Bis zur Finta Giardiniera

(März 1773 bis Januar 1775)

[294] Aus der Zeit von der Rückkehr aus Italien bis zur Abreise nach Wien im Juli 1773 fehlen die biographischen Einzelheiten fast ganz. Wir wissen nur, daß Mozart im Mai 1773 eine Sinfonie (K.-V. 181, S. VIII. 23) und ein Concertone für zwei Violinen (K.-V. 190, S. XII. 9) und im Juni eine Messe (K.-V. 167, S.I. 5) komponiert hat. Indessen ist es sehr wahrscheinlich, daß in dieser Zeit die Serien der sechs Quartette und Violinsonaten abgeschlossen und auch für Mailand noch einige dort bestellte Kompositionen, wie das zweite Klarinettendivertimento, fertiggestellt wurden. Der wichtigste neue Eindruck aber war ohne Zweifel die durch den Regierungsantritt des neuen Erzbischofs geschaffene, vollständig veränderte Lage der Dinge überhaupt.

Das Verhältnis der beiden Mozarts zum Erzbischof Sigismund war leidlich gewesen, wiewohl er mit der wiederholten längeren Abwesenheit Leopolds und mit dessen Urlaubsüberschreitungen keineswegs einverstanden gewesen war1. Wolfgang hatte zwar 1769 eine Anstellung und den Titel Konzertmeister erhalten (S. 145 f.), aber keinen Gehalt, und auch nach der Aufführung des »Ascanio in Alba« fand L. Mozart es sehr zweifelhaft, ob der Erzbischof seines Sohnes gedenken würde, wenn je eine Besoldung erledigt werden sollte2. Doch gewährte ihm dann 1772 Erzbischof Hieronymus einen Gehalt von 150 Gulden jährlich3. Er bezog ihn noch im Jahre 1777, so daß des Erzbischofs eigene Schwester, die Gräfin Schönborn, »absolument nicht glauben wollte, daß er monatlich 12 fl. 30 kr. seligen Angedenkens gehabt habe«4.

Erzbischof Hieronymus hat in der Mozartbiographie lange Zeit, auch noch bei Jahn, eine ähnliche Rolle gespielt wie Herzog Karl Eugen in der Schillerbiographie: er galt als der ungerechte Unterdrücker des schuldlosen Genies, und man glaubte mit diesem Urteil um so mehr im Rechte zu sein, als beide Mozarts von seinem Charakter ein höchst ungünstiges Bild in ihren Briefen entwerfen. Nur vergaß man dabei, daß ihr Urteil, namentlich was den ewig mißtrauischen Leopold anbetrifft, durchaus nicht unparteiisch[295] war und meist deutlich den Stempel persönlicher Mißstimmung verrät5. Wohl war der neue Herr den Salzburgern von Anfang an nicht genehm gewesen, seine Wahl war gegen ihren Wunsch erfolgt, und sie ließen ihn bei seinem Regierungsantritt ihre Abneigung auch deutlich genug fühlen6. Aber auch bei ihnen kam dieses Gefühl nicht aus ganz reinem Herzen, denn es zeigte sich sehr bald, daß der neue Fürst mit so manchem, dem leichtlebigen Volke liebgewordenen Schlendrian seines Vorgängers kräftig aufräumte. Er war ein gescheiter, klarer Kopf, der Aufklärung sehr stark zugeneigt, vielseitig gebildet und außerdem zäh und energisch genug, um das von ihm als richtig Erkannte auch durchzusetzen. Dabei besaß er eine ungewöhnliche Menschenkenntnis, die sich weder von Schmeichelei noch von Heuchelei irreführen ließ. Den Salzburgern begegnete er von Anfang an sehr bestimmt, gelegentlich auch kalt und rücksichtslos7, aber wohl kaum um sich für seinen frostigen Empfang zu rächen, sondern in der Überzeugung, auf diese Weise seine Pläne am raschesten und sichersten durchzusetzen. Seine Beamten und Räte, überhaupt alle seine Untergebenen hielt sein kurz angebundenes Wesen, das mit Lob und Anerkennung äußerst sparsam war, beständig in scheuem Respekt; was nicht von höherem Adel war, wurde mit dem üblichen gebieterischen »Er« kurz abgefertigt8. Das alles war freilich für viele eine harte Pille, denen der alte, friedfertige Erzbischof so manches durch die Finger gesehen hatte, aber dem Lande brachte die neue Regierung doch eine ganze Reihe wichtiger Reformen, unter denen die Ordnung des arg zerrütteten Finanzwesens obenan steht. Gewiß teilte auch Hieronymus die Anschauung des damaligen aufgeklärten Despotismus, daß sich das Leben jedes Untergebenen unbedingt nach der Meinung des Fürsten zu richten und daß der Untertan in ihm unter allen Umständen seinen Wohltäter zu erblicken habe. Aber diesem Satze hatten sich damals alle Künstler zu beugen, die in fürstlichen Diensten standen, und die meisten haben sich dabei auch wohl befunden. Wenn es im Falle Mozart anders kam, so lag die Schuld mindestens ebensosehr an den Bediensteten wie an dem Herrn. Zunächst steckte in L. Mozart selbst ein kleiner Despot, der seine Selbständigkeit ungern einem fremden Willen opferte, auch fühlte er bald, daß seine gewohnten, anderen hochmögenden Herrn gegenüber mit Erfolg angewandten diplomatischen Künste bei diesem Fürsten nicht verfingen. Der alte Erzbischof hatte ihn[296] bei der Verfolgung seines Lebenszieles, dem Sohne draußen in der Welt zu Ruhm und Ansehen zu verhelfen, stillschweigend gewähren lassen, der neue dagegen verlangte vor allem strengste Erfüllung seines Dienstes und hatte den von seinem Standpunkt aus gewiß richtigen Grundsatz, daß seine Kapelle in erster Linie für seinen Hof und nicht für fremde Höfe da sei. Ohne Zweifel zählte er Leopold von Anfang an zu denen seiner Beamten, denen er die Zügel straffer anziehen müsse, und versetzte ihn so in einen Zwiespalt der Pflichten, der gerade diese schwerblütige Natur besonders hart treffen mußte. Auch persönlich scheint zwischen beiden eine ziemliche Abneigung geherrscht zu haben; dem Fürsten mit dem strengen Zug um den Mund und dem scharfen Blick der grauen Augen, von denen das linke selten ganz geöffnet war9, flößte sein eigenwilliger Vizekapellmeister, der, wenn es um seinen Sohn ging, zu allem fähig schien, von Anfang an starkes Mißtrauen ein, und dieser wiederum machte, wie wir schon sahen und weiterhin sehen werden, auf allerhand Umwegen unablässige Versuche, den Sohn aus der Salzburger Enge loszulösen.

Auch Wolfgang gegenüber verhielt sich Hieronymus von Anfang an kritisch, wohl weniger weil GrafFerdinand von Zeill, später Bischof von Chiemsee, dessen edelmütigem Zurücktreten jener seine Wahl verdankte10, sein besonderer Gönner war, als weil ihm der Übermut und die scharfe Salzburger Zunge des Knaben einer strengen Zucht besonders bedürftig schienen. Trotzdem ist ihm sein ungewöhnliches Talent nicht verborgen geblieben, und er hat Wert darauf gelegt, ihn in seinen Diensten zu behalten. Daß er ihn deshalb besonders geringschätzig behandelt hätte, um ihm keinen höheren Gehalt zahlen zu müssen11, ist trotz seiner Sparsamkeit wenig glaubhaft. Er war es, der dem Sechzehnjährigen 150 Gulden aussetzte, und auch sein späteres Gehalt von 450 Gulden bedeutete den übrigen Musikern gegenüber eher eine Bevorzugung als eine Zurücksetzung12. Die Italiener bekamen allerdings bedeutend mehr, aber das war nicht Salzburger Willkür, sondern damals an allen deutschen Fürstenhöfen der Brauch. Auch kann im Hinblick auf die Liste der Kapellmitglieder13 keineswegs von einer besonderen Bevorzugung der »Welschen« gesprochen werden: der Kapellmeister Fischietti, Lollis Nachfolger, der Violinist Brunetii, der Cellist Ferrari, der Oboist Ferlendi und der Kastrat Ceccarelli – das waren alle Italiener, die sich in Hieronymus' Kapelle befanden. Gewiß hatte auch er, wie die meisten damaligen Fürsten, eine Vorliebe für die Italiener, obwohl er gelegentlich auch sie hart anließ14, und an Ungebührlichkeit dieser Fremden und Reibereien[297] mit den Deutschen hat es in Salzburg so wenig gefehlt wie anderswo15. Wir wissen aber auch von der Stuttgarter Reise her16, daß gerade L. Mozart bei allen wirklichen oder vermeintlichen Kränkungen stets italienische Ränke witterte, auch wo gar kein Grund dazu vorlag; dieses Mißtrauen gegen die Italiener hat er mit Erfolg auch dem Sohne eingeimpft. An offiziellen Aufträgen für Wolfgang ließ es der Erzbischof nicht fehlen, wenn auch von einer besonderen Bezahlung dafür allerdings nicht die Rede ist; verpflichtet war er dazu aber natürlich nicht, wie er denn mit derartigen besonderen Huldbeweisen auch andern gegenüber sehr sparsam war. Sein Verhalten Mozarts Kunst gegenüber war außerdem stark von seinen persönlichen musikalischen Anschauungen beeinflußt. Man wird diese doch höher einschätzen müssen als bisher, mindestens was die Kirchenmusik betrifft. Dafür spricht allein schon sein Verbot der üblichen trockenen Fugenarbeit in den Messen (S. 253) und seine Ersetzung der gespielten Gradualien durch gesungene (S. 264). Auch ist er, wie sein Hirtenbrief von 1782 zeigt, für deutsche Lieder im Gottesdienst warm eingetreten. In der weltlichen Musik scheint sein Geschmack allerdings vorwiegend italienisch gewesen zu sein, und demgemäß hatte er an Wolfgangs Leistungen allerhand auszusetzen17. Dabei ließ er einmal das uns von L. Mozart berichtete18, kränkende Wort fallen, Wolfgang verstehe überhaupt nichts und müsse erst ein Konservatorium in Neapel besuchen, um die Musik zu studieren. Es stammt freilich aus der Zeit unmittelbar nach dem Bruche und beweist nur, welchen Grad die Gereiztheit auf beiden Seiten erreicht hatte. Beim Erzbischof hielt sie indessen nicht lange vor: das reife Künstlertum Mozarts hat er später neidlos und ohne jeden Groll anerkannt. Nicht bloße Tyrannenwillkür des Fürsten war es also, die zum schließlichen Bruch führte, sondern die Verschiedenheit der Charaktere und Anschauungen.

Für Hieronymus, den überzeugten Anhänger der Aufklärung, hatte die Musik lediglich den Zweck, dem materiellen Nutzen der Menschheit zu dienen; er war auch hier für Reinlichkeit und Korrektheit und haßte alles Irrationelle, das sich der Kontrolle des Verstandes entzog. Nun gingen aber in der Seele des jungen Meisters, wie wir sahen, um 1773 Dinge vor, die mit dieser wohlgeregelten Ordnung unvereinbar waren, es ließ sich eine Persönlichkeit vernehmen, die dem Kirchenfürsten nicht bloß unheimlich,[298] sondern geradezu gefährlich erscheinen mußte. Lange Zeit wurde der Bruch hintangehalten, vor allem dadurch, daß der Künstler seinen Dämon zügelte und sich dem Geschmacke seines Herrn wieder mehr anbequemte. Aber der Gegensatz dauerte im Geheimen fort. Es war der erste folgenschwere Konflikt Mozarts mit der gesamten, vom Adel vertretenen älteren Kunstauffassung, in der auch sein Vater noch durchaus befangen war, und er mußte schließlich bei der unbeugsamen Ehrlichkeit beider Parteien damit enden, daß der Künstler sich entschloß, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, und ohne höheren Schutz, aber als sein eigener Herr seiner Wege zog.

Als der Erzbischof im Sommer 1773 nach Wien reiste, beschloß Leopold, mit seinem Sohne ein Gleiches zu tun. Zunächst war nur ein kurzer Aufenthalt geplant, da jedoch der Erzbischof noch nicht gleich nach Salzburg zurückkehrte, gestattete er ihnen gleichfalls, länger auszubleiben. Daß der Zweck dieser Reise war, Wolfgang irgendwie in Wien unterzubringen, ist so gut wie sicher; bereits munkelte man in Salzburg, L. Mozart rechne für seinen Sohn auf das Ableben des damals erkrankten Kapellmeisters Gaßmann. Natürlich weist er einen derartigen Verdacht mit Entrüstung zurück19, daneben enthalten seine Briefe jedoch verschiedene geheimnisvolle Anspielungen, die deutlich allerhand Nebenabsichten verraten. Erfüllt hat sich allerdings keiner dieser Wünsche. Die Hofkapellmeisterstelle Gaßmanns, der 1774 wirklich starb, erhielt der bisherige Hofkompositeur Bonno20, und auch sonst fand Wolfgang verschlossene Türen. Selbst bei Hofe hatte er diesmal kein Glück. Zwar war der Empfang bei der Kaiserin sehr huldvoll, der Kaiser aber kam erst im September aus Polen zurück und scheint die Mozarts gar nicht empfangen zu haben.

Der Verkehr mit den alten Bekannten Laugier, Martinez, Noverre, Bonno, Dr. Auenbrugger mit seinen beiden musikalischen Töchtern21, dem EhepaarStephanie u.a. war somit nur ein schwacher Trost. Besonders herzlich war die Aufnahme in dem befreundeten Mesmerschen Hause auf der Landstraße, wo noch immer eifrig musiziert wurde. Mesmer selbst hatte von Miß Davies22 die Glasharmonika spielen gelernt, und auch Mozart hat sich damals auf diesem Instrument versucht. Der Vater wünschte lebhaft, selbst eines zu besitzen23. Auch bei dem jungen Mesmer, der Schuldirektor geworden war, mußten sie dessen achtjährigen Hochzeitstag »hinausfressen«.

Das große Ereignis, das sie in Wien erlebten, war die Aufhebung des Jesuitenordens. L. Mozart, der mit lebhaftem Interesse die Auswanderung der Jesuiten verfolgt, meinte, viele gute Christen seien der Ansicht, daß der Papst außer in Glaubenssachen nichts zu befehlen habe, und daß man[299] die Jesuiten in guter Ruhe gelassen hätte, wenn sie so arm wären wie die Kapuziner. In Rom habe man ihre Güter »ad pias causas« eingezogen, was sehr leicht sei, da das, was der Papst nehme, »ad pias causas« verwandt sei; der Kaiser habe auch das Breve so nicht angenommen, sondern sich Freiheit in der Verwendung des Jesuitenvermögens vorbehalten. Er meint auch, die Millionen, die man von den Jesuiten erhalte, würden den Appetit erwecken, noch ein paar andere Religionseinkünfte zu Leibe zu nehmen24.

Ein trauriges Erlebnis war es für sie, als ein befreundeter Arzt aus Salzburg, Dr. Niderl, nach Wien kam, um sich am Stein operieren zu lassen und infolge der Operation starb.

Wolfgang hatte sich Arbeit mitgenommen. Für ein Fest in der Andretterschen Familie hatte er übernommen, eine große Serenade, eine »Finalmusik«, zu schreiben, die von Wien aus übersandt und unter Meißners Leitung Anfang August in Salzburg aufgeführt wurde (K.-V. 185, S. IX. 5). Sodann machte er sich daran, sechs Quartette (K.-V. 168–173, S. XIV. 8–13) zu schreiben, ungewiß, ob auf Bestellung25; auch fällt in diesen Herbst die erste Bearbeitung der beiden ersten Chöre zu König Thamos26. Bei den Jesuiten am Hof wurde noch in der Oktav des Ignatiustages (7. August) die P.-Dominikus-Messe (s.o.S. 136 ff.) unter L. Mozarts Direktion mit erstaunlichem Beifall aufgeführt. Die Theatiner luden sie zum Fest des heil. Cajetan zum Amt und zum Speisen ein, und weil die Orgel nichts nutz war, ein Konzert zu spielen, so entlehnte Wolfgang von seinem jungen Freund Teyber, dem Bruder der Sängerin Therese, eine Violine und ein Konzert und hatte die Keckheit, es auf der Violine vorzutragen. Es machte solchen Eindruck, daß im Jahre 1781 ein Laienbruder, dem Wolfgang sagte, er habe vor acht Jahren auf dem Chor ein Violinkonzert gespielt, ihn auf der Stelle mit Namen anredete27.

Gelegenheit zu Geldeinnahmen bot sich nicht, und L. Mozart schrieb, je fetter sein Leib, um so magerer werde sein Geldbeutel; als er meldete, daß er Geld habe aufnehmen müssen, tröstete er seine Frau damit, das bedeute nur, daß er Geld nötig brauche und keinen Doktor. Übrigens habe er seine Gründe, weshalb er sich in Wien aufhalten müsse – »die Sache wird und muß sich ändern, seid getrost, Gott wird helfen«!28

Indessen blieben alle seine Bemühungen, den Sohn von dem Salzburger »Frondienst« zu befreien, vorerst ohne jedes Ergebnis. Anfang Oktober trafen sie wieder in Salzburg ein. Trotzdem nahm Wolfgang aus Wien reiche künstlerische Eindrücke mit, deren Widerhall wir nach seiner gewohnten Art in seinen Werken wiederfinden. Vor allem kam er damals wieder mit der Oper in Berührung. Der Kampf zwischen der Partei Glucks und der Metastasios und Hasses hatte sich seit Mozarts letztem Besuch in Wien bedeutend verschärft; 1770 war Glucks drittes Reformwerk,[300] »Paride ed Elena«, wiederum von einem geharnischten Vorwort begleitet, in Szene gegangen, die »Iphigénie en Aulide« war bereits im Entstehen29. Aber auch die älteren Meister, namentlich Hasse undTraëtta, waren noch in frischer Erinnerung. Daneben blühte die opera buffa, und zwar sowohl in ihrer ursprünglichen Gestalt in Werken von Galuppi, Piccinni, Anfossi u.a., als auch in jener dem Wiener Wesen angenäherten Form, deren Hauptvertreter Gaßmann war30. Von jüngeren Talenten war soeben Ant. Salieri mit Erfolg hervorgetreten. Auch die Instrumentalmusik hatte einen glänzenden Aufschwung genommen. Neben den Älteren, wie Wagenseil, Starzer, Vanhall und Gaßmann, übernahm mehr und mehrJos. Haydn die Führung. Auch in der Kirchenmusik gab es die mannigfaltigsten Anregungen, denn neben den modernsten Meistern kam auch noch der alte, »wahre« Kirchenstil zu Gehör31.

Sicher datiert sind aus der folgenden Salzburger Zeit: zwei Messen in F- und D-Dur (K.-V. 192, 194, S.I. 6, 7), eine Marienlitanei (K.-V. 195, S. II. 3), zwei Psalmen zu einer Vesper (K.-V. 193, S. II. 5), eine D-Dur-Sinfonie (K.-V. 202, S. VIII. 30), ein Klavierkonzert in D-Dur (K.-V. 175, S. XVI. 5) und die Neubearbeitung eines wohl schon vor der Wiener Reise begonnenen Quintetts für Saiteninstrumente (K.-V. 174, S. XIII. 1). Eine ganze Reihe weiterer Orchesterwerke gehört ebenfalls in diese Zeit und ist nur deshalb im einzelnen schwierig zu bestimmen, weil das ursprünglich vorhandene Datum später von müßiger Hand mehr oder weniger unkenntlich gemacht wurde. Es sind verschiedene Sinfonien (K.-V. 199–201, S. VIII 27–29), zwei Serenaden (Divertimenti, K.-V. 203, 205, S. IX, 6, 21) und ein Konzert für Fagott in B-Dur (K.-V. 191, S. XII. 11), wenn man Andrés Notiz »a Salisburgo li 4 di Giugno 1774«32 Glauben schenken darf.

So verlief der Rest des Jahres 1773 und das ganze folgende in den gewohnten Salzburger Geleisen33. Für den Karneval 1775 aber erhielt Mozart den Auftrag, für München eine komische Oper zu schreiben. Wahrscheinlich hatte der treffliche Fürstbischof von Chiemsee, Graf Ferdinand von Zeill, ein treuer Gönner Mozarts, der sich in Angelegenheiten des Erzbistums mehrere Jahre in München aufhielt, dabei mitgewirkt. Auch der Kurfürst Maximilian III. war ja schon in früheren Jahren lebhaft für Mozart eingetreten: ihm konnte es der Erzbischof von Salzburg nicht abschlagen, Wolfgang für die Oper zu beurlauben. Der Kurfürst hatte ein entschiedenes[301] musikalisches Talent, durch eifrige Studien ausgebildet, er komponierte selbst Kirchenmusik und spielte namentlich die Gambe, wie Naumann einem Freunde schrieb, »göttlich«; Burney versichert, er habe nach dem berühmten Abel keinen so ausgezeichneten Gambisten gehört. Auch seine Schwester, die verwitwete Kurfürstin von Sachsen, Maria Antonia Walpurga, bekannt als Dichterin »Ernelinda Talea, pastorella Arcada«, die sich damals zum Besuch in München aufhielt, war Sängerin und Komponistin selbstgedichteter italienischer Opern34. Es wurde daher in München für Orchester und Sänger in Oper und Kirche viel getan, obgleich die musikalischen Leistungen denen in Mannheim damals noch nachstanden35. Der Hof hielt häufig musikalische Akademien ab; was die Theateraufführungen anbetrifft, so teilten sich mit der opera seria die deutsche Komödie und die italienische opera buffa in seine Gunst36, beiden folgte regelmäßig ein Ballett, wobei namentlich auch die tragische Richtung des damals in Wien angestellten J.G. Noverre zu Worte kam37.

Am 6. Dezember38 reiste Wolfgang mit seinem Vater nach München ab, wo sie eine kleine, aber bequeme Wohnung bei Joh. Nep. v. Pernat, »chanoine et grand custode de Notre-Dame«, gefunden hatten, der ihnen mehr Höflichkeit und Ehre erwies, als sie zu verdienen glaubten, und in vielen Stücken seine Bequemlichkeit aus wahrer Freundschaft für sie aufopferte. Die Reise in der heftigen Kälte hatte trotz aller Vorsicht Wolfgang sein gewöhnliches Leiden in jungen Jahren, einseitiges Zahnweh, zugezogen, sodaß er mit geschwollener Backe eine Woche das Zimmer hüten mußte. Sie machten dann die Bekanntschaft der Personen, mit denen sie zu tun hatten, und fanden überall freundliches Entgegenkommen.

Von seiner Oper hat Wolfgang jedenfalls einen Teil fertig nach München mitgebracht, Einzelheiten sind uns indessen nicht bekannt. Ohne Schwierigkeiten ging es auch bei dieser Aufführung nicht ab. Nach der ersten Probe wurde sie vom 29. Dezember auf den 5. Januar verschoben, wie der in diesem Falle wohl allzu optimistische Leopold schreibt, damit die Sänger ihre Partien besser lernen könnten, schließlich wurde die Aufführung sogar bis zum 13. Januar hinausgerückt. Auch sonst scheint an der Münchener[302] Bühne eine ziemlich gespannte Luft geherrscht zu haben, denn L. Mozart schreibt39:


Nun mußt Du wissen, daß der Maestro Tozzi, der heuer die opera seria schreibt40, vorm Jahre um eben diese Zeit eine opera buffa geschrieben, und sich so bemühet, solche gut zu schreiben, um die opera seria, die vorm Jahr der Maestro Sales schrieb41, niederzuschlagen, daß des Sales opera wirklich nicht mehr recht gefallen wollen. Nun ereignet sich der Zufall, daß des Wolfgangs opera eben vor der opera des Tozzi gemacht wird, und da sie die erste Probe hörten, sagte alles, nun wäre Tozzi mit gleicher Münze bezahlt, indem die opera des Wolfgang die opera des Tozzi niederschlage. Dergleichen Sachen sind mir nicht lieb, ich suche dergleichen Reden zu stillen, soviel möglich, protestiere ohne End, allein das ganze Orchester und alle die die Probe gehört, sagen, daß sie noch keine schönere Musik gehört, wo alle Arien schön sind.


Die Aufführung am 13. Januar 1775 fiel glänzend aus; der Oper folgte das Ballett »La Nymphe parjure protégée par l'amour«. Wolfgang selbst schrieb am andern Tag der Mutter von dem »gestrotzt vollen Theater«, dem »erschröcklichen Getös mit Klatschen und ›viva maestro‹ schreien nach jeder Aria« und endlich von dem huldvollen Empfang beim Kurfürstenpaar42.

Der Legationssekretär Unger berichtet in seinem Journal (15. Januar 1775): »Vendredi L.A.R.E. assistèrent à la première représentation de l'opera buffa ›la finta giardiniera‹; la musique fut applaudie généralement; elle est du jeune Mozart de Saltzbourg, qui se trouve actuellement ici. C'est le même qui à l'âge de 8 ans a été en Angleterre et ailleurs pour se faire entendre sur le clavecin, qu'il touche supérieurement«. Daß das Werk Aufsehen erregte, beweist allein schon der Umstand, daß der Komponist nicht nur ausnahmsweise mit Namen genannt, sondern obendrein mit längeren persönlichen Bemerkungen bedacht wird, was der Schreiber sonst vermeidet. Schubart aber schrieb in der Teutschen Chronik (1775, S. 267): »Auch eine opera buffa habe ich gehört von dem wunderbaren Genie Mozart; sie heißt ›La finta giardiniera‹. Genieflammen zückten da und dort; aber es ist noch nicht das stille Altarfeuer, das in Weihrauchswolken gen Himmel steigt – den Göttern ein lieblicher Geruch. Wenn Mozart nicht eine im Gewächshaus getriebene Pflanze ist, so muß er einer der größten musikalischen Komponisten werden, die jemals gelebt haben.« Über die Aufführung heißt es, Rossi und Rosa Manservisi seien für die opera buffa wie geschaffen. Rossi sei in schnackischen, lustigen Rollen so gut wie sein Vetter in Stuttgart; die Manservisi habe Stimme, Musik, Person und alles, was sie über die gemeinen Sängerinnen erheben könne43.[303]

Diesmal hatte Wolfgang auch die Freude, seine Schwester als Zeugin seines Triumphs bei sich zu haben. Durch Vermittlung eines guten Freundes war es gelungen, ihr ein angemessenes Unterkommen bei einer Frau von Durst zu verschaffen. Sie war eine »geweste Salzmayrin zu Reichenhall«, zu welcher Herr v. Mölk so oft hinübergefahren, und von der bei Mozarts viel gesprochen worden war; eine Witwe von 26 bis 28 Jahren, »braunet, schwarzaugend, sehr eingezogen, voller Belesenheit und Vernunft, die keinen Umgang von Schmirbern um sich leidet und sehr höflich und angenehm ist«. Marianne, die mit Frau von Robini am 4. Januar nach München kam, fand hier eine leidliche Wohnung mit einem Flügel, auf dem sie fleißig üben konnte. Auch andere Salzburger kamen dorthin zum Karneval, die »Eberlin Waberl«, Fräulein von Schiedenhofen, Andretter, der junge Mölk, der sich über die opera seria so verwunderte und verkreuzigte, daß man sah, er kannte nichts als Salzburg und Innsbruck.

Ein anderer unfreiwilliger Zeuge von Mozarts Erfolgen war Erzbischof Hieronymus, der sich im Januar 1775 beim Kurfürsten auf Besuch befand44; er traf allerdings erst nach der Aufführung der Oper in München ein und reiste vor der Wiederholung ab. Natürlich kam ihm dabei über Mozarts Werk so manches zu Gehör, wenn auch L. Mozarts Bericht45 von den ihm von der ganzen Hofgesellschaft dargebrachten Glückwünschen, die er nur mit einem Kopfneigen und Achsel-in-die-Höhe-Ziehen beantwortet habe, als eine Übertreibung des stolzen Vaters erscheint. Gern gesehen hat er Wolfgangs Auftreten an dem fremden Hofe sicher nicht.

Die Wiederholung der Oper, die nur Freitags gegeben werden konnte, machte Schwierigkeiten, denn die zweite Sängerin, die L. Mozart übrigens miserabel fand, war ernstlich erkrankt, und man mußte sich entschließen, die Oper stark abzukürzen, um eine Wiederholung ohne sie zu ermöglichen. Das sollte an Wolfgangs Geburtstag geschehen, und er meinte, bei dieser Produktion müsse er selbst zugegen sein, sonst würde man seine Oper gar nicht erkennen, es gehe dort »gar kurios« her. Das bezieht sich auf den schmutzigen Liebeshandel des Direktors Tozzi mit der Gräfin Törring-Seefeld, der damals damit endete, daß Tozzi nach Italien entfloh, während die Gräfin schon vorher ihrem Gemahl »mit vielem Geld und Geschmuck« durchgegangen war46. Diese Überraschung hatte natürlich auch den Opernbetrieb stark in Unordnung gebracht und machte Mozarts Eingreifen dringend[304] notwendig. Am 27. Januar ist es nicht zu einer Wiederholung gekommen, stattdessen wurde der »Cavaliere per amore« gegeben47. Erst am 3. Februar wurde Mozarts Oper wiederholt und ging am 3. März mit dem »Ballett des bracconniers« zum letzten Male in Szene48.

Außer der Oper mußte Wolfgang auch seine Kirchenmusik vorführen. Seine B-Dur-Litanei wurde am Neujahrstag mit einer seines Vaters zusammen im Stundengebet aufgeführt; an zwei späteren Sonntagen folgten in der Hofkapelle »zwei kleine Messen«, offenbar die neuesten in F- und D-Dur (K.-V. 192, 194)49. Wenige Tage vor seiner Abreise wünschte der Kurfürst von ihm eine kontrapunktische Motette für das Offertorium der nächsten Sonntagsmesse. Es war das Misericordias Domini (K.-V. 222)50. Mozart hat viel von diesem Stück gehalten, denn er sandte es im nächsten Jahre als Probe seiner Kunst an Padre Martini51, der großen Gefallen daran fand. Auch als Klavierspieler ließ sich Wolfgang in München hören; er hatte zu diesem Zweck sein Konzert mitgebracht (K.-V. 175), und seine Schwester mußte ihm neben Eckardschen Variationen auch seine eigenen »Fischerschen« (K.-V. 179) sowie verschiedene Sonaten mitbringen52. Schubart schreibt in seiner Teutschen Chronik (1776, S. 276):


Denk nur, Bruder, was das für 'ne Lust war! Hab Dir letzten Winter in München zwey der größten Klavierspieler, Hrn. Mozart und Hrn. Hauptmann v. Beecke53 gehört; mein Wirt, Herr Albert, der fürs Große und Schöne enthusiastisch eingenommen ist, hat ein treffliches Fortepiano im Hause. Da hörte ich diese zwei Giganten auf dem Klavier ringen. Mozart spielt sehr schwer und alles, was man ihm vorlegt, vom Blatt weg. Aber's braucht weiter nichts; Beecke übertrifft ihn weit. Geflügelte Ge schwindigkeit, Anmut, schmelzende Süßigkeit und ein ganz eigentümlicher, selbst gebildeter Geschmack sind Keulen, die diesem Herkul wohl niemand aus den Händen winden wird.


Dies veranlaßte den Freiherrn Thadd. von Dürnitz (gest. 1803), einen vornehmen Dilettanten, dessen Hauptinstrument neben dem Klavier das Fagott war, bei Mozart eine Reihe von sechs Klaviersonaten (K.-V. 279–284, S. XX. 1–6) zu bestellen, für die er ihm allerdings das Honorar schuldig blieb. Die Serie ist dem Stil nach wohl noch während des Münchner Aufenthaltes abgeschlossen worden54 und nicht erst kurz vor der Pariser Reise, während der sie Mozart häufig gespielt hat.[305]

Nach allen diesen Erfolgen hegte der Vater alle Hoffnung, daß Wolfgang für das nächste Jahr die opera seria übertragen werden würde; weshalb sie nicht in Erfüllung ging, wissen wir nicht. Auch in Salzburg wurde schon davon geredet, daß Wolfgang in kurfürstliche Dienste treten sollte. Daß dies Leopold sehr unangenehm war, beweist die etwas erkünstelte Gelassenheit, mit der er sich gegen dieses »Gewäsche« verwahrt: sicher hätte er nichts lieber gesehen. Aber er war zu vorsichtig, um sich in Salzburg vorwerfen zu lassen, er habe mit München insgeheim Unterhandlungen angeknüpft. Nachdem sie die Freuden des Münchner Karnevals, der dem Vater fast zu lange dauerte, bis zum Ende genossen hatten, kehrten sie am 7. März 1775 nach Salzburg zurück.

Die Messe »in honorem sanctissimae Trinitatis« inC-Dur (K.-V. 167, S.I. 5), die aus dem Juni 1773 stammt55, ist die erste von Mozart, die den Chor völlig ausschließt. Auch entbehrt das Saitenorchester, wie in der d-Moll-Messe, der Bratschen, zieht aber dafür in den meisten Sätzen außer den Oboen auch noch 4 Trompeten und Pauken heran. Dem allgemeinen Stil nach schließt sie sich ihrer Vorgängerin (K.-V. 139) an, jedoch nicht ohne verschiedene, zum Teil recht einschneidende Unterschiede. Vor allem fehlt ihr deren ausgesprochen dramatischer Zug, ihr Schwelgen in Gegensätzen, ihr ganzes, auf Sturm und Drang gerichtetes Wesen. Dafür setzt sie ihr Streben nach formaler und motivischer Geschlossenheit der einzelnen Sätze mit ungleich größerer Energie fort. Die Annäherung an die Form des ersten Sonatensatzes mit seiner Themen- und Modulationsordnung ist im Kyrie56 und Gloria bereits vollständig vollzogen. Das Credo dagegen bringt erstmals eine Form, die Mozart von jetzt ab mit besonderer Vorliebe weitergebildet hat, nämlich eine freie Art des Rondos. Zunächst heben sich die beiden Sätze des »Et incarnatus« mit »Crucifixus« und des »Et in spiritum sanctum« als selbständige Episoden heraus, der Rest bildet ein selbständiges Ganzes mit einem Haupt- und zwei Seitengedanken, die nach jenen Episoden meist variiert und in anderer Reihenfolge wiederkehren. Die Fuge des »Et vitam« schließt sich als große Coda an, nicht ohne daß das orchestrale Grundmotiv des ganzen Allegros


Bis zur Finta Giardiniera

auch in ihrem Verlauf wiederkehrte. Das ist ein Aufbau, der Mozarts Formgefühl ein glänzendes Zeugnis ausstellt. Er schuf sich damit eine musikalische Form, die durch sich selbst wirkte und neben dem Vorteil leichter Übersichtlichkeit auch noch den weiteren hatte, daß sie dem Komponisten[306] das Eingehen auf die einzelnen Gedanken des Textes bedeutend erleichterte. Auch das Prinzip der durchgehenden Orchestermotive ist strenger durchgeführt als früher, das Motiv des Kyrie


Bis zur Finta Giardiniera

erscheint sogar im zweiten Teil des Dona wieder – der erste Versuch Mozarts, Anfangs- und Schlußsatz der Messe motivisch miteinander zu verbinden; allerdings handelt es sich bei allen diesen Motiven um Gebilde von recht wenig kirchlichem Gepräge; sie sind mehr in der Buffooper zu Hause als in der Kirche, ein Zug, der freilich der gesamten neapolitanischen Messe jener Zeit zu eigen ist. Überhaupt ist das Gleichgewicht zwischen Gesang und Orchester, besonders in den homophonen Partien, gegenüber der letzten Messe wieder beträchtlich zuungunsten der Singstimmen verschoben: manchmal klingen sie dem Orchestersatz gegenüber geradezu wie bloße harmonische Füllstimmen, wie z.B. beim Beginn des Gloria; in andern Sätzen, wie dem »Et in spiritum sanctum« und »Benedictus«, wird hinsichtlich des thematischen Materials zwischen beiden kaum ein Unterschied gemacht. Nur das Agnus macht eine Ausnahme, es ist aber auch seiner Auffassung nach von den früheren Kompositionen dieses Textes verschieden, obwohl es die Zweiteilung mit Tempogegensatz festhält. Der schwere Gefühlsdruck weicht einer innigen, kindlichen Bitte, das »Dona« aber ist ein streng kontrapunktischer Satz der vier Singstimmen, der von einem kurzen, beständig in Imitationen geführten Gegenmotiv begleitet wird und in eine überschwengliche, homophone Coda ausläuft, nicht ohne daß am Ende die Wiederkehr des kontrapunktischen Themas auch hier den Kreis schlösse.

Damit stehen wir vor dem letzten Merkmal, das diese Messe von den früheren unterscheidet und auf die folgende F-Dur-Messe vorausweist: dem weit größeren Anteil des Kontrapunkts. Freilich handelt es sich dabei nicht um ein Zurückgreifen auf den Brauch älterer Zeiten, wo der Kontrapunkt den ganzen Stil durchdrang. Auch jetzt bleibt er innerhalb des im wesentlichen homophonen Kunstwerks auf die herkömmlichen Partien beschränkt und trägt nur Episodencharakter. Aber wo er auftritt, handelt es sich nicht um schüchterne imitatorische Ansätze, sondern um breit ausgeführte Gebilde, wie z.B. gleich im Mittelsatz des Kyrie57. Hierin wird man wohl nicht mit Unrecht Mich. Haydns Einfluß erblicken dürfen. Auch im Ausdruck zeigen diese Partien einen ganz wesentlichen Fortschritt: vor allem ist die alte, trockene Scholastik einem freieren und namentlich gesangsmäßigeren Geiste gewichen, der unverkennbar auf die Lehrzeit bei Padre Martini hinweist.[307]

In der Textauffassung im einzelnen hat sich wenig geändert, nur daß, wie schon bemerkt, alle Gegensätze einen leiseren Charakter tragen. Die mystischen Klänge des »Et incarnatus« führen diesen Satz hoch über das Krippenbild der letzten Messe hinaus, dagegen ist auch hier das »Et in spiritum sanctum«, obwohl es vom ganzen Ensemble gesungen wird, der leichteste und opernhafteste Teil der ganzen Messe. Dafür ist das – ebenfalls dreiteilige – »Benedictus« diesmal herber ausgefallen, vor allem dank der imitatorischen Führung der Geigen und den Vorhalten in den Oboen. Zu den am wenigsten eigentümlichen Teilen gehört auch hier, wie in der Mehrzahl dieser Jugendmessen, Sanctus und Osanna.

Die am 24. Juni 1774 komponierte F-Dur-Messe (K.-V. 192, S.I. 6), die vielen als der Höhepunkt von Mozarts Jugendmessen gilt58, geht, was die motivische Einheit der einzelnen Stücke und die Verstärkung des kontrapunktischen Elementes anbetrifft, weit über alles bisherige hinaus, schlägt aber dafür nach anderen Richtungen hin wieder Pfade ein, die man nach dem Vorhergehenden nicht erwartete. Rein äußerlich fällt das Zurückgehen auf das alte Orchester der d-Moll-Messe, zwei Violinen, Baß und Orgel auf. Das bedeutet nicht allein einen Verzicht auf ein glänzendes äußeres Gewand, sondern ein Zurücktreten der Instrumente überhaupt, also einen starken Rückschlag gegenüber dem in den letzten Messen geübten Brauch, womit freilich nicht gesagt ist, daß das Orchester jetzt wieder auf die einfache Aufgabe des Verdoppelns und Füllens zurückgeführt wäre.

Das Kyrie ist wieder ein Sonatensatz mit zwei Themen, Durchführung (Christe) und Reprise. Doch ist schon hier das Streben nach motivischer Einheit besonders deutlich: das zweite, vom Solosopran angestimmte Thema hat das erste Chorthema im Orchester als Begleiter, im Christe aber bestreiten Chor und Orchester ihr Gedankenmaterial aus dem Orchestervorspiel des Ganzen, ein Beweis dafür, daß Mozart wiederum zwischen vokaler und instrumentaler Thematik nicht unterscheidet, oder besser gesagt, den Gesang einfach den beiden instrumental erfundenen Themen anpaßt, die zudem ein recht wenig kirchliches Gepräge tragen:


Bis zur Finta Giardiniera

Dagegen schlägt das Gloria gleich zu Anfang ganz andere Töne an. Gleich himmlischen Herolden beginnen die Chorsoprane mit einem Thema voll verklärtem Überschwang:


Bis zur Finta Giardiniera

Bis zur Finta Giardiniera

[308] das auch wegen der ausdrucksvollen und doch zurückhaltenden Begleitung wichtig ist: ihm antworten alsbald – ein früher an dieser Stelle nie gekannter Gegensatz bei Mozart – die kanonisch geführten Soli mit einem Motiv von echt Mozartscher Süßigkeit59:


Bis zur Finta Giardiniera

Das sind die beiden Hauptgedanken (a und b), die im Wechsel mit verschiedenen Episoden, variiert und durch die vier Stimmen hinwandelnd, den ganzen Satz beherrschen, der somit folgende Form aufweist: a-b-c (Episode »Laudamus« bis »gratias«, mit Orchestermotiv aus a)-a-b-d(Episode »Domine fili,« mit demselben Orchestermotiv)-a-b-e (Episode »Qui tollis«, ebenso)-f (Episode »Quoniam« mit einzelnen Anklängen an frühere Orchestermotive)-g (Fugato des »Cum sancto spiritu«, selbständig)60-b-a. Also auch[309] hier wieder jene freie Rondoform, die es Mozart ermöglicht, den Grundcharakter seliger Träumerei festzuhalten und dabei doch die Regungen der Wehmut (»qui tollis«) und Kraft zu Worte kommen zu lassen. Das alles entquillt der Phantasie des Meisters mit wunderbarer Leichtigkeit und trägt den unverkennbaren Stempel seines Genius.

Noch einheitlicher ist das Credo, das seiner Form nach unter Mozarts sämtlichen Messen ganz allein dasteht. Denn hier läuft in zwölfmaliger Wiederholung ein Hauptmotiv durch, das nicht allein die musikalische Gestaltung durchaus beherrscht, sondern auch die dichterische insofern in Mitleidenschaft zieht, als es mit seiner Textgrundlage, dem ein oder mehrere Male wiederholten Worte Credo, den Text immer wieder parenthesenartig unterbricht. Auch wird es außerdem noch Sätzen zugrunde gelegt, die früher motivisch selbständig waren, wie dem »Crucifixus«, »Confiteor« und »Et vitam«. Es stammt aus der Liturgie, nämlich aus dem Beginn der Intonation des Magnificat im dritten Ton oder des Gloria:


Bis zur Finta Giardiniera

Der Kirchenmusik war es seit den Tagen der Niederländer wohl vertraut61 und gerade zu Mozarts Zeit drang es auch in die weltliche Musik ein62; ihn selbst hat es sein ganzes Schaffen hindurch bis zur großenC-Dur-Sinfonie begleitet63. Dieses Motiv beherrscht unseren Satz so vollständig, daß alle andern Gedanken, auch die, die früher zu breiten, selbständigen Bildern ausgeführt worden waren, wie das »Et incarnatus«, »Et resurrexit«, »Et in spiritum«, nur flüchtigen Episodencharakter tragen. Noch ganz am Schluß setzt es sein Siegel unter das Ganze. Überhaupt kennt dieses Credo noch weniger Wortwiederholungen als das damit schon sehr sparsame Gloria und unterscheidet sich schon dadurch scharf von seinen Vorgängern. Selbst die beiden unvermeidlichen Fugensätze am Schluß des Gloria und Credo sind auf einmalige Durchführung ihrer Themen zusammengeschrumpft. Darin liegt abermals ein Zurückgreifen auf das ältere Ideal, dem der Anschluß an den Text alles galt, und ebenso gemahnt an die ältere Art das fast ängstliche Vermeiden der den Arien- und Sinfonieformen eigenen Modulation nach der Dominante: beide, Gloria und Credo, schließen ihre Unterabschnitte entweder auf der Tonika und deren Molltonart oder in den[310] Tonarten der Unterdominantregion, wie die ersten Messen Mozarts. Das Credo hat dafür sogar noch eine immer wiederkehrende, ausdrucksvolle Orchesterformel:


Bis zur Finta Giardiniera

Neben dem Hauptmotiv werden aber auch einzelne Nebengedanken in freier Weise wiederholt, wie das »Deum de Deo« beim »Et iterum venturus est«, das »Per quem omnia facta sunt« beim »Qui locutus est«, das »Descendit« beim »Et unam sanctam«; auch die sinnreiche Wiederholung von Orchestermotiven fehlt nicht. Bemerkenswert ist endlich auch die fast regelmäßige Abwechslung homophoner und kontrapunktischer Partien, wobei das Hauptmotiv meist, wenn auch nicht immer, Neigung zum Kontrapunkt zeigt – kurz, dieses Credo ist der einheitlichste Messensatz, den Mozart in seiner Jugend geschrieben hat. Auch das Sanctus erhebt sich in seinem frei polyphon gehaltenen, ersten Abschnitt zu bedeutender Höhe: zu einer merkwürdig erregten, echt Mozartschen Synkopenbegleitung scheinen die himmlischen Scharen sich von allen Seiten zum Lobgesang heranzudrängen – das »Osanna« fällt leider daraufhin wieder stark ins Konventionelle. Dagegen hält das in knapper Dreiteiligkeit gehaltene »Benedictus« den Ton verträumter Anmut fest, ohne ins opernhaft Süßliche zu geraten. Im »Agnus Dei« kommt endlich noch ein dramatischer Zug zum Worte, dem Mozart sonst in dieser Messe ängstlich aus dem Wege geht. Es ist ein Wechselgesang zwischen Solo und Chor, der sein »miserere« in einer manchmal auf den spätesten Mozart hindeutenden Enharmonik emporschickt:


Bis zur Finta Giardiniera

Eine im Schmerze förmlich wühlende, von herben Synkopen begleitete Geigenfigur vervollständigt dieses Bild des Leidens. Allerdings bringt dann das »Dona« nach Form und Gehalt einen überraschenden Rückfall ins unverfälschte Neapolitanertum.

So kreuzen sich in dieser Messe die verschiedensten Bestrebungen. Auf der einen Seite greift Mozart zu dem älteren, charaktervollen Kirchenstil zurück, er sucht die rein musikalischen Auswüchse zu beschneiden und dem Text wieder zu seinem Recht zu verhelfen, auch die weit größere Rolle des[311] Kontrapunkts gehört hierher. Auf der andern Seite liegen ihm aber auch die formalen Errungenschaften der letzten Messe am Herzen, die er mit jenen älteren Zielen zu verquicken strebt. Daß er mit diesen großen, einheitlichen Stimmungsbildern in freier Rondoform die Meßkomposition ganz bedeutend gefördert und damit, z.B. bei M. Haydn64, auch Schule gemacht hat, steht außer allem Zweifel. Daneben steht allerdings noch eine Reihe von Sätzen wie das Kyrie, Osanna und Dona, die rückständig sind und von der alten Anlehnung an Oper und Instrumentalmusik nicht loskommen. So ist das Ganze gewiß ein schönes Denkmal Mozartschen Geistes, allein der Vergleich mit dem Requiem verbietet sich von selbst, nicht allein wegen der höheren Meisterschaft, sondern auch wegen der reicheren Lebenserfahrung, die der Mozart von 1791 vor dem von 1774 voraushatte.

Mozart ist den in der F-Dur-Messe eingeschlagenen Weg nicht weitergegangen. Die D-Dur-Messe vom 8. August 1774 (K.-V. 194, S.I. 7)65 bringt bereits eine Abschwächung jener Grundsätze. Sie gleicht ihrer Vorgängerin in der Instrumentation und im Vermeiden von Textwiederholungen. Aber schon das Streben nach motivischem Zusammenschluß ist zwar vorhanden, äußert sich aber in anderer Weise. Das Kyrie ist ebenfalls dreiteilig und seinem Gehalt nach kirchlich so wenig stichhaltig wie sein Vorgänger, aber thematisch entschieden einheitlicher. Dagegen sind Gloria und Credo wieder weit lockerer im Aufbau; namentlich fordern die bekannten Episoden jetzt ihr altes Recht zurück, im Credo sogar mit dem alten Tempowechsel. Im Gloria kehrt der Hauptgedanke nur einmal, beim »Cum sancto spiritu«, wieder, im Credo öfter, aber in ganz eigentümlicher Weise: er schleicht sich nämlich plötzlich gleichsam durch eine Hintertüre ein, wie im »Et resurrexit«, oder mit umgestellten Untergliedern, wie im »Et exspecto resurrectionem« nebst Fortsetzung – eine neue, geistvolle Art des Zusammenschlusses, die sich auch späterhin als fruchtbar erweisen sollte. Auffallend ist ferner auch das Fehlen der beiden Schlußfugen, wogegen das »Et resurrexit« mit einem Fugato beginnt, das dann seinerseits im letzten Amen des Credo wiederkehrt. Harmonisch hat diese Messe gleichfalls ihr eigenes Gesicht: sie neigt sich mit besonderer Vorliebe den Molltonarten zu, und zwar auch in Sätzen wie dem »Quoniam« und »Et in spiritum sanctum«, die sonst stets in hellem Durton gehalten sind. Diese Mollneigung geht bis ins »Agnus Dei« hinein, wieder einem Wechselgesang, bei dem die Soli in Moll beginnen, während der Chor in Dur antwortet, aber nur um alsbald ebenfalls in die Molltonart hineingezogen zu werden. Von einigen Episoden wie dem ebenso ausdrucksvollen wie wohlgegliederten »Qui tollis« und dem »Et incarnatus«66 abgesehen, ruht die Bedeutung dieser Messe mehr auf den[312] späteren Sätzen, so namentlich dem Sanctus, worin Mozart, offenbar nach J. Haydns Vorbild, das »Pleni sunt« mit dem »Osanna« unmittelbar verbindet. Auch das – gleich den meisten seinesgleichen bei Mozart in der Tonart der Unterdominante stehende – »Benedictus« hat doch trotz seinem italienischen Grundtone in der Melodik und der rhythmischen Gliederung des Textes etwas spezifisch Mozartsches67. Im »Agnus Dei« setzt sich der Charakter des Wechselgesanges bis in das »Dona« hinein fort. Es ist wiederum in Sonatenform und obendrein ziemlich weltlich tanzmäßig, wenn auch gesanglicher gehalten.

Der Anteil des Kontrapunkts an dieser Messe weist, so bedeutend er auch noch ist, doch einen fühlbaren Rückgang gegenüber der F-Dur-Messe auf, wie allein schon der Verzicht auf die beiden Schlußfugen beweist, dagegen wagen sich die Instrumente wieder weit mehr hervor. Der Gesamtcharakter ist mehr gefällig als tief; sie mochte dem Erzbischof entschieden besser behagt haben als ihre Vorgängerin.

Ähnliche Stilwandlungen weist auch die übrige Kirchenmusik Mozarts aus dieser Zeit auf. So ist dieMarienlitanei in D-Dur (K.-V. 195, S. II. 3) aus dem Jahre 1774 im Gegensatz zu der letzten durchaus modern gehalten, d.h. mehr lebensfreudig als religiös, und gleich der C-Dur-Messe stark vom Instrumentalstil beeinflußt. Schon das Kyrie ist ein ausgeführter Sonatensatz mit einer bei aller Kürze äußerst ausdrucksvollen, langsamen Einleitung. Der instrumentale Fluß ist so stark, daß er häufig auf die Textworte gar keine Rücksicht mehr nimmt. Dabei ist aber der kontrapunktische Satz sehr geschickt und wirkungsvoll – das Ganze ist ein Musikstück nach dem Herzen der kirchlichen Aufklärung, geistreich und glänzend, ohne Gemüt und Phantasie über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Auch das »Sancta Maria,« gleichfalls in Sonatenform, schlägt keine tieferen Töne an, nähert sich dagegen in seinen Sologesängen, denen der Chor meist nur sein »ora pro nobis« entgegensetzt, stark der Sphäre der Oper. Dagegen ist das »Salus infirmorum« ein sehr bedeutendes Stück, das sich ganz auf dem Gegensatz zwischen dem leidenschaftlichen Pathos des Chores und dem weicheren Flehen der Solostimmen aufbaut. Beide Parteien haben auch ihre besonderen Begleitmotive im Orchester; der punktierte Rhythmus der Chorbegleitung gemahnt schon an spätere, unter Bachs und Händels Einfluß entstandene Sätze. Nach einem merkwürdig fragenden Übergang folgt das wieder in Sonatenform gehaltene »Regina angelorum«, im wesentlichen ein recht opernhaftes Tenorsolo mit respondierendem Chor und reichem Koloraturenschmuck, dem Herkommen. Ebenfalls sehr virtuos, wenn auch weit ausdrucksvoller, ist das Sopransolo, mit dem der Chor im »Agnus Dei« abwechselt; der Satz empfängt seinen eigentümlichen Charakter durch eine Reihe chromatischer Melodiezüge und überraschender harmonischer Wendungen (wie z.B. bei dem schönen »parce nobis«); gegen den Schluß sind besonders auch die dynamischen Gegensätze bemerkenswert.[313]

Die beiden Sätze Dixit und Magnificat (K.-V. 193, S. II. 5) in C-Dur, im Juli 1774 geschrieben, bilden das Anfangs- und Schlußstück einer Vesper, zu der fünf Psalmen und das Magnificat gehörten, der Rest stammte wohl von einem der anderen Salzburger Komponisten. Charakteristisch ist für beide Sätze ein sorgfältiges Eingehen auf den Text; sie gehören zu den am besten deklamierten Stücken aus dieser Zeit. Auch die beiden Schlußfugen sind durchaus gesangsmäßig gehalten. In den übrigen Sätzen ist vom Kontrapunkt nur ein bescheidener, aber um so eindrucksvollerer Gebrauch gemacht. Schon der Anfang zeigt, wie ernst es dem Komponisten mit der genauen Wiedergabe seines Textes ist: ein emphatischer Einsatz aller vier Stimmen, darauf ein kurzes, herrisches Abbrechen der Phrase, gefolgt von den das Wort des Herrn einleitenden Trompeten und Pauken, von denen sich jene auch bei den Worten »Juravit Dominus« bedeutungsvoll hervortun. Im Verlauf des Satzes heftet sich die Phantasie Mozarts besonders an den Gedanken des »confregit«. Noch bedeutender ist das Magnificat. Sein Thema, das der Tenor anstimmt, gehört dem dritten Choralton des Magnificat an68, der Baß beginnt sogleich mit einem Gegenthema:


Bis zur Finta Giardiniera

Sie bilden den Grundstock des ganzen Satzes, in dessen Verlauf nach altem Brauche einzelne Begriffe wie »timentibus, fecit potentiam, dispersit, humiles« besonders hervorgehoben werden. Das Streben nach einheitlicher Gestaltung ist nicht minder deutlich als in den Messen. Nur die Doxologie wird in beiden Sätzen selbständig behandelt, und zwar in je zwei Abschnitten, von denen das Gloria frei kontrapunktisch, das »Et in saecula« dagegen als strenges Fugato verläuft. Beide Male wird das Hauptthema straff festgehalten und kehrt ohne Zwischengedanken immer wieder, das zweitemal gefolgt von einer prachtvollen, plagalen Coda. Hervorzuheben ist endlich auch der merkwürdig belegte Ton der beiden Gloria-Sätze.

Überragt aber werden die sämtlichen Kirchenkompositionen mit Ausnahme einiger Teile der F-Dur-Messe von der Motette Misericordias Domini (K.-V. 222, S. III. 25). Das Stück ist schon sehr verschieden beurteilt worden. Padre Martini, der es zuerst von Mozart zugesandt erhielt, gab ihm (Sept. 1776) das Zeugnis, er finde darin alles, was die moderne Musik verlange:[314] gute Harmonie, reiche Modulation, mäßige Bewegung in den Violinen, natürliche und gute Stimmführung, und wünschte dem Komponisten Glück zu diesem Fortschritt. Freilich liegt ein merklicher Vorbehalt in der Betonung der »modernen Musik«, der Padre Martini als Anhänger des älteren Ideals kritisch gegenüberstand69. Später wurde das Werk ebenso einseitig von Ulibischeff gepriesen70, wie von Thibaut wegen seines unbefriedigenden Stimmungsgegensatzes getadelt71, bis Jahn wieder warm dafür eintrat72. Thibauts Ansicht, Mozart hätte entweder das »misericordias Domini« oder das »cantabo in aeternum«, nicht aber beides zum Grundgedanken seiner Komposition nehmen sollen, verkennt in grober Schulmeisterei das schöne Vorrecht des Musikers, getrennte Gedanken durch seine Kunst psychologisch zu verbinden. Gerade Mozarts Komposition ist ein geniales Beispiel dafür. Wohl hebt er die Worte »misericordias Domini« in lapidarem, homophonem Satz in immer wieder neuen, ernsten und düsteren Harmonien hervor, wie gebannt von dem Bild des Gekreuzigten, während das »cantabo« ihm in freier Kontrapunktik und schweifender Melismatik gegenübertritt. Aber über diesem bewegten Ausdruck der Dankbarkeit wird nie deren Anlaß vergessen, immer wieder erinnern bange Harmonien, scharfe Dissonanzen und chromatische Stimmführung daran, daß der Menschheit Erlösung um den Preis von Christi Kreuzestod erkauft ist, man denke nur z.B. an die beiden lastenden Orgelpunkte kurz vor dem Schluß. Für unbegrenzten Jubel hätten gerade einem bei den Neapolitanern groß gewordenen Künstler ganz andere Töne zur Verfügung gestanden. So ist dieses Stück, obwohl es in seinem bewußten, aber nie aufdringlichen Aufwand an Kontrapunktik73 den Charakter einer Probearbeit trägt, doch ein eigentümliches Beispiel für Mozarts selbständige und vertiefte Textauffassung.

Von den Sinfonien dieser Zeit heben sich die in C-, D-, B- und Es-Dur (K.-V. 162, 181, 182, 184, S. VIII. 22–24, 26) schon durch ihre Dreisätzigkeit74 als eine besondere Gruppe heraus. Auch der italienische Ouvertürenton ihrer Hauptthemen, einzelne melodische Ähnlichkeiten untereinander, namentlich aber der eigentümliche Bau ihrer ersten Sätze läßt sie als zusammengehörig erscheinen. Äußerlich kennzeichnet er sich durch das Fehlen der Repetitionszeichen, innerlich durch den Mangel jeder Durchführungsarbeit im deutschen Sinn, an deren Stelle vielmehr die einfache Transposition der Hauptgedanken in verwandte Tonarten nach altem italienischem Brauche tritt. Da wir nun von der D-Dur-Sinfonie die Entstehungszeit, Mai 1773, kennen, so werden die übrigen ohne Zweifel in[315] derselben Zeit, zwischen der Rückkehr von der italienischen und dem Antritt der Wiener Reise entstanden sein75.

Indessen fehlen trotz der erneuten Anlehnung an die Italiener auch die deutschen Züge nicht, wie die individuellere, vom Konzert beeinflußte Orchesterbehandlung und die wienerisch angehauchten Mittelsätze der D- und C-Dur-Sinfonie zeigen. Das Reizvollste ist jedoch der persönliche, leidenschaftliche Ton, der von den Violinsonaten her noch in der Es-, schwächer auch in der D-Dur-Sinfonie nachwirkt. Die Es-Dur-Sinfonie bringt gleich im vierten Takt mit dem E des Streichorchesters und der Fagotte in den festlichen Ouvertürenton einen finsteren Zug hinein, der sich im folgenden durch die gewaltigen Unisonogänge bis zum Erschreckenden steigert, auch die unruhige Hast des Seitenthemas bringt keine Befreiung. Die Krone der Sinfonie ist aber das durch einen Übergang voll unheimlicher Spannung eingeführte c-Moll-Andante, das sich nach italienischer Art auf einem kurzen, imitatorisch geführten Motiv aufbaut, aber in seinem den Schmerz bis zur Verzweiflung steigernden Stimmungsgehalt die Grenzen der Gesellschaftsmusik weit hinter sich läßt. Die Bläser begleiten teils in schweren, lastenden Akkorden auf dem schlechten Taktteil, teils greifen sie selbständig in die Entwicklung ein; die erste Geige aber hat bereits die sprechenden, halb rezitativischen kleinen Soli des späteren Mozart. Das durch einen unerwarteten, ganz kurz angebundenen Bläsersatz eingeführte Finale gibt zwar froheren Gedanken Raum, jedoch ohne die Kampfgeister ganz zum Schweigen zu bringen. So verbindet diese Sinfonie ihrer Stimmung nach die sechs Violinsonaten mit der folgenden g-Moll-Sinfonie (K.-V. 183). Diese gehört einer Gruppe an, von der wiederum freilich nur ein einziges Werk, die D-Dur-Sinfonie (K.-V. 202, S. VIII. 30) sicher datiert ist (5. Mai 1774); indessen weisen die übrigen in g-Moll, G-, C-und A-Dur (K.-V. 183, 199–201. S. VIII. 25, 27–29) soviel Form- und Stilähnlichkeiten mit jener auf, daß man sie nicht ohne Grund ebenfalls in die Zeit zwischen die Wiener und die Münchener Reise setzen darf76. Von ihren Vorgängerinnen unterscheiden sich diese Sinfonien äußerlich durch die Wiedereinführung des Menuetts, innerlich aber durch einen ganz entschiedenen Zug ins Große, Heroische, hinter dem man wohl nicht mit Unrecht den Niederschlag der Wiener Eindrücke zu erblicken hat. Die äußeren Dimensionen gehen mächtig in die Breite: die Durchführungen verlieren ihren bloß überleitenden Charakter, sie sind zwar noch nicht streng thematisch wie bei J. Haydn, sondern bevorzugen noch das sequenzenartige Weiterspinnen der Hauptthemen, aber es geschieht nicht mehr in dem gefälligen Plauderton der Italiener, sondern mit einer merkwürdigen, oft leidenschaftlichen Energie, die ihr Ziel fest im Auge behält und es schließlich auf echt Mozartsche Weise, nämlich mit allerhand poetischen Überraschungen, zu[316] erreichen versteht77. Ferner haben alle diese Sätze nach M. Haydns Vorgang eine größere Coda. Auch im Innern herrscht größerer Schwung: die Themen sind bedeutender und ihre Verarbeitung geht, dank der gesteigerten Rolle des Kontrapunkts und der thematisch selbständigen Bläser, weit mehr in die Tiefe. Das Streben nach einem ideellen Zusammenschluß der vier Sätze macht sich besonders in den beiden bedeutendsten Sinfonien, in g-Moll und A-Dur78, bemerklich, während die D-Dur-Sinfonie gerade hierin merklich nachläßt, wie sie überhaupt, offenbar um des Erzbischofs willen, wieder in den Kreis der gewöhnlichen, galanten Unterhaltungsmusik zurückkehrt. Jene beiden aber stellen der Vielseitigkeit von Mozarts Phantasie ein glänzendes Zeugnis aus. Die in A-Dur (K.-V. 201) atmet durchaus kraftvolle Lebensfreude, der im Andante auch der Humor und im Finale die Natureindrücke nicht fehlen, die in g-Moll (K.-V. 183) dagegen, das bedeutendste sinfonische Werk Mozarts auf lange Zeit hinaus, stellt den Höhepunkt jener leidenschaftlichen, pessimistischen Stimmung dar, die seit dem »Lucio Silla« in Mozart immer wieder zum Ausbruch kommt, sie ist außerdem denkwürdig wegen der auffallenden Verwandtschaft mit der großen g-Moll- Sinfonie aus dem Jahre 1788 (K.-V. 550), nicht allein in der gesamten Haltung, sondern auch in einzelnen Motiven79. Schon das von den Oboen angestimmte und von den Streichern in echt Mozartschen, trotzigen Synkopen begleitete Thema


Bis zur Finta Giardiniera

[317] führt uns einen Seelenzustand voll wilder Gärung vor, gemischt aus Trotz und Hoffnungslosigkeit, den auch die beiden, musikalisch freilich nicht gleich bedeutend erfundenen Nebengedanken nicht zu bannen vermögen. Der erste, der nach einem ratlosen Halbschluß auf D mit erneutem Kraftaufwand in B-Dur einsetzt und auf dem italienischen Schleifermotiv kurz abreißt80, ist wegen der abermals auftauchenden Synkopen und des an Gluck gemahnenden dröhnenden Rhythmus Bis zur Finta Giardiniera in den vier Hörnern wichtig, und auch beim eigentlichen Seitenthema liegt der Schwerpunkt mehr auf dem unruhig pochenden Baß und der Synkopenbegleitung als auf der trotz ihrer Verzierungen nicht eben sehr originellen Melodie. Dagegen sind alle Zwischengruppen voll des persönlichsten, leidenschaftlichsten Ausdruckes und außerdem von jeder Schablone frei. Die Durchführung versucht zunächst in einer kanonisch gehaltenen, thematisch neuen Partie81 des seelischen Druckes gewaltsam Herr zu werden, aber das Ergebnis ist auch hier ratloser Verzicht. Auch die kurze Coda des Satzes endet in einem letzten Ausbruch des Schmerzes auf einem neuen, trauermarschähnlichen Rhythmus. Das Andante ist von derselben inneren Unruhe erfüllt; es äußert sie zwar weniger laut und trotzig, aber dafür um so grüblerischer; zuversichtlichere Gedanken kommen kaum zum Wort82. Das Menuett nimmt, wie in dem Werk von 1788, den Kampf wieder offen auf; charakteristisch ist auch hier der beständige Wechsel zwischen trotzigem Ansturm und verzagtem Zurücksinken; das nach Serenadenart nur von Bläsern gespielte Trio ist der einzige Satz der Sinfonie, der ein rührendes Bild von Glück und Frieden hervorzaubert, freilich verklingt es rasch wie ein schöner Traum. Denn gleich im Hauptthema des letzten Satzes schleicht der alte, verbissene Groll tigerartig wieder heran, nur noch unheimlicher als im ersten, mit dem dieser Teil sowohl die gigantischen Unisoni als die wilden Synkopen gemein hat. Die grimmige Lustigkeit des Finales von 1788 fehlt ihm. Das ist ein beständiges Gären und Brodeln der Leidenschaft, das sich bald in verzweifelter Anklage gegen das Schicksal, bald in selbstquälerischer Klage äußert, man beachte z.B. nur einmal die Durchführung, wo dem zyklopenhaften Spiel der Bässe mit dem unscheinbaren, vorangehenden Schlußgedanken eine ganz merkwürdige Stelle folgt: über einem schrillen Oktavengeflimmer der Geigen ein drängender, schmerzlicher Gesang der Bässe, gefolgt von einer trotzig polternden Achtelfigur, die einen vollen Ausbruch auf der Dominante von g-Moll mit Synkopen herbeiführt. Aber damit ist die Reprise noch nicht erreicht, vielmehr erscheinen noch zwei müde herabsinkende Takte der ersten Violinen:


Bis zur Finta Giardiniera

[318] ein ganz ausgesprochener Mozartscher Rückgang, wie denn überhaupt derartige Solostellen, die halb wie ein Rezitativ klingen, in diesem Satze noch öfter wiederkehren, so z.B. am Ende der Themengruppe. Die Coda scheint das Spiel der Durchführung erneuern zu wollen, aber schon im dritten Takt rieselt es in den Geigen wie ein kalter Schauer herab, ein paar trotzige, unbändige Unisoni, und die Sinfonie schließt ebenso finster und wild ab, wie sie begonnen hat. Wohl möglich, daß Mozart dieses Selbstbekenntnis, das weder mit der damaligen Gesellschaftskunst mehr etwas gemein hat, noch aber auch die befreiende Luft der Haydnschen, geschweige denn der Beethovenschen Finales kennt, in einer trüben Stunde geschrieben hat, da ihn das Bewußtsein seiner beengenden Lage in Salzburg plötzlich übermannte, möglich auch, daß ihm der Erzbischof, dessen Musikanschauung ein derartiges Verlassen des »guten Anstandes« unmöglich gutheißen konnte, daraufhin Vorhaltungen gemacht hat. Jedenfalls hielt Mozart zunächst mit solchen elementaren Äußerungen seines Temperaments zurück und schloß sich wieder dem Herkommen an; der Konflikt war fürs erste beschworen.

Von Divertimenti aus dieser Zeit ist zunächst dieD-Dur-Serenade (K.-V. 185, S. IX. 5) zu nennen, die zur Hochzeit des jungen Andretter, des Sohnes des Hofkriegsrates in Salzburg, geschrieben und in den ersten Augusttagen 1773 dort aufgeführt wurde83. Aller Wahrscheinlichkeit gehört dazu noch der Marsch (K.-V. 189, S.X. 1), unter dessen Klängen die Spieler nach altem Brauch84 auf- und am Schlusse wieder abzogen, ein würdevolles Andante in Sonatenform, dem hohen Rang der Respektsperson durchaus angemessen. Die Serenade hat sieben Sätze; die Instrumentation der Hauptsätze weist Streicher, Oboen, Hörner und die feierlichen Trompeten auf, statt der Oboen erscheinen im vierten und fünften Satz Flöten, der zweite und dritte sind konzertartige Sätze für eine Solovioline. In Bau und Thematik ist der Einfluß J. Haydns ganz unverkennbar, er zeigt sich namentlich in der dominierenden Stellung der ersten Themen in den Themengruppen, aber auch in den ausführlichen, meist thematisch gehaltenen Durchführungen; selbst den echten Haydnschen Witz, dem Zuhörer durch das plötzliche Auftauchen des Hauptthemas in der Durchführung eine verfrühte Reprise vorzutäuschen, hat Mozart im fünften und siebenten Satz nachgemacht. Ebenso weisen die geistvolle Bläserbehandlung, die straffe Rhythmik der Menuette sowie die Melodik des zweiten Andantes und des Finales auf Haydn hin. Die beiden Sätze mit der Sologeige stehen durchaus im Zeichen des Konzerts, der zweite ist ein Rondo, worin der Hauptgedanke dem Tutti, die Nebengedanken[319] aber dem Solisten übertragen sind. Das Ganze ist richtige Serenadenmusik von ausgesprochen festlichem und ritterlichem Gepräge. Tiefere Töne brechen nur in der langsamen Einleitung des Finales hindurch85; dieses selbst schließt mit einem gewaltigen Crescendo und rauschenden Fanfarenklängen ab.

Auch das Divertimento in D-Dur für Violine, Viola, Fagott, Baß und zwei Hörner (K.-V. 205, S. IX. 21) und die D-Dur-Serenade für Streichquartett, 2 Oboen (2 Flöten), Fagott, 2 Hörner und 2 Trompeten (K.-V. 203, S. IX. 6) gehören wahrscheinlich in diese Zeit86. Während jenes den harmlos-fröhlichen Ton der Wiener Straßenmusik festhält und außerdem nicht nur im Formenbau, sondern auch in den Motiven J. Haydn auffallend kopiert, nimmt diese einen höheren Schwung, der sich namentlich in den langsamen Sätzen äußert. Das G-Dur-Andante ist einer der poetischsten Serenadensätze Mozarts überhaupt, und seine Coda mit der ganz neuen, in die Unterdominante herabsinkenden zarten Oboenmelodie steht den zauberhaften Epilogen späterer Andantes in nichts nach87. Auch die dreisätzige Konzertepisode des zweiten bis vierten Satzes mit der virtuos behandelten Solovioline gehört zu den Glanzpartien des Werkes. Im Bau den entsprechenden Sätzen der Andretterserenade verwandt, hat sie doch größere, an die eigentlichen Konzerte gemahnende Maße, und besonders im Andante weist der breit hinströmende, von Ausdruck überquellende Gesang der Sologeige auf die späteren Violinkonzerte hin. Der lockerste Satz der Serenade, das Finale, erinnert mit seinem Hauptthema und dessen Crescendoanlauf an gewisse Mannheimer Schlußsätze.

In diesen beiden Stücken zeigt sich bereits ein hervorragendes Verständnis für die Eigenart der Violine. Seit frühester Jugend hatte Mozart neben dem Klavier die Geige besonders bevorzugt88 und sich darauf auch während der ersten Kunstreise und zu Anfang der ersten italienischen Reise als Solist hören lassen. In Rom hatte er indessen nicht mehr öffentlich gespielt, wenn er auch sein Studium regelmäßig fortsetzte. In Salzburg mußte er von Amts wegen in den Hofkonzerten als Geiger mitwirken; 1773 fand es der Vater keck von ihm, daß er sich bei den Theatinern eine Geige geben ließ und ein Konzert darauf vortrug89. Seit der Zeit warf er sich aber mit mehr Nachdruck auf das Violinspiel und bildete sich auch hier zum Virtuosen aus, freilich mehr auf Antrieb des Vaters als aus innerer Neigung. Denn so wie ihm das Violinspielen bei Hofe eine Last war, scheint er auch wenig Trieb zum Geigen und kein rechtes Vertrauen in seine Leistungen gehabt zu haben. »Du weißt selbst nicht, wie gut Du Violin spielst«, schreibt ihm der Vater (18. Oktober 1777)90, »wenn Du nur Dir Ehre geben[320] und mit Figur, Herzhaftigkeit und Geist spielen willst, ja, so, als wärst Du der erste Violinspieler in Europa«. Trotzdem übte er sich regelmäßig und mit Fleiß, so daß der Vater ihm nach seiner Abreise schrieb (6. Oktober 1777)91: »So oft ich nach Hause gehe, wandelt mir eine kleine Melankoly zu, denn wann ich mich unserem Hause nähere, glaube ich immer, ich müsse Dich Violin spielen hören.« Seit dem Jahre 1773 tritt auch in den Kompositionen für die Violine immer mehr der Charakter der Bravour hervor; sie geben den Maßstab für die technischen Fortschritte Mozarts ab. Sein Hauptnebenbuhler war der als Sologeiger angestellte Brunetti, aber auch dieser ließ ihm alle Ehre widerfahren. »Brunetti lobt Dich nun erschrecklich«, schreibt der Vater (9. Oktober 1777)92, »und da ich letzthin sagte, Du spieltest doch auch passabilmente die Violin, schrie er laut: Cosa? Cazo! se suonava tutto! questo era del Principe un puntiglio mal inteso, col suo proprio danno«.

Nach seiner Abreise von Salzburg im September 1777 ließ sich Mozart in München und Augsburg auch auf der Violine hören, und wieder berichtet er ironisch über seine Erfolge aus München: »Da schauete alles groß drein. Ich spielte, als wenn ich der größte Geiger in ganz Europa wäre« (6. Oktober 1777)93, und aus Augsburg: »Ich machte eine Sinfonie und spielte auf der Violin das Konzert ex B vom Vanhall, mit allgemeinem applauso ... auf die Nacht beim soupée spielte ich das Straßburger Konzert. Es ging wie Öl. Alles lobte den schönen reinen Ton« (24. Oktober 1777)94. Später hören diese Nachrichten auf, der Vater schreibt mit Bekümmernis (9. Oktober 1777)95: »Du wirst wohl auf der Violin, so lange Du in München warst, Dich gar nicht geübt haben? Das wäre mir sehr leid«, und etwas später (27. November 1777)96: »Die Violin hängt am Nagel, das bilde [ich] mir schon ein.« So wird es auch gewesen sein. In Salzburg mußte er nachher wieder die Violine spielen; seitdem er sich aber in Wien aufhielt, hat er sich als Virtuose auf diesem Instrument nie mehr hören lassen. Bekanntlich pflegte er in späteren Jahren, wenn er sich an einem Quartett oder sonst als Mitspieler beteiligte, die Bratsche zu wählen. Nicht ohne Interesse sind aber seine Urteile über andere Geiger, wie über den närrischen Esser, an dem L. Mozart zwar sein seelenvolles Adagiospiel, daneben freilich aber auch seine Vorliebe für allerhand Seiltänzerkunststücke auf der Geige hervorhebt. Bezeichnend ist, daß schon dem sechsjährigen Mozart diese Aufspielereien unangenehm auffielen; kurz und bündig wie immer sagte er ihm damals in Mainz, er spiele gut, mache aber zuviel und solle lieber geigen wie es geschrieben stehe97. Weit später aber (22. November 1777) schreibt er über den damaligen Konzertmeister der Mannheimer Hofkapelle, Ign. Fränzl (1736–1811)98:


[321] »Ich hatte das Vergnügen, den H. Fränzl ... auf der Violin ein Konzert spielen zu hören. Er gefällt mir sehr. Sie wissen, daß ich kein großer Liebhaber von Schwierig keiten bin. Er spielt schwer, aber man kennt nicht, daß es schwer ist, man glaubt, man kann es gleich nachmachen. Und das ist das Wahre. Er hat auch einen sehr schönen runden Ton; er fehlt keine Note, man hört alles; es ist alles marquirt. Er hat ein schönes staccato, in einem Bogen, sowohl hinauf als herab, und den doppelten Triller habe ich noch nie so gehört wie von ihm. Mit einem Wort: er ist meinethalben kein Hexenmeister, aber ein sehr solider Geiger.«


Dieses Urteil ist nicht nur wegen seiner technischen Sachkenntnis, nicht nur wegen des durchdringenden künstlerischen Ernstes wichtig, sondern auch wegen seiner echt Mozartschen, scharfen Bildhaftigkeit: der Mann steht mit seiner Geige leibhaftig vor uns da.

Mozarts erste größere Konzertkomposition für die Violine war das vom 3. Mai 1773 datierte Concertone (K.-V. 190, S. XII. 9) für zwei Soloviolinen und Orchester. Es ist ein Nachzügler des alten Concerto grosso, und es konzertieren darin mit dem Orchester nicht allein die beiden Sologeigen, sondern auch die Oboen, und in schwächerem Maße auch das Violoncello. Die Konzertform ist noch nicht völlig ausgebildet, dagegen die scharfe Scheidung von Soli und Tutti nach Tartinis Art bereits ziemlich reinlich durchgeführt, nur daß Mozart, seinen gesamten Neigungen nach der Rückkehr aus Italien entsprechend, auf kontrapunktische Führung weit mehr Wert legt als die Italiener. Kaum ein Gedanke wird, zumal im ersten Satz, eingeführt, der nicht alsbald imitatorisch weitergesponnen würde. Die Erfindung ist nicht besonders selbständig, sondern stark von den Italienern beeinflußt, ebenso wie die gesamte Geigentechnik und das im »langen Geschmack« der Welschen gehaltene Schlußmenuett, worin der Hauptteil dem Tutti, das Trio dagegen den Solisten überlassen ist. Was Mozart an seiner Aufgabe offenbar am meisten gereizt hat, war das Problem des Konzertierens, und dieses hat er denn auch mit großem Geschick, mannigfaltigem Leben und rühmenswertem Klangsinn gelöst. Das gelungenste Stück ist das Andante, das sich gleich einzelnen Partien des Menuetts auch am meisten dem deutschen Stil nähert, außerdem die konzertierenden Gruppen mit ihren Themen näher aneinanderrückt und so einen reizvollen Dialog entwickelt; freilich vollzieht sich dieses Zwiegespräch in aller Verbindlichkeit, ohne jede Spur dramatischer Erregung.

Ein für ihn besonders verheißungsvolles Gebiet betrat Mozart noch im Dezember desselben Jahres mit dem Klavierkonzert in D-Dur (K.-V. 175, S. XVI. 5)99, das er selbst auf seiner Reise nach Mannheim und Paris mit Vorliebe spielte und noch 1782 mit einem neuen Schlußrondo (K.-V. 382, S. XVI. 28) versah.[322]

Die ersten Klavierkonzerte, die geschrieben wurden, waren im Grunde nichts anderes gewesen als Klavierauszüge von Violinkonzerten für den Laiengebrauch. S. Bach hat bekanntlich eine ganze Reihe fremder Kompositionen in dieser Weise bearbeitet100, aber auch zugleich 1735 nach diesen Vorbildern das Italienische Konzert geschaffen, das erste bedeutende originale Klavierkonzert, wenn auch ohne Orchester. Jedoch hat Bach auch dem vom Orchester begleiteten Klavierkonzert die Bahn gebrochen, und gerade diesen Anregungen ist seine Schule mit besonderem Eifer nachgegangen. Die äußere Form blieb, wie bei dem älteren Violinkonzert, die aus der neapolitanischen Sinfonie erwachsene Dreisätzigkeit, die sich hier, anders als in der Sinfonie, ohne Einschiebsel bis in die moderne Zeit herübergerettet hat. Der Schlußsatz nimmt bei den Wiener Komponisten, Wagenseil voran, mit dem Menuett ein Suitenelement auf, später tritt nach Joh. Christ. Bachs Vorgang das Rondo an seine Stelle, die Lieblingsform der »galanten« Zeit. Dank den zahlreichen Collegia musica fand das Klavierkonzert eine rege Pflege, hier ist ihm auch auf lange Zeit, bis über Mozart hinaus, sein eigentümlicher Charakter aufgeprägt worden. Auch das Konzert blieb vorerst Gesellschaftsmusik, bei der das Laientum den Ton angab, freilich eine Kunst, die durch die feine und geistvolle Geselligkeit des 18. Jahrhunderts von Anfang an hoch über die spätere Salonmusik hinausgehoben wurde. Die weitere Entwicklung wurde vor allem durch das alte Grundproblem der ganzen Gattung, das Verhältnis von Solo und Tutti, bestimmt, dazu gesellte sich sowohl der wachsende Einfluß der neuen Sinfonik, als auch der der grundlegenden Umwälzung, die Klaviertechnik und Klavierspiel mit der Ersetzung des alten Cembalos durch das neue Hammerklavier101 (»Pianoforte«) erfuhren. Die Norddeutschen hielten unter Ph. Em. Bach an dem alten Konzertbegriff fest, indem sie Solo und Tutti als vollständig gleichberechtigte Parteien behandelten, wie es ihnen überhaupt wie in der Sonate, so auch im Konzert in erster Linie auf Sachlichkeit und Logik ankam. Gerade für Ph. Em. Bach war das Konzert, so hohe Ansprüche er auch an den Spieler stellte, eine Sache des Geistes und nicht der Sinne, und seine Konzerte sind neben den Sonaten noch heute von hohem musikalischem Werte, gipfelt doch die von ihm vertretene Richtung schließlich in den Klavierkonzerten Beethovens.

In Süddeutschland nahmen die Dinge unter teils italienischen, teils lokalen Einflüssen einen ähnlichen gegensätzlichen Verlauf wie in der Sonate (S. 67 ff.). Bezeichnend ist allein schon, daß die Norddeutschen weit zäher an dem alten Cembalokonzert festhielten, während der Süden sich alsbald[323] von dem neuen Klang des Hammerklaviers gefangennehmen ließen. Schon bei G. Chr. Wagenseil ist das Klavier die Hauptperson im Konzert, und da er außerdem in seiner Thematik den unverfälschten Wiener Lokaldialekt redet, muten uns seine Klavierkonzerte nicht selten wie Divertimenti für Klavier mit begleitendem Orchester an; von einem wirklichen Konzertieren beider Parteien ist kaum noch die Rede. Ähnliche Ziele verfolgte Joh. Christ. Bach, der mit seinen Klavierkonzerten an äußerem Erfolg bald die seines Bruders ausstach und nicht allein für Mozart von der höchsten Bedeutung wurde. Auch er verwischt den Dialogcharakter des Konzertes fast vollständig und legt den Schwerpunkt auf das Klavier, das unter seinen Händen nunmehr alle Reize sowohl des neuen Figuren- und Passagenspiels als namentlich des neuen Gesangstones entfaltet. Zugleich führte er aber die zweiten, gegensätzlichen Themen, die wir schon bei seinen Arienritornellen und Sonaten kennenlernten102, auch in die Konzertallegros ein.


Dieser wichtige Vorstoß des Sonatensatzes in den Bereich des Konzerts hat die Form der ersten Sätze erheblich verändert103 und ihnen bei Bach folgende, typische Form gegeben: 1. Großes Orchestertutti mit zwei selbständigen Themen. 2. Solo auf Grund des ersten Themas mit klaviermäßiger Ausschmückung und meist auch mit Hinzufügung kleiner Nebengedanken. 3. Kürzeres Tutti aus dem Kreis des ersten Themas mit Modulation nach der Dominante. 4. Solo auf Grund des zweiten Themas in der Dominanttonart, ebenfalls mit kleinen Erweiterungen. 5. Kurzes Tutti aus dem Schluß des zweiten Themas. 6. Durchführung auf Grund der bisherigen oder auch neuer Gedanken durch den vom Orchester nur leicht begleiteten Solisten. 7. Reprise der Themengruppe in derselben Folge von Tutti und Solo, nur mit Verkürzung der einzelnen Glieder; dem zweiten Thema folgt die große Kadenz, worauf ein ebenfalls dem zweiten Thema entstammendes Tutti den Satz beschließt.


Diese, wie man sieht, auf dem Prinzip des ersten Sonatensatzes beruhende Form eroberte sich sehr rasch den deutschen Markt mit Ausnahme von Norddeutschland, und auch Mozart hat grundsätzlich nichts daran geändert. Ihr Charakter ist derselbe wie in Bachs gesamter übriger Musik: heitere Lebensfreude, die keine seelischen Spannungen und Krisen kennt, einschmeichelnde und elegante Linienführung und geschickte Ausnützung des sinnlichen Klanges. In Deutschland ist dieser Grundton, dem Einfluß der lokalen Sinfonikerschulen entsprechend, verändert worden, aber Unterhaltungsmusik »den Liebhabern zu Ergötzung« ist das Konzert auch hier bis in Mozarts Reifezeit hinein geblieben.

Trotz aller Anlehnung an das berühmte Muster läßt Mozart in seinem D-Dur-Konzert das Publikum doch wissen, daß er keineswegs gesonnen sei, in ausgelaufenen Geleisen weiterzuwandeln. Das Neue, das er bringt, liegt ebensowohl in dem energischen, sich im Finale bis zum Heroischen steigernden Grundton des Stückes wie in der eigentümlichen Art, mit der er sich in dem überkommenen Gehäuse einrichtet. Da werden gleich die[324] kleinen Zwischenglieder des Solisten, die bei Bach noch meist Passagenwerk gewesen waren, zu selbständigen, ausdrucksvollen Tongedanken, die das ganze Tonbild wesentlich vertiefen, erweitert, wie denn überhaupt das rein Virtuose weit weniger selbstherrlich hervortritt als in manchen späteren Konzerten. Aber auch das Orchester greift bedeutungsvoller ein und geht, indem es in der Durchführung und im Schlußtutti immer wieder auf das erste Thema zurückkommt, andere Wege als bei Bach. Hier wirkt der Geist der Haydnschen Sinfonie nach, der die Bachsche Vielgestaltigkeit unter das Gesetz der Einheitlichkeit beugen will. Derselben Form, nur in kleineren Dimensionen, folgt auch das besonders poetische Andante; in seinem Mittelteil weist der spannende Dialog zwischen Klavier und Orchester auf ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten hin. Auch verraten die geistvollen Veränderungen der Reprise sowie die individuelle Art der Begleitung des Orchesters einen selbständigen Geist. Namentlich aber mag der letzte Satz das damalige Publikum haben aufhorchen machen, das hier statt des gewohnten heiteren Rondos einen strengen Sonatensatz mit reicher Kontrapunktik als Höhepunkt des ganzen Konzerts zu hören bekam. Auch in diesem bedeutenden Satz ist nicht bloß die freie Behandlung der Form neu, sondern besonders die genial durchgeführte Einheit in der Vielheit. Trotz der Fülle von Nebengedanken wird die im Hauptgedanken ausgedrückte, selbstbewußte Kraft niemals unterbrochen. Mozart hatte recht, wenn er dieses Konzert immer wieder hervorholte; die schönsten Träume seiner jungen Jahre, ein frohes Hinausstürmen ins Leben, vermischt mit holder, an Schwermut streifender Schwärmerei, sind darin beschlossen.

Das Fagottkonzert in B-Dur (K.-V. 191, S. XII. 11) ist ebenso gebaut, nur daß das Finale ein Rondo mit Menuettcharakter ist; charakteristisch ist dafür, daß nicht, wie früher, alle Seitensätze mit gleichem Recht nebeneinander stehen, sondern daß nach dem großen Mollintermezzo Haupt- und erster Seitengedanke wiederkehren, eine Erinnerung an die Rondos J. Chr. Bachs104. Das Virtuose tritt kräftiger hervor als im Klavierkonzert, der Gesamtcharakter ist leichter und eleganter. In dem Ganzen erkennt man deutlich die Beliebtheit, deren sich das Bläserkonzert noch damals, namentlich in Deutschland, zu erfreuen hatte.

Unter den Kammermusikkompositionen aus dieser Zeit steht das Quintett in B-Dur für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncell (K.-V. 174, S. XIII. 1) zeitlich voran. Das Trio des Menuetts und das Finale liegen in zwei Fassungen vor, was nach Mozarts Gepflogenheit darauf hindeutet, daß er das Stück für eine spätere Aufführung überarbeitet hat. Das Autograph ist vom Dezember 1773 datiert, und es ist sehr wahrscheinlich, daß damit eben jene zweite Bearbeitung gemeint ist105 und die erste Fassung somit in eine frühere Zeit fällt, und zwar bald nach der Rückkehr aus Italien. Dort hatte Mozart die Quintette Sammartinis kennengelernt, in Salzburg[325] fand er bei M. Haydn Muster dafür, und ihnen hat er sich alsbald angeschlossen106. Das Gepräge des Divertimentos trägt unser Stück noch so gut wie die ihm vorangehenden von M. Haydn, auf den auch die drei Codas und das häufige Antwortspiel zwischen erster Geige und erster Bratsche hinweisen. Am wichtigsten aber ist der in den beiden Fassungen erkennbare Fortschritt. Er betrifft weniger das Trio des Menuetts, obwohl der neue Satz mit seinen reizenden Echos dem älteren weit überlegen ist, als die geniale Umarbeitung des Finales auf Grund des vorhandenen Materials. Das Finale war vorher ein heiterer Ausklang des Ganzen gewesen, nun steigt es, wie in den gleichzeitigen Sinfonien und dem Klavierkonzert, zu seinem eigentlichen Höhepunkt auf. Früher hatte es mit dem Sechzehntelthema in einfachem, dreistimmigem Satze begonnen, jetzt schickt ihm Mozart ein neues Thema von Wiener Prägung voraus, als dessen Gegensatz es nunmehr erscheint, aber nicht mehr in schlichter Dreistimmigkeit, sondern kontrapunktisch gesteigert: aus dem harmlosen Spiel entwickelt sich ein großer Komplex, worin sich gegensätzliche Kräfte mit großer Energie messen. Auch das Seitenthema hat einen Zusatz von Kraft bekommen, und am Schluß der Themengruppe stolzieren sogar noch die Bässe allein nach J. Haydns Art mit einer Variante des Hauptthemas einher, die von den zweiten Geigen kanonisch beantwortet wird. Auch die Durchführung ist durch eine beträchtliche Erweiterung einer der längsten Sätze dieser Art bei Mozart geworden. Die erste Hälfte deckt sich mit der alten Fassung, dann aber erscheint plötzlich das neue Hauptthema, und zwar in J. Haydns Weise nicht, wie man zunächst meint, als Beginn der Reprise, sondern als Träger eines neuen Durchführungsteils; erst allmählich wird, zum Teil nach recht verzweifelten Anstrengungen, die Reprise erreicht. Und neu ist endlich auch die Coda, in der der alte Hauptgedanke im forte dem neuen im piano fast dramatisch gegenübergestellt wird. Offenbar war es der durch die Wiener Eindrücke erzeugte Aufschwung in Mozarts Schaffen, der dieses zuerst als Divertimento gedachte Quintett107 im großen sinfonischen Stil enden ließ und seinen ganzen geistigen Schwerpunkt vom ersten auf den letzten Satz verschob.[326]

Unter dem frischen Eindruck der Wiener Kammermusik, besonders der beiden Quartettserien von J. Haydn op. 17 (1771) und 20, der sog. »Sonnenquartette« (1773108), stehen die sechs im August und September 1773, vielleicht auf Bestellung geschriebenen Streichquartette (K.-V. 168–173, S. XVIII 8–13), die ersten viersätzigen Quartette Mozarts (mit Menuetten); einige kleinere Abweichungen von der Form, wie die Schlußfugen (K.-V. 168, 173), die Variationen als erster Satz (K.-V. 170) und die Adagioeinleitung (K.-V. 171)109, gehören ebenfalls aufHaydns Rechnung. Als Schlußsätze treten neben den Sonatensätzen auch Rondos auf. Auch bei der inneren Einrichtung hat Haydn Pate gestanden, vor allem gehen die streng thematischen Durchführungen der ersten Sätze auf ihn zurück110, wenngleich auch hier die alte Sequenzenarbeit noch deutlich hindurchschimmert, ein Beweis dafür, daß Mozart auch jetzt noch nicht völlig in den Geist der Haydnschen Auslegekunst eingedrungen war. Endlich wird auch die Gedanken- und Stimmungswelt des älteren Meisters mehr als einmal gestreift. Nicht allein die Menuette enthalten Proben des bisweilen ins Bizarre spielenden Haydnschen Humors, der Mozart von Hause aus fremd ist, auch in den langsamen Sätzen sucht er es dem gedankenvollen Ernst der Haydnschen Vorbilder gleichzutun. Gleich in der düsteren Grübelei des f-Moll-Andantes von K.-V. 168 findet sich ein unmittelbarer Anklang an Haydns Nr. 37 (gleichfalls in f-Moll)111:


Bis zur Finta Giardiniera

und der Variationensatz von K.-V. 170 ist vollends, sowohl was das Thema als die Variierung anbetrifft, ein getreuer Absenker des älteren Meisters. Im allgemeinen zeigen diese Quartette ihren Vorgängern gegenüber einen entschiedenen Fortschritt in der Behandlung des Stils, wozu namentlich die sorgfältigere kontrapunktische Arbeit beiträgt und, zum Teil wenigstens, auch im Ausdruck. An Unmittelbarkeit des Empfindens erreichen sie sie dagegen nicht immer. Man hat öfters den Eindruck, als fühlte sich Mozart seinem großen Vorbild gegenüber befangen, als suchte er durch sorgfältige Arbeit zu ersetzen, was ihm an Sicherheit fehlte; das kommt gleich in der formell tadellosen, aber dem Geiste nach etwas scholastischen Schlußfuge des ersten Quartetts zum Ausdruck112. Auf der anderen Seite bleibt er manchmal knapp und wortkarg, wo der Gehalt seiner Themen eine breitere[327] Ausführung gefordert hätte, wie in den Mittelsätzen von K.-V. 171 und 172. Demgegenüber stehen freilich Stellen, wo der echte Mozart in seiner ganzen damaligen Größe auf den Plan tritt. Hierher gehören nicht allein die kantablen Hauptthemen der meisten Allegros, sondern ganze Sätze, wie der erste von K.-V. 171. Haydns würdig ist die tiefsinnige Einleitung mit der Mozartschen Lieblingsphrase


Bis zur Finta Giardiniera

am Anfang und der den folgenden flehenden Gesang der Primgeige begleitenden, echt Mozartschen Sechzehntelfigur der zweiten:


Bis zur Finta Giardiniera

Aber damit ist's noch nicht genug des Träumens, auch das Allegro beginnt in weltentrücktem Sinnen:


Bis zur Finta Giardiniera

Erst dann erfolgt, ganz überraschend, der Aufschwung; höchst poetisch taucht dieses Traumbild in der kurzen Durchführung in den beiden Unterstimmen sowie am Schluß des Allegros wieder auf. Am höchsten steht jedoch in dieser Reihe das letzte Quartett, bei dem schon die Molltonart von Bedeutung ist (K.-V. 173). Sein erster Satz hat ein schicksalsschweres, in seiner ganzen Haltung an Gluck113 erinnerndes Thema, dem ein trotzig pochendes Motiv gegenübertritt; auf dem Widerstreit beider Stimmungen beruht der ganze, schmerzlich bewegte Satz, bis in der Coda der Trotz das[328] Wort behält. In diesen Stimmungskreis biegt freilich nach dem entschieden zu tändelnd geratenen Andantino erst wieder das Menuett ein, ein in seinen Stimmungsumschlägen seltsam zerrissenes Stück, in das nur das Trio einige Beruhigung hineinbringt. Auch die Schlußfuge fällt mit ihrem chromatischen Thema114


Bis zur Finta Giardiniera

in den alten vergrämten Ton zurück. Sie ist rein technisch durchaus nicht einwandfrei, aber im Ausdruck weit besser und lebendiger gelungen als die des ersten Quartetts, geradezu ergreifend ist die stille Resignation der Coda.

Mit den sechs dem Baron v. Dürnitz gewidmeten Sonaten (K.-V. 279–284, S. XX. 1–6), die Mozart auf der Mannheimer und Pariser Reise öfters vorgetragen hat, betrat er zum ersten Male das Gebiet der Klaviersonate. Die zum Teil recht wesentlichen Verschiedenheiten der einzelnen Stücke in Bau und Charakter legen die Vermutung nahe, daß er nach Empfang seines Auftrags auf eine ältere Mappe zurückgegriffen hat115; freilich muß dabei bemerkt werden, daß die Sonate damals noch keine so feste Form angenommen hatte wie die Sinfonie. Neben Sonaten von der Form J. Haydns (K.-V. 280, 281) steht die in Es-Dur (K.-V. 282), die den Bau der romantischen Violinsonaten aufweist, und die in D-Dur (K.-V. 284), die mit ihrem Polonäsenrondo und dem Variationenfinale auf französische Muster hindeutet. Am treuesten folgen dem von den Italienern stark beeinflußten Wiener Modestil die ganze erste und das Allegro der dritten Sonate mit ihrem behaglich lockeren Bau und der in figurativen Themen, gebrochenen Akkorden und Albertischen Bässen schwelgenden Spielfreudigkeit. In den andern erheben sich besonders die Durchführungen zu größerer Gediegenheit im Sinne Haydns, der auch in manchen Übergangsthemen und Schlußsätzen sein Wesen treibt (vgl. Nr. 2, 4 und 5), auch ist das Rondo der dritten bereits ein Stück von hohem, lebendigem Schwung. Aber Selbstbekenntnisse im Sinne der Quartette hat Mozart hier der Sonate noch nicht anvertraut, von jener Romantik huschen nur ab und zu flüchtige Schatten über die Szene116. Nur Nr. 6 geht auch hierin ihren eigenen Weg. Sie ist zugleich die[329] erste, die die Ausdrucksmöglichkeiten des neuen Hammerklaviers vollständig erschöpft, während die andern über die alte Clavichordtechnik nicht wesentlich hinausgehen. In der Durchführung des ersten Satzes umzieht sich plötzlich der heitere Himmel, und der Hörer wird auf Grund eines Motivs, das aus einem Nebengedanken gewonnen ist117, in einen gärenden Strudel der Leidenschaft hineingerissen, schließlich zerflattert die Melodik überhaupt, und erst nachdem hastig ein ganzer Kreis von Molltonarten durchmessen ist, wird in einem kurzen Crescendoanlauf das Hauptthema wieder erreicht. Das ist die Joh. Schobert verwandte Seite in Mozarts Wesen, die hier plötzlich mit Urgewalt wieder hervorbricht. Auch in dem nach französischen Vorbildern die Sonate beschließenden Variationensatz glaubt man Mozarts Genius im Verlaufe der Arbeit Feuer fangen zu sehen. Nachdem die ersten Variationen auf Grund bestimmter Spielfiguren das Thema melodisch umspielt haben, gewinnt von der klagenden Mollvariation ab das poetische Element die Vorherrschaft und sucht in der 8.–10. Variation dem Thema neue Seiten abzugewinnen118, wobei namentlich die neunte und zehnte bereits stark an die Art Beethovens streifen; leider hält die dem Modegeschmack folgende Adagiovariation diese Höhe nicht fest.

Zwei Vorläufer haben diese Variationen in den Variationen über ein Menuett von Fischer (K.-V. 179, S. XXI. 3) und über »Mio caro Adone« aus Salieris »Fiera di Venezia« von 1772 (K.-V. 180, S. XXI. 4) aus demselben Zeitabschnitt119. Während jene nach der Sitte der Zeit im wesentlichen rein ornamental gehalten sind und die melodische Linie des Themas dem Hörer stets gegenwärtig halten120, folgen die Salierivariationen dem älteren deutschen, noch von J. Haydn in seinen A-Dur-Variationen geübten und später vonBeethoven in größtem Maßstab wieder aufgenommenen Brauch, statt der äußeren, melodischen Erscheinung des Themas vielmehr seinen geistigen Gehalt zu variieren und daraus ganz neue Tongebilde hervorzulocken. Das Fischersche Menuett bleibt stets deutlich erkennbar, die Salierische Arie dagegen muß es sich gefallen lassen, in eine Reihe kleiner, selbständiger Charakterstücke umgegossen zu werden, von denen das letzte sich sogar unter Aufgabe des Grundrhythmus einem französischen Singspielliedchen nähert, halb humoristisch schließt sich daran dann noch die italienische Bettelkadenz. Bedeutend sind diese Stücke freilich nicht, aber das Prinzip ist bemerkenswert; Mozart ist in seinen späteren Werken nur noch in einzelnen Fällen darauf zurückgekommen.

Den Abschluß dieser ganzen Reihe von Werken bildet die opera buffa »La finta giardiniera«. Sie ist von einem unbekannten Dichter verfaßt121 und 1774[330] im Karneval mit der Musik P. Anfossis zu Rom im »Teatro alle Dame« erstmals aufgeführt worden. Um ihr gerecht zu werden, müssen wir uns zunächst in der Geschichte der ganzen, für Mozart ja so überaus wichtigen Gattung etwas näher umsehen. Es ist dies um so notwendiger, als sie bis jetzt von der Forschung ziemlich stiefmütterlich behandelt worden ist. Hier liegt zugleich auch eine der größten Lücken in der Mozartforschung vor. Dem stolzen Bau des Figaro und Don Giovanni fehlt eigentlich die geschichtliche Unterlage noch vollständig; um so merkwürdiger wirkt die auch von Männern wie Jahn befolgte Methode, unter flüchtiger Behandlung einzelner, auf gut Glück herausgegriffener Vorgänger Mozart einfach für den Höhepunkt der ganzen Gattung zu erklären. Hier muß tatsächlich die ganze Arbeit nochmals geleistet werden.

Fußnoten

1 S.o.S. 102.


2 B III 122.


3 S.o.S. 170.


4 B I 63. Das Dekret vom 28. Aug. 1772 bei Pirckmayer in den Mitteil. der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 1876, 150.


5 Von Leopold offenbar beeinflußt ist Dom. Hagenauers Tagebuchnotiz: »L. Mozart hatte das Unglück, hier immer verfolgt zu werden und war lange nicht so beliebt, wie in anderen größten Städten Europas.« Engl, Mozart S. 5. Eine Ehrenrettung des Erzbischofs versucht Pirckmayer a.a.O., vgl. dazu auch Deiters bei Jahn I4 394, Anm. 37.


6 Vgl. die Schilderung bei Koch-Sternfeld a.a.O. S. 44 f.


7 K. R[isbeck], Briefe eines reisenden Franzosen I 158: »In Rücksicht auf den Kopf kann man von dem jetzigen Fürsten nichts Gutes genug sagen, aber – sein Herz kenne ich nicht. Er weiß, daß er den Salzburgern nicht sehr angenehm ist, und verachtet sie daher und verschließt sich.«


8 Am 19. Febr. 1778 schreibt Wolfgang dem Vater: »Ich getrauete mir nicht recht zu widersprechen, weil ich schnurgerade von Salzburg herkam, wo man einem das Widersprechen abgewöhnt.«


9 Eine Charakteristik des Erzbischofs bei Koch-Sternfeld S. 312 f.


10 Ebenda S. 43.


11 J I4 394.


12 Darauf weist Pirckmayer a.a.O. mit Recht an der Hand eines Gehälterverzeichnisses hin.


13 Seiffert DTB IX 2, XXV ff.


14 Meißner gehörte zu seinen Lieblingen, aber auch er erhielt nach L. Mozarts Bericht (B III 207) durch den Oberhofmarschall die Mahnung, »da er wegen eines Katarrhs ein paar mal nicht gesungen, daß er singen und auch die Kirchendienste fleißig verrichten möchte, sonst wollte er ihn wegjagen. Das ist die Belohnung des großen Favoriten«.


15 Treffend bemerkt Burney, Reise III 275: »Die Musiker fast einer jeden Stadt beneiden einer den andern und alle beneiden einmütiglich die Italiener, welche in ihr Land kommen. Ich hingegen ... glaube, daß an beiden Seiten große Vorurteile herrschen. Indessen muß man eingestehen, daß man den Italienern liebkoset, schmeichelt und oft zweimal soviel Gehalt bezahlt, als selbst denen unter den Einheimischen, die größere Verdienste besitzen.«


16 S.o.S. 35 f.


17 Ironisch schreibt Wolfgang dem Vater aus Mannheim am 4. Nov. 1777: »Ich habe ihm [Ramm] das Konzert heute auf dem Pianoforte beim Cannabich vorgespielt, und obwohl man wußte, daß es von mir ist, so gefiel es doch sehr. Kein Mensch sagte, daß es nicht gut gesetzt sei; weil es die Leute hier nicht verstehen – – sie sollen nur den Erzbischof fragen, der wird sie gleich auf den rechten Weg bringen« (B I 103).


18 B III 307 (an Padre Martini 22. Dez. 1777).


19 B III 163.


20 Vgl. E. Wellesz SIMG XI 395 ff.


21 B III 153. Nicolai, Reise IV 554. Cramer, Magaz. I 928.


22 Marianne Davies – L. Mozart schreibt stets Devis – trat 1762 als die erste Virtuosin auf der von Franklin konstruierten Glasharmonika öffentlich auf, vgl. Pohl, Mozart in London S. 61.


23 B III 152.


24 Vgl. K.L. Reinholds Leben S. 5 ff. Car. Pichler, Denkw. I 36.


25 Vier davon sind aus dem August datiert, die andern folgten im September.


26 Näheres darüber s. unten.


27 B II 58.


28 B III 157.


29 Vgl. Burney, Reise II 193. Daselbst S. 149 ff. auch eine ausführliche Schilderung der Wiener Verhältnisse aus dem Herbst 1772.


30 S. weiter unten.


31 Burney S. 158.


32 Handschrl. Verz. Nr. 71.


33 Mozart erwähnt in seinem Abschiedsgesuche von 1777 (vgl. Pirckmayer, Zur Lebensgeschichte Mozarts S. 12), daß er vor drei Jahren um die Erlaubnis, nach Wien zu reisen, gebeten habe, und daß ihm damals der Erzbischof erklärt habe, er habe nichts zu hoffen, und würde am besten tun, sein Glück andern Orts zu suchen. Da er noch 1773 in Wien gewesen war und Ende 1774 nach München reiste, doch auch mit Urlaub, so ist es doch zweifelhaft, ob dieses Gesuch 1774 eingereicht wurde. Vielleicht meint Mozart eben jenen früheren Aufenthalt in Wien; er kann sich in der Angabe der Zeit recht wohl geirrt haben. [Deiters]


34 K.v. Weber, Maria Antonia Walpurga, Dresden 1857. J. Petzholdt, Neuer Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekswesen, 1856, 336 ff. M. Fürstenau MfM 1879. A. Schering DT XX, S. VI f.


35 Burney II 90 ff. Schubart, Leben, Abschn. XVI. Rudhart, Gesch. d. Oper zu München I 196 ff.


36 Eine Hauptquelle dafür ist das Journal des Legationssekretärs Unger (Dresdener Hauptarchiv loc. 3292), das Rudhart, Gesch. d. Oper zu München, lange nicht genügend ausgenützt hat. Er kennt z.B. folgende Buffoopern nicht, die Unger aus den Jahren 1774–1775 bis zu Mozarts Abreise anführt: »L'amante deluso, L'isola d'amore, La locanda, Il villano geloso, La contadina in corte, La serva astuta, Lo sposo burlato, La pupilla ed il ciarlone, L'amore artigiano, Il cavaliere per amore, La sposa fedele.« Auch die Aufführung der als »oratoire ou operette« bezeichneten »Betulia liberata« (23. Mai 1775) kennt Rudhart nicht. Vgl. R. Engländer, Gluckjahrb. II 34. Die opera buffa war im Fasching stets mit einer »académie en masque« verbunden.


37 Auch ein Ballett »Docteur Faust« taucht auf (12. Febr. 1775).


38 »Den 9. Decbr.« die Schwester bei Nott. S. 108. Aber ein Brief des Vaters aus München ist bereits vom 9. datiert.


39 B III 179 f.


40 »Orfeo ed Euridice«. Über diese Verballhornung des Gluckschen Werkes vgl. R. Engländer, Zu den Münchner Orfeo-Aufführungen von 1773 und 1775. Gluckjahrb. II 26 ff.


41 Es war der »Achille in Sciro«.


42 B I 49 ff.


43 Rudhart a.a.O. I S. 161 f. Mozart spricht sich in einem Briefe vom 12. November 1778 (B I 268) entrüstet darüber aus, Graf Seeau aus München habe erzählt, seine opera buffa in München sei ausgepfiffen worden, wovon man in München das Gegenteil erfahren könne. Für uns kann dies den übrigen Zeugnissen gegenüber nicht in Betracht kommen; auch die Tatsache, daß Mozart keine weitere scrittura für München erhielt, kann man nicht mit WSF II 178 als einen Beweis für einen Mißerfolg betrachten.


44 Koch-Sternfeld 348. Unger berichtet, daß die Münchner Herrschaften ihm zu Ehren eine musikalische Akademie gehalten hätten (22. Januar 1775). Von Opern hat er nur die »Pupilla« und den »Barone di Torreforte« gehört. Seine Abreise meldet Unger am 26. Januar.


45 B III 181 f.


46 Leopold erzählt den Fall ausführlich B III 186 f.; ohne Namen erwähnt ihn auch Schubart, Teutsche Chron. 1775, 324. Vgl. Rudhart I 162.


47 Unger, Journal vom 29. Januar.


48 Ebenda vom 5. März. Bei der zweiten Aufführung war auch der Kurfürst von der Pfalz zugegen, der am selben Abend noch nach Mannheim reiste.


49 B III 185. Daß es sich um ganz neue Kompositionen handelte, ist dem Briefe nach nicht anzunehmen.


50 Nissen setzt es irrtümlicherweise in das Jahr 1781; vgl. Leopolds Brief vom 11. Dezember 1777 (B III 292).


51 B I 51 f. (4. September 1776).


52 B I 48. III 175. Unter »des Wolfgang geschriebenen Sonaten« sind vielleicht die drei verlorengegangenen Sonaten (K.-V. 199–201, Anhang IV) zu verstehen.


53 Über Ignaz von Beecké (1733–1803) vgl. L. Schiedermair SIMG IX 107 ff.


54 WSF II 166 setzen K.-V. 279 noch in die Salzburger Zeit, K.-V. 280, 281, 283 in den Herbst 1774, K.-V. 284 in den Februar-März 1774 und halten auch K.-V. 282 für die Überarbeitung eines älteren Werkes.


55 Vgl. Graf Waldersee AMZ 1877, 737.


56 Das Christe ist wiederum an einer ganz merkwürdigen Stelle eingefügt, nämlich gegen Schluß des Mittelteils, dazu mit scharfen dynamischen Akzenten und auf dunklen Harmonien, mit einem leisen Halbschluß endend.


57 Stufenweise bis zur Quint aufsteigende Fugatothemen liebt diese Messe besonders (vgl. den Mittelsatz des Kyrie, das dritte Thema des Credo und – in chromatischer Gestalt – das Crucifixus).


58 Gr. Waldersee AMZ XI 460, XIX 368. Anders WSF I 153, die in ihr »une œuvre essentiellement instrumentale et profane« erblicken.


59 Dieses Motiv ist ganz offenbar der Keim der berühmten Melodie von F. Schuberts »An den Mond« (1815) geworden.


60 Der Rhythmus der Schlußphrase Bis zur Finta Giardiniera greift auf das »Quoniam« zurück.


61 So bei A. Scarlatti in einer Messe bei Reißmann, Gesch. d. Musik III 39 ff. und bei M. Haydn in einem Graduale »Qui sedes« (Nr. 3).


62 Bei J. Haydn im Finale der D-Dur-Sinfonie (G.A. Nr. 13).


63 Vgl. o.S. 77, ferner das Sanctus der C-Dur-Messe (K.-V. 257), die B-Dur-Sinfonie (K. -V. 319), die Violinsonate in Es-Dur, 1. Satz (K.-V. 481) und die Schlußfuge der C-Dur-Sinfonie (K.-V. 551). Auch in der überhaupt stark von Mozart beeinflußten ersten Messe Schuberts in F-Dur erscheint es bei den Worten »Credo in unum dominum« (Ges. Ausg. S. 58).


64 A.M. Klafsky, M. Haydn als Kirchenkomponist, in Adlers Studien z. Musikwissenschaft III 22.


65 WSF II 157 ff. machen auf die Verwandtschaft mit J. Haydns G-Dur-Messe von 1772 aufmerksam.


66 Bemerkenswert ist, daß Mozart die Worte »et homo factus est« einer andern Solostimme gibt. Wir haben bereits gesehen, daß er gerade diese Worte besonders hervorzuheben liebt (S. 134 f).


67 Vgl. R. Handke, ZfM I 110 f.


68 Vgl. das Credo-Thema oben S. 310.


69 Stor. univ. II 281.


70 II 333 (Übers. II 409).


71 Über Reinheit der Tonkunst, 3. Aufl., S. 191 f.


72 I4 320 f. Vgl. Kretzschmar, Führer II 14, 512 f. WSF II 211 ff. sehen dagegen darin lediglich ein wenn auch geniales Übungsstück. Eine Analyse AMZ X, 43 ff., vgl. XIII 315.


73 Das erste Thema des »cantabo« ist, wie Stadler, Verteidigung der Echtheit des Mozartschen Requiem S. 10 bemerkt, einem Offertorium »Benedixisti Domine« von Eberlin entlehnt, von Mozart aber durchaus selbständig bearbeitet (vgl. Notenbeilage III).


74 In K.-V. 181 und 184 sind die drei Sätze außerdem noch nach italienischer Ouvertürenart durch Überleitungen miteinander verbunden.


75 WSF II 7 nehmen sogar eine Serie von sechs Sinfonien an, die Mozart auf eine Bestellung aus Mailand komponiert habe.


76 Das Thema des Allegros von K.-V. 200 hat eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem entsprechenden von K.-V. 182.


77 Meist beginnen sie, auch darin den späteren Mozart vorwegnehmend, mit einem der Schlußgruppe entstammenden Motiv.


78 Für jene machen WSF II 121 ff. auf J. Haydns Trauersinfonie (Nr. 44), etwa aus dem Jahre 1772, und auf Vanhalls gleichzeitige g-Moll-Sinfonie, für diese auf M. Haydns A-Dur-Sinfonie von 1774 als Vorbilder aufmerksam.


79 Man beachte in beiden Werken die kleinlaute Rückleitung in die Reprisen der ersten Sätze. Nur geben in dem jüngeren Werke die Streicher das hoffnungslose Spiel schließlich auf, und erst die Bläser erzwingen in zwei Crescendo-Akkorden geradezu explosiv den Eintritt der Reprise.


80 Es erinnert auffallend an den ersten Satz von J. Stamitz' Orchestertrio in E-Dur.


81 Das neue Thema kehrt hier mit anderer Fortsetzung im Hauptgedanken des Finales wieder.


82 Auch hier ist die spannende Einführung der Reprise mit der ausdrucksvollen Kadenz der Violinen bemerkenswert.


83 Vgl. darüber B III 152, 154.


84 S.o.S. 128.


85 Ihr Beginn gemahnt an den Anfang der C-Dur-Sinfonie von 1780 (K.-V. 338).


86 Zu jenem gehört offenbar der genau ebenso besetzte Marsch (K.-V. 290 S.X. 7), zu diesem wohl der D-Dur-Marsch (K.-V. 237 S.X. 4).


87 Bemerkenswert ist auch, daß dieser Satz mit dem langsamen Präludium des Ganzen motivisch verbunden ist.


88 S.o.S. 22 ff.


89 B III 154.


90 B III 222.


91 B III 208.


92 B III 209. Das Wort »cazo« ist nicht recht erklärlich.


93 B I 73.


94 B I 94.


95 B III 209.


96 B III 273.


97 Dies berichtet L. Mozart in einem Briefe vom 7. Dezember 1780 (B IV 156).


98 B I 122.


99 Über Mozarts Klavierkonzerte im allgemeinen vgl. A. Schering, Geschichte des Instrumentalkonzerts S. 160 ff. H. Daffner, Die Entwicklung des Klavierkonzerts bis Mozart, 1906, auch K. Reinecke, Zur Wiederbelebung der Mozartschen Klavierkonzerte, 1891.


100 A. Schering, SIMG IV 234 ff., V 565 ff.


101 Der Erfinder war Bart. Cristofori (1655–1731) in Florenz. Seine Erfindung von 1711 wurde in Deutschland durch Gottfr. Silbermann (1683–1753) in Freiberg eingebürgert. Andr. Silbermanns Schüler, der Augsburger Joh. Andr. Stein (1728–1792), der auch aus Mozarts Biographie bekannt ist, wurde mit seinem Schwiegersohn Andr. Streicher (1761–1833), dem Jugendfreunde Schillers, der Begründer der »deutschen« (»Wiener«) Hammermechanik.


102 S.o.S. 199.


103 Eine Parallele dazu finden wir bei Joh. Schobert.


104 S.o.S. 74.


105 WSF II 26 ff., 113 ff.


106 WSF II 27 weisen auf das C-Dur-Quintett M. Haydns als unmittelbares Vorbild hin. Daß das Quintett in Deutschland weit weniger beliebt war als das Quartett, zeigt J. Haydns Antwort an A. Romberg, er habe deshalb kein Quintett geschrieben, weil nie eines bei ihm bestellt worden sei.


107 In Satz II, Takt 7 ff. taucht übrigens ein Gedanke auf, der später bei Beethoven und den Romantikern eine große Rolle spielt:


Bis zur Finta Giardiniera

108 Diese Quartette erschienen 1774, komponiert sind sie jedoch im Jahre vorher. Vgl. WSF II 57 ff.


109 Die Wiederholung dieses Adagios nach dem Allegro ist freilich ganz unhaydnsch und Mozarts eigenes Werk, sie ergab sich für ihn aus dem ganzen Charakter des Satzes.


110 Mit Ausnahme von K.-V. 172, auch sonst des unbedeutendsten der Reihe, wo die Durchführung nach älterer Art ein neues Thema bringt.


111 Das auch in Händels Messias (ebenfalls in f-Moll) und in Mozarts Requiem (im Kyrie) erscheinende Thema gehört einer alten Familie an, vgl. M. Seiffert, Geschichte der Klaviermusik 205 ff. und oben S. 131.


112 Das letzte Unisono hat Mozart erst nachträglich hinzugefügt.


113 Auch in K.-V. 169 erinnert das Hauptthema des Andante an das berühmte Oboensolo der Szene »Che puro ciel« im »Orfeo«, auch das zweite Thema (in F-Dur) hat den breiten Schritt so mancher Orchestermotive in den Rezitativen der »Alceste«. Die Vorherrschaft der ersten Geige in diesem Satze deutet auf ältere Wiener Meister, auch J. Haydn, hin.


114 »Chromatische« Fugen dieser Art sind auch der älteren Zeit vertraut, nur daß sich die Chromatik hier auf den Rahmen eines Tetrachords beschränkt. In der Umkehrung unseres Themas:


Bis zur Finta Giardiniera

die eine wichtige Rolle spielt, steckt ein Mozart auch sonst sehr vertrautes Übergangsmotiv.


115 So WSF II 166 ff., 185 ff. Nur von der letzten Sonate bezeugt Mozart selbst (9. Juni 1784), daß er sie »dem Dürnitz in München gemacht« habe (B II 259).


116 Nur die Dynamik arbeitet bis zum Eigensinn mit dem Gegensatz von p und f (vgl. das Adagio von Nr. 2), während Crescendowirkungen noch selten sind. Vgl. auch die Gegensätze zwischen dem ersten und zweiten Auftreten des Rondothemas in Nr. 6.


117 Das Anfangsmotiv taucht, ebenfalls in a-Moll, inBeethovens Kreutzersonate wieder auf.


118 Man beachte namentlich, wie hier der chromatische Beginn des zweiten Themateils gesteigert wird.


119 Nach WSF II 190 ff. sind die Fischerschen später als die Salierischen entstanden.


120 Das Thema ist ein Absenker von Glucks »Che farò senz' Euridice«.


121 Nach T. Wiel, I teatri musicali di Venezia 1897, 361 stammt der Text aus dem Französischen, was jedoch noch näher nachzuweisen wäre.


Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956, S. 331.
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