Ähnlichkeit

[21] Ähnlichkeit – Das junge Wort ähnlich ist etymologisch nicht mit Sicherheit zu erklären. Die Herleitung aus analogen, die Anlehnung an Ahn (ähneln ist aber eine neuere Bildung) befriedigen nicht recht. Eine Lehnübersetzung von similis (einlich, wie es im 16. Jahrhundert hieß, verhält sich zu similis wie einmal zu semel) anzunehmen mutet mich sehr an, mag aber befremden.

Ich habe (Kr. d. Spr. I 434 f.) auf die Bedeutung der Ähnlichkeit für unser Denken hingewiesen: Ähnlichkeit empfinden nennen wir erkennen, nennen es irrtümlich so. Die Begriffe unserer Sprache beruhen auf Klassifikation, die Klassifikation aber auf Ähnlichkeit, nicht auf Gleichheit, wie denn noch in frühneuhochdeutscher Zeit gleich die Bedeutung von ähnlich hatte. Nicht mathematisch gleiche, sondern nur ähnliche Vorstellungen überdecken sich so lange, bis wir einen fest umrissenen Begriff[21] zu haben glauben. Die exakten Wissenschaften trachten der Gleichheit durch immer kleinere Maßeinheiten näher und näher zu kommen; aber auch sie müssen sich, trotz aller Präzisionsmechanik, mit Ähnlichkeit begnügen, wie die Menschensprache seit jeher ihren Wortvorrat nach Ähnlichkeiten geordnet hat. Wären die menschlichen Sinne miskroskopisch scharf gewesen, wir hätten zu unserer Sprache gar nicht kommen können. Es wäre wunderbar, daß unsere Präzisionsinstrumente trotz aller Ungleichheit doch funktionieren, daß unsere so viel gröbere Sprache im ganzen und großen doch auf die Wirklichkeitswelt paßt, – es wäre wunderbar, wenn es in der Wirklichkeit außer der Ähnlichkeit noch eine besondere Gleichheit gäbe, wenn Gleichheit nicht ein künstlicher Begriff wäre. Darum allein schon ist die Logik eine unfruchtbare Disziplin, weil sie innerhalb der Begriffe, mit denen allein sie praktisch arbeiten kann, eine Gleichheit voraussetzt, die es nicht gibt. Nicht Gleichheit, sondern Ähnlichkeit der Vorstellungen erzeugt das Erinnern oder die Gedächtnisarbeit, und Sprache ist wiederum nur Gedächtnis. Die wissenschaftlichen Disziplinen müssen sich darauf beschränken, die zufälligen und die ererbten Ähnlichkeiten in der alten Gemeinsprache für wissenschaftliche Zwecke besser zu ordnen. »So wenig ein fest umschriebenes Erbrecht sich auf das lustige Spiel von Ähnlichkeiten gründen ließe, wonach dann diejenigen die Erben eines Mannes würden, die ihm nach dem Urteile des Stadtklatsches ähnlich sehen, ebensowenig kann also aus der volkstümlichen Sprache eine richtige Naturanschauung, eine natürliche Entwicklungsgeschichte herausgezogen werden.« (Kr. d. Spr. I. 436.)

Ich habe auch schon auf Sanskrit-Worte hingewiesen, in denen die berühmte Göttin Maya als Endsilbe erscheint, genau wie englisch like, dem bekanntlich unser -lich, gleich entspricht. Maya gaukelt uns die Gleichheit vor.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 1, S. 21-22.
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