, Gras und Laub, Stein und Stamm, Wasser und Luft? Was wäre das bunte Prangen der holden Welt, so es nicht Eigensinn gäbe, eins vom andern zu scheiden?« Und aber neigte sie sich zu meinem Ohr und flüsterte: »Urvater ist die ewige Ruh. Schaffen hat er erst gekonnt durch seinen eingeborenen Sohn.« »Durch Christum?« fragte ich verwundert. »Nicht doch«, versetzte sie. »Der eingeborene Sohn, den ich meine, ist der Teufel. Aber ich meine den holden Teufel. Er ist nicht also, wie ihn die Pfaffen schildern. Sie lügen, wenn sie sein Reich eine Folterstätte heißen. Es ist vielmehr die Lust dieser Welt, nichts anderes.« – »Verstehe ich dich recht, so heißest du Teufel, was die Kreatur herfürgebracht und in ihr die Lust am eignen Sonderleben ist.« – Sie nickte eifrig: »Ja, es will ein jedes seine Lust han. Und warum soll es nicht dürfen, wozu Urvater ihm den Drang eingegeben?« – »Aber oft dünket die eine Kreatur lustig, was der andern ein Leid ist.« Berthulde zuckte die Achseln: »Willst du Lust erbeuten, so siehe, wo du bleibest, und wenn auch der andre davon Leides hat, so bleibet doch die eigene Lust alleweil lustig.« – »Aber wir dürfen nicht immer nur dem Streite leben«, entgegnete ich; »siehest du nicht an diesem unaufhörlichen Kriege, wie der Eigensinn der Kreatur aus der schönen Erde allerdings eine Folterstätte machen kann? Erlösung von solcher Hölle gibt es nur in dem andern Drang, so neben dem Eigensinn die Kreatur erfüllt. Dieser andere Drang will nicht absondern, er will einen. Es ist die Minne – aber nicht jene, so Lust für sich begehret – vielmehr[325] will diese Minne der geminnten Seele lauter Liebes antun.« Glühend senkte ihr Blick sich in den meinen, und sie schwieg. »Du bist annoch sehr jung, meine Tochter«, sagte ich. Der Schalk saß ihr im Nacken, als sie lachenden Auges erwiderte: »Bist du denn schon so alt, mein Vater? Hast doch noch kein Fältlein im schönen braunen Angesicht, und dein Aug ist frisch wie aufblühende Kornblume.« – »Wieviel Lenze zählst du?« fragte ich. »Zwanzig, und du?« – Ich mußte lächeln, als ich antwortete: »Freilich nur zehn mehr als du; doch ich habe mehr gelebt als mancher alte Mann und habe viel darüber nachgesonnen.« – »Ich weiß,« sagte Berthulde ehrerbietig, »du bist ein Erleuchteter, und du sollst auch mich erleuchten, sintemalen ich eine Lichtjungfer bin, dem Lichte geweiht. Nun aber laß uns gehen, auf daß wir nicht spät zur Hochzeit gelangen.« Hastig erhub sie sich, und ich scherzte: »Wie soll die Trauung versäumen, wer mit dem Prediger gehet?«

Während wir den Bach entlang heimwandelten, den Oheim und Beaten abzuholen, sang die Jungfer leise vor sich hin mit süßer Stimme. Auf einmal wandte sie sich: »Werden die dreißig Lenze mit den zwanzig Lenzen tanzen?« – »Das gäbe ja schon ihrer fünfzig«, gab ich scherzend zurück. Sie lachte: »Die fünfzig sind noch lange nicht zu alt zum Tanzen.« – »Nun gut! Aber du mußt mir den Spiritum flammarum zeigen; sonsten tue ich keinen Tanz mit dir.« Da sahe sie mich an mit langem Blick, und sorgend Verlangen war darin. Scheu spähete sie in die Runde und raunete: »Sollst ihn sehen! Daß du mir aber nicht böse wirst!« Und sie nestelte an ihrem Busen, zog eine hürnene Kapsel, so an einer Schnur um ihren Hals hing, unter dem Brusttüchel herfür, entnahm ihr eine abgeplattete Glaskugel und reichte sie mir. Im Glase war ein wunderlich Tier eingeschlossen, nicht unähnlich einer Spinne, aber mehr wie ein Skorpion. War feuerfarben, und wenn man das geschliffene Glas bewegte, schien das Tier mit den Gliedern[326] zu zappeln. Ich war versucht, den Talisman in den Bach zu werfen. »Wie garstig!« sagte ich; »wirf doch das Ding weg, es verdrehet dir den Kopf.« – Sie erwiderte: »Wirf es in Wasser oder Feuer, verliere es oder stecke es einem Menschen heimlich zu, umsonst! Bald ist das Zauberding wieder bei dir, und du hast nichts anderes erreicht, als daß es dir bei seiner Rückkehr durch das Glas hindurch mit seinem Sporn einen Stich versetzt.« Hierauf tat Berthulde das Glas wieder in die Kapsel und barg sie am Busen. Sie sann und seufzete: »Nun schilt mich wohl auch der Herr Johannes eine Hexe?« – »Ein Närrchen bist, nichts weiter!« – Zärtlich sahe sie mich an: »Magst mich ein wenig leiden? Auch wenn ich böse Augenbrauen habe?« – »Laß doch einmal schauen«, sagte ich, zog sie zu mir her und nahm sie beim Kinn. Sie schloß die Augen und lehnte den Kopf zurück. Ihre dunkeln Brauen waren ob der Nasenwurzel zusammengewachsen, seltsam, doch nicht unhold. Fein und lieblich war diese Jungfer, und wie die Lippen gleich einer Rosenknospe lockten und zu dürsten schienen, neigte ich mich und tat einen sachten Kuß darauf. Sie sahe mich groß an, lächelte und sang jubelnd wie der Buchfink.

Wir gingen Hand in Hand zu Oheims Häusel und gleich darauf nebst der alten Beate zur Hochzeit. Eine Reue wandelte mich an, daß ich die liebestolle Jungfer gereizt habe, und ich wollte mich von ihr zurückhalten. Gleichwohl konnte ich nicht umhin, mein Wort einzulösen und nach dem Hochzeitsmahl mit ihr zu tanzen. Wie ich sie in den Arm nahm, schmiegte sie den Busen an mich, leicht und süß tanzte es sich mit ihr. Auf einmal aber drückte das Zauberding, und in meiner Brust fühlte ich einen Stich, als habe das magische Tier den Stachel durch Glas und Kapsel gereckt. Mit einem Blick voll Grauen ließ ich Berthulden los. Sie ward bleich und schlug die Augen nieder. »Die Brust tat mir weh«, sagte ich; »bin des Tanzens ungewohnt.« Und ich führte sie zur Bank. Den Bierkrug reichte ich ihr und[327] machte mich bald von ihr los. Gleich darauf hing sie einem jungen Burschen im Arm, und keinen Tanz sah ich sie verpassen.

Als ich abends von den Hochzeitern Urlaub nahm, heimzukehren, war sie verschwunden. Draußen im Mondschein stund sie, beim Gartenbusch, wo ich vorbei mußte. Mit einem Scherz suchte ich davonzukommen: »Gute Nacht, Hexlein!« Sie trat zu mir und meinte frostig: »Weiß schon, der Herr Prädikant ist zu denen übergegangen, so mich eine Hexe schelten.« – »Das sei ferne von mir, Berthulde! Hab ich dir nicht gesagt, du seiest ein Närrchen und keine Hexe?« Da stund sie dicht vor mir und spähete mißtrauisch in mein Angesicht: »Warum hast du beim Tanze dich von mir gewandt? Wegen meiner Hexenaugen, wie?« – »Schmucke Augen hast du!« entgegnete ich. Freude huschte ihr übers mondbeglänzte Angesicht, zart und lieblich war ihr Lächeln, ich nahm ihre Hand und drückte sie. »Bist auch der Nixe nicht bös, die um den Gesellen zu Goslar freite?« hauchte sie, ihr Antlitz war dem meinen nahe. Ich schüttelte den Kopf. – »Aber der Spiritus flammarum mißfällt dir? Aufrichtig, Johannes!« – »Ja,« sagte ich, »tu ihn fort!« Sie atmete tief, als kämpfe sie einen Kampf. Dann entschied sie hart: »Wenn ich Gewalt habe über das Zauberding, werd ich es los nach deinem Wunsche. Wenn ich aber sein dreizehnter Besitzer bin, so holt mich der Spiritus in die Flammen. Einen nur gibt es, der dies verhindern, der mich erlösen kann.« – »Und wer ist das?« – »Der, den ich liebe! So er mich wieder liebt, mag ich der magischen Kapsel ledig werden. Hab ich jedoch kein Glück bei ihm, kein Glück in der Minne, dies dritte-, letztemal, alsodann ist es ausgemacht, daß ich der Dreizehnte bin und auf roten Schwingen fliegen muß, wohin manch putzkellerische Lichtbraut vorangegangen.« Mir war, als wolle mich ein Zwang in der Jungfer Arme bringen, doch wiewohl sie meine Sinne lockte, war in mir eine Scheu. Das Kosewort, so mir schon von den Lippen wollte,[328] hielt ich zurück, schloß meinen Mund und blickte streng. Da war's, als zische aus Berthulde eine Schlange: »Liebst du sie noch, die andre, deine Gräfin? Ich weiß alles, Johannes. Doch gib sie auf! Fort ist sie, tot! Hörst du? Nimm mich, dein bin ich!« Das war ein Stich in mein Herz, Rebellengeist erhub sich in mir, weil sie Thekla verdrängen wollte, ich ließ ihre Hand los und sagte dumpf: »Tot, nun ja, tot mag sie sein – glaub schon. Doch meine tote Eheliebste lebt mir im Herzen ewiglich.« Stehen ließ ich Berthulden und ging, ohne umzuschauen.


Etliche Tage später war's, und auf meinen Bergen schmolz der letzte Schnee. Es regnete und stürmte, ich blieb in meiner Klause, draußen war's unwirtlich. Die Tannen troffen, hinter Wolken hielt sich die Sonne, die Luft schnob feucht. Ließ der Regen nach, so stiegen aus den Waldgründen weiße Nebel und ballten sich zu grauen Massen, die über den Gebirgskamm hinkrochen, ähnlich einem Rudel riesiger Wildschweine. Das Getier der Wildnis blieb versteckt in Schlüften und Steinen. Ich belauschte eine Hirschkuh, die sich an eine trockene Wand des Abendburgfelsens geschmiegt hatte und ihr nasses Fell leckte. Bei des Windes Schweigen toseten in Tälern und Schluchten die Bergwasser. Trübe schossen sie dahin, hüpften an Felsen schäumend hinan, zerwühlten das Erdreich und rissen große Äste, ja Bäume und Steinblöcke fort. Kam ich vom Waldgange heim, so mußte ich mein Schuhwerk und Gewand am Feuer trocknen. Ging daher ungern hinaus und brachte meine Zeit mit Lesen und Sinnen zu, auch mit Zurüstungen, die mir die Grotte ähnlich der Balkenstube wohnlich machen sollten.

Nachts fuhr ich jäh aus dem Schlafe empor, weil es im Grunde der Abendburg dröhnte, als ob eine eiserne Türe zuschlage. Ich dachte an die Mär von den unterirdischen[329] Schatzkammern. Geschah drunten ein magischer Vorgang? Hatte des Goldes Hüter, für gewöhnlich in seiner Nische kauernd, im Schlafe sich geregt? Nicht doch, ihr Träume der Phantasei! Das Dröhnen kam wohl von einer Fichte, die draußen im Walde hinsank. – Beim Lauschen war's, als ob es tief im Grunde tose, und wie ich das Ohr an den Felsen drückte, kam ein leis Rauschen wie von unterirdischen Wasseradern. Mit einem Steinwurf gen Mitternacht war ja auch der Quell des Kleinen Zacken zu erreichen, und nahe dabei entsprangen noch andre Bächlein. Mir kam nun der Plan, den Boden der Grotte zu untersuchen, ob sich nicht darin ein Brunnen anlegen lasse. Ich brauchte alsdann mein Trinkwasser nicht vom Bergabhange heraufzuholen.

Am Morgen zündete ich die Laterne an, nahm Hacke und Spaten und prüfte den Boden der Grotte. Fast gänzlich war er zusammenhängender Fels, aber an einer Stelle Schottergestein, und es fiel mir auf, daß der Schotter scharfe Bruchstellen hatte, also von Menschenhand hergerichtet sein mußte. Da lag mir nun die Frage nahe: Aus welchem Grunde haben Menschen an dieser Stelle Stein zerschlagen und mit dem Schotter den Boden bedeckt? Wollten sie bloß ein Loch ausfüllen, oder ist vielleicht unter dem Schotter etwas vergraben? Man wird hier schon früher einen Brunnen gehabt haben, dachte ich. Als ich mich an den Boden legte und das Ohr aufdrückte, vernahm ich abermals das unterirdische Rauschen. Arbeitete nun emsig mit Hacke und Spaten, räumte den Schotter weg und stieß auf eine Steinplatte, in die ein Eisenring eingelassen war. Mit Hilfe einer Stange, die ich in den Ring schob, gelang es mir, den Stein aufzuwuchten und beiseite zu schaffen.

Mit Staunen sah ich ein offnes Loch, steinerne Stufen führten in die dunkle Tiefe. Feuchte Luft strömte empor, es tosete drunten wie Wasserfall. Mit Schauder hatte ich zu kämpfen, da es mich deuchte, die Abendburg sei magisch aufgetan, und ich solle nun das gefährliche Abenteuer bestehen.[330] Doch dann schalt ich mich einen Toren und bedachte, daß ja alles mit natürlichen Dingen zugegangen. Lud nun mein Pistol und steckte es in den Gürtel, nahm in die Rechte den Spieß, in die Linke eine Fackel und stieg durchs Loch hinunter. War es anfangs von Menschen hergerichtet und mit Stufen versehen, so ging es bald in einen natürlichen Höhlengang über, der in Windungen tiefer führte. Das Gestein, bisher Granit mit Flinsadern, ward morsch, kalkig und wässerig wie getränkter Schwamm. Neben dem Pfade rann ein Murmelbächlein die Steinstufen hinab. Abermals düstere Granitwände, die verengten sich zu einem schmalen Spalt. Und immer lauter ward das Wassertosen. Gleich darauf kam eine Weitung wie Kirchengewölbe. Quer hindurch klaffte eine Schlucht, an die fünf Mannslängen tief, und drunten schoß das tosende Wasser. Zusammen rann es von beiden Seiten aus Felsenspalten und kleinen Höhlengängen. Über die Schlucht führte ein schmaler Steg von Stein. Hinüber ging ich und folgte dem Schluchtwasser abwärts. An einer quergelagerten Granitwand bildete es einen Kessel, einen Strudel, und strudelte durch ein Loch ins dunkle Eingeweide der Erde. Zur Steinbrücke zurückgekehrt, ließ ich mich durch einen Pfad, den Menschenhand bearbeitet hatte, in einen Seitengang führen; ein Nebenflüßlein rann mir entgegen. Aufwärts ging es durch Granit, dann kam eine Kalkader, endlich Flins, und auf einmal weitete sich dies weiße Gestein. Gebannt blieb ich stehn und leuchtete mit der Fackel umher. Ein Dom war das, wie aus Schnee und Eis. Schimmernde Säulen, etliche stark wie Fichten, ragten zum Gewölbe, und droben hing Zierat bei Zierat, alles aus weißem Gestein, Eiszapfen ähnlich. Wasser tröpfelte herab, und wo es auf den Boden fiel, wuchs ein Zapfen empor. Es war, als habe ein Künstler wunderliche Träume von Wölbungen und Grotten, Flechten und Schleiern, von Astwerk, Durchbrechungen und Schnitzerei in Marmor ausgeführt und mit einer glitzernden Glätte überzogen.[331] Wie ich mit dem Schafte des Spießes an einen großen Zapfen schlug, klang er voll wie eine Kirchenglocke. An einer Stelle glich das Tropfgestein einem faltig hängenden Linnentuche. In einer niedrigen Grotte schien ein Volk von weißen Zwergen und Elfen zu wimmeln. Auch fand ich ein Wasserbecken, dessen Spiegel zur Hälfte mit einer Kruste von milchigem Gestein bedeckt war. Die größte Überraschung aber kam noch, als ich um eine dicke Säule herum ging.

Schrecken fuhr in meine Glieder, da in der erhabensten Wölbung zwo Riesengestalten auf einem Throne saßen: Ein Mann mit wallendem Bart- und Lockenhaar, einen mattgüldenen Reif um die Stirn, in der Rechten ein Schwert, neben ihm eine Frauengestalt in wallender Gewandung. Erst wähnte ich, lebendige Wesen vor mir zu haben. Wie ich dann ihrer Reglosigkeit inne ward, dachte ich an balsamierte Leichen. Bald aber war zu erkennen, daß hier die Stümpfe mächtiger Säulen, schon durch natürliche Bildung menschlichen Gestalten ähnlich, mit dem Meißel hergerichtet, dann durch herabtröpfelndes Kalkwasser überkrustet waren. Ein seltsam Gemisch von Lebendigkeit und Verschwommenheit war zustande gekommen, ein phantastisch Gebild. Wie ein König hielt der Mann das Haupt, es rollten die Augen unter der mächtigen Stirn. Der weiße Bart, den das tröpfelnde Wasser bis zu den Füßen verlängert hatte, bezeugte ein ungeheures Alter. Die Königin zu seiner Rechten hielt das Haupt träumend geneigt. Ein weißer Schleier umfloß ihre Gestalt bis hinunter, sanft war das Angesicht. Zu den Füßen des thronenden Paares stund eine große sargartige Truhe aus Stein. Knochen und Waffen waren darin. Wie ich Mut gefunden hatte, nachzusehen, war ich außer mir vor freudigem Staunen; zwischen Menschengebeinen, die in der Truhe lagen, gab es eine Menge von Gold und kostbaren Geräten. Da waren güldene Kronen mit Edelsteinen, Armgeschmeide, Fingerringe, güldene Ketten und ein paar silberne Kessel, ganz mit Goldmünzen angefüllt.[332] Da sich nur zween Menschenschädel fanden, so vermutete ich, in dieser Steintruhe sei nebst dem Schatze das Gebein des Paares niedergelegt, das hier in Tropfstein abgebildet war. In uralten Zeiten mochte dies Fürstenpaar das Isergebirge beherrscht haben, und in der Höhle hatte das dankbare Volk eine heilige Grabstätte bereitet, die niemand betreten durfte, und die in späteren Zeiten, nach Besiegung und Ausrottung des alten Herrschergeschlechtes, vergessen ward. Wer kann das steinerne Rätsel lösen? Vielleicht war dies der Teutschen Stammvater Tuisko. Vielleicht auch ein Götterbild, das Urbild des Berggeistes, den man später den Rübenzagel hieß. Vor mir lagen die Knochen, die ich aus der Truhe geholt hatte, und daneben die Kostbarkeiten, die meinen Sinn verwirrten. Ich griff aus dem Silberkessel eine Handvoll Goldes und sahe, daß die Münzen ein seltsam Gepräge hatten. Keine Schrift war darauf, sondern meistens nur ein Rad oder eine Sonnenscheibe mit einem Kreuz innen. Ich starrte auf das gelbe Gleißen, lauschte dem Klimpern der Münzen, wühlte im Golde, nahm die Zierate und weidete daran mein Herze, daß es trunken ward. Da hast du nun, wonach du seit der Knabenzeit getrachtet! Erfüllt ist dein Hoffen, die Abendburg spendet, wovon die Mären raunen.

Was nun? So sprach es in mir, und vor meinen Augen regte sich das Gold und wuchs, wie Bäume wachsen, und Säulen wurden daraus, Mauern mit strahlenden Fenstern, ragende Dächer, Zinnen, Türme und Tore, Zugbrücke, Graben und Wall. Die verheißene Abendburg strebte vom Bergesgipfel himmelan, aus wildem Gestein herfürgezaubert durch des Goldes Magie, und ich war der Zauberer und Herr. Die Steinbilder der Höhle, des teutschen Volkes uralte Fürsten, die hier Jahrtausende geschlafen hatten, regten sich, das arme Vaterland zu retten, und machten mich zu ihrem Erben, boten mir den Schatz und eine Krone. Wohlan, es sei! Erbauen will ich die Burg und herrschen über die Berge. Nicht, um zu prunken und zu schwelgen, sondern[333] um meinen Landsleuten zu helfen, aus dem Gebirge eine unüberwindliche Feste zu machen und so den Grund zu legen zu des Reiches Libertät.

Doch wiewohl mir bei diesem kühnen Gedanken hoch das Herze schlug, war doch mein Geist von Zweifeln bedrängt. Wie die Zügel der Herrschaft ergreifen? Wie den ersten Schritt tun auf der neuen Bahn? Je mehr ich sann, desto heißer verlangte mich nach einem Menschen, der mir raten könnte, da ich die Wucht meines Erlebnisses kaum zu ertragen vermochte. Ich beschloß, sogleich den Oheim einzuweihen und zu meinem Helfer zu machen. Verließ also den Felsendom – nicht ohne scheue Blicke hinter mich zu werfen, ob auch der Schatz noch da sei, und nicht etwan der steinerne Hüter wie ein Gespenst mich packen wolle. Doch es blieb alles, wie ich es mit Aug und Hand wahrgenommen.

Taumelig überschritt ich die Brücke der Felsenschlucht und stieg den engen Gang empor, bis ich in meiner Grotte war. Hier merkte ich, daß mir die Knie zitterten und das Herze wild pochte. Mußte mich setzen, betastete meinen Kopf und starrte auf das Loch im Boden, da ich noch immer nicht fassen konnte, daß alles mehr sei als Traum. Dann aber trat meine Tatkraft auf den Plan. Die Steinplatte deckte ich auf das Loch und schaufelte den Schotter darüber. Beflügelten Fußes strebte ich zu Tal. Wiederholt freilich hemmte meinen Lauf die Sorge, es möchte in meiner Abwesenheit der Schatz aufgespürt werden. Es war mir, als müsse das Gold magnetisch die Menschen herbeiziehen.

Den Oheim fand ich in seinem Laboratorio. Ich muß wohl seltsam dreingeschaut haben, denn er sahe mich groß an und fragte: »Was hat's denn?« Ich legte die Hände auf seine Schultern und schüttelte ihn, da ich zunächst keine Worte fand. Dann fuhr es mir heraus: »Ich habe den Schatz!« Noch mehr weiteten sich des Oheims dunkle Augen, und er flüsterte scheu: »Machst du keine Possen?« – »Nein, wahrhaftig, der Schatz ist unser, du sollst ihn sehen, sollst[334] alsogleich mit mir kommen. Doch streng verschwiegen müssen wir sein; selbst Beate darf nichts erfahren. Sag ihr, du müssest mich begleiten, weil mir etwas Alchymistisches gelungen sei.« Da sah ich zum ersten Male in meinem Leben den Oheim strahlen vor Freude. Seinen Mund tat er auf, als wolle er jauchzen, brachte aber nur ein Lallen herfür, dann faßte auch er mich bei den Schultern und schüttelte mich wie einen Baum, der voller Früchte hängt. Wie wir einander gefaßt hielten, kamen wir ins Drehen und tanzten lachend umher. Nachdem nun der Oheim die alte Beate verständigt hatte, daß er mit mir gehe, war er leichtfüßig wie ein junger Bursch. Unterwegs im Bergwalde tat ich über alles Bericht. Abermals kam mir die Sorge, es möchte die Höhle mit dem Schatz ein Traum gewesen sein oder ein magisch Phantom, das inzwischen der gewöhnlichen Wirklichkeit Platz gemacht habe. Doch sieh, unter dem Schotter kam die Steinplatte herfür, und als wir sie weggeräumt hatten, klaffte der dunkle Eingang. Hinstarrend und auf das Tosen horchend, schauderte der Oheim, blickte dann scheu um sich und meinte: »Bist du auch sicher, daß kein Unberufener hier eintritt, derweilen wir drunten sind? Laß uns die Pforten verriegeln!« – So taten wir, und da die Hunde in der Balkenstube lagen, fühlten wir uns ziemlich sicher vor Überraschung.

Brennende Fackeln in der Hand, stiegen wir in die Tiefe. Nachdem wir den engen Gang hinter uns hatten, kam die Felsenschlucht, darin das Wasser toste; über die Steinbrücke ging's und jenseits wieder aufwärts, dem Nebenflüßlein entgegen. Im weißen Felsendom erstarrte der Oheim, wie er die Gebilde aus Tropfgestein betrachtete. Weiter wandelnd, kam er zu den beiden Bildsäulen, fuhr zusammen und tat einen Schritt rückwärts. Wie aber sein Blick auf die Truhe fiel, wo der Schatz funkelte, schlug er die Hände zusammen und trat heran. Schwer atmend griff er sich nach dem Herzen, als schlüge es zu heftig. In dem Blicke,[335] den er mir zuwarf, loderten Freude und Furcht zugleich. »Geschwind!« raunte er heiser. »Angefaßt! Bergen wir sogleich den Schatz! Wer weiß denn, ob die Höhle nicht bald zugehet, wie ja die Leute sagen.« Und mit zitternden Händen griff er nach dem Goldtopfe. »Nicht doch«, entgegnete ich; »sei unbekümmert, hier waltet kein Zauber. Das bleibt alles, wie es ist. Was die Mären berichten, ist ja Aberglaube. Freilich enthält die fabelhafte Hülle einen Kern der Wahrheit, der hat sich uns jetzo erschlossen. Die Sage vom Abendburgschatze ist ein dunkel Angedenken an uralte Zeiten, wo dies Fürstenpaar hier eine Burg hatte und in der Höhle seine Goldkammer.« Mich anstarrend, nickte der Oheim und ergriff mich lachend bei den Armen: »Hast recht, Johannes, das ist kein Spuk. Junge, mein Junge, habe ich dir's nicht immer gesagt, daß du den Schatz wirst heben? Die Zigeunerin hat also doch recht gehabt, da sie verhieß, du sollest werden wie König Salomo. Gold hast du nun und eine Königskrone dazu. So halte fest, was das himmlische Schicksal dir beschert.«

Eine Weile schwieg er in starrem Grübeln. Dann rührte ihn wieder Unrast: »Daß du ja nicht den Leuten verrätst, was du hier gefunden hast. Sonsten möchten Habgierige dich beiseite schaffen, um allein das Gold zu haben.« – »Aber Oheim,« wandte ich ein, »wie soll ich das Gold anwenden, ohne zu verraten, daß ich welches habe?«

Und er: »Sage den Leuten, das Goldmachen sei dir gelungen, solle jedoch dein Geheimnis bleiben. Dann bist du die Henne, so güldene Eier legt, man wird dein Leben hüten, du gackerst und bist Herr der Berge.« Etwas Garstiges lugte aus diesem Ratschlage, das mich peinigte. Ich starrte auf die rätselvollen Bildsäulen, der langbärtige König schien mir der Götze Mammon, indessen die Königin mit sanfter Trauer dreinschaute. Und von dieser Sanftmut ward der gute Geist in mir angesprochen. »Soll ich den Leuten etwas vorgaukeln?« wandte ich kleinlaut ein; »das Lichtreich möcht[336] ich doch gründen, da darf ich nicht die Lüge zum Grundstein machen.« Der Oheim zog die Achseln hoch und spreizte die Hände: »Geht es etwan anders? Willst du das Reich gründen, so mußt du den Leuten kostbar, unentbehrlich erscheinen. Sprichst du nun, in der Höhle sei ein Schatz aus alten Zeiten, so wird mancher sagen: Was brauchen wir den Johannes? Ich selber will des Schatzes genießen! Nein, Kind, für die lautere Wahrheit ist unsere Welt nicht reif. Die lautere Wahrheit eignet sich wohl nur fürs Himmelreich. Die Welt will betrogen sein, wie der Lateiner spricht. Buben scheuchet man mit dem schwarzen Mann. Wer den Zweck will, dem muß auch das Mittel gelten. Laß dir ja nicht den Reichtum entwinden. Nimm ein Exemplum an diesem steinernen König. Vermeinest du, der wäre groß worden, hätte er nicht verstanden, das Heft in Händen zu halten? Siehe doch, wie er so fest sein Schwert trägt, so sicher, so stark!«

Unschlüssig blickte ich auf den steinernen Götzen. Der starrte gebieterisch und kam mir auf einmal vor wie der leibhaftige Höllenfürst. Rollenden Auges deutete er auf den gleißenden Schatz, aus seinem Schweigen donnerte mir jenes Wort entgegen, mit dem er den Heiland in der Wüste versucht: »Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest.« Und eine Macht strömte mir ins Herz, ich reckte mich, straffte Nacken und Arm, entschlossen, nach des Oheims Rate zu tun.

Wohl bedachte ich, daß der Schatz nicht mir, sondern dem Grundherrn gehöre. Doch der Grundherr war nebst seinen Kindern in der Gewalt von Beutemachern. Sollte ich denen auch noch den Schatz in die Klauen liefern? Nicht doch! Ich, den des Himmels Walten zum Entdecker auserkoren, wollte das Gold lieber zur Verteidigung des Vaterlandes, ja zur Befreiung des gefangenen Grundherrn verwenden. Hinterher würde Hans Ulrich mich segnen für meine Eigenmächtigkeit. – Als ich diesen Plan dem Oheim darlegte, stimmte er bei, obwohl zögernd.[337]

Nun hub eine Zeit wilder Unrast an. Hinweggescheucht war alle Herzensstille. Wie Wetterodem stürmte es in mir. In einem fort hetzte die Arbeit, und war ich aufs Lager hingesunken, so scheuchte mich bald Sorge wieder empor. Und nicht anders erging es dem Oheim. Gleichwohl waltete eine Spannkraft in uns, als begnade Gott wundersam seine neuen Reichsverweser. Unser erstes Werk war, den Schatz besser zu verstecken, für den Fall, daß ein Unberufener in die Höhle eindränge. Über der Schlucht, darin das Wasser toste, entdeckten wir einen Felsenspalt, der sich nach innen erweiterte. Hier hinein schleppten wir den Schatz. Zur fürderen Sicherung ließen wir durch den Schreiberhauer Schmied eine eiserne Gittertür nebst Schloß verfertigen. Wir selber brachten sie an der Stelle an, wo der erste enge Felsengang endet und die Weitung mit der Schlucht kommt.

Viel Mühe machte uns das Umprägen der alten Münzen. Es ging ja nicht, daß wir sie in ihrer ursprünglichen Form den Leuten einhändigten. Man hätte alsdann erraten, wir seien keine Goldbereiter, sondern Entdecker eines alten Schatzes. Zu Hirschberg ließ der Oheim einen Stempel verfertigen, der die Münze des neuen Reiches prägen sollte. Auf der einen Seite war die Sonnenscheibe mit einem Hakenkreuz innen, auf der andern Seite die Inschrift: Herr der Berge. Um die alten Stücke umzuprägen und glaubhaft zu machen, daß durch Alchymie unser Gold entstehe, war ein Laboratorium nötig. Dazu richteten wir die Grotte ein. Wie sie für unsern Zweck fertig war, schwang ich einen mächtigen Hammer, indessen der Oheim den Prägestock hielt. Unter dröhnenden Schlägen sprangen die Goldmünzen herfür, mit denen das neue Reich zu gründen war. Nach einer Arbeit von etlichen Wochen betrug unser Münzschatz bereits 10000 Dukaten.

Inzwischen hatten wir beraten, wer unter den Männern des Gebirges auszuwählen sei, um beim Gründen unseres Reiches mitzuhelfen. Zum Ersten erkies ich Segebodo, der[338] feurigen Sinnes, aufrecht, klug und tapfer. Ein Führer der Schreiberhauer sollte Dreßler sein, ein Fünfziger, Riese von Gestalt, fest und treu, ehrbar und männiglich geachtet. Auch der Trompeterhans mußte dabei sein. Nachdem auf kaiserlichen Befehl die evangelische Dienerschaft des Hauses Schaffgotsch entlassen war, hatte der Trompeterhans zu Schreiberhau Unterkunft gefunden. Ich wollte den kecken Gesellen zu Hans Ulrichs Befreiung verwenden.

Wir luden diese Männer zur Abendburg, und wie sie in meiner Balkenstube saßen, tat ich eine Handvoll Goldmünzen auf den Tisch: »Das da hat mein Schmelzofen nebenan zustande gebracht, und das Hundertfache kann ich schaffen. Der Schatz soll aber nicht für mich sein, sondern für euch, für das ganze Gebirge. Lasset uns diese Bergwildnis zur Feste umwandeln und reich mit Proviant versehen. Dazu diene uns das Gold. Wollet ihr drei nebst mir und meinem Oheim dies Werk unternehmen? Ich frage, gebet Antwort!« Segebodo war aufgesprungen, über den Tisch gebeugt, starrte er mich glühenden Auges an; dann schlug er mit der Faust auf die Platte, daß die Münzen tanzten, und streckte in heller Freude seine Hand entgegen: »Johannes, wir bauen die Burg!« Der Trompeterhans hatte hastig ein paar Münzen aufgegriffen und stand beim Fenster, sie betrachtend und durch Geklimper prüfend. »Wahrhaftig,« meinte Dreßler, »das ist wie Gold.« – »Es ist Gold, echtes, reines Gold«, sagte ich. Dreßler sahe bald auf mich, bald auf das Gold und griff sich an den Kopf. »Und mehr davon kannst du machen?« fragte er. »Alle Tage so viel wie dies«, frohlockte der Oheim. Wieder schlug Segebodo auf den Tisch: »So glaubet doch, ihr Männer, und reichet die Hände her, schließen wir ein Bündnis, zu tun, was unser Herr Johannes will.« Nun trat freudig der Trompeterhans herzu, und wie wir im Kreise einander die Hände reichten, sprach ich: »Wir fünfe halten fürder zusammen wie Finger einer Hand.« – »Und du bist unser Zeigefinger«, meinte Segebodo.[339] »Ja, du sollst uns führen«, riefen alle. Indem warf die Sonne aus Wolken lugend ihren Strahl durchs Fensterlein, und Dreßler sprach: »Frau Sonne gibt die Weihe!« – »Sie weihet das neue Reich,« sagte ich, »ein Lichtreich soll es werden.« Segebodo tat die Hand an seine Stirn und murmelte wie ein Verzückter. Der Oheim brachte einen Krug Heidelbeerwein nebst Bechern. Wir stießen an und tranken des Reiches Heil. In der Beratung stellten wir fest, was zunächst geschehen solle. Der Oheim und Segebodo meinten, sogleich sei die Abendburg zu einer Feste herzurichten. Dreßler machte geltend: »Auch der Wachstein muß befestigt werden, damit der Feind nicht vom Hirschberger Tal herauf kann.« Der Trompeterhans fügte hinzu: »Auch gehört ein starker Posten ins Jammertal, an den Zackensteig.« – »Recht so,« sagte der Oheim, »durch diese drei festen Plätze sind den Feinden die Pässe nach Schreiberhau verlegt.« – »Vor allem Soldaten und Werkleute her, und tüchtigen Proviant!« sagte ich, und wir machten aus, Segebodo solle, mit Gold versehen, hinunter ins Hirschberger Tal, Leute und Lebensmittel zu schaffen, indessen Dreßler die nächsten Bauden und Ortschaften zu besuchen und die Gebirgler unserm Reiche zu gewinnen habe. Der Trompeterhans, auf den wir alle bauten, erhielt so viel Gold, als sich in seinem Wams und seines Pferdes Sattel verbergen ließ. Unverzüglich brach er auf und trabte ins Böhmische. Durch Bestechung der Wächter sollte er unsern Herrn Hans Ulrich aus der Regensburger Gefangenschaft befreien. Heiße Wünsche geleiteten ihn.

Mit dem Oheim war ich nun beflissen, einen guten Plan zur Befestigung der Abendburg herauszubringen. Ein Brief von Segebodo meldete, er habe schon mehr als fünfzig Soldaten beisammen, lauter Haudegen, werde auch Korn und Vieh bringen, wisse jedoch in einer Sache keinen Rat. Bei den Soldaten seien Weiber und Dirnen. Was solle mit denen werden? Die Soldaten begehreten, sie mitzubringen, und ich solle lieber dafür sein, sonsten möchte die[340] Soldateska das Weibesvolk von Schreiberhau verderben. Ich solle unverzüglich meine Entscheidung kundtun. Betroffen war ich, hatte zuvor nicht bedacht, was Neuerung unser Söldnerwesen mit sich bringen könne. »Weg mit den Dirnen,« sprach ich zum Oheim, »das Lichtreich muß ohne Gesindel begründet werden.« Der Oheim aber meinte: »Engel findest du halt nicht, mußt schon mit dieser rauhen Welt fürliebnehmen. Wer Soldaten braucht, muß ihre Art gelten lassen.« Nach vielem Für und Wider entschied ich, es sollen nur solche Söldner heraufgebracht werden, die keine Dirnen mit sich führen. Wer aber ein Eheweib habe, dürfe es bringen. Den Verschmähten solle der Laufpaß gegeben und durch den Sold einer Woche versüßet werden.

Etliche Tage später kam Segebodo mit sechzig Söldnern, vielen Weibsbildern, auch Werkleuten. Sie geleiteten drei Ochsenwagen, drauf waren Säcke voll Korn und Rauchfleisch, Gewandstoffe, Rüstungen und Waffen, Blei und Pulver, dazu ein Faß Branntewein. Ich teilte die Angeworbenen und bestimmte die größere Hälfte für den Wachstein, dessen Befestigung in Angriff genommen ward. Die andern Leute sollten der Abendburg angehören. Zu ihrem Lagerplatz wählte ich einen Ort, eine halbe Stunde davon auf dem Bergeskamm gelegen. Hier ward aus Fichtenstämmen ein rauhes Obdach hergerichtet, auch für das Vieh ein Stall, und die Vorratskammer. Nun zogen wir um das künftige Burghaus in weitem Bogen einen Graben. Nach innen aufgeworfen, bildete das Erdreich einen Wall, hinter dem gespitzte Pfähle als Brustwehr starrten. Eine Zugbrücke sollte über den Graben führen und durch ein steinern Tor gesichert sein. Mit diesen Anlagen zu beginnen, schien das ratsamste, weil das Gerücht von meinem Golde leicht Beutemacher uns auf den Hals laden konnte.

Wie Wall und Graben notdürftig fertig waren, bat mich Segebodo, der als Hauptmann über die Soldaten gesetzt war, ihnen eine Festlichkeit zu gewähren. Ich willigte ein[341] und versprach, selber zum Fest zu kommen. Der zweite Sonntag Junii war's, ich hatte im Walde meine Predigt gehalten, unter großem Zulauf aus dem Gebirge, und es umjubelte mich der Haufe. Berthulde war darunter; blitzenden Auges, Glut auf den Wangen, sprach sie zu den Umstehenden, die beifällig lauschten. Vom Lichtreiche schwärmte sie, das alle teutschen Lande einen solle im Glauben an den Allvater in uns. Wie ich als Mittagsgast zu Oheims Häusel ging, überholte ich die Preislerin, die nebst ihrem Sohne Christiano von der Predigt heimkehrte. Seit Jahren eine Witwe, war sie gealtert, doch immer noch stattlich. Da ich traulich ihre Hand schüttelte, kamen ihr die Tränen. »Ach, Herr Johannes, weiß Er annoch? wie wir vor zwanzig Jahren zu Warmbrunn mit meiner Elfriede ...« Sie konnte nicht weiter, und auch mich machte die Wehmut wortlos, ich drückte der Mutter Hand und ging.

Von Elfrieden hatte sich mein Sinnen zu Thekla gewandt. O daß sie unter den Lebenden, und an meiner Seite weilte! Sie erst gäbe mir die rechte Freudigkeit und Kraft, deren ich zu meinem Unternehmen bedarf. Wohlan, sprach ich zu mir – sei unermüdlich, ihre Spur auszufinden! Bist ja nicht mehr der hilflose Eremit, hast Gold wie ein Fürst. Suche, reise, sende hundert Kundschafter aus! Vielleicht sollst du sie noch in die Arme schließen. Wenn du sie dann heimführst zu deinem Felsennest, magst du strahlen und lachen: »Weiß meine liebste Gräfin noch, wie sie an dieser Stätte zu mir ›Wag's Knab‹ gesprochen? Nun mach ich das Wort wahr. Der Schatz ist mein, eine Burg ragt in die Lüfte, und ich walte drin als Herr der Berge, die holdseligste Fürstin an meiner Seite!« – Aufjauchzen wollt ich, doch dann schluchzete ich in mich hinein. Ach, ich war jener Mutter gleich, die das kalte Gold der Abendburg gehoben, ihren Herzensschatz aber verloren hatte.

Quelle:
Bruno Wille: Die Abendburg. Jena 1909, S. 281-342.
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