2. Kindheit.

Die Stadt Halle im Bisthum Magdeburg gehörte früher zum Churfürstenthum Sachsen. Bei dem Friedensschlusse 1648 wurde das Bisthum dem Churfürsten von Brandenburg zugesprochen, doch sollte dieser erst nach dem Tode des sächsischen Prinzen Augustus, dem es zur Verwaltung überwiesen war, davon Besitz ergreifen. Herzog Augustus hatte seinen Hofhalt zu Halle in der berühmten und alterthümlich schönen Moritzburg; er war es, der Händel's Vater zum geheimen Kammerdiener ernannte. Durch den Administrator kam fürstlicher Glanz in die Stadt und Festlichkeit einer Residenz. Was diesem Hofe an Größe abging, ersetzte die Verwandtschaft mit dem weitverzweigten sächsischen Fürstenhause; reicher Verkehr zwischen Brüdern und Schwähern und Vettern trat an die Stelle königlicher Pracht. Zu einem solchen Hofe, der durch seine zufällige Existenz[13] ein mehr bürgerliches Ansehen gewann, nehme man eine Stadt wie Halle. Nicht groß noch durch einen besonderen Berufszweig, wie z.B. Leipzig, bedeutend genug, um rein auf sich selbst zu stehen, mußte das Bürgerthum sich einem solchen Hofe leicht anschließen, um so mehr als es demselben viele vergnügte Tage und zum Theil seinen Wohlstand verdankte. Diese gemüthliche Zeit reichte nicht bis in Händel's Kindheit herab, wohl aber das frische Aufblühen der Stadt und das rege Leben, das sie im Gefolge hatte. Der Administrator starb 1680. In dem nächsten Jahre fand sich der große Churfürst in Halle ein, um die Huldigung aller Stände des Herzog- oder Bisthums Magdeburg zu empfangen. Seit der Zeit steht das ganze Gebiet unter preußischer Verwaltung. Händel, dessen Vorfahren aus Schlesien und Böhmen nach Niedersachsen wanderten, ist also ein geborner Preuße.

In Halle wohnte Georg Händel »am Schlamme« in einer trotz des bösen Namens doch recht reinlichen Stadtgegend. Sein Wohnhaus, die Geburtsstätte seines Sohnes, kann nicht mit völliger Sicherheit angegeben werden. Doch vereinigen sich die Angaben dahin, es sei das jetzt dem Kaufmann F.W. Rüprecht gehörende Haus, Großer Schlamm Nummer 4, gewesen; die Richtigkeit dieser Annahme vorausgesetzt, hat er ein werthvolles Besitzthum gehabt. Von hieraus führen einige Schritte rechts die Straße hinauf zur Moritzburg, und einige links auf den belebten Markt vor der Hauptkirche zu U.L. Frauen.

Hier verlebte Georg Friedrich die Tage seiner Kindheit und ersten Jugend. Alle, die sich seiner Geburt gefreut hatten, konnten ihn bald herrlich heranwachsen sehen. Nach bekannten Erzählungen war auch seine Kindheit voll merkwürdiger Begebenheiten und bestimmter Hinweise auf die nachherige Laufbahn. Die Berichte hierüber sind uns aus England zugegangen und zwar erst nach Händel's Tode, Mainwaring (1760) macht daraus eine recht umständliche Geschichte. Den Kern dieser Nachrichten halte ich für wahr, sie stimmen vortrefflich zu Händel's Natur, sind auch sicherlich von ihm selber in Umlauf gesetzt. Einiges läßt sich berichtigen; im übrigen bilden sie die Hauptquelle etwa über die zwölf ersten Lebensjahre. Im Anschlusse an diese Ueberlieferungen ist das Folgende erzählt.[14]

Er lebte und webte von Kindesbeinen an in den Tönen, horchte darauf, lief ihnen nach, und fing selber an zu musiciren, als er kaum seiner Gliedmaßen mächtig war. Tuthorn, Trompete, Pommer und Flöte, Trommel und Maultrommel und was der Weihnachtsmann Alles zu bescheren pflegt, bildete anfänglich sein Orchester. Zuerst war es der Sippschaft nur eine Merkwürdigkeit mehr an dem merkwürdigen Kinde; als aber die Musik immer ärger und besonders immer ernster betrieben wurde, gerieth man in Unruhe. Der Vater hatte seine früheren Kinder, namentlich die Söhne, nicht höher bringen können, als er selber gekommen war; dieser spätgeborne Liebling aber sollte von dem nach und nach erlangten Wohlstande Nutzen haben, um so mehr, als sich eine große Lernbegierde kund gab. Er sollte die Rechte studiren. Die Liebe zur Musik mußte gedämpft, sein Thätigkeitstrieb in andere Bahnen gelenkt werden. Daher hieß es: die Klimperei wolle man nicht mehr hören, musikalische Häuser seien fortan zu vermeiden, und so weiter! Es fiel ihm schwer aufs Herz; nach dem erzürnten Gesicht der Eltern mußte er sich schuldig fühlen, und wußte doch nicht wie. Für den Augenblick war es ihm wohl, als dürfe er sogar den Musikanten eines Ehrbarn und Hochweisen Raths, wenn sie des Abends vom Thurm der Liebfrauenkirche (wie noch geschieht) »die Nacht ist kommen« »Nun ruhen alle Wälder« »Wo Gott der Herr nicht bei uns hält« »Vater unser im Himmelreich« und derlei fromme Gesänge abbliesen, nur verstohlen zuhören. Des Vaters Wille änderte sich nicht, Georg Friedrich's Neigung auch nicht: wie sollte es werden? Aber leiden mochte ihn nun einmal Jedermann, so fanden sich leicht Helfer und Hehler. Es war das erste Mal, daß ihm Freundesbeistand von Nöthen war, und er entging ihm auch nicht. Ob es die Tante Anna gewesen ist, oder wer sonst noch mit dabei war, läßt sich nicht sagen: genug, ein kleines Clavichord wußte sich unbemerkt ins Haus zu stehlen und nahm oben unter dem Dache Platz. Dies ist eine Art von Clavier, aber nur so groß, daß es ein behender Mann unter dem Arme forttragen kann; auch sein Ton ist so, daß er nur so eben die Mäusemusik überragt und muß Einem, der heimlich spielen will, äußerst erwünscht sein. Der Knabe konnte dreist daran gehen, wenn die Andern zu Bette waren, konnte sich bis zum Fortissimo aufschwingen: es hörte Niemand. Die ersten[15] Früchte dieser nächtlichen Uebungen waren nur für ihn allein, in den Theegesellschaften durfte er sein Licht nicht leuchten lassen. Doch läßt sich annehmen, daß dem Vater bedeutet worden, ein wenig Kunstübung schade auch einem Studirten nichts, die Zeiten hätten sich hierin schnell geändert, da nun so viele Kinder etwas Musik trieben, von denen doch die wenigsten gedächten ihr Brod daraus zu ziehen. Der Knabe hatte unterdessen gezeigt, daß er auch noch für andere Dinge Lust und Fähigkeit besaß, also konnte der alte Vater ein Uebriges thun und die Musikübung freigeben. In diesem heimlichen Spielwerk bemerkt man die Neigung, eine Weile still in sich zu beharren; aber auch die ersten Spuren jener Kühnheit, die der innern Kraft vertraut und zur Selbständigkeit hindrängt.

Eine Reise nach Weißenfels sollte weiteres offenbaren. Der Vater hatte dort beim Herzoge zu thun. Sein Sohn wollte mitgenommen sein, um den Neffen Georg Christian, nicht den Halbbruder wie allgemein erzählt wird, zu besuchen; aber der Vater schlug es ab. Der Reisewagen setzte sich in Bewegung, der Knabe sah leider, daß für ihn kein Platz bereitet wurde: da machte er in der Noth und in der Eile einen neuen Plan. Er wußte sich so zu halten, daß ihn Niemand beachtete, und dann lief er zu Fuße hinterdrein bis er endlich den Wagen wieder einholte. Den Vater setzte der Streich in Erstaunen, die Strafpredigt begann. Aber der kühne Trotz lag nur in der That, das Mitkommen durchzusetzen, er war plötzlich gebrochen, als sich der Vater vernehmen ließ. Die Vorwürfe erwiederte der Knabe mit Bitten und Flehen, weinte heftig, wollte es auch nie wieder thun, aber sollte ihn doch nur mitnehmen, und redete sehr beweglich. Was war zu thun? nach einigen väterlichen Erwägungen mußte er aufsitzen. Zuerst wurden noch allerlei ehrenrührige Anmerkungen gemacht, und was die Mutter wohl denken werde, auch ein Plan ersonnen ihr nur recht schnell den Sachverhalt mitzutheilen; dann kamen fremde Gegenden und andere Menschen vor's Auge, es gab zu fragen und zu antworten, man sprach von kleinen Städten und großen Kirchdörfern, und langte vergnügt in Weißenfels an. Vier bis fünf Meilen waren es nur.

Nach Mainwaring stand Georg Friedrich im siebenten Jahre, als er diese heroische Fußtour unternahm. Das ist eine willkürliche[16] Annahme; zu den weiteren Reiseerlebnissen paßt es besser, wenn wir ihn uns etwas älter denken. Dortigen guten Freunden legte Georg Händel seinen Erziehungsplan vor, setzte auch hinzu, seine Grundsätze vermöchten der großen Musikliebe des Kleinen nur so eben die Waage zu halten. Unter den Freunden waren verständige Männer, die bemerkten: wo sich die Natur so stark erkläre, da habe man einen göttlichen Fingerzeig, Widerstand werde nicht nur fruchtlos, sondern vielleicht gar mit Schaden ablaufen. Es ist nicht zu verwundern, wenn man in Weißenfels von der Würde der Tonkunst etwas richtigere Gedanken hatte, als in Halle. Hier lebte ein edler Fürst, der für diese Kunst viel aufgehen ließ und täglich zeigte, wie werth ihm die Musiker waren; außer der Musik in den Kirchen fand auch das früheste deutsche Singspiel bei ihm eine besondere Pflegestätte. Ja was mehr ist, hier war der Vater der deutschen Musik, Heinrich Schütz geboren, Sohn des Bürgermeisters, und war hier bis in sein hohes Alter, das er auf 87 Jahre brachte, ein- und ausgegangen. Obwohl schon vor 20 Jahren verstorben (1585–1672), mußten sie ihn doch noch alle kennen und voll sein von seinen Verdiensten, auch von seinem Ruhm und Ansehen bei deutschen und auswärtigen Fürsten. Der sollte ebenfalls die Rechte studiren, that es auch, schrieb schon an seiner lateinischen Dissertation, als ihn höhere Bestimmung doch wieder davon wandte. Sie konnten kein besseres Beispiel finden. Weil indeß die Beweisführung von einem Freunde, dem früheren Capellmeister in Halle Joh. Philipp Krieger und dessen Gesellen, also von Musikern ausging, mußte sie für Georg Händel immer noch etwas parteiisch klingen; sie wurde aber nicht wenig bestärkt durch das, was sich bald darauf ereignete.

Die Capelle nahm den Knaben mit in ihre Uebungen, eines Sonntags auch mit aufs Orgelchor. Man hatte sich schon überzeugt, daß er sattelfest war, also hob ihn der Organist am Schluß des Gottesdienstes auf die Orgelbank, damit er zum Ausgang etwas loslassen könne. Der Fürst bemerkte das Experiment, hörte zu, fragte darauf seinen Kammerdiener, wer der kleine Organist gewesen, der sich eben so wacker gehalten. Dieser antwortete: »der kleine Händel aus Halle, meines Großvaters jüngster Sohn.« Die Verwandtschaftsverhältnisse lagen in dieser Familie so närrisch, daß er hätte[17] mit Fug und Recht sagen können: »es war mein Onkel;« der Neffe war hier volle zehn Jahre älter als der Onkel. Hierauf wurde der Knabe gerufen sammt dem Vater. Einige Vorfragen leiteten bald auf das was schon erzählt ist. Der Fürst hielt der Musik eine Lobrede, die damit endete: es müsse zwar ein jeder am besten wissen, wozu er seine Kinder anführen wolle, doch seines Erachtens wäre es eine Sünde wider das gemeine Beste und die Nachkommen, wenn man die Welt eines solchen anwachsenden Geistes gleich in der Jugend berauben und dem nicht folgen wolle, wozu bereits Natur und Vorsehung die Bahn gebrochen. Fügte hinzu: er sei weit entfernt, das musikalische Studium Jedermann so ausschließlich anzupreisen, daß bürgerliches Recht und Sprachen darunter litten, wo die Möglichkeit vorhanden, müsse man alles dieses glücklich zu verbinden suchen; sein Wunsch ziele nur dahin, daß den Kindern in der Wahl des Berufs keine Gewalt angethan und insonderheit gegenwärtigem Knaben die Freiheit gelassen werde, dem natürlichen Hange seines Geistes zu folgen, es treibe ihn derselbe auch zu welchem guten Zwecke er immer wolle. Dem Sohne füllte er hierbei die Taschen mit Geld an und verhieß bei fortgesetztem Fleiße weitere Aufmunterung. Alles miteinander machte großen Eindruck. Die Musik sollte nun gewiß geduldet werden, und noch mehr, der Vater wollte bei seiner Zurückkunft nach Halle sich nach einem guten Lehrer umsehen und auch in diesem Zweige eine geordnete Unterweisung beginnen lassen. Der Vater wollte nicht dafür und auch nicht dagegen sein: er wollte der Natur ihren Lauf lassen, wenn auch ohne sonderliches Behagen. Ein Doctor der Rechte blieb nach wie vor das Ziel seiner Wünsche. Er bedachte nicht, wie sehr solche Vorfälle des Sohnes Geist entflammen und ihn in seiner angebornen Neigung befestigen mußten.

Hiermit ist die Erzählung über die Kindheit und diese selbst zu Ende, wenn auch noch in sehr kindlichen Jahren. Ich muß diesen Abschnitt mit einer allgemeinen Bemerkung beschließen. Der Gegensatz: wunderbarer Trieb zur Tonkunst beim Kinde und Hemmung desselben beim Vater, zieht sich durch Alles was aus der Kindheit zu berichten war. In diesem Grundgedanken haben die Geschichtchen ihre höhere Bedeutung; das eben ist es, was sie über das Gebiet zufälliger Begebenheiten hinweg zu historischen Merkzeichen erhebt.[18] Denn den Widerwillen Georg Händel's gegen die »Profession der Musik« theilten damals Viele, besonders in Deutschland. Als hübschen Zeitvertreib ließ man die Musik wohl gelten, fand es auch ganz nett, wenn sich die Jugend damit zu schaffen machte, was in den ruhigen schlaffen Zeiten nach dem 30jährigen Kriege schnell Mode wurde; aber ein Hauptwerk des ganzen Lebens sollten nur diejenigen daraus machen dürfen, deren Eltern solches gethan und die es überhaupt nicht weiter zu bringen vermöchten. Sei doch außer Zweifel, daß die Musik im Vergleich zu andern Wissenschaften nur geringen Nutzen stifte, bloß zur Luft und Ergötzlichkeit diene; selbst in der Kirche komme es immer mehr aus dem Gebrauch, daß ein Diener des göttlichen Wortes mit der Musik beginne und mit der Predigt aufhöre, nämlich die Wirksamkeit als Cantor anfange und als Pastor sein Leben beschließe: lauter Beweisthümer gegen diese Kunst, wie man meinte. Dergleichen Gedanken gingen nirgends stärker um, als eben in Deutschland. Und doch war hier der Tonkunst in aller Stille schon ein fester Grund gelegt auf dem viele geschäftige Hände geräuschlos weiter bauten und Alles soweit bereiteten, daß Händel und Bach die Vollendung bringen konnten. Es war der schon genannte Heinrich Schütz, welcher für deutsche Musik wirkte wie ein Heiliger für die Kirche; doppelt verdienstlich, da es in dem schrecklichen 30jährigen Kriege geschah. Er zügelte den eignen Geist, daß er nicht unstät wurde noch verzagte; erschöpfte die Kunst und verkündigte sie in erhabenen Werken, die der Unsterblichkeit gewiß sind, obgleich man sie heut zu Tage fast vergessen hat; saß in der Heimath fest so lange es die Umstände gestatteten, dachte aber auch in der Fremde immer zunächst an das Vaterland und die heimischen Kunstgenossen: ein fester großer Mann, der sicher stand als Alles wankte, und durch sechzig Jahre! Man bedenke auch die Eigenthümlichkeit dieser Kunst. Der Krieg konnte ihr weniger anhaben, als irgend einer anderen Kunst oder Wissenschaft; ich meine sogar, daß er befreiend für sie gewirkt hat. Ihre Grundlagen sind unscheinbar, aber für eine fremde Hand auch unerreichbar, äußere Mißgeschicke können sie nicht zerstören, es muß, mehr als bei andern Künsten, wesentlich von innen, durch die Musiker selbst geschehen. Was man in anderen Fällen beklagt hat, gereichte dieser Kunst damals ebenfalls zum Gewinn:[19] die Inhaber derselben gehörten großentheils zum geringeren Stande. Ihre sonstigen Fähigkeiten waren nicht weit her;' das einzige, was sie zu allgemeiner Zufriedenheit verstanden, war ihre Profession, also mußte man sie wohl dabei lassen. Gegen Saitenspiel, Orgelkunst und den Contrapunkt der Cantoren hatte Niemand etwas einzuwenden. Selbst die berüchtigten Länderverwüster hegten gegen die Tonkunst nur friedliche Gesinnungen; und wessen Länder das Spiel des Krieges in Ruhe ließ, den erfreute das Spiel der Töne, so Dänemark, Braunschweig-Lüneburg, zu Zeiten auch Chursachsen und andere Höfe. War sie bei dem allgemeinen Zwiespalt doch Jedem willkommen, diese erwünschte Verständigung ohne rechtskräftige Verpflichtungen, diese durch ein paar Schafdärme, hohle Stangen, Trichter und Metalldrähte plötzlich herzustellende Harmonie! Musik müsse sein, in diesem Satze wenigstens waren alle Kriegsparteien und alle Glaubensgenossen einig.

In eine solche Zeit stelle man einen Mann wie Heinrich Schütz, und das Ergebniß ist begreiflich. Ueberall kümmerliche Verödung beim Friedensschlusse 1648, einzig und allein in der Musik prangende Gesundheit, reiche Fülle, tagtägliche Vervollkommnung und Aussicht auf eine herrliche Zukunft. Auf diese Weise war es möglich, die nach und nach wieder erstarkenden besseren Kräfte unseres Volkes zunächst um diese Kunst zu versammeln und an ihr zu weltgeschichtlicher Bedeutung emporzuheben. Wir konnten nun, und zwar durch die Tonkunst, den umwohnenden Nationen wieder beweisen, daß in uns noch Kräfte eines höheren Lebens vorhanden waren. Es ist der schönste Segen stiller Arbeit und einer durch mehrere Geschlechter erhaltenen guten Schule, daß sie den rechten Geistern die Stätte bereiten, die Handhaben darbieten und also dem Großen vorarbeiten kann; ohne solche Grundlagen ist keine Erhebung möglich, die Kräfte zerarbeiten sich nutzlos, oder flüchten in ein anderes Gebiet. Da aber die bisher gepflegte, mitunter auch etwas handwerksmäßig betriebene Kunst etwa seit 1670 anfing sich an einen falschen Geist zu verlieren, so war es nun wirklich hohe Zeit, daß wieder große Männer erstanden, die ihr besseres Theil retteten.

An den geringschätzigen Vorurtheilen des damaligen deutschen Bürgerstandes über Musik und Musiker hat man wieder ein recht[20] lehrreiches Beispiel, wie ein Volk es nur zu häufig liebt, über seinen eigentlichen Werth sich so gänzlich zu täuschen. Was damals Vorurtheil war, gestaltete sich hernach zum richterlichen Kunsturtheil, und so sehen wir mit Händel zugleich sein späteres deutsches Publikum heranwachsen.

Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1858, S. 13-21.
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