Mozarts Jugendopern

Das Oratorium »La betulia liberata«

[215] Die Reihe der dramatischen Werke Mozarts, die mit dem »Mitridate« beginnt und mit dem »Re pastore« schließt, steht wiederum unter dem Zeichen des Vaters. Er war es, der dem Sohne den Weg vorzeichnete, den er einzuschlagen hatte. Leopolds einziges Ziel war, ihm durch möglichst große und nachhaltige italienische Bühnenerfolge rasch zu Ruhm und Ansehen zu verhelfen, und das konnte nach seinen bekannten Grundsätzen nur erreicht werden, wenn Wolfgang sich rückhaltlos der Partei anschloß, die damals das Heft in der Hand hatte, den Neuneapolitanern. Wolfgang aber ging um so williger darauf ein, als er ja bereits durch Chr. Bach einen gründlichen Vorgeschmack von jener Kunst erhalten hatte; er wußte es von Anfang an nicht anders, als daß es seine Aufgabe sei, den damals modernsten, zugkräftigsten Operngrößen nachzustreben und sie womöglich zu überbieten. Es waren also durchaus nicht ideale oder gar reformatorische, sondern lediglich praktische Rücksichten, die ihn zur opera seria hinführten. Wirklich verstehen wird aber unter solchen Umständen Mozarts Jugendopern nur der, der sich den Maßstab seines Urteils von den Neuneapolitanern holt und die Frage zu beantworten sucht, ob und wieweit es Mozart gelungen ist, es ihnen gleichzutun. Erst wenn dieses Verhältnis klargestellt ist, wird sich beurteilen lassen, was diese Werke auch für seine eigene Entwicklung bedeuten1.

Das Personenverzeichnis des »Mitridate, re di Ponto« (K.-V. 87, S.V. 5 mit Gr. Waldersees R.-B.)2 ist folgendes:


Mitridate, re di PontoSign. Cav. Gugl.

e d'altri regni, amante d'Ettore virtuoso di

d'Aspasia camera (Tenore).

Aspasia, promessa sposaSig. Antonia Bernasconi

di Mitridate, e già (Prima Donna. Soprano).

dichiarata regina[216]

Sifare, figliuolo diSig. Pietro Benedetti,

Mitridate e di detto Sartorino

Stratonice, amante (Soprano. Primo uomo).

d'Aspasia

Farnace, primoSign. Giuseppe

figliuolo di Mitridate, Cicognani (Contralto).

amante della medesima

Ismene, figlia del reSign. Anna Francesca

de' Parti, amante di Varese (Seconda Donna.

Farnace Soprano).

Marzio, tribuno Romano,Sign. Gasp. Bessano

amico di Farnace (Tenore).

Arbate, governatore diSign. Pietro Muschietti

Ninfea (Soprano).


Mitridate, der bekannte König von Pontus, hat vor seinem Feldzug gegen Rom seine Verlobte Aspasia unter der Obhut seiner beiden Söhne Sifare und Farnace zurückgelassen. Auf die falsche Nachricht von Mitridates Tod wirbt Farnace um Aspasias Liebe, worauf diese bei dem bereits heimlich von ihr geliebten Sifare Schutz sucht. Den darob zwischen den Brüdern entbrennenden Streit beendet der wiederkehrende König, der Farnace eine Braut in Ismene mitbringt. Bald entdeckt er das Verhältnis seiner Söhne zu Aspasia und Farnaces verräterischen Verkehr mit Rom und beschließt, sie samt Aspasia zu töten. Schon hält Aspasia den Giftbecher in der Hand, als ihn Sifare ihr entreißt. Unterdessen kommt dem eingekerkerten und von den Römern befreiten Farnace sein schimpfliches Verhalten zum Bewußtsein. Im Verein mit Vater und Bruder zerstört er die römische Flotte, wobei Mitridate tödlich getroffen wird. Sterbend überläßt er Aspasia dem Sifare, während Farnace sich nunmehr erbietet, Ismene zu heiraten. Ein Rachegesang gegen die römische Tyrannenmacht schließt die Oper.


Die Oper besteht mit Ausschluß der Ouvertüre aus vierundzwanzig Nummern, lauter Arien, mit Ausnahme eines Duetts (17) und des Quintetts am Schluß3. Die Originalpartitur scheint verlorengegangen zu sein4; dagegen sind mehrere einzelne Nummern in verschiedener Komposition erhalten; sie zeigen, daß Mozart, mehr wohl um den Sängern als um sich zu genügen, verschiedene Versuche machen mußte. Zu der ersten Arie des Mitridate (7) »Se di lauri il crine adorno« sind vier verschiedene skizzierte Entwürfe vorhanden; die Arie der Aspasia (13) »Nel grave tormento« ist in einer verschiedenen Komposition angefangen, die aber schon im ersten Tempo bald abbricht; fünf andere Nummern sind in vollständiger Ausführung vollendet und haben späteren Bearbeitungen Platz gemacht5.[217]

Der Text ist ein lehrreiches Beispiel dafür, wie nahe die Librettistik Metastasios den Franzosen steht. Rhetorisches Heldentum, verschlungenes Liebesspiel, ein großer geschichtlicher Hintergrund, das Alles gemahnt an Metastasio, und nur dessen schönrednerischer Flitter fehlt. Trotzdem gehört dieses Buch zu den besseren seiner Gattung. Es ist geschickt angelegt und konnte dem Komponisten Gelegenheit zu echt dramatischen Wirkungen geben, wenn dieser Komponist eben nicht ein 14jähriger deutscher Knabe gewesen wäre. Abermals stand Mozart vor einer Aufgabe, der er seelisch noch nicht gewachsen war.

Das einzige, was er dafür mitbrachte, war seine reiche musikalische Ader, und es war darum ganz natürlich, daß er mit seiner Oper lediglich ein wirkungsvolles, großes Musikstück schaffen wollte. Es war sein Glück und sein Erfolg, daß diese Absicht sich mit den Ansprüchen des damaligen Publikums deckte; wäre er damit in der Zeit Jommellis und Traëttas hervorgetreten, so hätte ihn höchstwahrscheinlich auch seine Wunderkindschaft nicht vor dem Durchfall geschützt.

Unter diesen Umständen, die nicht allein für den »Mitridate«, sondern für alle italienischen Werke bis zum »Re pastore« gelten, kann natürlich von einer durchgeführten dramatischen Charakteristik keine Rede sein. Die finstere Hoheit des orientalischen Herrschers war dem Knaben ebenso ein Buch mit sieben Siegeln wie der heroische Liebesschmerz Aspasias und Sifares. Er behilft sich dabei mit dem allgemeinen, frostigen Theaterpathos der Neuneapolitaner, dessen Merkmale er sich mit der ihm eigenen merkwürdigen Anpassungsfähigkeit zu eigen gemacht hat. Wie naiv er aber dabei mitunter verfährt, zeigt gleich Aspasias erste Arie mit dem Thema6:


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

[218] Dieser Wutausbruch begleitet einen Text, der weiter nichts enthält als ein schlichtes Gebet an die Gottheit! Während wir in derartigen hochpathetischen Arien vergeblich nach Zügen des späteren Mozartschen Geistes suchen, ist dem Komponisten der Ausdruck des Schmerzes und der Sehnsucht besser gelungen, hier wirkten die italienischen Vorbilder und sein eigenes Talent zusammen. So trägt die g-Moll-Arie der Aspasia »Nel sen mi palpita« (Nr. 4) mit ihrer durch die Zurückhaltung nur noch rührenderen Wehmut, ihrem modulatorischen Gang, der kaum einmal die Molltonart verläßt, und ihrer herben Chromatik ganz die Züge des späteren Meisters, wenn sie ihn auch gesanglich noch nicht erreicht. Auch die liedmäßige Arie Ismenes (Nr. 18) »Tu sai per chi m'accese« hebt sich durch den schlichten und herzlichen Ton des Zuspruchs vorteilhaft heraus. In anderen empfindsamen Sätzen bildet Mozart die italienischen Muster mit Glück weiter. Die beiden langsamen Es-Dur-Sätze III 4 (Ombraszene der Aspasia) und Nr. 22 (Farnace) tragen die Spuren Chr. Bachs, die Allegromelodie der Arie »Parto, nel gran cimento« (Nr. 5) stammt unmittelbar aus Piccinnis »Cesare« (s.o.S. 209), der auch in Nr. 2 (»l'orgoglio d'un audace« Part. S. 24) hindurchblickt.

Aber nicht allein in dramatischer, auch in rein musikalischer Beziehung bleibt Mozart in diesen Jugendopern oft hinter den Italienern zurück. Zwar ahmt er ihre beiden modernsten Arienformen, die mit verkürztem da capo und die gedrängte dreiteilige sowie die zweiteilige Kavatine mit Glück und Geschick nach, aber im inneren Bau herrscht noch eine merkwürdige Unruhe. Das Hauptgeheimnis der italienischen Kunst, die bei aller Breite und Ausführlichkeit doch stets organische Geschlossenheit ihrer Melodik, ist ihm offenbar noch nicht aufgegangen. Statt seine Gedanken ruhig zu entwickeln und zu verarbeiten, springt er häufig genug ab und überrumpelt die Hörer mit neuen Motiven, die ihm seine reiche Phantasie in unerschöpflicher Fülle zuträgt. Auch sonst hat er des Guten gelegentlich viel zu viel getan: so nimmt er in dem oben angeführten Beispiel die Koloratur, dazu[219] noch auf ganz unsinngemäße Worte, schon in das Thema selbst herein, was die Italiener aus guten Gründen vermeiden; sie treten mit dem Zierat erst hervor, wenn der melodische Bau in seinen Grundlagen fertig ist: im zweiten Abschnitt des ersten Teils.

Ebenso ist das Verhältnis zwischen Gesang und Orchester noch nicht geklärt. Mozart ist zwar offenbar von seinem Vater darüber belehrt worden, daß er bei einer italienischen Oper mit seinen sinfonischen Künsten zurückzuhalten habe, und hat demnach besonders im ersten Teile der Oper Begleitungen geschrieben, die für damalige Begriffe geradezu altmodisch einfach klingen. Aber dann machte sich doch seine bisherige Erziehung mit Macht wieder geltend: von etwa Nr. 13 an drängen sich die Instrumente nach deutscher Art wieder mehr und mehr vor7. Dagegen findet sich zu jener elastischen, besonders von Piccinni gepflegten Orchesterführung, die die Ausdruckskraft der Instrumente ausnützt, ohne das Vorrecht des Gesangs zu schmälern, im »Mitridate« noch kaum ein schwacher Ansatz.

Die meist sehr breit angelegten Anfangsritornelle bringen nach Bachschem Muster in der Regel zwei durch einen scharf markierten Halbschluß getrennte, gegensätzliche Themen, von denen das zweite indessen nur in Ausnahmefällen (14) Gesangscharakter trägt und weit häufiger als Solo dem vorhergehenden Tutti gegenüber gedacht ist. In der Arie selbst tauchen diese Seitenthemen meist bei der ersten Wiederholung des Textanfanges auf, so daß also der dichterische Hauptgedanke der Arie gleich zu Anfang zwei musikalisch sehr gegensätzliche Formen annimmt (1). Auch Bach und die Italiener lieben solche Gegensätze, aber ihre Seitenthemen treten nicht von Anfang an so anspruchsvoll den Hauptthemen zur Seite, sondern werden erst im Verlauf des Gesanges sozusagen durch Hintertüren eingeführt, sodaß die Herrschaft der Hauptgedanken gesichert bleibt. An Mozarts spätere, echt dramatische Art, in einer Arie die verschiedensten Stimmungen zusammenzufassen, darf man dabei ja nicht denken, es war vielmehr wiederum bloß die Freude an der eigenen Ideenfülle und an rein musikalischen Gegensätzen, die ihm hier die Feder führte.

So bedeutet diese Oper ihren Vorgängerinnen gegenüber zwar technisch einen erheblichen Fortschritt, von einer völligen Herrschaft über den italienischen Gesangsstil ist sie dagegen noch weit entfernt.

Auffallend sind die Seccorezitative, mit deren Deklamation es Mozart, offenbar in Erinnerung an die deutsche Art8, weit ernster genommen hat als die Italiener. Sie sind meist tadellos deklamiert und tragen auch dem Affekt im einzelnen Rechnung, soweit ihn der Knabe überhaupt zu empfinden imstande war. Dagegen stehen die ziemlich zahlreichen Akkompagnatos, obwohl Mozart auch hier mit neuen Motiven verschwenderisch umgeht, jenem »Demofoonte«-Rezitativ9 im Ausdruck ganz erheblich nach.[220]

An Ensembles weist die Oper außer dem Schlußquintett von dem üblichen flüchtigen und heiteren Schlage noch ein Duett (Nr. 17) auf, von breiter, an die Buffooper gemahnender zweiteiliger Form; der erste Teil gehört mit seiner schwelgerischen Schwärmerei zu den besten Stücken der Oper. In der Begleitung tritt zu dem üblichen Hörnerpaar noch ein zweites hinzu.

Die knapp gehaltene Ouvertüre folgt in den beiden Ecksätzen mit den kurzatmigen Seitenthemen, den bei aller Kürze mit neuen Gedanken arbeitenden Durchführungen und dem großen Crescendoanlauf des Schlußprestos der Art Piccinnis, der Mittelsatz weist dagegen mit seiner traulichen Marschweise auf Mozarts österreichische Heimat hin.

Der Text der 1772 komponierten Oper »Lucio Silla« (K.-V. 135, S.V. 8 mit Waldersees R.-B.) war von Giovanni da Gamerra gedichtet und der Vorrede nach von Metastasio revidiert; das Personenverzeichnis lautet:


Lucio Silla, dittatoreSgr. Bassano Morgnoni

(Tenore).

Giunia, figlia di CajoSgra. Anna de Amicis-

Mario e promessa Buonsolazzi (Prima

sposa di Cecilio donna).

Cecilio, senatoreSgr. Venanzio Rauzzini

proscritto (Soprano, Primo uomo).

Lucio Cinna, amico diSgra. Felicità Suarti

Cecilio e nemico occulto (Soprano).

di Lucio Silla, patrizio

Romano

Celia, sorella di LucioSgra. Daniella Mienci

Silla (Soprano).

Aufidio, tribuno, amicoSgr. Giuseppe Onofrio

di L. Silla (Tenore).


Der von Silla (Sulla) geächtete Senator Cecilio kehrt heimlich nach Rom zurück und erfährt hier vonCinna, Silla habe ihn für tot erklären lassen, um seine Braut Giunia zu gewinnen. Als diese die Werbung des Diktators zurückweist, beschließt er, sie zu töten. Die Liebenden feiern an düsterer Gräberstätte ein Wiedersehen. Silla versucht mit Hilfe seiner Schwester Celia vergebens bei Giunia doch noch zum Ziel zu gelangen, während Cecilio und Cinna ihn zu ermorden beschließen. Aber der Mordanschlag mißlingt, und die Liebenden entschließen sich, gemeinsam zu sterben. Da erklärt Silla, er wolle, um seinem Herzen Ruhe zu verschaffen, allen verzeihen, vereinigt Cecilio mit Giunia, Cinna mit Celia, legt die Diktatur nieder und gibt Rom die Freiheit zurück.


Man kann es Metastasio nachfühlen, daß ihm dieser Text stark verbesserungsbedürftig vorkam. Auch mit seinen Änderungen gehört er zu den allerschwächsten Erzeugnissen der Metastasianer, widersinnig in der Charakteristik, hilflos in der Führung der Handlung und trocken und steif im äußeren Ausdruck. Vom dramatischen Standpunkt aus war die Komposition dieses Buches von Anfang an hoffnungslos. Allerdings war dieser für Mozart ebensowenig maßgebend wie beim »Mitridate«; man ließ sich damals schon ein gutes Stück dichterischen Unsinnes bieten, wenn nur die Musik ihre Wirkung tat und den Sängern dankbare Aufgaben stellte. Auch dieser Mozartsche »Silla« ist noch ein echtes Kind des neuneapolitanischen Geistes, allerdings merklich fortgeschrittener im Stil und der Richtung verwandt, die in demselben Jahrzehnt Sarti zum Siege geführt hat.[221]

Das beweisen die Chöre und die dem »Mitridate« gegenüber auffallend gesteigerten Akkompagnatos10. Und gleich in dem ersten Chor (Nr. 6) auf dem düsteren Gräberplatz, der seinem Grundgedanken und teilweise auch seiner dichterischen Fassung nach von der ersten Szene in Glucks »Orpheus« abhängig ist, tritt ein neuer Zug hervor, der dem »Mitridate« fehlt und in Mozarts persönlicher Entwicklung begründet ist. Zwischen beiden Opern war der Knabe in die Jünglingsjahre eingetreten. Was ihm damals noch gefehlt hatte, das Empfinden für große tragische Leidenschaft, brach sich jetzt in der Seele des angehenden Mannes mit Urgewalt Bahn, und es ist ganz natürlich, daß er das Neue, was sich in seiner Brust regte, zunächst auch als etwas Außerordentliches, Ungewöhnliches empfand. So durchrieselten ihn bei jener Gräberszene, wo Giunia den Schatten ihres verstorbenen Vaters anruft, einem alten Lieblingsvorwurf der opera seria, alle Schauer des Phantastischen und Dämonischen. Wohl bedient er sich grundsätzlich derselben Mittel wie die italienischen Ombraszenen, von der Es-Dur-Tonart, den Synkopen und Tremolos an bis zu den Geisterlauten in den Bläsern herab, aber daneben stoßen wir in allerhand ungewöhnlichen melodischen und besonders harmonischen Zügen, kühnen und spannenden Übergängen und neuen instrumentalen Wendungen fast Schritt für Tritt auf Zeugnisse einer ungewöhnlich erregten Phantasie, wie sie sich in diesem Grade weder bei den Italienern noch bisher bei Mozart selbst finden. Bei solchen Frühlingsschauern des jungen Genies mochte so manchem Hörer, der sich des »Mitridate« erinnerte, bange werden; schon das einleitende Andante trägt in jeder Hinsicht Ausnahmecharakter.

Im folgenden, ungewöhnlich reich instrumentierten Akkompagnato des Cecilio (Str. Ob. Fag. Corn. Trombe) wechselt Mozart nach seiner bekannten Art zwar wieder fortwährend die Orchestermotive, aber der nächtliche Spuk wird dadurch nur noch gesteigert; bald rauscht der Wind durch die Zypressen, bald tönts wie klagender Geisterruf aus den Grüften herauf, und auch die rasche Wandlung vom Schauder bis zum mühsam verhaltenen Jubel in Cecilios Brust beim Nahen Giunias ist von zwingendem dramatischem Leben. Mit einem echt Mozartschen, knappen Crescendoanlauf führt das Orchester in das Totenlied des Chores hinüber, das nach französischem Vorbild einen Sologesang Giunias einschließt. Auch dieser Chor weist bei aller feierlichen Haltung die Merkmale der Erregung auf: scharfe harmonische und dynamische Akzente und häufig wechselnde Orchestermotive, von denen einige, frei umgebildet, auch in das Solo übergehen. Dieses selbst ist zwar, vom Standpunkte italienischer Melodiebildung aus betrachtet, wieder etwas zu wenig einheitlich und zu unruhig geraten, empfängt aber dafür einen eigentümlichen Reiz durch die Mitwirkung der Instrumente; es ist, als ob Giunia durch die abgerissenen Seufzer, die der tote Vater in den Bläsern aus dem Grabe heraufschickt, immer neuen Antrieb zur Klage gewänne.[222] Prachtvoll ist der Aufschwung am Schluß mit den Sforzatoschlägen des Orchesters und den klagenden Bratschen. Der zweite Chor nimmt den ersten in leicht veränderter Gestalt11 und gesteigerter Leidenschaft wieder auf. Ein Vergleich mit der Trauerszene des »Orpheus« ist freilich nicht am Platze, beide Stücke sind in Ausdruck und Gestalt so verschieden wie nur möglich12. Aus der Szene des »Lucio Silla« aber leuchtet zum ersten Male nicht allein der Dramatiker Mozart hervor, sondern auch der große Meister des Dämonischen, und sie ist um so wertvoller, als es ziemlich lange gedauert hat, bis Mozart dieses Gebiet wieder betrat. Die Fortsetzung mit dem Liebesduett (Nr. 7) fällt wieder ins unverfälscht Italienische zurück; schön sind darin gleich zu Anfang die fast in Schumannscher Schwärmerei kosenden Bläser, der trübe Schatten, den das Wort »ombra« vorauswirft, und auch das helle A-Dur, das nach all den vorangegangenen Schauern befreiend wirkt. Das ganze Stück, das zu zwei Dritteln in einfachem homophonem Zusammensingen der Stimmen besteht, trägt in seinem aus schließlich musikalischen Wesen den unverfälschten italienischen Stempel13, bis auf den stärkeren Anteil der Instrumente und wenige Einzelzüge, wie den echt Mozartschen, spannenden chromatischen Oktavenruck (a ais h) im Allegro (Part. S. 94).

Daß die Oper außerdem noch zwei Chöre enthält (Nr. 17 und 23), verdankt sie dem fortschrittlichen Einfluß Chr. Bachs. Der zweite ist ein Rondo[223] mit Chorrefrain nach französischer Art. Das Terzett Nr. 18 macht den auch von den Italienern unter dem Einfluß der Buffooper öfters unternommenen Versuch, die drei Charaktere einander gegenüberzustellen, den herrischen Silla, den feurigen Cecilio und die von der Liebe bis zum Tode erfüllte Giunia, bei der der Versuch am besten geglückt ist. Gewiß liegt hier ein Fortschritt zum Dramatischen vor, indessen ist diese Art weder von Mozart geschaffen worden, noch führt sie etwa in gerader Linie auf seine spätere große Ensemblekunst zu.

Was die Arienform anbetrifft, so tritt neben die beiden Hauptformen des »Mitridate«, die mit um die Hälfte verkürztem da capo und die gedrängte dreiteilige, jene andere, von Chr. Bach geschaffene, die das Dacapo zwar gleichfalls verkürzt, aber ohne den Hauptgedanken dabei wegzulassen14. Daneben taucht noch eine vierte Form auf, und zwar gerade in den bedeutendsten Arien: sie besteht aus zwei annähernd gleich langen, in der Stimmung lebhaft miteinander kontrastierenden Teilen ohne Wiederholung des ersten15. Die Vorbilder dazu sind wohl in der Buffooper und bei Sarti zu suchen. Bezeichnenderweise tragen gerade die Arien der Giunia (4, 22) diese ungewöhnliche Form. Sie sind neben der Gräberszene die eigentlichen Träger jener heißen, leidenschaftlichen Glut; man fühlt es ihnen deutlich an, wie stark diese Heroinengestalt aller ihrer Verstiegenheit zum Trotze die Phantasie des Jünglings entzündet hat. In echt jugendlicher Schwärmerei faßt er sie als ein herbes, hoheitsvolles Bild ohne Gnade auf, ja er ist naiv genug, ihre Arie Nr. 11, deren Text nur dem Gefühl banger Hilflosigkeit Ausdruck verleiht, im hochpathetischen Stile italienischer Racheschwüre zu komponieren, wobei auch die Koloratur noch weit über das Maß des »Mitridate« hinausgeht. Ihren beiden bedeutendsten Arien (16, 22) gehen begleitete Rezitative voraus, denen wiederum der Reichtum an Motiven, aber auch die auffallend düstere und erregte Färbung gemeinsam sind. Die Arie Nr. 16 empfängt ihr eigentümlich unstetes Gepräge durch die fast beständig unterbrochene Gesangslinie und die hartnäckig wiederholte, bohrende Geigenfigur:


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

[224] die ihre Herkunft aus der Buffooper nicht verleugnet16. Thematisch bringt sie zwar nicht viel Eigenes, denn Wendungen wie


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gehören zum Gemeingut der Neapolitaner. Aber merkwürdig ist das zerrissene modulatorische Wesen des Stückes; der plötzlich nach G-Dur hereinplatzende Es-Dur-Akkord z.B. wirkt allein wie ein Donnerschlag. Noch höher erhebt sich die Arie Nr. 22: ein banges, bereits von den Schauern des Todes gestreiftes Andante, in dessen Beginn in den Flöten und Bratschen noch die letzten Seufzer des Geliebten hereintönen, und ein fieberhaft jagendes Allegro, das den Hauptgedanken von Giunias Seele:


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

mit fast Gluckschem Meißel heraushämmert. Das Orchester, das auch hier wieder eine große Rolle spielt, peitscht es in einem erregten Schlußritornell noch zu Ende.

Noch größere Rücksicht als auf die de Amicis hat Mozart auf Rauzzini, den Darsteller des Cecilio, genommen, und zwar sowohl auf den Umfang der Stimme (a bis as2) als die Art der Bildung. Rauzzini war theoretisch gründlich geschult und selbst Komponist, und Mozart hat ihm deshalb besonders schwierige Aufgaben im Treffen gestellt. Seine dritte Arie enthält Sprünge wie


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

[225] oder


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die keine geringe Sicherheit des Einsatzes bezeugen. Die erste, durch ein ausdrucksvolles Rezitativ eingeleitete Arie (2), die der Vorliebe der Kastraten gemäß mit einem lang ausgehaltenen Tone beginnt, faßt freilich den »tenero affetto« wieder viel zu pathetisch auf17, und umgekehrt ist die dritte (21), die er vor seinem Tode tröstend an Giunia richtet, viel zu leicht und tändelnd geraten. Dagegen nimmt Mozart in der dritten Szene des zweiten Aktes wieder einen bedeutenden Anlauf, und zwar schon in dem einleitenden Secco. Das Akkompagnato »Ah corri«, das diesmal auch motivisch einheitlich gestaltet ist, ist mit seinen realistischen Schreien und seiner kühnen Harmonik von packender Wirkung, und ein genialer Zug ist die Übernahme des zuerst in der Vergrößerung auftretenden Motivs von drei Noten in die folgende Arie. Für deren Einheit sind diese immer wieder vom ganzen Orchester wild hereingeschmetterten Schläge ganz wesentlich, denn im übrigen spielt auch sie sich in beständigem Wechsel der Stimmungen und Themen ab.

In den beiden Arien des Silla (5, 13) mußte Mozart auf den ungeübten Morgnoni Rücksicht nehmen. Es fehlen ihnen deshalb alle virtuosen Züge. Aber auch so ist er nicht über den landläufigen Theaterbösewicht hinausgekommen, höchstens daß der wieder echt Mozartisch von Oboen und Violen spannend eingeführte zweite Teil der zweiten Arie seiner Gestalt eine etwas persönlichere Färbung verleiht.

Von Celias Arien zeichnen sich die beiden liedmäßigen (3, 15) durch jenen graziösen und innigen Ton aus, den Mozart für derartige Mädchengestalten liebt. Die beiden anderen (10, 19) sind Durchschnittsarbeit, ebenso wie die Arie des zweiten Tenors Aufidio (8) und die drei Arien des Cinna (1, 12, 20).

So stehen in dieser Oper neben den Merkmalen des neapolitanischen Kulissenstils, der zum Teil noch gesteigert ist, Spuren eines ihm gänzlich fremden Geistes. Dazu gehört außer jenem leidenschaftlichen, revolutionären Ton18 auch die Rolle des Orchesters. Das rein gesangliche Ideal der Italiener ist im »Lucio Silla« noch weniger erreicht als im »Mitridate«, denn zwischen beiden hatte sich Mozart in Salzburg abermals vorwiegend der Instrumentalmusik zugewandt. Sein Opernorchester ist zwar ausdrucks-, aber auch anspruchsvoller geworden, es begleitet und erläutert die Vorgänge wohl manchmal in sehr poetischer Weise, aber es drückt ebensooft auf den Gesang, namentlich da, wo ihm Mozart nach seiner bekannten Art statt[226] der Verarbeitung der einmal gewählten Motive immer wieder neue Episoden anvertraut. Auch die Gesangsmelodik selbst ist stärker instrumental gefärbt als im »Mitridate«. Das innere Leben des Orchesterkörpers wird ebenfalls mannigfaltiger: die zweiten Geigen gehen den ersten gegenüber ihren eigenen Weg – wiederum ein Erbstück Chr. Bachs; die Bratschen lösen sich vom Basse los, treten häufig geteilt auf, und namentlich die Bläser überraschen oft nicht allein durch selbständige, ausdrucksvolle Motive, sondern auch durch eigentümliche Klangwirkungen. Jener phantastische Geist offenbart sich am deutlichsten in den Zwischenspielen, aber auch die meist großangelegten, mit gegensätzlichen Themen19 arbeitenden Vorspiele gehen im Durchschnitt über das italienische Maß hinaus. Auf die eigentümliche Bedeutung der Akkompagnatos, die hier häufiger auftreten als in allen anderen Mozartschen Opern, wurde bereits hingewiesen. Die Seccorezitative sind dagegen ungleich. Man glaubt förmlich die Stellen zu erkennen, an denen Mozart Feuer fing: da erhebt er sich plötzlich aus konventionellen, wenn auch stets gut deklamierten Partien zu lebendigem dramatischem Schwung, an dem wiederum die Harmonik einen großen Anteil hat (vgl. bes. die zweite und neunte Szene des zweiten und die vierte Szene des dritten Aktes).

Die Sinfonie entspricht in ihrem ersten Allegro ihrer Vorgängerin bis in das neue Thema der Durchführung hinein. Der Mittelteil des dreiteiligen Andantes aber bringt, zwar nicht motivisch, aber dem Geiste nach, einen Hinweis auf das Folgende in jener halb unheimlichen, halb schmerzlichen Mollpartie (P.S. 8), in der sich die Leidenschaft ganz überraschend Luft macht; charakteristisch sind auch hier die scharfen dynamischen Akzente. Der letzte Satz ist ein sprühendes Rondo mit geistvoll variiertem Thema.

Die beiden 1771 und 1772 komponierten »dramatischen Serenaden« (azioni teatrali) sind Gratulationsfestspiele in dramatischer Form, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert von Fürsten, vom Adel und schließlich auch vom Bürgertum (man denke z.B. an S. Bachs »Zufriedengestellten Äolus20«) zu[227] Hunderten für allerhand Feste bei den Komponisten bestellt wurden. Im Mittelpunkt stand natürlich die Person des Gefeierten, dem dabei in mythologischer, allegorischer und arkadischer Einkleidung mehr oder weniger plumpe Schmeicheleien dargebracht wurden. Der äußere Prunk war die Hauptsache, das Drama Nebensache, auch waren diese mythologischen Maskeraden weit kürzer als die eigentlichen Festopern, oft bloße Einakter und auch nicht an die Szeneneinteilung der opera seria gebunden. Sie wurden in der Regel nur einmal aufgeführt und nahmen neben der opera seria den zweiten Rang ein21. Deshalb wurde dem jungen Mozart das Festspiel, Hasse aber die Oper übertragen.

Parini22 hatte in »Ascanio in Alba« (K.-V. 111, S.V. 6 mit Waldersees R.-B.) allen Ansprüchen einer Festlichkeit, wie die Vermählung des Erzherzogs Ferdinand mit der Herzogin Marie Beatrix eine war, zu genügen gesucht. Götter, Helden und Schäfer sind die handelnden Personen, es fehlt nicht an Dekorationen, Chören und Balletten, schmeichelhafte Anspielungen sind nicht gespart. Für die Ausführung waren ausgezeichnete Künstler berufen23, wie das Verzeichnis der Personen ausweist:


VenereSignora Falchini (Seconda

donna, Soprano).

AscanioSignore Manzuoli (Primo

uomo, Mezzosoprano).

Silvia ninfa del sangueSignora Girelli (Prima

d'Ercole donna, Soprano).

Aceste sacerdoteSignore Tibaldi (Tenore).

Fauno uno dei principaliSignore Solzi (Soprano).24

pastori


Venus steigt mit einem großen Gefolge von Genien und ihrem Enkel Ascanio vom Himmel herab und verkündet ihm, daß sie ihn in diesem ihrem Lieblingslande mit der schönen Nymphe Silvia, aus Herkules Stamm, vermählen wolle. Silvia aber gesteht dem Priester Aceste, daß sie bereits einen ihr im Traum erschienenen schönen Jüngling liebe. Ascanio beschließt auf den Rat der Göttin, zunächst Silvia unerkannt zu beobachten und zu prüfen. Diese hat unterdessen von Aceste erfahren, daß Venus sie mit Ascanio vermählen und ihnen eine neue Stadt gründen werde. Als deren erstes Gebäude zaubern die Genien im Zwischenaktsballett einen prachtvollen Tempel hervor. Im zweiten Akt werden die Liebenden nach verschiedenen Mißverständnissen schließlich von Venus vereinigt, die den Enkel an seine Herrscherpflichten erinnert und zum Schluß wieder zum Olymp emporschwebt.


Die Schilderung, die Fauno von der Schutzgöttin des Landes entwirft, die Anrede des Aceste an die scheidende Venus und deren eigene Worte enthalten so deutliche Anspielungen auf Maria Theresia, daß ein Verkennen nicht denkbar war; daß die Kaiserin mit Venus gleichgestellt wurde, erregte[228] gar kein Bedenken. Auch Silvia aus dem Geschlecht des Herkules – ihr Vater führte den in der Familie Este häufigen Namen Ercole –, die Schülerin der Minerva und der Musen, das Muster der Tugend und Bescheidenheit, ist deutlich die Prinzessin Beatrix, deren Verstand, literarische Begabung und Liebenswürdigkeit allgemein gelobt wurden25. Vom Erzherzog Ferdinand war weniger zu sagen, es bleibt bei dem angefangenen Porträt eines blonden Jünglings mit Rosenwangen. Charakteristisch ist es, daß, wie lebhaft auch die auf Schönheit und geistige Vorzüge gegründete, gegenseitige Neigung hervorgehoben wird, doch, wie sich es für eine fürstliche Vermählung schickt, die Unterwerfung der Neigung unter die Pflicht als das Höchste gepriesen wird. Die Vermählung war nicht ohne Schwierigkeiten zustande gekommen26; auch war man nicht ohne Sorge um das Verhältnis des jungen Paares27.

Die 480 Seiten in zwei Bänden umfassende Originalpartitur enthält 22 Nummern. Von der acht Nummern zählenden Ballettmusik ist nur die von einem Kopisten geschriebene Baßstimme erhalten28.[229]

Mozarts Serenade ist zwar weder dramatisch noch für die innere Entwicklung ihres Schöpfers von besonderer Bedeutung, aber sie hat doch vor sehr vielen ihresgleichen, z.B. auch vor Glucks »Nozze d'Ercole e d'Ebe« (1747)29 einen großen Vorzug voraus: sie erfüllt ihren Zweck durch glücklich gewählte, lebendige Abwechslung. Schon der Beginn bot den Zuhörern, wenn auch nicht vollständig Neues, so doch Ungewöhnliches. Gleich nach dem ersten Allegro der Sinfonie, das übrigens in Bau und Geist den beiden analogen Sätzen der Opern aufs Haar gleicht, hebt sich der Vorhang30, und das Andante wird nicht allein gespielt, sondern auch getanzt, und zwar nach L. Mozart31 von »elf Weibspersonen, nämlich acht Genien und den Grazien, oder acht Grazien und drei Deessen«. Im letzten Allegro tritt zu einem Tanz von 16 Personen noch ein Chor von 32 Köpfen hinzu.

Dieser Vorliebe für den Chor hatte das Werk wohl hauptsächlich seinen Erfolg zu verdanken. Wahrscheinlich waren die Chöre ein Zugeständnis an den Wiener Brauch, der, wie das Beispiel Glucks32 zeigt, auch in derartigen Gelegenheitsstücken den Chor nicht missen mochte; fünf davon sind außerdem mit Tänzen verbunden, zwei selbständig. Die meisten kehren dem Gang der Handlung entsprechend wieder, so gleich der zweite (3) nicht weniger als fünfmal. Es ist ein pastoral gefärbter Männerchor (Tenor und Baß), begleitet von Flöten, Oboen, Hörnern, Fagotten, Celli und Bässen und mit seinen häufigen Wiederholungen der eigentliche Träger des arkadischen Grundtones des Ganzen. Sein Gegenstück sind die beiden Frauenchöre des zweiten Teils (20, 24), die beide durch lebendige Stimmführung ausgezeichnet sind; der zweite, dreistimmige, drückt mit seinem kanonischen Einsatz die Aufregung der Mädchen über Silvias Benehmen mit überraschender Anschaulichkeit aus. Auch die vierstimmigen Chöre, deren homophoner Charakter durch sinnvolle kleine Imitationen nicht berührt wird, sind von trefflicher Wirkung. Der ebenfalls mehrmals wiederkehrende Jubelchor (2), der den ersten Teil umrahmt, ragt besonders durch seinen, bei den Wiederholungen weggelassenen Mittelteil hervor, worin die Gruppen der Männer und Frauen auseinandertreten. Am bedeutendsten aber ist der durch ein großes Crescendo eingeführte, nach kleinen Seccopartien zweimal wiederholte Chor »Scendi celeste Venere« (28), ein merkwürdig hochgestimmtes Stück, dessen dunkler gefärbter Mittelteil auch dem ehrfürchtigen Schauer vor der Gottheit einen glücklichen Ausdruck verleiht.[230]

Das Terzett (31), das ebenfalls in seinem letzten Teil später wiederholt wird, zeigt nach einem rein musikalischen Andante im Allegro einzelne Ansätze zur Charakteristik und kann damit als Vorläufer des Terzetts im »Lucio Silla« gelten.

Die meist in gedrängter dreiteiliger Form33 gehaltenen Arien sind noch um einige Grade unpersönlicher gehalten als in den Opern. In der Arie der Silvia (19) hat sich Mozart der vier Hörner des Mitridate, in der des Ascanio (25) in Verbindung mit Streichern, Flöten, Fagotten und Hörnern der alten Serpentini aus der Familie der Zinken34 erinnert. Zu größerer Kraft schwingt sich der Ausdruck nur selten auf, wie z.B. am Schlusse von Silvias Arie (23) mit ihrem an den späteren Mozart gemahnenden, sehnsüchtigen Drängen und der schönen, voll aber ruhig austönenden Schlußphrase (Part. S. 144), deren Eindruck nur durch die angehängten modischen Seufzer wieder abgeschwächt wird.

Auch die begleiteten Rezitative stehen denen der Opern nach. An einigen (I 2, II 2) ist der Versuch, nach dem Vorgang der »Demofoonte-Szene« den Orchesterpart einheitlicher zu gestalten und auch einzelne Textpartien zu wiederholen, bemerkenswert. Auch im Secco heben sich nur einzelne Partien durch einen wärmeren Ausdruck heraus.

Die acht Ballettsätze, in denen auf einen raschen Teil stets ein langsamerer folgt35, sind, soweit es sich nach der Baßstimme erkennen läßt, Tanzsätze im Stile von Deller, Rudolph und Starzer gewesen; programmatische Aufgaben waren offenbar nicht zu lösen. Nur das Largo (7) weist eine etwas freiere Form auf. Nr. 1–2 sind zweiteilig, 3–4 dreiteilig (4 in Da-capo-Form), Nr. 5 ist ein französisches Rondo mit Minore, ebenso das »Finale«, in dessen Minore der Baß überhaupt aussetzt; es war also offenbar eine Trioepisode. Das ganze Finale war allem Anschein nach eine »Contredanse«, mit der die Komponisten mit Vorliebe ihre Ballette zu schließen pflegten36.

Das zweite Festspiel, der 1772 komponierte »Sogno di Scipione« (K.-V. 126, S.V. 7 mit Gr. Waldersees R.-B.), ist gleichfalls ein allegorischer Einakter nach klassischen Mustern37.


Dem jüngeren Scipio, der im Palaste des Massinissa eingeschlafen ist, erscheinen die Standhaftigkeit (Costanza) und das Glück (Fortuna) und verlangen, daß er entscheide, welche von ihnen er zur Führerin durchs Leben wählen wolle. Auch seine abgeschiedenen AhnenScipio Africanus und Aemilius Paulus treten auf und belehren[231] ihn über die Unsterblichkeit der Seele und die Nichtigkeit alles Irdischen. Scipio wünscht daraufhin gleich bei seinen Ahnen zu bleiben, wird aber von ihnen unter Hinweis auf seine geschichtliche Sendung abgewiesen. Der Streit der beiden Göttinnen um seine Seele entbrennt aufs neue, er wählt schließlich Costanza. Nach heftigen Drohungen Fortunas, begleitet von Blitz und Donner, erwacht er und erklärt, der Costanza treu bleiben zu wollen.


Die Anspielungen auf die Umstände, unter denen das Stück am 1. Oktober 1735 zur Feier des Geburtstages Karls VI. – der in Italien schwere Niederlagen erlitten hatte – aufgeführt wurde, sind hier wie an anderen Stellen, namentlich in den Reden des Africanus und der Costanza, verständlich genug. Dennoch tritt zum Schluß noch die Licenza ein, welche direkt die Anwendung auf den Gefeierten macht, worauf dann in einer Arie und dem Schlußchor noch ein förmlicher Glückwunsch ausgesprochen wird.

Wohl um des philosophischen und moralischen Gewandes willen, das geradezu als ein Muster seiner Art auch im Drama gepriesen wird38, fand man das Stück auch für die Salzburger Verhältnisse ohne weiteres geeignet. Von einer Handlung kann bei dieser dramatischen Kantate keine Rede sein; daran, daß Scipio im Traume mitspielte und Arien sang, nahm man keinen Anstoß, sein Erwachen zum Schluß wird von Metastasio selbst sogar als vorbildlich gepriesen39.

Mozart hat dieser überirdischen Geschichte anscheinend ebensowenig Geschmack abzugewinnen vermocht wie wir Modernen, denn das Eigentümlichste gibt er beim Einschlummern und Wiedererwachen des Helden. Jenes wird in einer zarten Schlummermusik, einem beliebten Typus der italienischen Oper, mit Flöten dargestellt, die als langsamer Satz der Ouvertüre beginnt und dann in einem leise verhallenden Decrescendo unmittelbar in die erste Szene hinüberführt40. Scipios Erwachen aber vollzieht sich in dem einzigen begleiteten Rezitativ des Werkes, das, im allgemeinen mehr lärmend als gehaltvoll, in den Bässen erstmals ein beliebtes, den Italienern abgelauschtes Mozartsches Tumultmotiv bringt:


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

allerdings noch ohne die später meist damit verbundenen Synkopenharmonien. Sonst herrscht das Secco durchaus, selbst in dem Vortrage der Costanza über die pythagoreische Sphärenharmonie, wo sich wohl kein Italiener die Gelegenheit zu einem Akkompagnato hätte entgehen lassen. Im Secco hat Mozart offenbar die Aufgabe gereizt, die temperamentvolle Fortuna und die[232] bedächtige Costanza in ihren Reden voneinander zu unterscheiden; in den Arien ist ein solcher Unterschied kaum zu erkennen, auch die drei sämtlich Tenor singenden römischen Helden sind sich in ihren Arien ziemlich wesensgleich, sofern von einer persönlichen Färbung überhaupt gesprochen werden kann. Im Charakter gleichen die zehn Arien denen des »Ascanio«, nur sind sie noch glänzender und auch orchestral reicher ausgestattet. Formell sind drei davon (2, 6, 7) deshalb wichtig, weil sie im verkürzten da capo beide Hauptgedanken wiederholen, eine Form, die dann der »Lucio Silla« (s.o.) aufgenommen hat. Von der Licenza (13) ist eine zweite Fassung vorhanden, die jedoch nach Handschrift und Stil einer späteren Zeit angehört41. Bezeichnend ist für die meisten Arien aus dieser Zeit die knappe und oft flüchtige Art der Mittelsätze, in denen sich auch die Modulationsordnung der älteren Hassischen Zeit am längsten erhalten hat.

Von den beiden Chören gehört der Schlußchor (12) dem gewöhnlichen Schlage an, der Chor der Heroen (4) mit seiner schwirrenden Geigenbegleitung entbehrt zwar nicht der Kraft und Würde, steht aber an lebendiger Wirkung den Chören des »Ascanio« nach, auch kommt die Imitation darin kaum über einige Ansätze hinaus.

Das letzte Werk in dieser Reihe ist der zu Ehren des Erzherzogs Maximilian 1775 in Salzburg komponierte »Re pastore« Metastasios (K.-V. 208, S.V. 10 mit Gr. Waldersees R.-B.).


Das Personenverzeichnis lautet:


Alessandro, re di Macedonia.

Aminta, pastorello, amante d'Elisa, che, ignoto a se stesso, si scuopre poi l'unico legittimo erede del regno di Sidone.

Elisa, nobile ninfa di Fenicia, dell' antica stirpe di Cadmo, amante d'Aminta.

Tamiri, principessa fuggitiva, figliuola del tiranno Stratone; in abito di pastorella, amante di Agenore.

Agenore, nobile di Sidone, amico di Alessandro, amante di Tamiri.


Der Inhalt ist in Kürze folgender42:


Alexander beschließt, nachdem er Sidon erobert und dessen Tyrann Strato sich das Leben genommen hat, den Sohn des letzten rechtmäßigen Königs, Abdalonymus43, auf den Thron zu erheben, der unter dem NamenAminta unerkannt als Schäfer lebt. Nachdem er ihn mit Erfolg selbst auf seinen königlichen Sinn geprüft hat, läßt er ihn in dem Augenblicke, da Aminta vom Vater seiner Geliebten Elisa die Einwilligung zu ihrer Heirat erhalten hat, durch Agenore die Königskrone anbieten und spricht außerdem die Absicht aus, ihn mit der heimlich von Agenore[233] geliebten Tamiri, der Tochter Stratos, zu vermählen. Daraus ergeben sich die bekannten Verwicklungen, bis schließlich der zwischen Tugend und Liebe hin und her geschleuderte Aminta um Elisas Willen auf die Krone verzichtet und Tamiri sich ebenso offen für Agenore erklärt. Gerührt von soviel Edelmut vereinigt nun Alexander die beiden Paare, bestätigt Aminta als Herrscher von Sidon und verspricht, für Agenore ein anderes Königreich zu erobern.


Diese von Metastasio 1751 für eine Aufführung bei Hofe durch vier Hofdamen und einen Kavalier bestimmte und von G. Bonno komponierte Festoper44 ist eigentlich ein dramatisches Pastoral und gehört als solches in eine Reihe mit dem »Ascanio«. Für die Salzburger Aufführung wurden die beiden letzten Akte in einen zusammengezogen, wobei der Dialog sehr beschnitten und mehrere Arien ausgeschieden wurden, ohne daß der Text dadurch erheblich litt. Amintas erste Arie ist durch eine andere mit begleitetem Rezitativ ersetzt, auch vor dem Duett am Schluß des ersten Aktes ein begleitetes Rezitativ des Aminta eingefügt. Statt des kurzen Schlußchores ist eine Art von Finale mit Soli und Tutti hinzugedichtet. Die Partie des Agenore ist einem Tenor übergeben45. Aminta wurde von dem Kastraten Consoli gesungen; sonst wissen wir nichts näheres, weder über die Besetzung noch über die Aufführung46.

Mozarts Komposition, deren Originalpartitur in zwei Bänden von 284 Seiten erhalten ist, weist dem »Ascanio« gegenüber rein musikalisch einen großen, durch die Werke der Zwischenzeit, besonders die »Finta giardiniera«, erklärten Fortschritt auf, dramatisch dagegen verharrt sie durchaus auf demselben Standpunkt, d.h. von einer Charakteristik der Personen, von wahrer Leidenschaft ist nicht die Rede. Auch die ganze neuneapolitanische Rhetorik mit ihren Riesensprüngen, den Koloraturen an falschem Ort usw. kehrt unverfälscht wieder, ja die Oper geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie nunmehr auch das Secco in auffallender Weise vernachlässigt; auch die erregten und empfindungsvollen Partien werden jetzt, ganz wie bei den Italienern, in ziemlich ausdruckslosen, abgegriffenen Phrasen abgemacht47. Ebenso macht sich die Freude an virtuosen Orchesterwirkungen wieder geltend: hierher gehören die Solovioline der Rondoarie Amintas (10) mit ihrem Bläsergefolge von je zwei Flöten, englischen Hörnern, Fagotten und[234] Hörnern, die vier Hörner der Arie Agenores (12) und namentlich die virtuose Flötenpartie in Alessandros Arie (9)48.

Die moderne, gedrängte Dreiteiligkeit der Arienform erinnert ebenfalls noch an den »Ascanio«. Neu kommt hinzu (10, 11) das Rondo nach Bachs und Piccinnis Vorgang. Das in letzter Zeit wieder häufiger gesungene Es-Dur-Rondo (10) hat die Form a-b-a-c (aber mit Wendungen aus b)-a mit einer kleinen Coda, die noch einmal die beiden ersten und die beiden letzten Takte des Hauptthemas bringt und dann pp im Orchester verklingt. Obschon in der Kunst Chr. Bachs wurzelnd, weist das Stück doch schon ganz die echt Mozartsche Mischung von Feuer und holder Schwärmerei auf, auch enthält es eine ganze Reihe späterer Mozartscher Lieblingsgedanken, wie z.B.:


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

Wendungen, die freilich ihre Abkunft von Piccinni nicht verleugnen können. Nur wirken sie bei dem weit universelleren Mozart, der ihnen auch starke Gegensätze an die Seite zu setzen versteht, ungleich stärker und eigentümlicher. Auch sonst stoßen wir auf echt Mozartsches Gut, wie auf die leidenschaftlichen, zum Überfluß manchmal noch mit sf bezeichneten Synkopen (S. 92, 117, 140 der Part.), und in der Mollarie (12) auf das ganz in Moll getauchte da capo. Diese Neigung, in Mollsätzen bei der Wiederholung alle das erste Mal noch zugelassenen freundlicheren Bilder zu verbannen und dadurch den düsteren Mollcharakter noch zu steigern, ist echt Mozartisch; sie beherrscht später auch seine Instrumentalmusik bis in die große g-Moll-Sinfonie von 1788 hinein.

Im Innern der Arien verlieren die Mittelsätze ihr bisheriges knappes und altmodisches Gepräge und nähern sich mehr dem Charakter von Durchführungen, worin man wohl mit Recht wieder den Einfluß der Instrumental-, besonders der Konzertmusik erblicken darf49. Auf ihre Rechnung gehören auch die ausgedehnten Anfangsritornelle, die mitunter auffallend dem Anfangstutti eines Violinkonzertes gleichen. Überhaupt ist der Anteil des Orchesters wieder sehr bedeutend, wenn auch lange nicht so anspruchsvoll und manchmal erdrückend wie in den bisherigen Werken. Mozart hat auch in dieser Hinsicht gelernt: sein Orchester bleibt trotz allem Reichtum schmiegsam und klar, es erschließt zwar keine solchen Abgründe des Seelenlebens wie im »Silla«, aber es hält dafür auch mit seinen Gedanken weit[235] sparsamer Haus. Dazu ist die Singstimme weit freier und gesangsmäßiger geführt. Für italienische Begriffe freilich ist das richige Verhältnis beider auch hier noch nicht erreicht.

Das aus einem Andante und einem dreiteiligen Allegro mit Coda bestehende Duett Elisas und Amintas (7) gehört mit seinem innigen und schwärmerischen Ausdruck und seinem Rokokozierrat zum Besten in dieser Oper; von Piccinni50 ist der hübsche und der Situation durchaus entsprechende Einfall angeregt, Melodie und Begleitungsfiguren des Andantes mit verändertem Rhythmus im Allegro wiederkehren zu lassen. Das Finale (14) besteht aus drei Chorstrophen, zwischen denen kleine homophone Zwiegesänge eingelegt sind.

Die Ouvertüre unterscheidet sich von allen ihren Vorgängern sowohl durch ihre Tonart (C-Dur), als namentlich durch ihre einsätzige Form, die am Schlusse mit einer ganz neuen Melodie von prachtvoller Kantabilität in die erste Szene hinüberleitet. Das ist französischer Brauch, dem übrigens auch Gluck lange vor der »Alceste« gehuldigt hatte51. Der Satz, der sonst keine innere Beziehung zum Drama selbst hat52, ist einfach zweiteilig, ohne eigentliche Durchführung, ein freies, aber durch das Vorherrschen des durch alle Stimmen dahinwandernden Hauptthemas53 sehr einheitliches Spiel; das eigentliche Seitenthema wird im zweiten Teil zugunsten jenes neuen Gedankens unterdrückt.

Diesen Opern mag zum Schluß das 1771 entstandene Oratorium »La Betulia liberata«, Text von Metastasio (K.-V. 118, S. IV. 1 mit Spittas R.-B.), angereiht werden, da das neapolitanische Oratorium, dem es angehört, sich in seiner äußeren Form zwar nicht in allen, aber doch in den Hauptzügen mit der opera seria deckt.

Wie in der Oper, so haben auch im Oratorium54 die beiden Dichter Zeno und Metastasio reformierend eingegriffen. Hier wie dort galt es, den eingerissenen dichterischen Verfall zu steuern, denn auch das Oratorium, das sich von der Bibel weg mehr und mehr der Heiligengeschichte zugewandt hatte, war allmählich in den Strudel abenteuerlicher Sensationslust hineingezogen worden, der die Oper in der venezianischen Zeit zu einem Zerrbild des antiken Ideals gemacht hatte. Jetzt griffen jene Dichter wieder auf die Bibel, besonders auf das Alte Testament zurück – an das Neue traute man sich von jeher wegen der geheiligten Person Christi nicht recht heran – und[236] suchten das Oratorium auch sonst mit einem geläuterten, sittlichen und religiösen Gehalt zu erfüllen. An Händels gewaltige Art, ganze Völker zu Helden des Oratoriums zu machen, darf man dabei freilich nicht denken. Auch als Oratoriendichter sind jene Poeten die richtigen Rationalisten; sie dichten nicht aus innerem Erleben heraus, sondern ersinnen zuerst ihre neuen Gesetze und schaffen darnach dann ihre Werke. Der Belehrung und Erbauung hat sich das Dichterische schlankweg unterzuordnen, das zeigt sich bis in die uns manchmal seltsam anmutenden theologischen, philosophischen und moralischen Unterhaltungen hinein, die die Helden miteinander pflegen. Aber innerhalb dieser Grenzen haben Zeno und besonders der auch hier weit phantasievollere Metastasio doch Werke geschaffen, die ihren Ruhm bis weit ins 19. Jahrhundert hinein begreiflich erscheinen lassen. Ja, Metastasios Oratorien stehen in mancher Beziehung sogar über seinen Opern55. Der lehrhafte Zweck verträgt sich mit ihnen besser als mit jenen, dafür macht sich der heroische Kothurn der Helden weniger aufdringlich bemerkbar und vollends das Liebesintrigenspiel fällt ganz weg. So kommen die inneren Konflikte der Helden, so eng begrenzt auch hier ihr Kreis ist, mehr zu ihrem Recht. Der meisterhaft geführte Dialog und das glänzende sprachliche Gewand geben den Opern nichts nach, und besonderes Lob verdient bei Metastasio die Kunst, trotz der fehlenden szenischen Aktion die einzelnen Charaktere plastisch hervortreten zu lassen.

Am deutlichsten ist der lehrhafte Zweck in den Stücken, in denen der Kampf weltlicher und geistlicher Gewalt und der selbstverständliche Sieg der geistlichen geschildert wird; Mozarts »Davidde penitente« von 1785 gehört hierher. Eine zweite Klasse, darunter unsere »Betulia«, offenbart Gottes Macht und Stärke in den Heldentaten eines Weibes, das Seitenstück zu den beliebten Heroinenopern, und eine dritte, deren Hauptwerk Zenos »Tobia« ist, nimmt sich fast aus wie eine Vorwegnahme des späteren bürgerlichen Familien- und Rührstücks.

Im Gegensatz zur Oper hatte das neapolitanische Oratorium nur zwei Akte mit sechs bis sieben Arien; am Anfang oder Schluß jedes Aktes stand ein Chor, der gelegentlich auch an anderen Stellen eingefügt wurde. Neben dem Chore wurde jedoch, wiederum im Unterschied von der Oper ein besonderer Wert auf Ensembles, begleitete Rezitative und kunstvollere Führung des Orchesters gelegt. Im übrigen aber ist der Formenschatz des neapolitanischen Oratoriums derselbe wie in der opera seria: Secco und begleitetes Rezitativ und Da-capo-Arie56. Auch die verschiedenen Wandlungen des Geschmacks hat das Oratorium zwar mitgemacht, die auffälligsten Entgleisungen jedoch vermieden. War doch auch das Oratorium bestellte Arbeit, die mitunter in kurzer Frist erledigt werden mußte. Vor allem ist es aber den Gefahren des Gesangsvirtuosentums ebensowenig entgangen wie die Oper.[237]

Bald nach Scarlatti erreichte das neapolitanische Oratorium in L. Leo57 einen Höhepunkt, der von den Italienern im einzelnen wohl noch erreicht, aber im ganzen nicht mehr überboten wurde. In Deutschland war der Hauptvertreter der Gattung wiederum J.A. Hasse58, den sich nunmehr auch der junge Mozart an Stelle des alten Eberlin59 zum Vorbild nahm. Die Vorzüge der Hassischen Kunst60 sind den Oratorien kaum minder zu eigen als den Opern: Überwiegen des Gesanglichen, Klarheit und Durchsichtigkeit des Stils, aristokratische Zurückhaltung im Leidenschaftlichen und dabei doch ein sicherer dramatischer Blick, der an seinen Stoffen sofort das Wesentliche herausgreift und Nebensachen und Spielereien überhaupt nicht kennt.

Die Sage von Judith ist in der oft komponierten61 »Betulia liberata« in folgender Art behandelt. Die handelnden Personen (interlocutori) sind:


Ozia, principe di Betulia.

Giuditta, vedova di Manasse.

Amital, nobile donna Israelita.

Achior, principe degli Ammoniti.

Cabri, capi del popolo.

Carmi, capi del popolo.

Coro degli abitanti di Betulia.


Unter die verzweifelten Einwohner der von Holofernes aufs äußerste bedrängten Stadt Betulia tritt Judith und schilt ihren Kleinmut. Ihre Gleichnisarie (5) mag als Beispiel für den Stil dieser Poesie gelten:


Del pari infeconda

d'un fiume è la sponda,

se torbido eccede,

se manca d'umor.

Si acquista baldanza

per troppo speranza,

si perde la fede

per troppo rumor.


Sie verkündet, daß sie einen großen Entschluß gefaßt habe, den sie aber noch geheimhalten müsse, unterdessen sollten sich alle zum Gebet vereinigen. Nach der Episode des Heiden Achior, den Holofernes als Bewunderer der Macht Jehovahs in die Stadt geschickt hat, um ihn mit ihr zu verderben, verlangt Judith, festlich geschmückt, aus der Stadt gelassen zu werden; der Chor drückt (in der Ferne) sein Erstaunen darüber aus.

[238] Im zweiten Teil sucht Ozia dem Achior in einer gründlichen Disputation zu beweisen, daß es nur einen Gott gebe. Da kehrt, im Augenblick der höchsten Not, Judith mit dem abgeschlagenen Haupte des Holofernes zu rück und schildert ihre Tat; Achior erklärt sich nunmehr für bekehrt. Carmi berichtet, daß die Assyrer sich nach Holofernes' Tod auf der Flucht selbst aufgerieben hätten. Ein Dankeslied Judiths und des Chores macht den Beschluß.


Die erhaltene, 15 Nummern auf 382 Seiten enthaltene Originalpartitur62, zeigt Mozart in der ganzen Auffassung seines Stoffes, in manchen modulatorischen und melodischen Zügen63 und in der Benutzung einer gregorianischen Melodie im Schlußchor als Schüler Hasses64, andere Züge dagegen, wie die Arienform mit halbem da capo, die Themengegensätze, die ausschweifenden Koloraturen und die Orchesterbehandlung, stellen das Werk den Jugendopern unmittelbar an die Seite. Daß Mozart sich aber trotzdem in dem Oratorium höhere Ziele steckte als dort, beweist allein schon die Ouvertüre. Sie ist zwar ebenfalls dreisätzig, aber die Ecksätze sind thematisch verbunden, und in beiden kommt neben diesem Hauptgedanken kein anderer auf. Noch wichtiger aber ist die schicksalsschwere, fast trostlose Stimmung dieses Stückes, die auch im Mittelsatz nicht gemildert wird und sich im letzten in wildem Trotz entlädt. Auch die Tonart d-Moll tritt mit ihrer unheimlichen Feierlichkeit erstmals in Mozarts Kunst charakteristisch hervor. Sollte hier die Ouvertüre von Glucks »Alceste« Modell gestanden haben, die in derselben Tonart steht und auch mit ihrem Terzenmotiv der Mozartschen verwandt ist?

Auch die drei Chöre tragen Ausnahmecharakter. Der erste (4) besteht zwar nur aus drei knappen, refrainartigen Sätzen in Ozias Sologesang, auch sind sie ganz homophon gehalten, aber es steckt in diesen herben Klängen die ganze mühsam verhaltene Verzweiflung des Volkes, und sie drücken zugleich das Siegel unter die breite, hoffnungslose Klage des Solisten. Der ebenfalls homophone Schlußchor des ersten Teils (8) ist weit breiter angelegt. Das Staunen des Volkes über Judiths Unternehmen äußert sich in kurzen, meist deklamatorischen Phrasen, seine Erregung in einer Reihe leidenschaftlicher Orchesterfiguren; die ganze Szene ist mit den Augen des Dramatikers geschaut. Noch stärker tritt dies bei dem letzten Chor (15) zutage. Seinen Kern bildet ein Lobgesang des befreiten Volkes, dazwischen hinein singt Judith von dem Siege über die Feinde. Während sie nun aber ihrem Gefühle einen seltsam erregten, subjektiven Ausdruck gibt, bedient sich der Chor der alten geheiligten Sprache der Kirche mit der Melodie:
[239]

Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

Es ist der zweiteilige Tropus des neunten Kirchentones (tonus peregrinus) zum Psalm »In exitu Israel de Aegypto«, derselbe Cantus firmus, der im Requiem zu den Worten »Te decet hymnus« angewendet worden ist65. Viermal wird diese Melodie in immer neuem, wenn auch homophonem Satze, und namentlich mit stets anderer Orchesterbegleitung wiederholt, das vierte Mal, im zweiten Teil etwas verändert, sogar im Tenor. Das Vorbild dazu gab wohl wiederum Hasse, der im Pilgerchor seiner »Santa Elena« den Choral »O Lamm Gottes« verwendet66. Bedeutend vertieft wird die Wirkung dieser Weise aber durch den Gegensatz zu den Zwischengesängen Judiths. Hier strömt die subjektive Empfindung frei dahin, die Melodik neigt sich dem deklamatorischen Stil zu und ergeht sich meist in knappen Phrasen, kurz,[240] der Text ist es, der die Form bestimmt, deshalb tritt das Orchester auch auffallend zurück. So vereinigt Mozart schon in diesem Jugendwerk in ganz eigentümlicher Weise kirchliche Objektivität und subjektiven Gefühlsausdruck. Es sind die ersten Spuren des Geistes, der später das Requiem beherrscht und von der opernhaften Art derartiger Jubelchöre im damaligen Oratorium grell absticht. Freilich kommt auch diese in dem raschen Schlußsatze noch zu ihrem Rechte.

Auch dem Secco hat Mozart nach Hasses allerdings nicht voll erreichtem Vorbild wieder erhöhte Sorgfalt zugewandt, obwohl ihm der Dichter mitunter, wie bei Achiors Abriß der jüdischen Geschichte, keine leichten Aufgaben stellte. Sehr bezeichnend dafür ist der große Disput, den Ozia und Achior zu Beginn des zweiten Teils über Polytheismus und Monotheismus führen. Er vollzieht sich sehr lebendig und anschaulich in lauter kleinen, scharf zugespitzten Phrasen, hinter denen man fast die Gebärden der beiden zu sehen glaubt. Der eigentliche Höhepunkt der Diskussion67 wird durch einen lebhaften Baßgang eingeführt; ein dreimaliger Baßgang tritt ferner auf, wenn Achior erstmals schwankt, sich aber doch noch nicht für überwunden erklären kann, dabei ist auch die Sequenz68 in Achiors Deklamation von guter Wirkung. Auch im einzelnen weist die Deklamation manchen geistvollen Zug auf, wie z.B. Achiors »Io repugnanza alcuna nel numero non veggo«, vor allem aber ist der dozierende Ton Ozias gut getroffen69.

Die beiden begleiteten Rezitative der Judith sind motivisch einheitlicher als die der Opern, was wohl ebenfalls Hasse zu verdanken ist; sie lassen aber auch zugleich mit ihrem teilweise sehr zugespitzten persönlichen Gepräge Judith als eine Vorgängerin der Giunia im »Silla« erscheinen. Judiths langer Bericht über ihre Tat, eine der spannendsten Szenen Metastasios, hat bei Mozart ein Stück von ganz besonderer Art ins Leben gerufen. Statt des sonst bei ihm üblichen, bunten Motivwechsels erscheinen hier in der Hauptsache lange Streicherakkorde, meist in hoher Lage, die der Sprecherin etwas Entrücktes verleihen. Um so schlagender wirken die kleinen eingestreuten Motive, wie z.B. gleich am Anfang die herrische Frage des Holofernes, dann das unheimliche, katzenartige Aufstehen Judiths (vor »sorgo«) und das Zucken des Leichnams (»balzar mi sento«).

Von den Arien ist im Vergleich mit den Opern nur wenig zu sagen. Sie sind formal sorgfältiger und vor allem instrumental reicher und selbständiger[241] bedacht. Mit drei Ausnahmen (2, 12, 13) verlangen sämtliche Nummern mindestens zweierlei Bläser.

Die Arienmittelteile weisen nach wie vor ein ziemlich altmodisches Gepräge auf, dagegen tritt in den Hauptteilen wenigstens hie und da das Bestreben zutage, die in den Opern gewöhnlich noch rein musikalisch gedachten Themengegensätze70 poetischen Zwecken dienstbar zu machen. Man vergleiche dazu das merkwürdige Synkopenthema in Moll in Judiths Arie (7), das übrigens in Dur an der gleichen Stelle schon in ihrer ersten Arie (5) auftritt, ein Nachhall jener motivischen Einheitsbestrebungen, die wir schon in den Messen getroffen haben. Inhaltlich sind allerdings gerade diese beiden Arien der Hauptperson – es sind bezeichnenderweise Gleichnisarien – ziemlich frostig geraten, und nicht viel anders steht es mit denen des Ozia. Sobald jedoch der Boden des Moralisierens verlassen wird, in den Szenen, in denen die beiden zum Volke sprechen (4, 15), erhebt sich auch Mozarts Gestaltungskraft zu bedeutenderer Höhe. Wie eindringlich und wahr wirkt in Ozias Szene mit dem Volke (4) jedesmal der Choreinsatz, der mit wenig Takten dem Gesange des Solisten eine ganz ungeahnte Steigerung verleiht! Hier sowie in der bereits erwähnten Schlußszene hat Mozart die italienischen Vorbilder nicht allein erreicht, sondern um ein gutes Teil übertroffen. Auch der homophone und wesentlich deklamatorisch gehaltene Schlußchor des ersten Teils (8) ist ein höchst charaktervolles Stück, an dessen Wirkung namentlich auch das Orchester mit seiner herben, rhythmisch straffen Sprache beteiligt ist. Nicht allein das Staunen über Judiths Entschluß kommt darin zum Ausdruck, es ist als ob die Heldentat des Weibes auch in dem verzagten Volke Mut und Kraft aufs neue entzündete.

Von den Arien der Sekundarier ist die der Amital (13) wegen ihres Seitenthemas im Adagio und ihrer schönen, zerknirschten Coda mit Orgelpunkt bemerkenswert, dagegen schildert Achior, der Vertreter der im Oratorium zugelassenen Baßstimme71, den Unhold Holofernes in einer von jenen dem 18. Jahrhundert so geläufigen, polternden Baßarien (6), die mitunter bis an die Grenze des Humoristischen gehen; sogar Solotrompeten schreibt Mozart hier vor.

Es ist ein überaus buntes Bild, das diese dramatischen Versuche Mozarts aus seiner Italienerzeit vor unserem Auge entrollen. Biographisch sind sie von höchstem Werte. Sie legen ein weiteres glänzendes Zeugnis ab von der wunderbaren Fähigkeit des Knaben, sich neuen Stilarten sofort anzupassen. Man vergleiche nur einmal den »Mitridate« mit dem »Ascanio« und der »Betulia«:[242] sofort ist ihm klar, was die drei sonst so verwandten Gattungen der Oper, der Serenade und des Oratoriums stilistisch voneinander unterscheidet. Aber auch der Mensch und Künstler macht während dieser drei Jahre eine entscheidende Wandlung durch: der Knabe wird zum Manne, und nichts ist genußreicher und menschlich ergreifender, als die heiße Glut zu verfolgen, die von den Tagen der »Betulia« und des »Lucio Silla« an durch die Adern des Jünglings rinnt. Aber zugleich zeigen diese Jugendwerke auch die Grenzen, die dem jungen Genie trotz und zum Teil auch wegen seiner Frühreife gesteckt waren. Er war ein Kind des nordischen Barbarenlandes, in dem sich auch die Wunderkinder langsamer zu entwickeln pflegen als im Süden. Als Knabe war er der dramatischen Komposition überhaupt noch nicht gewachsen, als Künstler brachte er als einziges Besitztum zwar sein musikalisches Genie mit, aber auch dieses mußte sich erst von außen her aneignen, was den Italienern schon von Jugend auf im Blute saß. Dabei war ihm außerdem seine wesentlich instrumentale Vorbildung hinderlich; dem Opernkomponisten sieht der Sinfoniker beständig über die Schulter. Auch Mozart mußte die Erfahrung machen, daß sich ein Kunstwerk von der stilistischen Geschlossenheit der italienischen Oper nicht im Sturme erobern ließ. Wohl sprossen in seinen Werken einzelne Blüten aus dem Lande des Genius auf, die zu pflücken keinem einzigen Italiener gegeben war, aber an Stileinheit im Ganzen, besonders was die gesangliche Seite anlangt, bleiben sie doch erheblich hinter den italienischen Mustern zurück, deren Unarten sie obendrein, zum Teil noch in verstärktem Maße, fröhlich mitmachen. Noch waren eben Mozarts Lehrjahre nicht zu Ende, und wir dienen weder ihm noch uns selbst, wenn wir bereits diese Zeugnisse seiner Entwicklung mit dem Schimmer der Unsterblichkeit zu vergolden suchen.

Fußnoten

1 Früher war man allgemein geneigt, Mozart auch in der opera seria unbedingt die Palme vor den Italienern zuzuerkennen; auch O. Jahn vertritt noch diese Ansicht. Sie mußte fallen, sobald man die italienische Kunst, die man lange nur nach dem Hörensagen gelästert hatte, auch wirklich kennenzulernen begann. Für eine objektive Beurteilung der Mozartschen Opern hat Fr. Chrysander in einer Reihe von Aufsätzen über den »Mitridate« (AMZ 1881 und 1882) die Bahn gebrochen, ihm folgt H. Kretzschmar Ges. A. II 259 ff.


2 Vgl. Chrysander a.a.O. WSF I 341 ff. Von älteren Arbeiten vgl. L.v. Sonnleithner Caecilia XXIII 223 ff., XXIV 65 ff., XXV 65 ff. Ein Exemplar des Textbuches befindet sich auf der Berliner Bibliothek.


3 Das Quintett fehlt in der Abschrift des Pariser Konservatoriums, findet sich aber in der des Britischen Museums (Köchel AMZ 1864, S. 495). Eine im Textbuch angegebene Arie der Aspasia im dritten Akt fehlt ganz.


4 Nach dem Rev.-Bericht (S. 30) ist das Autograph durch Herrn Fr. Stage in Berlin zur Versteigerung gekommen; der Käufer ist nicht ermittelt worden. Dr. H. Watson in Manchester fand 1890 bei dem dortigen Buchhändler Cornish 9 Nummern des »Mitridate« im Original (Brief in der Musical Times vom 1. Juli 1890), unter denen sich auch die von Jahn angeführten Stücke befinden (s. folgende Anm.). Mit denselben zusammen fand er die Autographe der Klavierkonzerte in B und A (K.-V. 238, 488), die Stage und J.B. André in Berlin besessen hatten. Die von André verzeichneten Nummern gibt A. André in seinem handschriftlichen Verzeichnisse an (K.-V. 92). Diese Stücke waren also zusammen, und es waren also wohl nur die von Watson gefundenen Nummern Gegenstand der Versteigerung. Das vollständige Original des »Mitridate« muß nach wie vor als verschollen gelten (Deiters).


5 Es sind folgende: 1: Arie der Aspasia »Al destin, che la minaccia« in G-Dur, lang ausgeführt, mit vielen Passagen, ziemlich steif. 8: Arie der Ismene »In faccia all' oggetto«, in B-Dur 3/4, mit einem Mittelsatz in g-Moll 2/4 Allegretto; recht hübsch, ohne ausgezeichnet zu sein. 12: Arie des Sifare »Lungi da te, mio bene«, in D-Dur, Adagio, eine lange gehaltene, aber nicht frische Kantilene. Im Mittelsatz G-Dur 3/4 bricht sie ab. 17: Duett in Es-Dur, viel länger ausgeführt; Adagio und Allegro werden beide wiederholt. Das Duett ist reichlich mit Terzenpassagen ausgestattet, übrigens etwas steif. 19: Arie des Mitridate »Vado incontro al fato estremo«, in F-Dur. Der Ausdruck ist stolz und kräftig, die Harmonien sind ungewöhnlich kühn und frappant. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb der Sänger sie verschmäht hat; die Arie, die an ihre Stelle getreten ist, geht gerade in dieser Hinsicht über das Gewöhnliche nicht hinaus. Die Angaben Köchels (S. 92) nach Andrés Verzeichnis dürften sich doch wohl trotz einer Abweichung bei der letzten Nummer auf dieselbe Sache beziehen; wer den Irrtum begangen, konnte nicht festgestellt werden. Übrigens ist auch über den Verbleib der Autographe dieser Nummer nichts bekannt. Vgl. den Rev.-Bericht (Deiters).


6 Kretzschmar S. 263.


7 Vgl. WSF 346 f.


8 S.o.S. 83.


9 S.o.S. 149 f.


10 S.o.S. 210.


11 Auch die Anfangsphrase des Solos ist identisch mit den beiden Choranfängen.


12 Bachs Komposition nähert sich der Gluckschen auch musikalisch weit mehr, nur ist deren Strenge ins Weiche, Wehmütige gemildert.


13 Bach gliedert sein Duett genau wie Mozart. Sein Allegro beginnt:


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

Die Vermutung liegt nicht fern, daß hier der Meister durch den Schüler angeregt worden sein könnte. Im übrigen sei auf die Verwandtschaft des Bachschen Anfangs mit Blondchens Arie »Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln« hingewiesen.


14 S.o.S. 199. Vgl. bei Mozart Nr. 2, 12, 14. Nr. 1, 3 und 15, die WSF I 487 hierher rechnen, gehören anderen Formen an: Nr. 1 und 15 haben ein volles, wenn auch variiertes da capo, Nr. 3 ein um die Hälfte verkürztes.


15 Übergangsformen sind Nr. 2, wo der zweite Teil Anklänge an den ersten und am Schluß das Anfangsritornell bringt, und ähnlich Nr. 13.


16 In Piccinnis »Ciro« (I 4) geht das analoge Motiv durch:


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

Man beachte dabei auch die gleichartige Dynamik.


17 In Bachs Andantesatz kommt diese Empfindung besser zum Ausdruck.


18 Bezeichnend ist auch hier die sorgfältiger als je angegebene Dynamik mit ihrem plötzlichen Wechsel von p und f, ihren häufigen Sforzati und Crescendi.


19 Bemerkenswert ist, daß drei Arien (1, 2, 5) dasselbe, von Paisiello beeinflußte (s.u.) Seitenthema in verschiedener Gestalt bringen:


Mozarts Jugendopern. Das Oratorium La Betulia liberata

Der Typus kehrt bekanntlich bei Mozart immer wieder.


20 Das Bachsche Werk ist zugleich eine ergötzliche Parodie auf die ganze zopfige Gattung.


21 Marpurg, Histor. -krit. Beiträge III 1757, S. 44 f.


22 Opere di Gius. Parini pubblicate ed illustrate da Franc. Reina. Mail. 1802. Vol. IV.


23 Die drei Hauptpersonen waren auch 1763 in Bologna in Glucks »Trionfo di Clelia« zusammen aufgetreten (Dittersdorf, Selbstbiogr. S. 88 f.).


24 Mar. Ant. Girelli-Aguilar hatte 1769 in Parma die Euridice in Glucks »Orfeo« gesungen, Gius. Tibaldi, der damals schon ziemlich bejahrt war, war der erste Darsteller des Admet in Glucks »Alceste« (1767) gewesen.


25 Björnstahl, Briefe II, S. 296. Teutsch. Merc. 1789 III, S. 299 f


26 Erinnerungen an Meyer I 77.


27 »Der Erzherzog und seine Frau befinden sich wohl und sehr vergnügt«, schreibt L. Mozart (B III 119), »welches Sr. Maj. der Kayserin eine sonderbare Freude seyn wird, weil man besorget war, daß er an seiner Braut wenig Vergnügen haben werde, indem sie nicht schön ist; sie ist aber ungemein freundlich, angenehm und tugendhaft, folglich von jedermann geliebt und hat den Erzherzog sehr eingenommen, denn sie hat das beste Herz und die angenehmste Art von der Welt«.


28 Gerade die Ballette dirigierte der Dirigent damals häufig aus der Baßstimme. Meist stammten sie gar nicht vom Komponisten der Oper selbst, sondern von Leuten zweiten Ranges. Deshalb hebt L. Mozart (B III 109) ausdrücklich hervor, daß Wolfgang auch das Ballett komponieren müsse. Das Salzburger Mozarteum enthält die Skizze zu einer Komposition des Noverreschen Balletts »Le gelosie del seraglio« (Les jalousies [ou les fêtes] du sérail, Lettres sur la danse p. 419 ff., aufgeführt in Lyon 1758, vgl. H. Niedecken, J.G. Noverre 1914, S. 21). Die Skizze umfaßt 32 Nummern und ist in den ersten beiden auf zwei, in den folgenden auf einem System notiert. Neben verschiedenen Angaben über die Verwendung von Bläsern enthält sie die Namen der Ausführenden (Casacci [Cassani], Salomoni, Pick, La Binetti, La Morelli) sowie am Anfang einige unverständliche Worte (Revmatismo, Otiulla (?), Allcinao (?)). Man hat bisher allgemein die Ansicht vertreten, das Ballett sei für den Zwischenakt des »Ascanio« bestimmt gewesen. Tatsächlich weist die Schrift auf die Zeit um 1771 hin, auch erwähnt L. Mozart am 13. September 1771 (B III 110) wenigstens zwei von den genannten Tänzern, Mr. Pick (= Le Picq) und Mad. Binetti. Er spricht aber auch am 21. September (B III 111) vonzwei großen Balletten, nach dem ersten und zweiten Akt, von denen jedes drei Viertelstunden dauern werde. Das Ballett nach dem ersten Akt kennen wir aus der Berliner Baßstimme; es scheint demnach, daß die »Gelosie« ursprünglich für den Schluß der Serenata bestimmt, aber nachher aus irgendwelchem Grunde, vielleicht wegen allzugroßer Länge, wieder abgelehnt wurden. Wir finden hier Mozart erstmals mit einem der beliebten Türkenstoffe beschäftigt, und er hat sich auch sichtlich um das exotische Lokalkolorit bemüht. In Nr. 7 erscheint, zunächst in A-Dur, ein Thema, das Mozart später, gleichfalls in der Absicht einer fremdländischen Färbung, dem Schlußsatz seines Violinkonzerts in A-Dur (K.-V. 219) wieder eingefügt hat; in a-Moll taucht es in unserem Ballett als Hauptgedanke des Finales auf. Im allgemeinen hält sich Mozart sichtlich an das Vorbild der dramatischen Ballette der Deller, Rudolph, Starzer u.a. (vgl. DT XLIII/XLIV): die Grundlage ist französisch, daneben klingt aber die österreichische, böhmische und ungarische Volksmusik an. Nur die großen, freien Szenen Dellers und Rudolphs fehlen. Vgl. Niedecken S. 54 f.


29 DTB XIV 2 (H. Abert).


30 Vgl. die Sinfonie zu Jommellis »Fetonte« DT XXXII-XXXIII (H. Abert).


31 B III 110. André vermutet wohl mit Recht, daß ein einzelner Schlußsatz einer Sinfonie (K.-V. 120, S. XXIV. 9), der dem Papier und der Schrift nach zur Partitur des »Ascanio« paßt, bestimmt war, der Sinfonie zum Abschluß zu dienen, wenn sie selbständig aufgeführt werden sollte. Vgl. WSF I 402 f.


32 Seine »Cinesi« (1754), »Innocenza giustificata« (1755) und »Tetide« (1760) haben ebenfalls größere Chöre. – Auch die beiden Festspiele von Hasse, »Egeria« (Wien 1764) und »Partenope« (Wien 1767; s.o.S. 95) sind reich an Chören wie an begleiteten Rezitativen, die »Partenope« dazu auch an Tänzen.


33 In einzelnen Arien (16, 22) weist der erste Teil zwei verschiedene Abschnitte und der Mittelteil außerdem noch Takt- und Tempowechsel auf.


34 Das Instrument war in den damaligen italienischen Orchestern noch mehrfach vertreten, vgl. den »Alessandro« G. Sartis o.S. 211.


35 Nr. 4 hat die selten vorkommende Tempovorschrift Allegrino.


36 Vgl. DT XLIII, S. 61, 122, 151.


37 Die Grundlage bildet Ciceros »Somnium Scipionis«, das selbst im einzelnen nachgebildet ist; damit hat Metastasio die Fiktion des Silius Italicus verbunden, der im fünfzehnten Buche seiner »Punica« dem Scipio die Virtus und Voluptas erscheinen und ihn zwischen männlicher Tapferkeit und sinnlichem Wohlleben wählen läßt, nur daß den Umständen gemäß bei Metastasio Costanza und Fortuna auftreten.


38 G.A. Moreschi, Riflessioni intorno le feste ed azioni tetrali (vor Metastasio opp. XII, p. IV).


39 Opp. post. I 301.


40 Auch diese Sinfonie ist durch Hinzufügung eines Schlußsatzes (K.-V. 163, S. XXXIV 10) für die selbständige Aufführung vervollständigt (K.-V. 161).


41 WSF II 340 setzen sie ins Jahr 1776.


42 Metastasio führt Justin (XI 10) und Curtius (IV 3 f.) an, die erzählen, daß Alexander in Sidon einen entfernten Sproß des Königshauses, Abdalonymus, der in Armut als Gärtner lebte, auf den Thron gesetzt habe, dessen er durch schöne Gestalt und edlen Sinn würdig gewesen sei.


43 Charakteristisch ist die Sorgfalt, mit welcher Metastasio diesen übelklingenden Namen (»un nome ipocondriaco«) vermied. Vgl. opp. post. II 12, 35.


44 Metastasio opp. post. II 31 ff. Grimm, Corr. litt. VI 17 f. Der Dichter selbst empfahl sie Farinelli als passende Festoper (a.a.O.); tatsächlich ist sie sehr oft komponiert worden, z.B. von Sarti (Venedig 1753), Hasse (Hubertusburg 1755), Gluck (Wien 1756), G. Zonca (München 1760), Jommelli (Stuttgart 1764), Piccinni (Neapel 1765), Guglielmi (Venedig 1767), Galuppi (Venedig 1769).


45 Diese Veränderung hatte Metastasio selbst Farinelli angeraten (opp. post. II 31).


46 Auf die Berufung des Sängers Consoli und des Flötisten Becke zu der Aufführung bezieht sich folgende Bemerkung in der General-Einnehmeramts-Rechnung vom 15. Mai: »dem Leop. Mozart hochf. Kapellmeister für die zwei von München anhero verschriebenen Virtuosen von dem Sternbräu abgegebenen Speisen, Trank und anderes 98 fl. 47 xr.« Pirckmayer, Mitt. der Ges. f. Salzb. Landesk. XVI 1, S. 138 (Deiters).


47 Etwas Neues, nicht für die Italiener, aber für Mozart, ist das kleine vierstimmige Sätzchen II 13.


48 Joh. Bapt. Becke (geb. 1743), der sich nach seinen Studenten- und Soldatenjahren unter Wendling zu einem ausgezeichneten Flötisten ausgebildet hatte, war von München zu den Aufführungen berufen worden.


49 Vgl. WSF II 225 f., wo auch auf die Verwandtschaft der dritten Arie mit dem ersten Satz des Violinkonzerts in G-Dur (K.-V. 216) vom 12. September desselben Jahres hingewiesen wird.


50 S.o.S. 209.


51 Erstmals in der »Contesa de' Numi« von 1749, dann ebenfalls im »Re pastore« von 1756.


52 Auch ihn hat Mozart später unter Hinzunahme des ersten Ariensatzes und eines Finales zur italienischen Sinfonie ergänzt.


53 WSF II 228 weisen auf seine Verwandtschaft mit dem Allegrothema der Ouvertüre von »Cosi fan tutte« hin.


54 Da das Oratorium in Mozarts Schaffen nur eine bescheidene Rolle spielt, verzichtet der Verfasser auf einen geschichtlichen Überblick (der von Jahn, den auch noch Deiters übernommen hat, ist längst überholt) und begnügt sich mit dem Hinweis auf das genannte, grundlegende Werk von A. Schering, Geschichte des Oratoriums 1911. Vgl. auch G. Pasquetti, L'oratorio musicale in Italia 1906. D. Alaleona, Studj sulla storia dell' oratorio musicale in Italia 1908. H. Kretzschmar, Führer II 23. 1915.


55 Metastasio selbst nennt sie auch nicht Tragödien, sondern weit bescheidener »componimenti sacri«.


56 Scheibe, Krit. Musikus 22, S. 216.


57 S.o.S. 190.


58 Über ihn vgl. L. Kamienski, Die Oratorien von J.A. Hasse 1912. Neudruck der »Conversione di Sant' Agostino« DT XX (Schering).


59 S.o.S. 82 f.


60 S.o.S. 190.


61 Zuerst in Wien von G. Reutter d.J. (1734), dann von Jommelli (1743), Holzbauer (1752), Cafaro, Bernasconi (1754), Gaßmann (1771), Salieri (1821 umgearbeitet), Sales (1783), Schuster (1774), Seydelmann (1774), Naumann (etwa 1780), Schuback (?).


62 André gab Jahn handschriftlich an, zufolge einem Jahn unbekannt gebliebenen Textbuch sei dies Oratorium in den Fasten 1786 – nicht in Wien, wie Sonnleithner Jahn mitteilte – aufgeführt, und Mozart scheine noch einen Einleitungschor »Qual fiero caso« und ein Quintett »Te solo adoro« komponiert zu haben, die er in Berlin vermutete, wo sie aber nicht aufgefunden wurden (B II 260).


63 Dazu gehört auch die Vorliebe für ganghafte oder in gestoßenen Achteln die Harmonie angebenden Bässe, die hier weit häufiger sind als in den Opern.


64 Schering S. 238 f.


65 Er liegt auch dem alten Choral »Mein Seel erhebt den Herrn« zugrunde. An derselben Stelle wie im Mozartschen erscheint die Weise auch in M. Haydns B-Dur- und neuerdings in F. Kiels As-Dur-Requiem.


66 Vgl. Hiller, Wöchentl. Nachr. I 326 ff., 343 ff., 353 ff. Schering S. 220. Kamienski S. 181 ff.


67 Bei Ozias Frage: »credi, Achior, che possa cosa alcuna prodursi senza la sua cagion?«


68 Dieses Mittel, dessen sich Gluck nach Hasses Muster schon in den Opern vor dem »Orfeo« mit so großem Erfolge bedient, wendet Mozart bezeichnenderweise sehr selten an. Gluck faßt mit diesen Sequenzen, die sich meist auf chromatisch fortschreitenden Bässen aufbauen, oft einen ganzen Gedankenkomplex steigernd zusammen, Mozart hält sich in seinen Seccos mehr an einzelne Worte und Begriffe. Auch Glucks feine Abstufung der Kadenzen (Voll-, Terz-und phrygische Kadenz) fehlt bei ihm. S.R. Meyer im Gluckjahrb. IV, 1 ff.


69 Um so mehr befremdet der weiche, fast tändelnde Modeton der Arie, die gar nichts Glaubensfestes enthält, ein Beweis für die Oberflächlichkeit, mit der man damals derartige Aufgaben zu lösen suchte.


70 S.o.S. 203. Vgl. besonders Amitals Arie (10), wo das anmutig flatternde Seitenthema zu dem Bilde des Seesturms gar keine Beziehung hat, sondern lediglich dem musikalischen Gegensatze dient.


71 Mattheson, Critica Musica I, S. 110 f.: »Daß die tiefen Singbässe einer Harmonie viele Majestät, viele Harmonie und force geben, ist unstreitig; ob aber allemahl etwas agreables, und nicht vielmehr sehr oft was rudes und entsetzliches dabei vermacht sey, will ich dem Zuhörer überlassen.« Man vergleiche Gestalten wie Händels Polyphem und Bachs Äolus.


Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956, S. 243.
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