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[16] Er ist todt, der geliebte Kaiser. Mein Vater betrauert ihn mit Würde und Ergebung. Die männliche Thräne, die einer festen Brust entquillt, über der Leiche eines Entschlafenen, ist sie nicht das vollgültigste Zeugniß vom Werth seines Lebens? Große Entwürfe werden mit ihm begraben, sagt der Vater. Ja, er wollte Großes und Gutes, aber dem bewegten Ritterleben, das die Gefahr von früher Jugend an aufsuchte,[16] um die Fülle des Muths an ihr zu erproben, fehlte es an Haltung gegen das Ganze, an der sichern Klugheit, Andre zu seinem Zwecke zu leiten, an der berechnenden Wirthlichkeit, die einem Römischen Kaiser unentbehrlicher ist, als jedem andern König. Deshalb sind unsre Kaiser meist nur im Wollen und Streben groß. Aber ist im Wollen und Streben nicht der eigentliche Mensch? selten gehört ihm die That an. Was er für Kirche und Reich herrliches gedacht, wie er offnen, freien Blicks das Rechte erspäht, wie er muthvoll und liebenswerth in That und Sitte sich die Herzen des Volkes gewann, das wird ihm bleiben, im Angedenken der Menschen.

Daß sein klares Auge auf mir auch geruht, in der freundlichen Stadt, die er mit ahnender Trauer verließ – die Bilder jener Tage –, das seine – stehen immer in meiner Seele.

Eine große, wohlthätige Spur seines Lebens wird bleiben im Laufe der Zeiten. Das Gericht von Fürsten, Edlen und Weisen, das er einsetzte,[17] um die Streitigkeiten zu schlichten durch die Macht der Vernunft und der Ehre, die sonst blutige Fehde entschieden. Gegen den Reichsfeind, den Feind des Christenglaubens, werden die Streitkräfte sich wenden, die die blühenden Auen des Vaterlandes verwüsteten, seine Kinder zerfleischten. Wir armen Frauen werden nicht zitternd und zagend mehr hinter unsern Burgmauern leben, daß die Morgensonne die Geliebten unsres Herzens zum blutigen Kampf aufrufe, daß der Feind eindringe, und die Flamme unsre Habe verzehre, die Armuth aus den zerstörten Hütten der Unsern, uns mit all ihrem unendlichen hülflosen Jammer überfalle.

Kurz vor seinem Tode ernannte der Kaiser meinen Vater zum Beisitzer dieses edlen Gerichts unter den Grafen von Zollern. Ich sehe den Vater mit neuwachsender Ehrfurcht an, wenn ich mir ihn als Beschützer der Tugend und Ordnung denke, als Richter des Rechts, das die ewige Grundsäule der Menschheit ist, wie das Licht die Nacht der Erde umgiebt,[18] und Wachsthum und Gedeihen verleiht, dem Glücke, der Liebe, der Tugend, in seinen reinen Strahlen.

In edlen Männerherzen wohnt nur das Recht. Schönes Feld des Muthes, das sich hier eröffnet! Nur der Starke und Feste bewahrt Wahrheit und Ehre treu, da sie die Angeln seines eignen Wesens sind. O stünde auch der Eine, um den all mein Sinnen und Denken sich dreht, bei dem das Licht meines Lebens wohnt, auf dieser edlen Reihe neben dem Vater! Oft ahne ich eine ewige Trennung – zu denken vermag ich sie nicht.

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 16-19.
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