Zweite Abtheilung:

Leben.

* There are deeper powers still beyond.

Byron.


* Was ich besitze, seh' ich wie

vom Weiten,

Und was verschwand, wird mir

zu Wirklichkeiten.

Göthe.



Ein Platz in Rom.

Stunde der Abenddämmerung.


FAUST im Mantel.

Schaarwächters Nachtruf schallt vom Forum her:

Eins, zwei, drei – fünf – neun Uhr tönt heisern Schlags

Das Glockenspiel vom Thurme der Barmherz'gen.

Der Dämmrung feuchter schwarzer Mantel sinkt

Wie eine Nebelkapp der Nibelungen

Vom trüben Himmel nieder, lagert sich

In Wolkengruppen auf den öden Dächern;

Einsam die Straßen, in den finstern Gassen

Herrscht Wetterschwüle, bang wie Meeresstille.

Mein Sinn ist auf die Schwermuth heut gestellt,

Nicht rüstig froh und frei und wohlgemuth,

Wie Ritters Brauch bei nächt'gem Abenteuer.

Es schleicht mein Geist, von Körpers Bürd' beschwert,

Im Dämmerreiche längst vergangner Zeiten,

Wühlt alte Wunden auf und wandelt ernst

Auf Schädelstätten längst versunkner Freuden.

Ist dies der ew'gen Roma Wunderkraft;[95]

Ist dies das Banner neuen Lebensmuths,

Vom milden Hauch des Südens reich entfaltet

Zu Lust und That – wie traurig steht's dann! Still –

Still, Träumer! Zeit wird's ändern.


Er geht mit steigender Unruhe auf und nieder.


Wo bleibt mein Diener, den ich herbestellt,

Der mir soll Kunde geben von dem Wesen,

Das jetzt so leidlich mir mein Denken füllt,

Damit in Langweil nicht der Geist verlechze?

Ein läss'ger Diener, ein verwünschter Kerl,

Bei dem kein Zürnen, Schelten, Prügeln hilft,

Ein Säufer, Spieler, Schwätzer, Hurenjäger,

Nichtsnutzig ganz vom Wirbel bis zur Sohle!

Ein Kerl, so lästerlich, daß morgen gleich

Ich ihm den Abschied gebe. – Nein, nein, nein!

Gebessert will ich ihn nach Deutschland senden;

Und dann – weil jetzt an schwarzer Gall' ich leide –

So berg' ich's nicht, er ist mir unentbehrlich.

Sein Spaß füllt mir des öden Tages Lücken,

Sein eigen schlaudumm Wesen gibt mir Raum,

Der Narrheit Weisheit und der Weisheit Narrheit

(Dies ew'ge Mixtum alles Menschenthums)

Recht gründlich in effigie zu studiren;

Und dann – was läugn' ich's – bin ich ärgerlich,

So schafft mir's Lindrung, wenn ich ab ihn prügle.

So bleib' er –


Pfeifen in der Ferne.
[96]

Holla, diesen schrillen Ton erkenn' ich!

Der Kerl ist Virtuos auf Stallknechts-Flöte;

Er überpfiffe mit des Wallfischs Odem

Dampfwagens Nothruf selbst. Mir scheint gewiß,

Soll er an der Tuberkelschwindsucht sterben,

So naht er nie sich Cestius Pyramide.

Wie nun, Du Schlingel? Bleibst so lange aus?

Soll Hetzpeitsch' Dir den Abendsegen läuten?

CASPAR tritt auf.

Eure Gnade hab' Erbarmen,

Eure Weisheit verschone mich Armen!

Wenn Eure Einsicht sich will bezeigen,

Wird Rücksicht gleich zu mir sich neigen;

Rücksicht wird sich in Nachsicht wandeln;

Nachsicht wird mild und christlich handeln,

Wird dankbar meine Fürsicht loben

In Hinsicht der bestandnen Proben,

Wird sich an Dieners Treu ergötzen,

Den Würd'gen über Vieles setzen,

Wird sagen: »Caspar Federlein,

Zu Deines Herrn Gelüst geh ein!

Das heißt in Doctor Luthers Weis':

Botschaft war lang, und Tag war heiß.

Nimm dieser Scudi so und so viele,

Zeuch ein in Wirthshausabendkühle!

Dieweil ich schwelg' in Liebesgluthen,[97]

Laß Du die Rebe tapfer bluten;

Begeuß mit des Falerners Saft

Die Pflanze meiner Leidenschaft,

Daß sie als ungeheurer Baum

Aufschieße in des Himmels Raum.« –

In brevi, Herr, macht Euch bereit:

Brautfackel glüht, es harrt die Maid;

Der Jungfrau'n schönste Perl' auf Erden –

Will mit Gewalt zur Mutter werden.

Dazu, Herr Doctor, seid Ihr da;

Der Rest ist Schweigen – Halleluja!


Caspar hält die Hand auf.


FAUST.

Sprichst Du die Wahrheit diesmal, dummer Tropf,

Soll Deinem Schlauch es nicht an Füllung fehlen;

Doch will ich erst an Glückes Pforten stehn.

Die Nacht wird dunkel; leuchten sollst Du mir

Zur fernen Straße, wo mein Himmel thront.

Kauf' schnell dort in dem Laden eine Fackel

Und geh' voran als blöder Lucifer;

Dir folg' ich, von der Sehnsucht Gluth durchlodert,

Die, schnell erglüht, mein ganzes Wesen füllt.

Sterne, seid günstig! Schützende Penaten

Von Hymens Haus, befruchtet dieses ausgebrannte Herz,

Daß es vom Weihrauchduft der Liebe triefe!

Vor Neiderschaar, vor Meuchelmördertücke[98]

Schützt mich mein gutes Schwert; nun, feiger Diener, komm! –


Sie biegen in eine Gasse.


CASPAR. Rom ist ein Rattenloch, Herr; ich finde keine sonderliche Herrlichkeit daran. Haltet Euch rechts, Herr, immer an den Häusern hin. Das sind verfluchte Löcher; ich möchte der Steinsetzer nicht sein, der dies Pflaster zu repariren hat. Es ist ein Pflaster, welches der Chirurgus bessern muß mit seinem Pflaster; denn die Hirnschalen müssen hier den Wegzoll entrichten, und der Thoreinnehmer ist ein Tiger, er will Blut sehen. Holla! Nachtwächter, haltet Eure Laterne etwas in die Höhe; meine Fackel reicht nicht aus für zwei Personen. Freund, mein Herr wird Euch einen Scudo geben, sagt uns, wie diese ebene Straße in Eurer Sprache genannt wird.

NACHTWÄCHTER. 'S ist Cestius Straße, die nach dem Künstlerviertel führt.

KASPAR. Laßt die Baukünstler kommen aus Eurem Künstlerviertel, und laßt nur von einem Viertel derselben ein einziges Viertel dieser Straße ausbessern, so werdet Ihr im nächsten Herbst, wenn die Regengüsse sich mit dem Felsenboden familiär machen, ein Asyl besitzen, um Eure stecken- gelassenen Stiefel zu beweinen. Gehabt Euch[99] wohl, wackerer Custode! Ihr scheint Euch seit Eurer Dienstzeit mit Eurem Pflaster ausgesöhnt zu haben, und seid nicht in Gefahr, Eure Schuhe stecken zu lassen, da Euch Eure Besoldung keine abwirft. Halt, noch Eins: Stoßt nicht so laut in Euer Horn! Das Rattenungeziefer versteht Eure Signale nicht. Sie meinen, es sei Generalmarsch.

FAUST.

Fort, Schwätzer, tummle Dich, sonst prügl' ich Dich! –

Straße des Cestius nannte diesen Holperweg der Mann?

Dies also ist der Weg nach jenem weltberühmten Kirchhof,

Wo Tausende, aus süßer Heimath weggebannt,

Schlafen den ewigen Schlaf, auf fremdem Boden, unbeweint.

Cestius Mal! – Und so muß Alles mich

An Tod und Grab und an das Nichtsein mahnen!

Selbst auf dem Wonnepfad zu Amors Lustgemach

Muß ich von fern die weißen Kreuze schimmern sehn,

Die geisterhaft die Friedhofmauer überragen.

Fluch, der auf allem Leben haftet, unbezwinglich scheinst Du mir! –

Wirst Du nun eilen, Schlingel? Willst vielleicht

Mich narr'n von Gass' zu Gasse? Wart', Hallunke,

Ich trau' Dir nicht! Ich fasse Dich beim Schopf,

Und diesen Degen jag' ich Dir sogleich

Durch Deinen aufgedunsnen Leib, Du Gauch,

Wenn Du mich nicht in Viertelstundes Länge[100]

Führst zum ersehnten Ziel der Wünsche.

Halt höher jetzt die Fackel! Siehst Du nicht,

Wie sich verengt und finster wird die Straße?

Wie das? Ich sehe keinen Ausgang mehr;

Sie scheint in einen finstern Sack zu end'gen.

Schelm von Bedienten, wohin führst Du mich?

Logiren hier die Liebesgötter, Spitzbub?

Teufel, zeigt sich dort nicht auf lichtem Grund

Ein schwarzes Gitter? Und der himmelhohe Stein dort –

Hallunke, das ist Cestius Pyramide!

Soll ich bei Todten meine Brautnacht feiern?

Willst Du mit niederträcht'ger Schelmerei

Dem Währwolf und dem Vampyr mich gesellen?

Da, nimm den Lohn – –


Er schlägt ihn.


CASPAR. Herr, was ficht Euch an? Fürchtet Ihr Euch auf einmal so heftig vor unschuldigen Leichensteinen, und habt sonst ganze Mondscheinnächte auf Gräbern gesessen und die Schädellehre studiert und die Wissenschaft der Kreuzkröten und gelben Todtenblumen? Und was das Aergste ist, ich muß ganz unschuldig Euren Zorn tragen, Eure Streiche leiden. Kann ich dafür, daß Euer Liebchen hier in diesen Zwickel ihr Logis verlegthat? Kann ich für menschliche Liebhabereien und Idiosynkrasieen? Ich sag' Euch, Herr, auf meiner alten Großmutter Gewissen: Hier ist unser Ziel, und[101] hier, wo die bunte Lampe einsam brennt, wohnt Euer Liebchen, dicht bei der Pyramide. So, nun sind meine Scudi verdient, und noch einer drüber, zum Ersatz für die Prügelsuppe. Nun will ich ihr gleich das Zeichen geben:


Komm, feins Liebchen, komm an's Fenster!

Alles still und stumm;

Die Verliebten und Gespenster

Wandeln noch herum. –


Ja so, da besinnt sich meine Weisheit, daß Madonna kein Deutsch versteht. Nun, so muß sich hier in dieser unheimlichen Nachbarschaft die italienische Stegreifpoesie entwickeln, was einem so durchgebildeten Talent, wie das meinige – begabt mit der prästabilirten Harmonie der Sprachvirtuosität – nicht schwer fallen kann. Schade nur, daß mein sonorer Barytōn einigermaßen gelitten hat in meines Herrn Dienst! Meine Serenate würde sonst mehr Effect machen. Eine Mandoline sollte gleichermaßen nicht fehlen, um zu locken die Mi randolina; doch eine richtige Cadenz und ein gehörig angebrachter Kopfton, wobei mit dem linken Bein nach der rechten Hüfte gesteuert wird, ersetzen Alles. Also drauf los! Das Vorzeichen ist: dal segno. Die Tonart ist: Allegro, ma non troppo.


Singt.


Ah! senza amare

Andare sul mare[102]

Col sposo del mare

Non puó consolare. –


Mit Vergunst, Herr, es fällt mir nichts Andres ein. Diese Serenate ist aus einem alten Trauerspiel, welches neuerdings in der Bibliothek des Vaticans wieder aufgefunden worden. Es ist von einem gewissen Ferdinand Stolle, weiland Jesuitengeneral, in sieben und dreißig Aufzügen verfaßt, unter dem Titel: »Grimma und Liebertwolkwitz.« Aber die Passage ist gut und verfehlt nicht ihre Wirkung; denn wie Euer Gnaden bemerken, zeigt sich Madonna bereits am Fenster.

FRAUENBILD am Fenster. Bist Du es, theurer Mann, mein Faust, mein Leben?

FAUST. Ich bin es, rosig Liebchen. Oeffne schnell!

CASPAR. Eine weiße Rose, wie mich dünkt. Sei es nun auf Grund der eignen Blässe (etwa eines Lungen- oder Leberübels), sei es durch den Reflex der weißen Pyramide, welche hier die Beleuchtung ersetzen muß. In meiner Heimath, zwischen Lauenburg und Lüneburg streicht man so die Kieshaufen auf den Fahrstraßen mit Kalk an, damit die Fuhrleute und Betrunkenen bei Weg und Steg bleiben.

FRAUENBILD.

Holder Freund, mich überfließt die Gluth der Schaam;[103]

Weißes leichtes Nachtgewand die Nachtluft scheut.

Diesen Schlüssel werf' ich Dir in Deinen Schooß,

Der Dich schnell in meine Arme führt.

CASPAR. Euer Gnaden werden heut weißen Wein trinken, der Euch nichts kosten wird; ich für mein Theil möchte gern rothen Wein trinken, der mich einige Münze kosten wird. Eurer Einsicht vertraue ich mithin, wie früher bemerkt, meine Absicht, und diese Eure Einsicht wird ermessen, daß diese meine Absicht eine noble sei.


Er hält die Hand auf.


FAUST. Hier, Schelm, Dein Geld; nun troll' Dich eilig fort!


Er verschwindet im Hausflur.


CASPAR die Straße entlang singend.

Drei Rosen im Garten, drei Lilien im Feld –

Mei Schatzerl muß warten bis mir es gefällt.


Da jenseits der Brucken leuchten andere Stern';

Thu' aus, Schatz, Dei Lichterl, i thu's halt nit gern.


Drei Flascherl zum Nachttrunk, drei Reben auf's Grab –

Und bin i hinunter – langt's mer d' vierte hinab![104]

Quelle:
Marlow, F. [d.i. Ludwig Hermann Wolfram]: Faust. Ein dramatisches Gedicht in drei Abschnitten, Neu herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Otto Neurath, II. Teil: Text des Faust, Berlin [1906], S. 95-105.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon