Die opera seria

[177] Unter allen Erzeugnissen der Renaissance ist die Oper sicher das merkwürdigste. Allen übrigen Künsten und Wissenschaften erschloß sich das gepriesene Altertum entweder aus unmittelbarer Anschauung oder aus sicherer Überlieferung. Was dagegen am Ende des 16. Jahrhunderts dem florentinischen Kreise des GrafenBardi von Vernio und des Jacopo Corsi, ihrem Dichter Ottaviano Rinuccini und ihren beiden MusikernJacopo Peri und Giulio Caccini als höchstes Ideal der Antike vorschwebte, war ein Bild, das dem heutigen Auge noch fast ebenso tief verschleiert ist wie dem damaligen: die antike Musik, von deren Naturwahrheit diese begeisterten Platoniker nicht minder fest überzeugt waren als von dem überreifen, »barbarischen« Charakter der damaligen kontrapunktischen Kunst. Die erste Frucht dieses Kampfes war die neue Form des begleiteten Sologesanges; sehr bald spielte er jedoch unter dem Druck des starken dramatischen Zuges, der der italienischen Musik schon im 16. Jahrhundert zu eigen ist, auch auf das dramatische Gebiet hinüber und rief mit der 1594 im Hause Corsis aufgeführten Dafne (Text von Rinuccini, Musik von Peri) das erste Musikdrama ins Leben1. Aus dem Texte spricht noch ganz deutlich der Geist der damaligen italienischen Hirtendichtung, dahinter steht aber noch ein anderes, neues Ideal, das in der Oper trotz allen zeitweiligen Trübungen bis in Mozarts Zeit und darüber hinaus lebendig geblieben ist: die antike Tragödie. Schon in Florenz war man überzeugt, mit dem neuen Kunstwerk nicht sowohl eine neue Musikform, als vielmehr eine höhere Art des Dramas überhaupt begründet zu haben, und noch die feierlichen, fast religiösen Klänge der ersten venezianischen Ouvertüren sind von demselben idealistischen Geiste eingegeben.

Diesem hochfliegenden Renaissancegedanken hatte die Oper nicht allein ihren äußeren Stoffkreis zu verdanken, der sich über 200 Jahre auf die antike Sage und Geschichte beschränkt und nur aus der italienischen Romantik einen bescheidenen Zuwachs erfahren hat, sondern namentlich die verschiedenen dramatischen Reformen, die von Gluck bis Wagner die Oper nach mancherlei Irrwegen immer wieder zu dem alten Ideal zurückzuführen suchten.[178]

Die brennendste Frage der Opernkomposition, die nach dem Verhältnis von Wort und Ton, lösten die Florentiner, ihrem antiken Vorbild gemäß, zugunsten des Wortes; sie erhoben das Rezitativ zum Grundstock der Oper, und zwar mit einer seitdem nie wieder erreichten Strenge. Der Musiker beugt sich dem Vorrecht des Dichters bis in formale Einzelheiten hinein; nur in den nach antikem Muster eingefügten Chören findet er Gelegenheit, seine Kunst freier zu entfalten. Daß dieses Verfahren sowohl der Musik als auch dem Drama wichtige Ausdrucksquellen unterband, haben die Künstler bald erkannt, und das Verdienst, nicht allein den sprachlichen und melodischen Gesang in das den Zwecken des Dramas entsprechende Verhältnis gesetzt, sondern auch die dramatische Sprachgewalt der Instrumente als solche erkannt und ausgenutzt zu haben, gebührt dem ersten Klassiker der Oper, Claudio Monteverdi (1567–1643)2.

Aber dieses Gleichgewicht der Kräfte hielt nicht lange an. Als Abbild der griechischen Tragödie war die Oper ein ganz ausgesprochenes Stück Bildungskunst gewesen. Trat sie aus den Kreisen der Gebildeten, wie dies mit der Eröffnung des ersten öffentlichen Opernhauses 1637 in Venedig (S. Cassiano) geschah, heraus vor das breite Volk, das für die antike Tragödie nicht das geringste Verständnis hatte, so mußte sich ihr Wesen von Grund aus verändern. An die Stelle der hohen Dramatik trat das gewöhnliche Theaterstück, worin sich das Sinnliche auf Kosten des Geistigen breit machte, an Stelle der volkserzieherischen Ziele die Volksschmeichelei. Die Dichter gingen, wie an allen Wendepunkten der Operngeschichte, voran, von den Musikern suchte die eine Partei, Fr. Cavalli (1602–1676) an der Spitze, teilweise mit großem Erfolge, für das Drama zu retten, was zu retten war, die andere aber, deren Führer M.A. Cesti (1623–1669) war, schloß sich dem neuen Geiste, der schließlich auch vor der Aufnahme des Possenhaften nicht zurückschreckte, bewußt an und unterstützte ihn nach Kräften durch einen reichen Schatz volkstümlicher Gesänge. Jetzt erst drangen die sog. geschlossenen Formen, voran die Arie, in die Oper ein, wogegen das dramatische Rezitativ mehr und mehr verfiel, und bereits meldete sich auch ein dritter Feind des Dramas in der Oper, das Gesangsvirtuosentum. Das sind die Grundzüge des Opernbildes in der Zeit der Venezianerherrschaft (1637–1690)3.

Auf die Venezianer folgten die Neapolitaner (1690–1800)4. Dichterisch verdankt ihnen die Oper nach der vorangegangenen Verwilderung wieder[179] einen ungeahnten Aufschwung. Zum ersten Male seit Rinuccini wurde sie wieder literaturfähig, und abermals ist die jetzt zu neuem Leben erwachende Idee des antiken Dramas die treibende Kraft. Die Oper wird mehr und mehr von dem Geiste des italienischen risorgimento berührt. Das ist das Verdienst zweier hochbegabter Dichter, Apostolo Zeno (1668–1750)5 undPietro Metastasio (1698–1782), von denen der jüngere und phantasievollere den älteren bald völlig in den Schatten stellte.

Metastasio6, noch zu Mozarts Zeiten der unbestrittene Herrscher auf der italienischen Opernbühne, brachte außer seinem allgemeinen dichterischen Talent noch besondere Eigenschaften mit, die ihn seiner Zeit als den geborenen Operndichter erscheinen ließen. Seine Poesie war von Hause aus musikalisch. Er hatte im Verkehr mit Sängern und Komponisten seine musikalische Anlage so weit ausgebildet, daß er fühlte und wußte, worauf es bei einem zur Komposition bestimmten Text ankam. Er sang – »come un serafino,« wie er im Scherz Farinelli schreibt7 – und spielte Klavier, er komponierte selbst ein wenig8, und es war ihm ein angenehmer Anreiz zu dichterischer Beschäftigung, auf dem Klavier zu phantasieren. Er sagt selbst, er habe nie eine Arie gedichtet, ohne sie bei sich zu komponieren, d.h. sich über ihren musikalischen Charakter vollständig ins Klare zu kommen9. Junge Künstler wie Salieri10 und die Martinez11 ließ er deklamieren und wies sie zum richtigen musikalischen Ausdruck an12.

So sehr Metastasio die beseelende und ergänzende Macht der Musik in der Oper anerkannte13, so nachdrücklich wahrte er andererseits das Recht des Dichters. Die Annahme, in der neapolitanischen Zeit hätten Sänger und Komponist alles, der Dichter aber nichts zu sagen gehabt, ist ein großer Irrtum. Selbst der große Hasse wurde anläßlich des »Attilio Regolo« ausführlich über die Absichten des Dichters belehrt14, Jommelli erhielt sogar eine – wenn auch verbindliche – Rüge von ihm wegen seiner angeblich überladenen Instrumentation15, und den Sängern ging es nicht besser, wenn sie über der äußeren Virtuosität die Wahrheit des Ausdrucks vergaßen. Voll Selbstbewußtsein beruft sich der Dichter endlich darauf, daß seine Texte auch ohne Musik als Tragödien die Hörer fortgerissen hätten16.[180]

Wenn Metastasio der dichterische Abgott fast der ganzen gebildeten Welt seiner Zeit war, so hatte das seinen guten Grund. Denn wenige Dichter haben ihr nach Inhalt und Form so aus der Seele gesprochen wie er. Er hat der Aufklärung in der Oper eine Stütze verliehen, wie sie wirksamer kaum gedacht werden konnte, und gleich den meisten Vertretern dieses Geistes knüpfte er auch an die französische Tragödie an. Das lehren die Zustände, die er schildert, und die Gestalten, die er auf die Bühne bringt: sie tragen alle das heroisch-höfische Gepräge der Franzosen. Der ungeheure Respekt der Aufklärung vor der Regel, vor der verstandesmäßigen Konstruktion beherrscht auch ihn; zuerst wird die betreffende heroische Eigenschaft erdacht und dann erst die einzelne Figur danach gemodelt. Denn der Hauptzweck auch dieser Dichtung ist, zu belehren und nicht etwa den ewig neuen Reichtum des menschlichen Lebens darzustellen. Deshalb sind alle seine Figuren nicht Individualitäten im modernen Sinn, sondern lediglich Träger bestimmter Eigenschaften, die dem Hörer mitunter mit einer geradeswegs ans Kindertheater erinnernden Naivität aufgedrängt werden.

Echt rationalistisch ist auch die Intrige als die treibende Kraft in allen seinen Dramen, mit Ausnahme des »Attilio Regolo«. Mag auch die Intrige als solche für uns Deutsche, wenn uns daneben nicht wirkliche Charakterkunst geboten wird, weit weniger Reiz haben als für die Romanen, so muß Metastasio doch zugestanden werden, daß er in ihrer Behandlung sowohl seinen venezianischen Vorgängern als seinem Nachfolger Scribe an Geist und Geschmack weit überlegen ist. Und dasselbe ist bei der Behandlung des Empfindungsgebietes der Fall, auf dem sich die Intrige fast ausschließlich abspielt, der Liebe. Zwar tritt auch sie, wie bei den meisten Rationalisten, nicht als Leidenschaft, sondern als »Galanterie«, d.h. als gesellschaftliche Erscheinungsform auf. Die Konvention spricht bei allen Konflikten das letzte Wort. Darum kommt es zwar mitunter zu großen sinnlichen Wallungen, aber sehr selten zu einer wirklich großen Leidenschaft. Aber innerhalb dieser Grenzen bewegt sich Metastasio mit ganz unleugbarem Geschmack und sicherem Urteil. Überhaupt liegt über seiner Dichtung der ganze feine Duft jener aristokratischen Gesellschaftskultur. Sie hat wirklich Stil und ist schon deshalb allen früheren und späteren Mitbewerbern turmhoch überlegen. Die äußere Form entspricht diesem Inhalt durchaus; sie gehört zu den stärksten Seiten von Metastasios Poesie. Auch sie trägt ein ganz unverkennbar aristokratisches Gepräge. Der Dichter will Belesenheit, Bildung und Eleganz zeigen, er will dem Hörer seine Weisheit in schönem Gewande vorsetzen. Das sinnfälligste Beispiel sind die oft meisterhaft fein geschliffenen, allgemeinen Sentenzen, die wohl auf den in seiner Jugend ja ebenfalls in dieser Luft aufgewachsenen Schiller nicht ohne Einfluß geblieben sind. Auch die zierliche Art, wie er gelegentlich die verzwickten Schicksale seiner Helden lenkt und mit wirkungsvollen Katastrophen zu spielen scheint, gehört in diesen Zusammenhang, in erster Linie aber seine geradezu vollendete äußere Technik, die im Dialog überhaupt keine[181] toten Punkte zu kennen scheint und den Hörer außerdem noch durch ein in allen Farben schillerndes sprachliches Gewand beständig zu fesseln versteht.

So ist Metastasios Librettistik zwar keine Dichtung im höchsten Sinne, sondern nur modische Gesellschaftskunst, wenn auch von ganz besonders verfeinerter Art. Da sie ein Erzeugnis wohldurchdachter Regeln war, ließen sich ihre Grundsätze auch leicht erlernen. Die Dichtungen der Verazi, Gamerra u.a. sind ihre treuen Abbilder, nur freilich ohne den Geist und die formale Gewandtheit des Originals.

In der äußeren Gestalt seiner Dramen lehnte sich Metastasio an die Formenwelt an, die die neapolitanische Oper bereits unter ihrem Schulhaupte Al. Scarlatti (1659–172517) erhalten hatte. Sie hatte von dem früheren Reichtum nicht allein bloß noch Rezitativ und Arie, sondern auch innerhalb dieser Formen im wesentlichen nur noch einen einzigen Typus übriggelassen. Der Chor war schon seit 1650 gefallen.

Diese – übrigens schon in der letzten venezianischen Periode deutlich vorbereitete18 – Verarmung des Formenschatzes ist der sinnfällige Beleg dafür, wie sehr sich die Ansichten über das Verhältnis von Drama und Musik in der Oper gewandelt hatten. Bei den großen Venezianern hatten sich beide noch aufs innigste durchdrungen, jetzt begann jedes seine eigenen Wege einzuschlagen. Das Drama wurde der neuen Art des Seccorezitativs überwiesen, an dem der Musik der denkbar bescheidenste Anteil zufiel, der Musik aber fiel die Arie zu, die wiederum mehr oder minder außerhalb des Dramas stand. In dieser Scheidung lag, allem sonstigen Fortschritte zum Trotz, die Achillesferse der ganzen Gattung, die denn auch bald als solche erkannt wurde, und zwar nicht allein von ihren ausgesprochenen Gegnern, sondern besonders von den Komponisten selbst, die sich mit wachsender Energie die Heilung des Übels zum Ziele setzten. Das Problem, das unter allen Umständen gelöst werden mußte, sollte der opera seria überhaupt noch eine Zukunft beschieden sein, lautete: Wiedervereinigung von Drama und Musik in der Oper, und zwar dadurch, daß den dramatischen Partien wieder musikalisches, den musikalischen dramatisches Blut zugeführt wurde. Den Versuchen, jenes Problem zu lösen, verdankt die italienische Oper eine ihrer glänzendsten Blütezeiten, obwohl sie geraume Zeit auf dem halben Wege einer bloß musikalischen Reform stehen blieben. Daß das Heil letzten Endes nur von einer Beseitigung der bisherigen Librettistik, als der Wurzel alles Übels, kommen konnte, ist erst Gluck und seinem Dichter Calsabigi zum Bewußtsein gekommen.

An dem vom Cembalo (Kielflügel) allein19 begleiteten »Recitativo secco« beweist allein schon der Name, daß es dabei nicht auf volle musikalische[182] Wirkungen abgesehen war20. Tatsächlich stehen wir bei diesen Partien, denen die ganze Entwicklung des Dramas anvertraut war, vor der allerflüchtigsten Form des Sprechgesanges, die die Rede eben noch in den Bereich des musikalisch Bestimmbaren erhebt. Für manche Meister gehörte das Secco überhaupt nicht zu den eigentlichen, »komponierten« Teilen der Oper, sondern zu dem improvisierten Beiwerk, denn sie schrieben nur die Bässe oder sogar mitunter gar keine Noten dafür auf und überließen alles den Sängern, andere übertrugen diese Partien jüngeren Hilfskräften21. Aber auch die, welche sie vollständig ausschreiben, beweisen durch den flüchtigen, teilnahmslosen Ton und die schablonenhafte Wiederholung erstarrter Formeln, daß sie als Musiker vor dem Darsteller die Waffen streckten. Dieser war auch für das Publikum, falls es überhaupt mit ganzem Ohre hinhörte22, durchaus die Hauptsache, und als Darsteller haben denn auch die Sänger in jenen Partien oft große Triumphe gefeiert. Nun kennt die neapolitanische Oper daneben allerdings noch das Recitativo accompagnato (obbligato), wo das Orchester hinzutritt und namentlich auch die Deklamation ein ausdrucksvolleres musikalisches Gepräge annimmt. Es erscheint an den von Metastasio mit großem Geschick eingeführten seelischen Krisen vor oder nach wichtigen Entscheidungen und leitet zumeist in eine Arie über. Damit bekam auch der Musiker Gelegenheit, seine Kunst voll zu entfalten- und hier stehen wir tatsächlich vor den bedeutendsten Leistungen der neapolitanischen Oper. Aber wohlbemerkt: eigentlich dramatisch sind auch diese Partien nicht, da die Handlung in ihnen nicht fortschreitet, sondern es sind freie, lyrische Monologe23, in denen sich die vorangehende oder nachfolgende dramatische Spannung widerspiegelt; sie erfüllen eigentlich einen Zweck, dem die Arie verschiedener gleich zu erwähnender Mängel halber nicht zu genügen vermochte, nämlich den Helden seine durch die dramatische Situation angeregte Empfindung unmittelbar ausströmen zu lassen. Erst in der Zeit vor Gluck regen sich die ersten Versuche, auch die dramatische Handlung selbst in das Akkompagnato hineinzuziehen, womit sich natürlich der weiteren Entwicklung der Oper außerordentlich wichtige Aussichten eröffneten.

Die textliche Grundlage für die Arien bilden die beiden lyrischen Vierzeiler, in die Metastasio fast regelmäßig seine Szenen ausklingen läßt. Der Idee nach sollten sie deren ganzen Empfindungsgehalt in einem lyrischen Erguß zusammenfassen und so den Zusammenhang mit dem Drama aufrechterhalten. Tatsächlich hat Metastasio dieses Ziel jedoch nur in einer Minderzahl von Fällen erreicht, und zwar deshalb, weil er als echter Rationalist wieder einmal über der Spekulation das Natürliche und Unmittelbare vergißt. Diese Arientexte sind der beste Beweis dafür, daß die ganze metastasianische Poesie nicht erlebt, sondern erdacht war. Die einen sind nicht[183] viel mehr als bloße Schmuckstücke, sie gleichen rhetorischen Schnörkeln, mit denen die Szene zu guter Letzt noch abgeschlossen wird, so allgemein und verblasen ist trotz allem formalen Glanz ihr Inhalt. Man konnte derlei, wie dies tatsächlich auch häufig vorkam, ohne jeden Schaden aus einer Oper in die andere verpflanzen – es paßte in seiner Allgemeinheit zu allem, weil es im Grunde zu nichts paßte. Aber auch da, wo der Dichter auf die betreffende Situation näher eingeht, läßt er die Gefühle und Leidenschaften, die er schildern will, oft erst durch das Medium des Verstandes hindurchgehen. Seine Helden geben ihren Gefühlen nicht unmittelbaren Ausdruck, sondern stellen verstandesmäßige Betrachtungen darüber an und reden in Bildern und Gleichnissen, statt ihr eigenes Innere zu enthüllen. Diese virtuos ausgeführten Gleichnisarien, die ihre Bilder mit Vorliebe dem Meere entnehmen, sind erzrationalistische Erzeugnisse und haben nicht nur in der Dichtung, sondern auch in der Musik die freie Entfaltung der schöpferischen Phantasie lange hintangehalten.

Es war kein Wunder, daß diese Umstände einem weiteren Feind des Dramas in der Oper, dem Gesangsvirtuosentum, die Eroberung seiner Herrscherstellung auf der Bühne wesentlich erleichterten. Die Sänger neigten dazu, die Arien lediglich als Substrat für die Entfaltung ihrer Künste zu betrachten; sie veranlaßten die Komponisten, auf ihre Forderungen Rücksicht zu nehmen, und es kam häufig vor, daß einem Sänger zuliebe in eine Oper Arien aus anderen Werken, ja, von fremden Komponisten eingelegt wurden24.

Die Musiker hatten dem allem gegenüber einen äußerst schweren Stand. Es hat wirklich unmittelbar nach Scarlatti eine Zeit gegeben, wo sie das schwache Band, das Drama und Musik noch verknüpfte, einfach vollends zerrissen und ohne Rücksicht auf das Drama selbstherrlich die sinnlichen Reize ihrer Kunst nach allen Richtungen hin spielen ließen, und auch in der späteren Zeit kommen noch häufig genug Entgleisungen ins rein Musikalische vor. Nur darf darüber das wahrhaft Bedeutende nicht vergessen werden, das diese Arienmusik, und zwar in stetig wachsendem Maße, enthält. Die Komponisten haben es je länger je besser verstanden, nicht allein aus Metastasio alles herauszuholen, was irgendwie eines tieferen Empfindungsausdruckes fähig war, sondern sie sind auch häufig durch den Wust rationalistischer Reflexionen und Vergleiche hindurch auf das betreffende Gefühl selbst vorgedrungen: wo der Dichter z.B. einen Verzweifelten seine Lage mit der eines Schiffbrüchigen auf wilder See vergleichen läßt, da schildern sie nicht mehr Wind und Wellen, sondern die Verzweiflung selbst. Sie verhalten sich also ihrem Texte gegenüber selbst schöpferisch und stellen so von sich aus den dramatischen Zusammenhang her, den der im[184] Rationalismus steckengebliebene Dichter versäumt hat; die individuelle Situation, die jenem nur verstandesmäßige Bilder entlockt hat, wird für sie zum wirklichen inneren Erlebnis. Gewiß ist ihnen das nicht immer und überall geglückt, und gerade in den Gleichnisarien sind sie häufig genug beim Nachmalen des äußeren Bildes stehen geblieben. Aber daß es ihnen überhaupt gelungen ist, und daß sie sich mehr und mehr dieser ihrer schöpferischen Aufgabe auch bewußt wurden, das erhebt ihre Leistungen hoch über den Vorwurf der Schablonenarbeit und der Afterkunst hinaus, mit dem man in früheren Zeiten gerade ihnen gegenüber nur allzu rasch bei der Hand war. Es steckt in ihren Opern, auch was die Arien anbelangt, ein reicher Schatz echter, d.h. seelisch erlebter Kunst, die heute noch Stich hält. Da sie aber echt dramatisch ist, verlangt sie zu ihrem vollen Verständnis auch die Kenntnis der ganzen, großen Zusammenhänge. Vor dem öden Lattenzaun der sog. Nummerneinteilung, in den manche Opern, selbst die Gluckschen, in so vielen modernen Ausgaben noch eingefangen werden, kann nicht dringend genug gewarnt werden.

Bei dem weiten Spielraum, den auf diese Weise der Musiker in den Arien erhielt, ist es nur natürlich, daß der Hauptunterschied der neapolitanischen Arie gegenüber der venezianischen in der größeren Ausführlichkeit liegt. Die Venezianer sagen nur das Notwendigste, sie begnügen sich oft nur mit skizzenhafter Andeutung. Die Neapolitaner dagegen lieben es, sich auszubreiten und bei ihren Gedanken zu verweilen. Sie legen ihre Arienthemen von Hause aus weit größer an und suchen ihren Gehalt nicht bloß zu streifen, sondern voll auszuschöpfen. So entstehen breit ausgeführte, vertiefte Seelengemälde, an denen die Kunst der Variation und der Durchführung einen reichen Anteil hat. Grundsätzlich gehört ja auch die Koloratur zu diesen Ausdrucksmitteln25. Freilich war sie, die an und für sich gerade dem Drama so treffliche Dienste hätte leisten können, bereits zu Caccinis Zeiten zur Schmarotzerpflanze am Stamme der Oper geworden. Die Ansprüche des Gesangsvirtuosentums haben sie vollends zum Selbstzwecke gemacht, und auch die Instrumentalmusik begann nunmehr einen merklichen Einfluß auf sie auszuüben, insofern der Sänger seinen Stolz dareinsetzte, mit dem virtuosen Konzertieren der Instrumente in Wettbewerb zu treten. Dieses Koloraturengepränge hat dem Ansehen der ganzen Gattung am meisten geschadet, wenngleich nicht vergessen werden darf, daß neben Auswüchsen im Stile von Mozarts »Marternarie« in der »Entführung« auch Beispiele echt dramatischer Verwendung stehen.

Den Zusammenhang mit der Volksmusik hat auch Scarlatti nicht gelöst. Nur tritt jetzt an Stelle der venezianischen die neapolitanische mit ihren Sicilianos, Vorschlägen, Schleifern, abgerissenen Phrasenschlüssen, Triolen usw. Aber diesem volkstümlichen Ton hält bei ihm ein ernster, charaktervoller, oft leidenschaftlicher Grundzug und ein feiner Sinn für poetische[185] Formgebung erfolgreich die Waage. Auch sein genaues Eingehen auf den Empfindungsgehalt im einzelnen beweist, daß er es mit dem Drama in der Oper ernst genommen hat.

Die Form der dreiteiligen, sog. Da-capo-Arie, die für die Neapolitaner die Arienform schlechtweg ist, war schon um 1650 im Gebrauch und begann unter den späteren Venezianern, wie Pallavicino und Steffani, bereits das Übergewicht in der Oper zu erringen26. Sie besteht aus drei Teilen, von denen der dritte nur eine Wiederholung des ersten ist, nur daß der Sänger hier die Melodie von sich aus neu zu verzieren hatte, wie denn überhaupt das italienische Publikum bei jeder, auch der durch Beifall veranlaßten Wiederholung einer Arie vom Sänger immer wieder neue Proben seiner Improvisationskunst im Verzieren erwartete. Dem ersten Teil lag der erste, dem zweiten, stets weit kürzeren, der zweite Vierzeiler des Textes zugrunde; er war entweder als bloßer motivischer Absenker des ersten oder aber, sehr häufig auch in Takt und Tempo, als Gegensatz zu ihm gedacht. Dem ersten, wesentlich der Entfaltung der Gesangskunst dienenden Teil gegenüber gelangte hier der Komponist stärker zum Wort, der da besonders seine harmonischen Künste spielen ließ27. Der erste Teil aber gliedert sich wieder in zwei durch einen scharfen Schluß auf der Dominant- oder Paralleltonart mit folgendem Ritornell voneinander geschiedene Abschnitte, von denen der zweite, zugleich gewöhnlich der Haupttummelplatz der Koloratur, mit seinem Durchführungscharakter und seiner Rückkehr zum (verkürzten oder unverkürzten) ersten Abschnitt an den entsprechenden Teil des Sonatensatzes gemahnt; sein Schluß bringt auf der stehenden Formel


Die opera seria

den Ruhepunkt für die bekannte freie Kadenz des Sängers. Der Ritornelle waren es in der Regel vier: am Anfang, am Schluß der beiden Abschnitte des ersten Teils und am Schluß des zweiten; sie nehmen ihre Gedanken stets aus dem Themenkreis der Arie selbst. Aber auch während des Gesanges schweigen bei den Neapolitanern die Instrumente nicht, wie noch so oft, natürlich mit Ausnahme des Cembalos, bei den Venezianern. Bald gehen sie mit der Singstimme, bald geben sie, meist in Achteln oder Vierteln, die Harmonie an, bald schlagen sie aber auch selbständige Pfade ein. Scarlatti ist hier oft noch weiter gegangen als sein Nachfolger Hasse: in seinem Orchester konzertieren nicht nur virtuos geführte Saiten- und Blasinstrumente, sondern mitunter sogar ganze Orchestergruppen miteinander. Den Grundstock des neapolitanischen Orchesters bildet das dreistimmige Saitenorchester von zwei Violinen und Baß, von dem sich erst in späterer Zeit die Bratschen und dann die Celli als selbständige Stimmen loslösen. Die harmonische Grundlage geben nach wie vor[186] die Akkordinstrumente, Lauten, Theorben, Harfen oder, wie gewöhnlich, eines oder mehrere Cembali. Der Part dieser Instrumente war nach altem Brauche nicht notiert, sondern mußte von den Spielern, nach dem bezifferten Baß oder oft genug auch ohne Bezifferung, selbständig ausgeführt werden. Vom Cembalo aus leitete auch der Dirigent die ganze Aufführung. Die gewöhnliche neapolitanische Bläserbesetzung bestand aus Oboen und Hörnern, bei deren Mitwirkung ohne weiteres auch die Verstärkung des Basses durch Fagotte anzunehmen ist. Flöten treten nur in bestimmter koloristischer Absicht, in pastoralen und idyllischen Stücken, auf. Alle Bläser aber gehen, falls sie nicht solistisch verwendet werden28, entweder mit den Geigen oder sie dienen der Verstärkung der Harmonie29; sie waren übrigens nicht bloß zweifach besetzt, wie in den modernen Orchestern, sondern chorisch, d.h. ungefähr mit der Hälfte der jeweils vorhandenen Streicherzahl. Auch muß darauf hingewiesen werden, daß die alte Praxis des Konzertierens in der älteren Musik auch noch den dynamischen Vortrag bestimmte: die Piano-Stellen, namentlich beim Eintritt der Singstimme, wurden nicht durch Abdämpfen des gesamten Orchesterklangs, sondern durch Vermindern der Spielerzahl erzielt30.

Trompeten und die mit ihnen meist vereinten Pauken erscheinen für gewöhnlich nur in Szenen festlichen oder kriegerischen Gepräges. Ganz ausnahmsweise tauchen endlich Instrumente wie Englischhorn und Chalumeau, der Vorgänger der Klarinette, auf. Diese selbst erscheint erst nach 1750, und zwar zuerst im Sinfonie-, nicht im Opernorchester31.

Als Beispiel für die Besetzung und Aufstellung eines Opernorchesters mag die des Dresdeners dienen, die auf Hasse zurückgeht und als musterhaft galt32:


Die opera seria

1. Klavier des Kapellmeisters

2. Klavier des zweiten Akkompagnisten

3. Violoncelli

4. Kontrabässe

5. Erste Violinen

6. Zweite Violinen

7. Oboen

8. Flöten

a Bratschen

b Fagotte

c Hörner

d Trompeten und Pauken auf einer Tribüne
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Neben den Arien kommen nur noch die kürzeren, häufig mit den begleiteten Rezitativen verbundenen, liedmäßigen Kavatinen in Betracht. Auch die im wesentlichen aus Duetten, weit seltener aus Terzetten33 bestehenden Ensemblesätze tragen Arienform. Eine gegensätzliche dramatische Charakteristik der einzelnen Teilnehmer ist dabei weder vom Dichter noch vom Komponisten beabsichtigt, sehr viele davon unterscheiden sich von den Soloarien eben nur durch Mehrstimmigkeit und volleren Wohlklang34. Erst nach Hasse tauchen unter dem Einfluß der Buffooper individuellere Stücke auf. Der Chor beschränkt sich, wie in Venedig, auf ganz kleine Schlußsätzchen, die die Solisten oft genug allein ausführten; indessen setzt bereits mit Hasse das Bestreben ein, diesen verlorenen Posten nach französischem Muster wiederzugewinnen, ebenso mehren sich die Versuche, dem bisher zwischen die Akte eingeschobenen Ballett und namentlich der selbständigen Orchestermusik, die damals nur auf festliche und kriegerische Märsche beschränkt war, wieder zu größerer Bedeutung zu verhelfen. Die neapolitanische Einleitungssinfonie unterscheidet sich von der venezianischen wiederum durch die feste, dreisätzige Form. Sie beginnt mit einem Allegro von kräftigem Festcharakter, läßt ihm ein von Hause aus nur als kurzer Übergang gedachtes Andante folgen und schließt mit einem das festliche Wesen des ersten noch überbietenden zweiten raschen Satz ab. Daß in dieser Dreisätzigkeit sowie in der Dreiteilung des ersten Satzes die Keime der späteren klassischen Sinfonie liegen, wurde schon bemerkt. Mit dem Drama selbst aber hatte die neapolitanische Sinfonie, ganz anders als die venezianische, nicht das mindeste zu tun; sie war einfach ein Stück prickelnder, südländischer Festmusik, weshalb denn die Sinfonie der einen Oper anstandslos auch vor einer andern gespielt werden konnte. Auch diese einleitenden Stücke gehörten somit zu denen, die außerhalb des Dramas standen.

Die äußere Ausstattung der Oper war in der neapolitanischen Zeit womöglich noch glänzender, der Kostenaufwand noch größer als in der venezianischen. Dekorationsmaler, Maschinist und Theaterschneider waren kaum minder wichtige Persönlichkeiten als die Ausführenden selbst, ja auch die Textbücher hatten an dem allgemeinen Luxus ihren Anteil. Die größten Summen verschlangen freilich die Sänger, allen voran die beiden Hauptpersonen, die »prima donna« und der »primo uomo«, d.h. der Kastrat. Das Kastratentum35, dessen geschichtliche Spuren bis in die beiden letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts zurückgehen, begann um 1650 auch in die Oper einzudringen, nachdem noch Monteverdi und Cavalli in seinen ersten[188] Werken sich der vier natürlichen Stimmlagen bedient hatten36. Seine eigentliche Blütezeit aber erlebte es in der neapolitanischen Oper. Es ist sehr bezeichnend, daß jener Zeit mit ihrem Kultus des Gesanges weder das Anstößige, noch besonders auch das Unnatürliche und Undramatische dieser Einrichtung zum Bewußtsein kam37. Wohl werden die Kastraten in der Literatur und namentlich auch in der Buffooper nach Kräften verspottet38, aber diese Angriffe gelten überwiegend nicht ihrer Gesangskunst, sondern ihrem äußeren Auftreten, ihrer Weichlichkeit und ihrem immer unerträglicher werdenden Dünkel. Ihr Gesang aber, in dem man in idealer Weise die Klangfarbe der Knabenstimme mit der Lungenkraft des Mannes vereinigt glaubte, wurde nach wie vor als der Gipfel aller Gesangsleistung gepriesen39. In weitem Abstand folgten auf diese Hauptdarsteller die Sekundarier, einer oder mehrere Tenöre und Frauenstimmen; Primadonna und Kastrat sorgten schon dafür, daß sie nicht zu große und vor allem nicht zu dankbare Rollen erhielten40. Die Baßstimme war schon in der venezianischen Zeit allmählich aus der ernsten Oper verschwunden.

Gewiß war durch diese Herrschaft der Sänger der Komponist, der für seine Leistung gewöhnlich 100 Dukaten Honorar erhielt, in seinem Schaffen in einer für uns geradezu unerhörten Weise eingeengt. Aber die erhaltenen Werke zeigen doch zur Genüge, daß er es in zahllosen Fällen trotzdem verstand, sei es durch Energie, wie Händel und Gluck, oder durch diplomatisches Geschick jene Gesangs- und Vortragskunst den eigenen Absichten dienstbar zu machen. Für die heutige Zeit sind die ehemals so hochgepriesenen Größen, wie die Kastraten Senesino (Bernardi), Caffarelli (Majorano), Farinelli (Broschi), Crescentini und die Sängerinnen Tesi, Bordoni-Hasse, Cuzzoni, Mingotti, Agujari, Gabrielli usw. zu bloßen Namen herabgesunken; weder die stark anekdotischen Berichte über ihre Erfolge, noch die für sie bestimmten Arien vermögen uns von ihrer lebendigen Kunst ein klares Bild zu geben41.[189]

Die Spielzeit der Oper (stagione) war anfangs nur der Karneval (26. Dezember bis 30. März), später kamen noch zwei Spielzeiten (vom zweiten Osterfeiertag bis 15. Juni und vom 1. September bis 30. November) hinzu. An Fürstenhöfen waren natürlich die fürstlichen Geburtstage, Hochzeiten, Besuchsfeierlichkeiten und dgl. zugleich Hauptoperntage. Hier war überdies unter der Leitung der Intendanten das Personal meist seßhafter als an andern Plätzen, wo der Unternehmer (impresario) seine Leute gewöhnlich nur für eine bestimmte Spielzeit verpflichtete. Kleineren Städten endlich, die sich ein eigenes Theater nicht leisten konnten, wurde die Oper durch zahlreiche Wandertruppen vermittelt42.

Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, daß auch diese Operngattung trotz allen hohen Zielen ihrer Schöpfer keineswegs vor dem Verfall geschützt war. Der Versuchungen, ins Äußerliche und Undramatische zu verfallen, waren es allzu viele. Tatsächlich sind ihnen auch Scarlattis nächste Erben, voran L. Vinci (1690–1730) und N. Porpora (1686–1766), erlegen. Nicht als ob es ihnen, besonders Vinci, diesem ungezogenen Liebling der Grazien, an Talent oder an musikalischer Bildung gefehlt hätte: das wird allein durch Vincis glänzende melodische Ader und durch seine meisterhaften Akkompagnatoszenen widerlegt. Was ihnen jedoch abgeht, ist die Selbstverleugnung des echten Dramatikers; sie arbeiten flüchtig und äußerlich und vergreifen sich nur zu häufig im Ton zugunsten volksschmeichlerischer Melodik oder rein virtuoser Wirkung. Auch den opere serie des reichbegabten G.B. Pergolesi (1710–1736)43 und des großen Kirchenkomponisten L. Leo (1694–1744)44, die auch musikalisch ernster zu nehmen sind, fehlt das eigentliche dramatische Rückgrat; bei Pergolesi herrscht ein weicher, mitunter an Mozart gemahnender, bei Leo ein seltsam zurückhaltender, gelegentlich trockener Ton vor. Ein wirklicher Dramatiker erstand der Oper erst wieder in J.A. Hasse (1699–1783)45, dessen ungeheures Ansehen bald auch den von ihm vertretenen Grundsätzen zu allgemeiner Anerkennung verhalf. Er steht insofern durchaus auf neapolitanischem Boden, als der Schwerpunkt der Oper auch für ihn ausschließlich auf dem Gesange beruht. Hasse war in seinen gesamten dramatischen Anschauungen wie kein zweiter Metastasios geborener Bundesgenosse. Das beweist nicht allein sein ausgeprägter Formensinn und die bei allem berückenden sinnlichen Reiz stets aristokratische Schönheit seiner Tonsprache, sondern auch seine Charakterisierungskunst, die sich den oben (S. 180 f.) angeführten Grundsätzen des Dichters vollendet anschmiegt. Ja, es gelingt dem Musiker sogar, manche jener vom Geist der Aufklärung eingegebenen Charaktere Metastasios[190] mit wirklichem, individuellem Leben zu erfüllen. Hasses dramatischer Ernst ist bis in die Seccopartien hinein am Werke, deren charaktervolle Deklamation und Harmonik einen wichtigen Fingerzeig für die auch in dieser vernachlässigten Form beschlossenen Ausdrucksmöglichkeiten geben. Im Verlaufe seines langen Lebens wurde Hasse endlich auch noch von der immer stärker anschwellenden Strömung des risorgimento gestreift, die die Oper durch Wiedereinführung von Chor, Tanz und selbständigen Instrumentalsätzen zu erneuern strebte und schließlich in das Glucksche Musikdrama ausmündete. Vollständig lenkte in dieses neue Fahrwasser allerdings erst Hasses Schule ein, die uns bereits dicht an Mozart heranführt. Diese Meister, zu denen übrigens auch Gluck mit seinen italienischen Opern vor dem »Orfeo« gehört, haben aus den Metastasioschen Texten dramatisch herausgeholt, was überhaupt herauszuholen war; sie haben sich sogar nicht gescheut, bald die Seccopartien zu kürzen, bald Ensembles und Chöre einzufügen, wenn es ihnen das Drama zu erfordern schien. Aber auch die bereits bestehenden Formen beseelt ein neues Leben. Das Secco wird teils von innen heraus in dramatischem Sinne erneuert46 oder, wenn irgend möglich, durch das Akkompagnato ersetzt, so daß große dramatische Szenen entstehen; in den Arien muß die reine Gesangsmelodie häufig der deklamatorischen weichen, und auch harmonisch und instrumental entfaltet sich ein neues Leben. Von den hierhergehörigen Meistern scheiden Dom. Terradellas (1713–1751) und Dav. Perez (1711–1778) für Mozart aus; jener war zu dessen Zeit längst tot, dieser fern in Lissabon. In lebendiger, zum Teil persönlicher Fühlung stand er dagegen mit N. Jommelli (1714–1774), T. Traëtta (1727–1779) und Fr. di Majo (1740–1770). Jommelli und Traëtta sind unmittelbar mit dem deutschen und französischen Geiste in Berührung gekommen, der eine durch seinen Aufenthalt in Wien und Stuttgart, den beiden reformfreundlichsten deutschen Städten, der andere durch seine Tätigkeit für Parma und Wien. Jommelli war der eigentliche Bahnbrecher der neuen Kunst, ein Meister der freien, groß angelegten Szene, des Chores, Ensembles und der dramatischen Orchestermusik, ein Künstler von herbem, oft grüblerischem Ernst, der ihm den Namen des »italienischen Gluck« eintrug47. Aber gerade von ihm ist am wenigsten auf Mozart übergegangen: Charaktere und Kunstanschauungen beider waren allzu verschieden48. Deutlichere Spuren hat dagegen Traëtta bei Mozart hinterlassen,[191] der vielseitigste und phantasievollste Vertreter dieser Richtung49, dem es im Gegensatz zu dem an Metastasio haften gebliebenen Jommelli in seiner »Taurischen Iphigenie« von 1758 (Text von Coltellini, dem Geistesverwandten Calsabigis) sogar gelungen ist, auch textlich bis an die Pforten des Gluckschen Musikdramas vorzudringen. Dramatisch steht Traëtta freilich Mozart so fern wie Jommelli, aber rein musikalisch zog ihn an dieser Kunst doch manches an, namentlich auf den Gebieten des Elegischen50 und des Anmutigen51. Aber Traëtta ist zugleich auch ein Meister der fein stilisierten Volksweise; die Mandolinenkanzonetta der »Feste d'Imeneo« von 176052 mag hier Mozarts halber besonders erwähnt werden. Das führt uns aber auf eine weitere Eigentümlichkeit dieser Periode, die dann in der folgenden noch stärker hervortritt, nämlich den wachsenden Einfluß der Buffooper auf die seria. Er tritt nicht allein in derartigen volkstümlichen Gesängen zutage, sondern vor allem in einer geschmeidigeren Führung der Singstimmen und besonders des Orchesters, in dessen Begleitung sich die kurzen, plastischen Motive mehren, und endlich in den kunstvolleren, bereits auf Einzelcharakteristik abzielenden Ensembles Jommellis.

Am tiefsten hat das jüngste Glied dieser Reihe, di Majo, auf Mozart eingewirkt, freilich auch er nicht als Dramatiker, sondern als Musiker53. Majo,[192] der Italien nie verlassen und sich darum vom dortigen Geschmack niemals so weit entfernt hat, wie z.B. Jommelli, steht auf der Grenzscheide zweier Richtungen. Noch wirkt bei ihm der dramatische Ernst Jommellis deutlich nach, aber bereits kündigt sich auch jener modernere, sinnenfreudigere Geist an, für den Jommelli schon zum alten Eisen gehörte, und es ist sehr bezeichnend, daß gerade diese Seite seiner Kunst auf den jungen Mozart den größten Eindruck gemacht hat. Im Ausdruck des Weichen und Rührenden in allen seinen Abstufungen sind beide auffallend gefühlsverwandt54, und zwar bis in Einzelheiten hinein, wie die weichen, mit chromatischen Zügen durchsetzten melodischen Linien, die gleitenden Sextakkordharmonien u.a. Einige Beispiele aus »Astrea placata«, »Ipermestra« und »Eumene55« mögen als Beispiele dienen:
[193]

Die opera seria

Die opera seria

Die opera seria

[194]


Die opera seria

Majo hat aber auch mehr als die übrigen Glieder der Schule Hasses jener moderneren, an der Buffokunst geschulten Orchesterkunst eine Gasse gebrochen. Bei ihm gehen die Instrumente sehr häufig weder mit der Singstimme mehr, noch begleiten sie homophon oder kontrapunktisch, sondern wandeln ein kurzes, plastisches Orchestermotiv das ganze Stück hindurch, dem Wechsel des Stimmungsausdrucks entsprechend, ab. Beispiele aus dem »Ricimero« (1759) und der »Ipermestra« mögen die Verwandtschaft mit der Buffooper, aber auch mit Mozart dartun56:


Die opera seria

[195] Das Beispiel e ist zugleich lehrreich für den merkwürdig gewundenen, subjektiven Ausdruck vieler derartiger Majoscher Figuren. Rhythmisch tritt besonders die Vorliebe für die Synkope in Augenblicken der Erregung bei Majo weit stärker hervor als bei seinen Zeitgenossen; auch hierin berührt er sich nahe mit Mozart57.

Auch formell kündigt sich bei ihm eine neue Zeit an. Neben der alten Hassischen Da-capo-Form, die auch bei ihm noch die Regel ist, tauchen zwei andere, modernere auf: die eine verkürzt das da capo manchmal bis zur Hälfte, die andere aber scheidet den Mittelsatz alten Schlages dadurch aus, daß sie den zweiten Vierzeiler des Textes schon im zweiten Abschnitt des Hauptteils bringt und diesen mit den Merkmalen der früheren Mittelsätze, namentlich den harmonischen, ausstattet; der erste Teil wird dann meist variiert wiederholt. So entstand eine weit gedrängtere dreiteilige Form, die wir z.B. noch im »Idomeneo« finden58. Aber auch im inneren Bau beginnt sich ein neuer Geist zu regen. Schon im »Ricimero« (1759) treffen wir Anfangsritornelle mit zwei gegensätzlichen durch einen Halbschluß deutlich voneinander geschiedenen Themen (I 8, 10, III 5). Auch diese Neuerung hat Majo nicht geschaffen, wohl aber mit besonderer Vorliebe angewandt, und darin berührt er sich wiederum mit Chr. Bach, in dessen Sonaten wir dasselbe Verfahren beobachteten59, ein Beweis dafür, welche lebendige Wechselwirkung damals zwischen Gesangs- und Instrumentalformen bestand. Weist doch die gelegentliche Ausführung der Seitenthemen durch Soloinstrumente auch noch auf das Konzert hin60.

Während Majo in der Koloratur Bach gegenüber noch die ältere, gemäßigte Art vertritt, zeigt seine Instrumentation neben echt dramatischen Zügen61 doch auch schon Zugeständnisse an den neuen, undramatischen Geist, besonders in den Arien mit konzertierenden Instrumenten, wo diese durch[196] ihre virtuose Führung die Aufmerksamkeit des Hörers fast ganz auf sich ziehen62.

Ungefähr dasselbe Bild wie bei Majo erhalten wir aus den ernsten Opern von B. Galuppi (1706–1785)63, nur mit weniger empfindsamem Grundton. Auch er schließt sich nach Inhalt und Form den älteren an; mit der Zweithemigkeit vieler seiner Ritornelle, z.B. schon in dem auch von Mozart gekannten »Demofoonte«, hat er zeitlich sogar den Vortritt vor Majo.

Einen merkwürdig rückständigen Charakter tragen selbst in dieser dramatischen Periode die Sinfonien. Seit Vinci herrscht in der alten Scarlattischen Form ein Geist anspruchsvollen Klingklangs, der zu den dramatischen Zielen der Hasse, Jommelli usw. in seltsamem Gegensatz steht. Der erste Satz beginnt meist mit Dreiklangsthemen, die sich häufig auf lärmenden Trommelbässen aufbauen:


Hasse, Senocrita


Die opera seria

Terradellas, Merope64


Die opera seria

Jommelli, Ricimero


Die opera seria

Majo, Ipermestra65


Die opera seria

Das ist der Ton, den wir nicht allein in der Opern-, sondern auch in der Konzertsinfonie und Sonate bis tief in Mozarts Kunst hinein verfolgen können. Die besseren Meister, voran Jommelli66, suchten ihn wenigstens durch individuellere Seitenthemen (oft in Moll) etwas auszugleichen, wogegen auch bei ihnen die Durchführungen selten über ein nichtssagendes[197] Musizieren hinauskommen. Die besten Sätze, die Andantes, sind entweder liedmäßig gehalten (oft mit Bläsersoli) oder sie spinnen sich aus einem ganghaften, kurzen Motiv heraus; die zweiteiligen Schlußsätze, meist im dreiteiligen Takt, ergehen sich gewöhnlich in oberflächlicher, lärmender Festfreude. Erst allmählich hat sich die Sinfonie, besonders nach ihrer Loslösung von der Oper, in Italien und namentlich in Deutschland von diesem Verfall erholt.

Das Werk Jommellis und Traëttas überlebte seine Schöpfer nicht. Fast zur selben Zeit, da Gluck in Wien mit dem »Orfeo« den letzten Schritt auf ihrer Bahn tat und ein auch dichterisch neues Musikdrama schuf, begann das italienische Volk des dramatischen Tones in der Oper wieder einmal gründlich satt zu werden. Es war die Zeit, da Jommelli mit seinen letzten Opern in Neapel durchfiel. Auch die Komponisten verstanden die Zeichen der Zeit, zumal da es ja unter Metastasios schützendem Dache Raum für Gerechte und Ungerechte gab.

Es ist müßig, zu fragen, was aus Mozarts italienischer Opernkunst geworden wäre, hätte sie an der Sonne Jommellis und Traëttas reifen können. Die Verhältnisse und der stets auf das Zugkräftige bedachte Vater trieben ihn von Anfang an ins Lager der Modernen, der »Neuneapolitaner«67, in deren Kunst der Geist der Vinci und Genossen eine glänzende Auferstehung feierte. Ihr Hauptmerkmal war, wie ehedem, das Überwiegen des Musikalischen über das Dramatische, des Sinnlichen über das Geistige. Auf dem Gebiet des Weichen, Anmutigen und Tändelnden gelang auch diesen Meistern, die durch die Bank über eine starke melodische Ader verfügten, noch mancher glückliche Wurf; wo die Musik jedoch, Gluckisch gesprochen, Blut ziehen soll, tritt an die Stelle des älteren dramatischen Ernstes eine rhetorische Mache, die mit allerhand anspruchsvollen Phrasen, Riesensprüngen, weit ausholenden Läufen und dgl. das mangelnde echte Pathos zu ersetzen sucht. Daß damit auch das Koloraturenunwesen, das selbst die Schule Hasses nicht zu bannen vermocht hatte, jetzt wieder um so üppiger ins Kraut schoß, ist nur natürlich. Aber auch das Seccorezitativ gerät reißend in Verfall, es wird formelhaft und leblos und verliert die Fühlung mit dem Gange des Dramas oft gänzlich. Ebenso sind von der früheren Chorherrlichkeit zunächst nur vereinzelte Nachzügler übriggeblieben. Freilich fehlt es auch dieser Schule nicht an großen Wirkungen, namentlich in den Arien, die sich formell nunmehr meist zu der zweiten der oben (S. 196) geschilderten Formen bekennen. Noch gelingen auch diesen Meistern Stücke von genialem melodischem Wurfe und vollendeter Gedankenarbeit, besonders das Orchester wird nicht allein reicher, sondern auch schmiegsamer als in der vorhergehenden Periode. Allerdings macht sich auch hier ein Zug zum äußerlichen Glanz bemerkbar: Arien mit virtuos geführten obligaten Instrumenten gehören zu den besonderen Lieblingen dieser Komponisten.[198]

Das erste Glied dieser Schule, das zugleich den größten Einfluß auf Mozarts Opernkunst gewinnen sollte, war Joh. Christian Bach68. Ihn mußte schon seine ganze Lebens- und Kunstanschauung ins Lager der Neuneapolitaner drängen69, und er ist darum auch einer der Hauptwortführer der ganzen Richtung geworden. Formell hat er allerdings mit seinem »Catone70« als treuer Schüler Hasses begonnen: die Form der alten Da-capo-Arie ist hier noch durchaus gewahrt71. Erst vom »Alessandro« (1762) ab drin gen, zunächst vereinzelt, die beiden moderneren Formen ein, und auch später hat sich Bach nie auf eine davon festgelegt. Er wendet noch im »Temistocle« und »Lucio Silla« bald diese, bald jene an und verschmäht es nicht, mitunter sogar auf die alte Hassische zurückzugreifen. In die Arien mit verkürztem da capo aber bringt er dadurch einen neuen Zug, daß er bei der Wiederholung gelegentlich nicht mehr rein mechanisch die erste Hälfte des Hauptteils einfach wegläßt, sondern mit dem Hauptthema beginnt und dann erst im weiteren Verlaufe kürzt, so daß das da capo nunmehr eine gedrängte Übersicht über die Hauptgedanken des Satzes bringt. Mozart ist in seinen Jugendopern auf diese seelisch weit feiner begründete Form bald zurückgekommen.

Im inneren Bau ist Bach, hierin offenbar dem Einflusse Majos folgend, ein Meister scharfer Gegensätze geworden und hat damit bei seinen Zeitgenossen und Nachfolgern, namentlich bei Mozart, die tiefsten Spuren hinterlassen. Vom »Alessandro« ab geht es sowohl in seinen Sinfonieallegros als auch in den großen Anfangsritornellen seiner Arien selten ohne scharf kontrastierende Seitenthemen72 ab, die obendrein zumeist noch durch nachdrückliche Halbschlüsse spannend vorbereitet werden. Daß sie in den älteren Werken noch mit Vorliebe Solo- oder Konzertinocharakter tragen, deutet auf den Einfluß des Instrumentalkonzerts hin.

Auch im Ausdruck ist Bach schon in seinen ersten Opern der richtige Neuneapolitaner: gemacht und aufdringlich in seinem Pathos, ausschweifend in der Koloratur, dagegen meist echt und glücklich im Lieblichen und Zarten. Was Wohllaut und sinnliche Schönheit anbetrifft, ist er weit weniger zurückhaltend als der herbere Majo, es gelingen ihm hier mitunter Töne von wahrhaft berauschender Wirkung, die kein Zeitgenosse erreicht hat. Neben dem italienischen Wohllaut kündigt sich aber ein merkwürdig schwärmerischer, bisweilen verträumter Zug an, wohl der einzige, der in diesen Opern auf die deutsche Abkunft ihres Schöpfers hinweist. Hier stehen wir bereits hart vor den Toren Mozartscher Kunst. Man vergleiche z.B. gleich das Andantethema der Sinfonie zum »Catone«:


Die opera seria

[199] oder in derselben Oper den Mittelsatz der Arie I 2 (Non ti minaccio):


Die opera seria

[200] endlich im »Alessandro« die fast romantisch klingende Hauptmelodie des Duettes »Se mai turbo« (I 9):


Die opera seria

Die opera seria

Auch sonst wird man fast auf Schritt und Tritt an Mozarts Ausdrucksschatz gemahnt, wie z.B. im »Alessandro« II 9 (Digli che son fedele) mit den Skalengängen und dem bei Bach noch häufiger als bei Majo vorkommenden melodischen Quartensprung:


Die opera seria

Die opera seria

[201] aber auch im »Catone« II 2 (Va ritorna):


Die opera seria

Eine weitere Eigentümlichkeit Bachs kündigt sich ebenfalls schon in diesen ersten Opern an: die Vorliebe für Stücke mit obligaten, meist sehr virtuos geführten Bläsern, namentlich Oboen und Fagotten. Von den Seccopartien aber spricht die Tatsache genug, daß sie in den beiden Neapeler Partituren überhaupt nicht aufgezeichnet sind.

Die Londoner Opern setzen das hier Begonnene folgerichtig fort. Die moderneren Arienformen werden häufiger, ohne daß die ältere ganz verschwände. Als weitere kommen seit dem »Caratacco« (1767) das Rondo, seit dem »Temistocle« (1772) größere, dem Buffofinale nachgebildete, allerdings weit mehr rein musikalische als dramatische Ensembles und endlich Chöre, sogar teilweise Gluckschen Stiles, hinzu73. Aber auch der orchestrale Teil wird beträchtlich erweitert, namentlich durch den Hinzutritt der Klarinetten[202] vom »Orione« ab (1763), die Mozart also nicht erst bei seinem Mannheimer Aufenthalt kennenlernte. Bach hat ihre Bekanntschaft wohl auf der Durchreise in Paris gemacht74. Der Charakter des Außergewöhnlichen, der diesem Instrument in seinen ersten Zeiten, z.B. auch in der Buffooper, anhaftet, zeigt sich auch hier noch in besonderen Stimmungsbildern, wie z.B. der Ombraarie »Lucio Silla« I 4, daneben taucht sie freilich auch schon im Tutti rascher Sätze neben den anderen Bläsern auf (Arie »Ah si resta«, Tem. III 5; Lucio Silla, erster Satz der Sinfonie). Alle konzertierenden Bläser aber sind mit höchster Virtuosität behandelt, mit der die Singstimme in ihren schweifenden Koloraturen wetteifert, ja, sie haben mitunter sogar schon im Anfangsritornell freie Kadenzen (Tem. I 10, II 5).

Was Bach sehr zu seinem Vorteil von den andern Neuneapolitanern unterscheidet, ist sein gediegener Orchestersatz, wohl das einzige Erbteil aus der Schule seines großen Vaters. Er begnügt sich nicht mit dem einfachen Mitspielen der Gesangsmelodie durch die Instrumente oder mit primitiven harmonischen Begleitungen, sondern er läßt die Instrumente häufig ihren eigenen Weg gehen und strebt auch innerhalb des Orchestersatzes nach einer selbständigen Führung der Mittelstimmen, sei es in Imitationen oder in der malerischen Art, wie z.B. Jommelli die zweiten Violinen behandelt hatte75.

Auch die Themengegensätze der Arienritornelle sind in London insofern noch verschärft worden, als die früher mehr figural gehaltenen zweiten Themen jetzt wirklichen Gesangscharakter erhalten. Da außerdem ihr äußerer Umfang bedeutend gewachsen ist, so gleichen viele davon geradezu den Themengruppen von Bachs Sonaten oder gar den Anfangstutti seiner Konzerte. Allerdings hat man auch hier häufig genug den Eindruck weniger eines Musikdramatikers, der den Inhalt seiner Arien auf die einfachsten Stimmungsgegensätze bringen will, als eines süddeutschen Sinfonikers, dem es um eine Themengruppe mit Haupt- und kontrastierendem Seitenthema zu tun ist. Der Musiker überwiegt auch hier den Dramatiker. Zur Einführung und Beschaffenheit der Gesangsthemen selbst vergleiche man das Ritornell der genannten Arie in »Zanaida«:


Die opera seria

Die opera seria

[203] Als Melodiker hat Bach in London seinen Höhepunkt erreicht. Eine Masse von Themen und melodischen Wendungen von ihm hat in Mozart bis in seine Reifezeit hinein unbewußt nachgeklungen. Nur einige wenige Beispiele:


Die opera seria

Die opera seria

Die opera seria

Die opera seria

Die opera seria

[205] Auf italienischer Grundlage aber hat Bach in London einen besonderen Satztypus entwickelt, der sich bereits im »Catone« und »Alessandro« ankündigt und dann ebenfalls bis zu Mozart hin verfolgen läßt. Es sind langsame, meist als Largo bezeichnete und in Es-Dur stehende Sätze76 mit schön geschwungener, oft in berückenden Wohllaut getauchter Melodik zum Ausdruck dunklen, schwärmerischen Sehnens oder auch verhaltenen Bangens, Träumereien voll süßer Wehmut mit einem entschieden deutschen Grundton, den weder Majo noch Piccinni, sonst Bachs nächste Geistesverwandte, aufzuweisen haben. Händelsche Eindrücke mögen zugrunde liegen, nur daß bei dem viel weicheren Bach alle herberen und menschenfeindlichen Züge fehlen. Ihre höchste Verklärung haben diese Sätze in Ilias Arie »Se il padre perdei« (II 2) in Mozarts »Idomeneo« und in der Kavatine der Gräfin im »Figaro« gefunden.

Bachs Spuren sind uns bei Mozart bereits mehr als einmal begegnet77. Tatsächlich blieb er Bachs Gesangskunst dauernd verpflichtet, auch als er der modischen Art dieses »galantesten« aller Söhne Sebastians innerlich längst entwachsen war.

So war Mozart der neuneapolitanische Geist bereits längst in Fleisch und Blut übergegangen, als er mit seinen italienischen Vertretern in unmittelbare Berührung trat. Einen der ältesten lernte er gleich in Mailand kennen: G.B. Lampugnani (1706–1781). Soweit seine nur spärlich erhaltenen Opern ein Urteil gestatten, ist das Bild dasselbe wie bei Bach, nur daß die melodische Erfindung nicht so stark und die Orchestration nicht so glänzend ist. Auch was die Themengegensätze anbetrifft, ist Bach entschieden der modernere. Dagegen berühren sich beide in dem verstiegenen Pathos ihrer ernsten Arien und ihren oft ungeheuerlichen Koloraturenketten (häufig auf gleichgültige Weise wie »la«, »siete« usw.) mit einem dritten Meister, G. Latilla (1711–1791), der Lampugnani zwar an Phantasie, aber auch an dramatischer Sorglosigkeit übertrifft und überhaupt gerne den Demagogen auf der Opernbühne herauskehrt. Seine beste Oper, der »Antigono« (1775), durchaus modern im Bau der Arien (auch das Rondo taucht auf) und in der reichen Instrumentation verkörpert das Ideal der ganzen Richtung in besonders wirkungsvoller Weise. Noch wichtiger aber ist für Mozart N. Piccinni (1728–1800), der spätere Gegner und schließliche Anhänger Glucks, geworden. Piccinnis Hauptstärke lag freilich auf dem Buffogebiete, aber gerade diese Tatsache hat ihn auch in der opera seria zu einem wichtigen Neuerer gemacht. Schon bei Majo sahen wir einzelne Stilelemente aus der opera buffa auch in die seria eindringen; Piccinni hat aber damit weit mehr Ernst gemacht, als alle seine Vorgänger und Mitbewerber. Das betrifft vor[206] allem die Orchesterbehandlung. Vom Ciro (1759) an neigt er immer stärker dazu, ganze Arienbegleitungen nach Buffoart aus kurzen, plastischen Orchestermotiven herauszuspinnen, die dem seelischen Verlaufe gemäß in der mannigfachsten Art abgewandelt werden. Auch das Verhältnis zwischen Gesang und Orchester beginnt sich dem Buffovorbild entsprechend zu ändern: hier fängt das Orchester ein Zwischenspiel an, in dessen Verlauf die Singstimme ganz überraschend einsetzt, dort schlagen beide zusammen mit großer poetischer Wirkung motivische Brücken über ganze Szenen hinweg (Demetrio II 9, Artaserse III 7 und namentlich Alessandro II 12, wo mit feiner dichterischer Absicht ein Motiv aus II 5 wiederholt wird). Das ist ganz die sinnige Art dieses Meisters, der, vom Dramatiker großen Stils weit entfernt, seine Hauptwirkungen durch solche feinen Einzelzüge erzielt. Seine an der Buffokunst geschulte, außerordentlich schmiegsame Orchesterbehandlung hat ihm aber auch noch weitere orchestrale Fortschritte eingegeben. Von der »Zenobia« von 1756 an wimmelt es nämlich in seinem Orchester von allerhand Zügen, die die moderne Forschung bisher der Mannheimer Schule zuzuschreiben geneigt war78, von »Seufzern«, »Vögelchen«, »Walzen« u. dgl., auch das Crescendo79 tritt auffallend häufig auf, und zwar, ganz wie in Mannheim, im Verein mit sequenzenmäßig aufsteigenden Motiven; schöne Wirkungen dieser Art, auch auf langen Haltetönen, konnte Mozart in »Cesare e Cleopatra« 1770 hören. Daß Piccinni alle diese Züge dem Mannheimer Stamitz verdankte, ist höchst unwahrscheinlich; sie treten schon in seinen ersten Werken zutage, und außerdem lehrt sein ganzes Schaffen, daß er von allen Italienern für die reine Instrumentalmusik am wenigsten Sinn und Zeit hatte. Er muß also aus anderen Quellen geschöpft haben. Für das Crescendo war das ohne allen Zweifel Jommelli80, für alles übrige aber lassen sich Belege aus der italienischen Oper, besonders der komischen, beibringen. Was Stamitz der italienischen Oper verdankt, verdiente besonders untersucht zu werden, jedenfalls würde sich herausstellen, daß die große Stilwandlung zwischen den älteren und den jüngeren Klassikern, was ja auch aus inneren Gründen wahrscheinlich ist, nicht das Werk eines einzelnen Meisters und seiner Schule, sondern auf weit breiterer Grundlage erwachsen ist. Der große und eigentümliche Anteil, den Stamitz daran hat, und seine Bedeutung für die deutsche Instrumentalmusik werden dadurch natürlich nicht berührt.

Auch der konzertierende Stil, den Piccinni gleich allen seinen Zeitgenossen besonders liebt, wird bei ihm weit leichter und elastischer. Solobläser erhalten sehr oft eine ganz moderne Streicherbegleitung in gebrochenen Akkorden, treten aber auch sonst mit ausdrucksvollen, selbständigen Motiven auf, wie im »Ciro« III 13 (Arie »Bell'alma se ancora«):


Die opera seria

Die opera seria

Die opera seria

[207] Auch die Form handhabt Piccinni als geborener Buffokomponist mit bemerkenswerter Freiheit. Die kleine liedmäßige Kavatine liebt er besonders, vom »Cesare« an tritt zu den drei Arienformen81 noch das Rondo. Den raschen[208] Arien schickt er gerne langsame Einleitungen voraus, deren Gedanken mitunter im folgenden Allegro in großen Notenwerten wiederkehren. Auch nehmen nach Bachs Vorbild die Themengegensätze in den Ritornellen im Verlauf seiner Entwicklung stetig zu.

Von heroischer Kraft ist freilich bei Piccinni noch weniger zu verspüren als bei den bisher genannten Meistern. Er war als Mensch und als Künstler eine friedfertige, beschauliche, ja versonnene Natur. Seine ernsten Opern entbehren des sinnlichen Zaubers der Bachschen, sie sind mitunter eintönig und überempfindsam. Aber auf der anderen Seite nimmt der neuneapolitanische Grundzug der Weichheit bei ihm nicht selten eine sehr sympathische, trauliche und herzliche Färbung an. Auch hier ist seine Buffokunst den opere serie zugute gekommen; der fein stilisierte Volkston naiven oder elegischen Charakters, der die Buffoopern auszeichnet, klingt z.B. schon in der »Zenobia« durch die ganze Partie der Egle hindurch, man vergleiche aber auch das Thema der Arie »Deh lasciami« (Cajo Mario II 4) mit dem innigen Terzschluß:


Die opera seria

Dieser rührende, innige Ton erscheint bei Piccinni stets, wenn es sich um Sehnsucht, flehendes Bitten u. dgl. handelt, vgl. z.B. die in ihrem Hauptthema später von Mozart übernommene Arie »Mi scacci sdegnato« (Artaserse II 2)82:


Die opera seria

[209] er adelt mitunter sogar die Koloratur, wie in der Arie »Dovrei, ma no« (Didone I 2):


Die opera seria

Der romantische Zug, der solchen Naturen häufig zu eigen ist, findet sich auch bei Piccinni. Keiner von seinen Zeitgenossen hat den plötzlichen Wechsel von Dur und Moll, der, wie das Beispiel D. Scarlattis zeigt, der ganzen damaligen italienischen Kunst besonders geläufig war, für die Zwecke der Oper so sinnvoll auszunützen verstanden wie er. In derartigen Szenen, wo plötzlich dunkle Wolkenschatten über ein helles Bild hingleiten oder umgekehrt ein heller Lichtstrahl überraschend durch düsteren Nebelflor bricht, zeigt sich deutlich, welch feiner poetischer Kopf Piccinni war, ja er biegt unter dem Drucke des dichterischen Gedankens gelegentlich überhaupt aus den herkömmlichen Geleisen heraus83. Endlich neigt er dazu, in einzelnen Mollarien sich in die trübe Stimmung förmlich hineinzuwühlen, so daß die Durtonart kaum einmal flüchtig berührt wird84.

Das sind alles Züge, die im Gemüte des jungen Mozart einen lebhaften Widerhall finden mußten, und tatsächlich finden wir die Spuren der Piccinnischen Kunst in einzelnen seiner Arien greifbar vor.

Aus weit härterem Holze als der liebenswürdige Piccinni war der spätere Lehrer Cherubinis, Gius. Sarti (1729–1802), geschnitzt, dessen Schaffen freilich weniger für Mozarts Jugendopern als für »Idomeneo« und »Titus« wichtig geworden ist. Seine Werke beweisen deutlich, daß auch aus der neuneapolitanischen Oper noch dramatisches Feuer herauszuschlagen war, wenn sie ein Künstler meisterte, dem außer Sentimentalität und Tändelei auch noch ernste und kräftige Töne zu Gebote standen. So ist Sarti der bedeutendste Vertreter dieser Kunst geworden, ja Heinse zählt ihn nicht nur zu den älteren Neapolitanern, sondern stellt seinen »Giulio Sabino« sogar noch über Glucks Taurische Iphigenie85. Das hat wohl seinen Grund in Sartis großen dramatischen Akkompagnato- Szenen, in denen er allerdings sämtliche Neuneapolitaner um Haupteslänge überragt. Aber Form und Stil seiner Arien und seine virtuose Orchesterbehandlung weisen doch auf die neue Zeit hin, auch beweist die mehr auf äußere Wirkung als auf dramatischen Ernst angelegte Haltung so mancher Arien sowie die Neigung zu übermäßiger[210] Koloratur, daß die Selbstverleugnung der älteren Meister dahin war86. Trotzdem hatte Sarti von allen damaligen Opernkomponisten noch das lebendigste Gefühl nicht allein für den Stil der Metastasioschen Kunst, sondern auch für die Größe des alten Renaissanceideals. Gerade in seiner besten Oper, dem »Giulio Sabino« (1781), strebte er ihm mit allen verfeinerten Mitteln der modernen Kunst gerecht zu werden. Auch die äußere Form hat er mit Glück erweitert. Neben den damals modernsten Arienformen bevorzugt er, wiederum nach dem Vorbild der Buffooper, die mehrteilige Arie und besonders das Rondo. Dabei erscheint regelmäßig ein sichtlich von den Franzosen beeinflußter, gavottenhafter, oft etwas leiriger Melodietypus, der dann in Mozarts »Titus« (Rondo des Sextus II 7, Allegro) wiederkehrt. Vgl. Sartis »Alessandro e Timoteo« (1782), Rondo: »Bella Dea87«:


Die opera seria

Ensembles und Chöre finden sich auch bei Sarti noch sehr selten, mit Ausnahme des für das ja von jeher franzosenfreundliche Parma geschriebenen »Alessandro e Timoteo«, wohl der formenreichsten Oper der ganzen Schule88. Dagegen ist sein Orchester äußerst schmiegsam und dabei von glänzender äußerer Wirkung89. Bezeichnend ist dafür, daß er bereits in dem sonst noch durchaus altmodischen »Ciro« (1754, Arie II 9 »Men bramosa«) ein sonst in der Oper sehr seltenes Cembalosolo einführt. An den Akkompagnatos hat das Orchester einen reichen Anteil, manchmal sogar mit kleinen selbständigen Sätzen; freilich tritt auch dabei schon eine Sartische Eigentümlichkeit[211] zutage, die sich auch in manchen Arien findet und wiederum an den jungen Mozart gemahnt: die Neigung, mit den Motiven verschwenderisch umzugehen. Denn auch Sarti ist ungewöhnlich reich an Ideen, und zwar sowohl volkstümlicher Art, vgl. »Giulio Sabino« II 5 und 11 (beide Male freilich textwidrig):


Die opera seria

als auch kunstmäßiger, oft überraschend moderner Natur, vgl. »Cleomene« II 11, 5, »Ifigenia« II 5:


Die opera seria

[212] In allen drei Beispielen ist die Verwandtschaft mit Mozart mühelos zu erkennen.

Auch Pietro Guglielmi, der Vater (1727–1804), gehört in diese Reihe90 und zugleich zu den Meistern, die, in der Buffooper besonders stark, verschiedene von deren Stilelementen auch auf die opera seria übertragen haben: die verstärkte Anlehnung an die volkstümlichen Tanz- und Marschmelodien, die beweglichen kleinen Orchestermotive, und die Vorliebe für kleine, spannende Rezitative in den Arien. Seine eigentümliche und flotte Rhythmik ist ihm dabei besonders zustatten gekommen; aufschlagende Synkopenmotive wie Die opera seria sind bei ihm nichts Seltenes. Auch die Rondoform mit der französischen Melodik, die wir schon bei Sarti antrafen, bevorzugt er nicht allein in den Sologesängen, sondern auch, ein weiteres Zeichen für den Einfluß der Buffooper, in den Ensembles, die, gleich den Chören, seit Piccinnis Übertritt in das Lager Glucks auch in der italienischen opera seria wieder häufiger werden91. Neuneapolitaner aber ist Guglielmi in dem oft bis zur Leirigkeit undramatischen Ton mancher ernsten Arien92, in dem aufdringlichen Koloraturengepränge und in dem glänzenden Orchestergewand mit den vielen konzertierenden Arien und dem Streben nach neuen Klangwirkungen93. Mit Sarti gemein hat er die Neigung, in den Ritornellen und im Verlauf der Arien möglichst viele gegensätzliche Gedanken zu bringen und so das Verfahren Chr. Bachs auf die Spitze zu treiben. Die Form der Arien schwankt zwischen dem älteren und neueren Typus hin und her94; aus der Buffokunst stammt der häufige Brauch, dem raschen Teil einen langsamen voranzuschicken. Trotz aller Schwächen sind Guglielmi aber doch auch Szenen von echt dramatischer Wucht gelungen, wie der orchestral glänzend geschilderte Tempelbrand im »Enea«, die freie Orakelszene im »Laocoonte«95 und die Beschwörung von Ajax' Schatten in der »Ifigenia«.

Die Ouvertüren dieser Meister gemahnen zwar größtenteils noch an die Oberflächlichkeit der älteren Zeit, zeigen jedoch daneben auch schon Spuren des verjüngenden Einflusses, den die mittlerweile erstarkte Konzertsinfonie auch auf die Ursprungsform auszuüben begann. Es tauchen bereits, wie in der Buffooper, einsätzige Sinfonien auf, wie in Guglielmis »Laocoonte«, die französische Form wird häufiger, und in der neapolitanischen mehren sich nach dem Muster der Pariser opéra comique die Versuche eines strafferen[213] Zusammenschlusses der drei Sätze, namentlich in der Art, daß der dritte Satz die thematische Fortsetzung des ersten bildet und das Andante demgemäß mehr als Episode erscheint. Am lockersten und rückschrittlichsten geht es noch in den Durchführungsteilen zu, wo sogar nicht selten ganz neue Themen eingeführt werden96. In den Themengruppen treten dagegen jetzt die Seitenthemen in einen ausgesprochenen Gegensatz zu den Hauptthemen, am stärksten bei Bach, während Piccinni und Lampugnani noch zwischen alter und neuer Art schwanken. Diese Seitenthemen sind aber augenscheinlich von der Buffosinfonie beeinflußt: es sind merkwürdig kurzatmige Gebilde, nach alter Konzertinoart meist nur von drei Instrumenten, oft ohne Baß ausgeführt und vom eigentlichen Gesangscharakter noch weit entfernt97:


Die opera seria

Die opera seria

Die opera seria

[214] Auch die Reprisen haben noch keine feste Gestalt angenommen; sie schwanken beständig zwischen der verkürzten und der unverkürzten Form, gelegentlich taucht aber auch hier noch zu guter Letzt ein ganz neues Thema auf (Piccinni, »C. Mario,« Bach, »L. Silla«). Bei Sarti endlich findet sich im »Giulio Sabino« eine Stretta, die sich allerdings am Schluß wieder in ein großes Diminuendo verliert98.

Während die langsamen Sätze Bau und Charakter kaum geändert haben, bringt der letzte Satz bei Bach (L. Silla) und Sarti (Ciro99) als neue Form das Rondo hinzu. Piccinni dagegen wiederholt mitunter an seiner Stelle einfach die Reprise des ersten Satzes (C. Mario, Artaserse), ein merkwürdiger Versuch, den ursprünglich einsätzigen Charakter der Sinfonie wieder in Erinnerung zu bringen.

Das ist in den großen Grundzügen die Umgebung, in die Mozart mit seinen seriösen Opern eintrat. Im einzelnen werden sich noch manche neuen Fäden anknüpfen lassen, der allgemeine Charakter wird indessen dadurch kaum geändert werden. Strengen dramatischen Ansprüchen hält diese Kunst gewiß nicht Stand; sie ist vielfach überreif, aber sie hat doch einen eigentümlichen, hochentwickelten Stil, der sie im einzelnen noch zu großen und echten Wirkungen befähigte. Daß es nicht leicht war, die Italiener auch jetzt noch auf dem Gebiete ihrer opera seria zu erreichen, geschweige denn zu schlagen, sollte eben Mozarts Beispiel beweisen.

Fußnoten

1 Vgl. über die ersten Zeiten der Oper A. Solerti, Gli albori del melodramma 1904 und Ambros-Leichtentritt, Gesch. der Musik IV, 3. A. 1909, S. 283 ff.


2 Vgl. E. Vogel, Vj III 315 ff. Ambros-Leichtentritt S. 533 ff. A. Heuß, SIMG IV 175 ff. H. Goldschmidt, ebda. IX 570 ff. H. Kretzschmar, Vj X 483 ff. H. Goldschmidt, Studien z. Gesch. d. it. Oper II 1904 (Neudruck der »Incoronazione«). R. Eitner, Publ. d. Ges. f. Musikforschung, Bd. 10 (Teildruck des »Orfeo«).


3 L.N. Galvani, I teatri musicali di Venezia nel secolo XVII 1878. H. Kretzschmar, Vj VIII 1 ff. Ambros-Leichtentritt S. 616 ff. E. Wellesz, Cavalli, in Adlers Studien zur Musikwissenschaft I 1 ff. H. Riemann, Handb. d. Musikg. II 2, 187 ff.


4 F. Florimo, La scuola musicale di Napoli ed i suoi Conservatorj 1880–84.


5 M. Fehr, A. Zeno und seine Reform des Operntextes 1910.


6 Calsabigi, Dissertazione sulle poesie drammatiche di P.M. 1765. Ch. Burney, Metastasio 1796. Mussafia, P.M. 1882. Wiese-Pèrcopo a.a.O. 441 ff. M. Zito, Studio su P.M. 1904. A. de Gubernatis, P.M. 1910. A. Wotquenne, Zeno, M. und Goldoni, Alphab. Verzeichnis der Stücke in Versen usw. 1905.


7 Metastasio, Opp. post. I, p. 324.


8 Er erwähnt kleine Kompositionen (Opp. post. I, p. 386, 402), auch gegen Burney (Reise II, S. 220); einige sind gedruckt, z.B. 36 Canoni (Wien, Artaria 1782).


9 Metastasio, Opp. post. I 384.


10 Mosel, Salieri S. 62.


11 Opp. post. III 109.


12 Mancini, Rifl. prat. sul canto fig. S. 247.


13 Opp. post. II 47.


14 Brief an Hasse ebda. I 344 ff. Vgl. auch II 355.


15 Abert S. 352.


16 Metastasio, Opp. post. II, p. 329 f. Vgl. Mancini, Rifl. prat. sul canto fig. p. 234 f. Goldoni, Mem. I 20, p. 110. Hagedorn fand, gewisse Opern von Metastasio seien vollständige und bündige Tragödien (Werke V, S. 113), und Bodmer stimmte ihm bei (eb. S. 184).


17 Vgl. E. Dent, A Scarlatti, his life and his works 1905.


18 An C. Pallavicinos »Gerusalemme liberata« von 1687 (Neuausgabe DT LV) läßt sich das deutlich verfolgen.


19 Das Cembalo gab nur die stützenden Harmonien; über die Ausführung dieser Partien vgl. M. Schneider, Gluckjahrbuch III 88 ff. Die rasch verklingenden Baßtöne des Instruments wurden durch einen mitgehenden Streichbaß festgehalten.


20 H. Kretzschmar, Ges. Aufs. II 140 ff.


21 Dasselbe wird noch von Mozarts »Titus« berichtet.


22 H. Abert, Jommelli S. 122.


23 Dialogische Szenen dieser Art sind selten und ebenfalls rein lyrischer Natur.


24 Man unterschied schließlich eine ganze Reihe von Unterarten, wie die »Aria cantabile, di portamento, di mezzo carattere, parlante (agitata), di bravura (agilità)«, vgl. J. Brown, Letters upon the poetry and music of the Italian opera, Edinb. 1789, S. 29 ff., und die Ratschläge, die Goldoni für einen Operntext gegeben wurden, Memor. I 102 f.


25 H. Goldschmidt, Die Lehre von der vokalen Ornamentik Bd. I, 1907.


26 Vgl. Sulzer, Allg. Theorie der schönen Künste I 1777, 104 ff.


27 Der Schluß geschah sehr häufig auf der Molltonart der Dominante. Nach Arteaga, Rivoluz. II 262 war der Sänger Bald. Ferri aus Perugia (1610–1680) der Begründer der Arie mit verziertem da capo. Jedenfalls geht aus dieser Mitteilung klar hervor, daß das Sängertum an der Herausbildung dieser Form einen starken Anteil hatte.


28 Bedeutende koloristische Wirkungen sind hier nicht selten, namentlich in den sog. »Ombra«-Arien (Anrufungen von Geistern Verstorbener), wo die Bläser mit Vorliebe als Dolmetscher der Abgeschiedenen erscheinen, vgl. Abert a.a.O. Anhang, Beispiel I und III.


29 Es wäre noch näher zu untersuchen, ob nicht die Bläserbesetzung sehr häufig von den jeweilig verfügbaren Kräften abhängig war, so daß sie bald hinzutrat, bald weggelassen wurde. Der Umstand, daß von einzelnen Werken Fassungen mit und ohne Bläser erhalten sind, scheint darauf hinzudeuten.


30 Allgemeines über die Orchesterbesetzung bei Mennicke a.a.O. S. 266 ff.


31 Vgl. darüber H. Riemann, DTB III 1, XVI; Mennicke S. 277 ff.; G. Cucuel, ZIMG XII 280 ff.


32 Rousseau, Dictionn. de mus. Orchestre. Kandler, Vita di Hasse Taf. 1. Fürstenau, Zur Gesch. d. Musik in Dresden II 290 ff. Hasse bestätigte in Wien Burney, daß die Angaben Rousseaus vollkommen genau seien (Reise II 257).


33 In allen Texten Metastasios findet sich nur ein einziges Quartett (Catone III 9).


34 Nach Scarlattis Vorbild beginnt in diesen Stücken gewöhnlich der erste Sänger mit dem Thema, dann wiederholt es der zweite, worauf sich beide zu einfachem, homophonem Gesange vereinigen. Erst später treten kunstvollere, namentlich kanonische Bildungen auf. Auch Doppelkoloraturen sind häufig.


35 Ambros-Leichtentritt S. 463 ff.


36 Sopran und Alt wurden von Frauen, gelegentlich auch von Singknaben gesungen. Unter den deutschen Sängern fand das Kastratentum wenig Boden. Der Legationssekretär Unger berichtet in seinem Journal (Hauptarchiv in Dresden loc. 3292) über das verunglückte Auftreten eines deutschen Kastraten (von Rastatt): »On jugera heureusement pour la postérité de notre nation que les allemands ne réussiroient jamais dans ce genre« (9. März 1775).


37 Nicht selten lag bei Liebesduetten die Partie des Mannes über der der Frau.


38 Vgl. Marcello, Teatro alla moda 1722, 1738, neu herausgegeben von A. Einstein. Goldoni, L'impresario di Smyrna und Jommelli, La critica (Abert S. 426 ff.).


39 Vgl. Heinses Ausspruch über Pachierotti: »o benedetto il coltello, che t'a tagliato li coglioni!« (Schriften III 103 f. Hildegard von Hohenthal III 19).


40 Sogar eine äußerliche Etikette hatte sich festgestellt. So hatte die Primadonna das Recht, sich die Schleppe von einem, und wenn sie eine Fürstin vorstellte, von zwei Pagen tragen zu lassen, die auf der Bühne an ihre Schritte geheftet waren; sie nahm den Ehrenplatz rechts von den Mitspielenden ein, weil sie in der Regel auch die vornehmste Person im Stück war. Als Faustina Hasse im Jahr 1748 die Dircea im »Demofoonte« sang, die erst später als Prinzessin erkannt wird, verlangte sie den Ehrenplatz vor der anerkannten Fürstin Creusa, und Metastasio selbst mußte einschreiten, um sie zum Nachgeben zu bewegen. Vgl. Opp. post. I 282 ff.


41 Vgl. Mancini, Rifl. prat. p. 14 ff.


42 Die berühmtesten waren die der beiden Brüder P. und A. Mingotti und die Locatellische. Vgl. E.H. Müller, A. und P. Mingotti 1917.


43 Vgl. die verdienstvolle Schrift von G. Radiciotti, G.B. Pergolesi 1910.


44 G. Leo, L. Leo 1905. E. Dent und F. Piovano SIMG VIII 70 ff., 336, 550 ff.


45 Kandler a.a.O. Mennicke a.a.O. Kretzschmar, Ges. Aufs. II 148 ff. Neudruck der »Conversione di Sant' Agostino« (1750) von A. Schering DT XX.


46 Das hat besonders Gluck in seinen vorreformatorischen Opern getan (vgl. Gluckjahrb. II 9 ff.); es ist dies überhaupt eine deutsche Eigentümlichkeit, die sich auch bei Hasse und Graun findet. Aber auch D. Perez versieht die Seccos seines »Solimano« (1757) ausgiebig mit Vortragsbezeichnungen.


47 Abert a.a.O.


48 Einzelne Anklänge (vgl. Abert S. 214) genügen nicht. Auch das mozartisierende Hauptthema der Arie II 3 des »Cajo Mario«:


Die opera seria

(Abert S. 195) gehört zum melodischen Gemeingut der italienischen Oper jener Zeit.


49 Auswahl seiner Werke von H. Goldschmidt DTB XIV 1 (mit wertvoller Einleitung) und XVII.


50 Mag sich der Schmerz in rührender Kindlichkeit (Neuausg. XIV S. LIX, XVII S. 157 ff.), in hoheitsvoller Ergebung (S. 146 ff.) oder in harter Leidenschaft (XVII 84 ff.) äußern, jedesmal weht uns ein Hauch des späteren Mozartschen Geistes an; im letzten Beispiel ist auch die herbe Behandlung der Tonart g-Moll bemerkenswert.


51 Einen merkwürdigen Vorklang der Violinsonate K.-V. 301 enthält die Arie Castors »Tindaridi« I 6:


Die opera seria

Der Beginn des Gesanges klingt an die »Entführung« an:


Die opera seria

52 Neuausg. XIV 99 ff. Stücke wie der Mittelsatz der genannten Kanzonetta oder a.a.O. S. 138 ff. berühren sich sehr nahe mit den entsprechenden Gesängen in Piccinnis »Buona figliuola«.


53 Vgl. H. Abert, ZfM I 314 ff.


54 H. Kretzschmar, Ges. Aufs. II 262. Freilich mag als Vermittler auch der ebenfalls von Majo stark beeinflußte Christ. Bach in Frage kommen. Er hat von Majo namentlich die dann auch Mozart eigentümliche Neigung übernommen, einzelne Phrasen und Perioden mit einem schwärmerischen Aufschwung nach der Quinte abzuschließen, vgl. Majos »Ipermestra« I 9 (Arie des Linceo), Beginn und Halbschluß des Hauptthemas (a und b):


Die opera seria

55 Die »Astrea« wurde 1760 aufgeführt; unter den Mitwirkenden führt die Partitur u.a. Manzuoli und den Tenoristen Raaff auf, die Mozart wohl die Bekanntschaft mit der Oper vermittelt haben. Die »Ipermestra« stammt aus dem Jahre 1768, der »Eumene« aus 1771. Nur sein erster Akt ist von Majo, der zweite von G. Jnsanguine, der dritte von Pasq. Errichetti. Das vierte Beispiel erinnert übrigens auffallend an den Mittelsatz von Orfeos Lied »Chiamo il mio ben cosi« aus Glucks Oper, erster Akt. Dazu gesellt sich noch ein Thementypus (»Eumene« I 9, Arie des Eumene), den ebenfalls Chr. Bach mit Vorliebe aufgegriffen hat und der später bei Gluck und Mozart klassische Berühmtheit erlangte. Er taucht sporadisch freilich schon bei den älteren Neapolitanern auf, vgl. Perez »Artaserse« II 1, Arie des Arbace:


Die opera seria

Er hat dann über Majo, Bach und Glucks Orpheus und beide Iphigenien den Weg bis zu Mozarts Gräfin im »Figaro« genommen.


56 Ricimero I 10 (Rec. acc. der Ermelinda, a), Ipermestra I 3 (Arie der Ipermestra, b), II 7 (Arie des Plistene c), II 10 (Duett, d und e).


57 S. oben S. 72, 77, 123. Vgl. Eumene I 9 (Arie der Artemisa):


Die opera seria

58 Die Anordnung ist nunmehr folgende: Hauptteil (1. Vierzeiler) mit Dominantschluß, Seitenteil (2. Vierzeiler), als Durchführung oder als Gegensatz gedacht, mit Rückkehr nach der Haupttonart, Wiederholung des Hauptteils in der Grundtonart. Bei Majo vgl. Ipermestra II 7 und 8.


59 S.o.S. 74 f.


60 Im Ricimero III 5 wird das zweite Thema von Solobratschen ausgeführt.


61 Hierher gehören besonders die auch für Mozart wichtigen liegenden Bratschenstimmen, ferner in der Astrea I 1 die Kombination von Streichern, Mandolinen und Flöten, in der Kavatine der Ipermestra (III 6, »Ah non mi dir«) die gedämpften Streicher und Oboen zusammen mit »voci umane«, im Baßschlüssel notiert, wohl ebenfalls einem oboenähnlichen Instrument (C. Sachs, Reallexikon der Musikinstrumente 1913, S. 418 a).


62 Typisch dafür Astrea II 6 (»Sol di virtù verace«), wo schon das Ritornell ein virtuoses Konzertstück für Fagott ist, und die vier konzertierenden Trompeten in der Arianna II 12 (»Per trionfar pugnando«).


63 A. Wotquenne, B.G. 1902, F. Piovano, RMI 1906–1908.


64 Identisch mit der Sinfonie des »Artaserse«.


65 Dieser Typus, der auch bei Mozart häufig wiederkehrt, findet sich bereits in Hasses Sinfonie zum Re pastore.


66 Abert S. 151. Mollseitenthemen auch bei Perez, »Siroe« (1740) und Terradellas, »Didone«.


67 H. Kretzschmar, Ges. Aufs. II 262.


68 H. Abert, ZfM I 313 ff.


69 Dies betont sehr richtig Reichardt im Mus. Almanach von 1796.


70 Daß diese Oper schon 1758 entstanden ist, wie Gerber berichtet, möchte ich mit M. Schwarz a.a.O. 410 f. bezweifeln, da die Briefe nichts davon wissen. Sie wurde wohl erst 1761 in Neapel aufgeführt.


71 Danach ist Burney Gen. Hist. IV 483 zu berichtigen.


72 Eigentliche »Gesangsthemen« kommen allerdings erst in London vor.


73 Der Chor »Fuor di quest' urne dolenti« (Lucio Silla 17), motivisch und instrumental mit dem vorhergehenden Akkompagnato verbunden, gemahnt textlich wie musikalisch an den ersten Chor des »Orpheus«, den Bach 1769 für London und 1774 für Neapel mit eigenen Zusätzen versehen hat. Vgl. R. Engländer, Gluckjahrb. II 26 f.


74 In der »Zanaida« (Arie: Se spiego le prime vele) erscheinen sie zusammen mit Taille, Oboe und Horn. Im »Temistocle« und »Silla« findet sich die Bezeichnung »Clarinetti d'amore«, stets in F-Dur notiert, zwei im Violin- und eine im Baßschlüssel.


75 H. Abert, Jommelli S. 143, 159 f.


76 Es-Dur ist bei den älteren Neapolitanern die Tonart des dunklen, feierlichen Pathos, namentlich bei der Anrufung von Gottheiten und bei Geisterszenen, vgl. Abert a.a.O. S. 179.


77 S.o.S. 106, 109.


78 H. Riemann, DTB VII 2. Einleitung.


79 Piccinni nennt es von der »Zenobia« an stets accrescendo.


80 Abert S. 446.


81 Die alte Hassische Form hält sich am längsten in den großen Bravourarien. Bis zum »Ciro« (III 8, vgl. Zenobia III 1) finden sich noch einzelne merkwürdig streng gehaltene Stücke, die an Piccinnis Lehrer Leo gemahnen.


82 Später in der »Cesare« I 6 (Care pupille) übernommen.


83 Schon in dem Duett »Zenobia« II 4 antwortet Tiridate ganz überraschend mit einem neuen Thema in Moll, im »Catone« II 10 schließt das Terzett, das in Dur begonnen hat, in Moll ab.


84 Vgl. »Demetrio« II 6, 10. »Antigono« II 9.


85 Hildegard von Hohenthal V 251, VI 11.


86 Bezeichnend ist die Schlußszene des »Giulio Sabino« (von III 4 an), wo auf eine dramatisch äußerst lebendige Soloszene ein recht banales Duett folgt.


87 Dieser Typus tritt bei Sarti schon vorher auch in nicht als Rondos bezeichneten Arien auf, vgl. »Cleomene« (1770) I 13, »Ifigenia in Aulide« (1777) I 4.


88 Sie enthält neben großen Akkompagnatos auch zahlreiche Ballette, Ensembles und Chöre. Die Furienballette stehen ersichtlich unter Gluckschem Einfluß.


89 Auch hierin ist der »Alessandro« bemerkenswert. Er verlangt zu dem gewöhnlichen, virtuos behandelten Orchester noch Klarinetten (die sich übrigens schon in der »Ifigenia« von 1770 finden), Corni piccoli, Englischhorn und Serpentone. Gelegentlich treten auch zwei Orchester auf.


90 G. Bustico, P. Guglielmi 1899 und vor allem F. Piovano RMI 1905 (über die Chronologie von G. s Werken).


91 Vgl. die »Felicità d'Anfrisio« (1783) und »Enea e Lavinia« (1785).


92 Auch die sog. »Bettelkadenz« ist bei ihm auffallend häufig.


93 Hierher gehören das Cellosolo und die »voce umana« (s.o.S. 196) im »Enea«, die Arpa und die 4 Hörner in der »Felicità«, namentlich aber im »Laocoonte« (1787) die Teilung des Instrumentalkörpers in eine »Banda« (von Oboen, Klarinetten und Hörnern) und »Orchestra«. Die Klarinetten sind schon in der »Semiramide« (1776) mit großer Wirkung verwandt.


94 So besonders in der »Semiramide«.


95 Ein großes, mehrgliedriges Satzgebilde im Stil der Buffofinales mit rondoartigen Wiederholungen. Das Orakel selbst redet freilich im gewohnten Akkompagnatostil mit langen Streicherakkorden, hat aber dafür ein charakteristisches Motiv der »banda« (Hörner und Fagotte), das auch die folgende Szene beherrscht.


96 Bach: Temistocle, Lucio Silla; Piccinni: Cajo Mario, Cid; Latilla: Antigono; Guglielmi: Ricimero (1777), Semiramide.


97 Vgl. die Seitenthemen der Wiener Sinfoniker oben S. 120.


98 Die Sinfonie des »Alessandro« ist einsätzig und leitet unmittelbar in den Chor über.


99 Angesichts der frühen Entstehung (1754) muß diese moderne Form befremden. Die Sinfonie ist höchstwahrscheinlich für eine spätere Aufführung nachkomponiert.


Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956, S. 215.
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