IV.

Ludwig Geyer.

[40] Freundschaft Wagners mit Ludwig Geyer. – Dessen Jugendentwickelung: Neigung zur Malerei. – Talent zur Schauspielerkunst. – Wanderjahre mit kriegerischen Unterbrechungen: Magdeburg, Stettin, Breslau. – Rückkehr nach Leipzig, Engagement bei der Secondaschen Gesellschaft. – Beziehungen zur Wagnerschen Familie.


Sein Beruf zur Malerei war der früheste und entschiedenste. Wäre es ihm vergönnt gewesen, seine ganze Kraft der Porträtmalerei allein widmen zu können, so würde man die Werke seines Pinsels, unabhängig von dem gern bezahlten Reize der Ähnlichkeit, auch als wahre Kunsterzeugnisse in den Gallerien aufbewahren.

K. A. Böttiger über L. Geyer.


Nord und Süd und West zersplittern,

Throne bersten, Reiche zittern.

Goethe.


Wir haben es uns bis hierher aufgespart, eines besonders bedeutungsvollen und folgenreichen Freundschaftsverhältnisses zu gedenken, welches den Polizeiaktuarius Friedrich Wagner mit dem zehn Jahre jüngeren Maler und Schauspieler Ludwig Geyer verband, um dessen Lebensschicksale, die sich in der Folge so innig mit denen der Wagnerschen Familie verknüpfen sollten, dem Leser in zusammenhängender Folge vorzuführen.

Ludwig Heinrich Christian Geyer war als der älteste von drei Brüdern am 21. Januar 1780 in dem kleinen Lutherstädtchen Eisleben geboren, wo sein Vater Aktuarius beim Oberaufseheramte war. Da er bald nach Ludwigs Geburt als Justizamtmann nach Artern versetzt wurde, siedelte die Familie dahin über, und Geyer verlebte sein erstes Knabenalter in diesem anmutigen Flecken des grünen Thüringerlandes, durch dessen breite Senkung, die goldene Aue, die Unstrut ihre klaren Fluten treibt, zwischen Weinbergen, üppigen Obstgärten und fruchtgebeugten Getreidefeldern, während rings der Ausblick von duftigen Höhen, darunter dem sagenumwobenen Kyffhäuser, begrenzt ist. Früh entwickelte sich hier des Knaben Liebe zur Natur, zugleich auch sein Beobachtungssinn und die Lust am Nachahmen und Nachbilden. Leicht und schnell erfaßte er jede Ähnlichkeit, kein sprechender Zug entging ihm. Ein Maler aus Leipzig lehrte den begierigen Schüler, was er selbst verstand und [41] wußte, mit jedem Tage wuchs in ihm die Neigung zur Malerei. Der brotlosen Kunst abhold, bestimmte ihn der redliche Vater zur Jurisprudenz und schickte den Vierzehnjährigen auf das Gymnasium zu Eisleben. So kam Geyer zunächst wieder in seine Geburtsstadt zurück; die Beschäftigung mit seiner Lieblingsneigung mußte ernsten Studien weichen. Wohlvorbereitet begab er sich alsdann auf die Universität Leipzig, um sich, dem väterlichen Wunsche entsprechend, der Rechtswissenschaft zu widmen. Da riß ihn ein unerwarteter schwerer Schlag aus der begonnenen Laufbahn. Der Vater war zu einer einträglicheren Stellung in Dresden verpflichtet worden; er begab sich selbst dahin, um die nötigen Abschlüsse an Ort und Stelle zu treffen; auf der Rückfahrt ward er auf einem der sprichwörtlich elenden sächsischen Dämme mit dem schwerbeladenen Postwagen umgeworfen.1 Er kam krank in Leipzig an; von zärtlich liebenden Söhnen gepflegt, erlag er den Folgen des unglücklichen Sturzes. Für den mitten in seiner Ausbildung begriffenen Jüngling begann eine Zeit schwerer Sorgen; der Mittel zur Fortsetzung seiner Studien beraubt, sah er gleichzeitig die Fürsorge für die Erhaltung der Seinigen auf seine Schultern gewälzt. Jetzt war es ihm von Nutzen, daß er die Pflege seiner Jugendneigung nie ganz vernachlässigt hatte. Sie ward ihm nun zum Erwerbszweig, und während er zugleich zu weiterer Ausbildung die Leipziger Zeichenakademie besuchte, befriedigte er seine Lebensbedürfnisse durch die Ausführung kleiner Porträts. Die angeborne Begabung für seine Beobachtung und Auffassung der Züge, die durch Gewohnheit und Gemütsbewegung am meisten hervortreten, ward seine vorwiegende Lehrmeisterin. Er zog einige Jahre von einer kleinen Provinzialstadt zur andern, und ›malte in den Bädern junge Mädchen und alte Herren‹. Um das Jahr 1801 kehrte er nach Leipzig zurück: in diese Zeit fallen seine ersten Beziehungen zu Friedrich Wagner.

Wagner ward ihm, seit ihrer ersten Bekanntschaft, ein treuer Freund und Berater. Es war seine Aufmunterung, die den jungen Maler zur Pflege einer ihm verliehenen Gabe veranlaßte, die bisher nur in heiterer Geselligkeit im Freundeskreise von ihm verwertet worden war: des Talentes der Schauspielkunst. Der Blick des erfahrenen älteren Freundes, dem der Künstler jederzeit den wirksamsten Einfluß auf seine theatralische Laufbahn zuschrieb, hatte es zuerst in ihm entdeckt.

Geyer machte seinen ersten schauspielerischen Versuch auf Anregung Wagners, [42] auf dem mehrgenannten Liebhabertheater im Thomäschen Hause. Seine Darstellungen gefielen; von nun an wurde er mit Leidenschaft Schauspieler, ohne deshalb der Malerei den Scheidebrief zu schreiben. Sein Äußeres empfahl ihn bestens für die Bühnenlaufbahn. Er war von tadellosem mittleren Wuchs und sprechenden, feingebildeten Gesichtszügen, wie sie uns ein noch erhaltenes Selbstporträt aus den Jahren reiferer Männlichkeit aufweist. Dazu eine wohlklingende, ausdrucksfähige Stimme, auch im fröhlichen Gesange nicht zu verachten, eine mimische Begabung, die ihn in Stand setzte, das Beobachtete nicht allein auf der Leinwand, sondern auch in beredtem Mienenspiel zu reproduzieren Ein Temperament endlich, dessen echt künstlerische Mischung ihn leicht zu den extremsten Gemütsstimmungen fortriß, von ausgelassener Fröhlichkeit zu düsterer Schwermut und Hypochondrie. ›Er durfte sich nicht zwicken, um Humor zu haben‹, sagt ein kenntnisvoller Beurteiler seines Bühnentalentes. Doch ist es bezeichnend für die Doppelnatur seines Wesens, daß neben den unübertrefflichen hochkomischen Gestaltungen seiner heiteren Muse ihm gerade heimtückische, über schwarzer Untat brütende Bösewichter, wie Jago, Franz Moor, Marinelli, der Präsident in ›Kabale und Liebe‹, Herzog Alba im Egmont, vorzüglich gelangen, und mit der Zeit sein eigentliches Fach wurden. Es war, als sonderten sich in solchen künstlerischen Gebilden alles düstersüchtige Wesen, alle quälenden Beunruhigungen umnachteter Stunden aus seinem Inneren ab, als dienten sie dazu, jede ihn beschleichende Bitterkeit und Verfinsterung aus seiner reinen, menschenliebenden Seele auszuscheiden. Er versuchte es anfangs im Liebhaber- und Chevalierfach: seine erste Rolle war Don Carlos. Später erst fand er sein eigentümliches Rollengebiet. Überall aber kam ihm sein Scharfblick im Erfassen des pathognomischen Gesichtsausdruckes und seine feine Beobachtungsgabe zu statten. Und da ihm sein Malertalent den Zutritt zu den gewähltesten Kreisen eröffnete und er in der bevorzugteren Gesellschaft mit Anstand sich zu bewegen gelernt hatte, wurde es ihm desto leichter, was er im Leben beobachtet, auf die Bühne zu übertragen. Künstlerdünkel blieb ihm dabei zeitlebens fremd. Er verlangte und beachtete das Urteil des Kenners, und genügte sich selbst, wo andere ihm Beifall zollten, am wenigsten.

Wir finden ihn in den nächstfolgenden Jahren zuerst auf kleineren Bühnen tätig. In Magdeburg, dessen Theater eben damals unter den deutschen Provinzialbühnen eine bevorzugte Stellung einnahm, und dessen gut ineinandergreifendes Schauspiel sich selbst an Aufgaben wie den ›Tell‹ wagte, galt er (neben Schmidt und Fabricius) als eine der geachtetsten Kräfte. Zu tiefem Schmerz betraf ihn hier die Kunde von Schillers Tod. Die erste Magdeburger Aufführung der ›Braut von Messina‹ gestaltete sich zur Totenfeier. Sie begann um die Sterbestunde des Dichters, sechs Uhr, mit einer wehmütigen Musik: das schwarz bekleidete Theater zeigte auf hohem Katafalk einen schwarzen Sarg, an welchem der trauernde Genius Deutschlands die brennende Fackel [43] in einer Urne verlöschte; der Chor der versammelten Schauspieler fiel in die Klagetöne der Musik ein, kein Auge blieb ohne Tränen. Dann folgte eine Aufführung des Schillerschen Werkes, mit welcher die kleine Magdeburger Bühne mancher begünstigteren den Rang ablief. Während der Sommermesse (Juli bis August) begab sich die Magdeburger Gesellschaft nach Braunschweig, dessen herzogliches Theater damals eine französische Truppe inne hatte. Auch hier wurde ihr das Lob zugestanden, daß sie, ihr Ziel nicht im pekuniären Betriebe finde, sondern ein Streben nach höheren Zielen verrate; Geyer erhielt, durch Laune und Originalität, besonders in hochkomischen Rollen Beifall.

Noch in demselben Spätherbst (1805) ging er an die neu begründete Stettiner Bühne. Seit Jahren hatte die Bürgerschaft Stettins vergeblich um die Erlaubnis eines eigenen stehenden Theaters sollizitiert, der Erfüllung dieses Wunsches stand ein altes Privilegium der Döbbelinschen ambulanten Truppe entgegen. Die Eröffnung des ›stehenden‹ Theaters geschah nicht ohne verhältnismäßigen Glanz. Dennoch war der Stettiner Aufenthalt des jungen Künstlers nicht von langer Dauer. Das schreckliche Jahr der tiefsten Schmach Deutschlands brach herein; Schlag auf Schlag folgten sich die Errichtung des Rheinbundes und die unglückliche Erhebung Preußens gegen den gewalttätigen Usurpator, mit der es den begangenen Fehler seiner selbstsüchtigen Politik wieder gut zu machen suchte. Vergebens, der Geist des großen Friedrich war aus Staat und Heer entwichen; mit der Schlacht bei Jena und der Übergabe der schlesischen Festungen war alles verloren. Wenige Tage nach dem Fall von Erfurt und Spandau ward das feste Stettin, am 29. Oktober 1806, in feiger Pflichtvergessenheit, auf die erste Aufforderung eines vorausgesandten Korps leichter französischer Reiterei – ohne einen Schwertstreich – dem Feinde übergeben, obgleich dem Kommandanten eine Besatzung von siebenfacher Stärke und hundertundzwanzig Kanonen für die Verteidigung zu Gebote stand! Dem schmählichen Beispiel Stettins folgte das fast uneinnehmbare Küstrin, und in unglaublich rascher Folge die übrigen Festungen. Der König mußte einen Frieden eingehen, bei dem er es noch für eine Gnade anzusehen hatte, daß der Sieger ihm die Hälfte des eroberten Königreiches als Geschenk zurückgab. Auf die kaum erst begründete Stettiner Bühne war die Zertrümmerung Preußens von nachteiligstem Einfluß; Geyer mußte abermals zum Wanderstabe greifen und suchte Anknüpfungen in Breslau.

Das Herz voll Sehnsucht nach Sachsen und seinen entfernten Freunden, begab er sich in die schlesische Residenz, als diese soeben (5. Januar 1807) kapituliert und für ihre Wälle gebüßt hatte. Während der zwei Jahre seines dortigen Weilens verband ihn eine innige Freundschaft mit seinem gleichfalls aus Leipzig hierher verschlagenen sächsischen Landsmann, dem Musikdirektor Gottlob Benedikt Bierey, der ihm weit über die Zeit ihres Verkehrs und [44] gemeinsamen Wirkens eine treue Anhänglichkeit bewahrte.2 Auch in Breslau war Geyer neben seiner Schauspielerwirksamkeit fortgesetzt emsig als Porträtmaler tätig, und erwarb sich reiche Anerkennung. Trotzdem vermochte ihn die Stadt, in der ihm Sitten, Anstand und Gebräuche immer etwas Fremdes behielten, auf deren Wochenmärkten er jüdische und sarmatische Gesichter sah und polnische Sprache hörte, nicht auf die Dauer zu fesseln. Das alte Heimweh nach Sachsen erwachte mit neuer Stärke; er suchte erneute Berührung mit Leipzig. Hier war auf kurze Zeit, statt der Secondaschen Gesellschaft, die Weimarische Truppe engagiert gewesen. Nun hatte die erstere wieder ihren Einzug gehalten, und der eifrige Unternehmer für sich und seine Schauspieler den Titel ›Königlich sächsischer Hofschauspieler‹ erworben, obgleich das Unternehmen tatsächlich nur eine Privatanstalt war. Auf Geyers Ansuchen und das Betreiben seiner Leipziger Freunde wurde ihm für die bevorstehende Michaelismesse durch das Wohlwollen Franz Secondas ein Gastspiel zugesagt. Bereits im Juli verließ er Breslau,3 und stand bald zu näherer Verabredung persönlich seinem Leipziger Gönner Seconda gegenüber, dem ›kleinen alten gebückten Mann mit entsetzlich dickem Kopfe und hervorstehenden Glasaugen‹, wie ihn uns E. T. A. Hoffmann schildert. Mit seinen Schnallenschuhen und Kniehosen, Zopf und gepuderter Perrücke erschien er noch Weber und Genast als ein Bild aus längst verklungener Zeit. ›Bekannt und intim mit Kammerfrauen und Kammerdienern, servil und grob, je nachdem das Gnadenlicht denjenigen umschimmerte, mit denen er verkehrte, der Typus eines sächsischen Subalternbeamten damaliger Zeit, galt er für einen einflußreichen, wohlgelittenen Mann‹.

Nach mehrjähriger Trennung begrüßte Geyer freudigen Herzens seine alten sächsischen Freunde. Gar vieles hatte sich in den fünf Jahren seiner Abwesenheit, seit dem verhängnisvollen Friedensschluß Sachsens mit dem frevelnden Eroberer geändert. Rechtswesen und Verwaltung waren in völlig despotischem Geiste umgestaltet; als bürgerliches Gesetzbuch galt der Code Napoléon. Der Aktuarius Wagner gehörte zu den wenigen städtischen Beamten, welche der französischen Sprache hinreichend mächtig waren, um während der Okkupationszeit den Verkehr zwischen der Stadtbehörde und dem französischen Stab zu vermitteln. Er war daher von dem Marschall Davoust, als [45] dieser in Leipzig kommandierte, mit der Reorganisation des örtlichen Gerichtswesens betraut und zum provisorischen Chef der neu errichteten städtischen ›Sicherheitspolizei‹ ernannt worden; mit dem Instinkt eines Napoleonischen Generals hatte der gefürchtete Kommandant die Vorteile erkannt, die aus der Begabung des Mannes zu ziehen waren. Das in Wagners Besitz befindliche voluminöse Exemplar des Code wird noch nach Jahren in einem Brief Adolf Wagners an Albert bei einer Aufnahme der Bibliothek des Vaters – als nun unbrauchbar geworden! – erwähnt. Gar mancherlei vermehrte Anstrengungen waren daraus für ihn erwachsen, und auch nicht spurlos an ihm vorübergegangen; nicht minder warm war deshalb sein Willkommengruß für den wiedergekehrten Freund. Geyers erstes Auftreten in Leipzig, als Junker Philipp von Montenach in Kotzebues ›Johanna von Montfaucon‹, war von erwünschtem Erfolge begleitet. ›Er hat sehr gefallen, und wird jedem Theater willkommen sein, da er, wie bekannt, für mehrere Fächer ausgezeichnete Talente besitzt‹, wird unterm 6. Oktober 1809 über sein Gastspiel berichtet. Die Folge dieser beifälligen Aufnahme seiner Leistungen war sein Eintritt in die Secondasche Gesellschaft, und damit in den Wirkungskreis, dem er bis an sein Ende treu blieb. Die Secondasche Gesellschaft spielte damals, wie bereits früher, bis zur Messe in Leipzig, und zog dann für den Winter nach Dresden. Im Februar 1810 verlor sie mitten in der dortigen Spielzeit in dem talentvollen Opitz eines ihrer hervorragenden Mitglieder. Nach einem sehr ähnlichen Gemälde Geyers wurde dessen Porträt in Kupfer gestochen.4 An Geyers darstellerische Vielseitigkeit trat die Aufgabe, den Dahingeschiedenen zu ersetzen, dessen Hauptkraft in Chevaliers- und raschen lebhaften Liebhaberrollen, wie Tellheim und Fiesko, aber auch Wallenstein, bestanden hatten. So wurde er noch einmal in das ihm keineswegs eigene Fach der Helden und Liebhaber gedrängt. Er zeichnete sich als Hamlet und Max Piccolomini vorteilhaft aus; bewies jedoch sein eigentliches Können nicht selten in untergeordneten Partieen, bei denen er durch geistreiche Erfindung der Maske zugleich als Maler und Schauspieler wirksam sein konnte.5

[46] Während dieser Dresdener Winteraufenthalte hatte er vielfach Gelegenheit, die in der traurigen Periode der Fremdherrschaft entfaltete Prachtliebe einer entarteten vornehmen Welt in nächster Nähe mitzuerleben. Napoleon hatte sogleich nach der Schlacht bei Jena erklärt, mit Sachsen habe er keinen Krieg; der Kurfürst Friedrich August war König geworden, dem Rheinbund beigetreten und hatte an dem Kriege gegen Preußen teilnehmen müssen. Zur Zeit tiefster Demütigung Deutschlands, während Preußen durch den Tilsiter, Frieden schwer gebeugt darnieder lag, bildeten die Festfeiern am sächsischen Hof mit denen bei Ministern, Gesandten und Landständen, vornehmlich dem Staatsminister Senft von Pilsach und dem österreichischen Gesandten Fürst Esterhazy, eine fortlaufende Kette; Prunkliebe und Vergnügungssucht überboten sich in schwelgerischem Luxus und rauschenden Festlichkeiten. So besonders während des jedesmaligen Verweilens Napoleons am Dresdener Hofe. Wie schamlos ward hier dem fremden Unterdrücker geschmeichelt! Ein ihm zu Ehren aufgeführtes Festspiel zeigte in der hohen Säulenhalle eines Tempels Altäre mit den Namen des Cäsar, Alexander, Miltiades, Scipio, Achilleus; ein als Genius des Ruhmes verkleideter italienischer Sänger schrieb unter Musikbegleitung auf einen inmitten befindlichen namenlosen Altar in flammenden Zügen den Namen ›Napoleon‹; eine plötzlich hervortretende Sonne beleuchtete die Schriftzüge, und in demselben Augenblick verschwanden die Namen der alten Helden! ›Von Dresdens Jämmerlichkeit haben Sie keinen Begriff‹, heißt es in einem noch erhaltenen Brief an die Leipziger Freunde; ›die Menschen haben hier keinen Mut zu leben und fürchten sich doch vor dem Tode, da sie doch nichts Bequemeres tun könnten, als sterben. Ich selbst möchte, diesen Winter wenigstens, ein Murmeltier sein; aber ich habe mir vorgenommen, mit Macht gegen diese Weltironie, deren Narren wir sind, anzukämpfen, und wenn gute Miene zum bösen Spiel machen schon für eine Probe von Welt gilt, so will ich mit Freiheit sogar eine gutmütig lächelnde dazu machen, die mir doch auch vortrefflich zu Gesichte stehen muß‹.

Erfreulicher waren die jedesmaligen Aufenthalte in Leipzig von der Oster- bis zur Michaelismesse. Als fast täglichen Gast erblickte ihn da das alte Haus im Brühl. Zwei enge und dunkle Stiegen führten aus dem dürftig erhellten Flur in die freundliche, wenig geräumige, aber schlicht bürgerlichen Anforderungen genügende Wohnung des Gerichtsaktuars und provisorischen Leipziger Polizeichefs. Weit entfernt von einem anspruchsvollen Mäcenentum, wozu er auch die Mittel nicht besaß, bot Wagner dem Vielverschlagenen mehr als das: ein Haus und eine Heimat, in der er stets willkommen war, dazu gar manchen schätzbaren Ratschlag für die Entwickelung des Künstlers. Von ihrem gern gepflegten Verkehr wird uns berichtet, erst spät in der Nacht habe Wagner nach dem gewohnten abendlichen Beisammensein seine Amtsarbeiten wieder aufgenommen. Dem Heimatlosen tat sich hier, nach allen [47] Wechseln und Drangsalen seiner Laufbahn, zum ersten Male ein trauter Kreis des Familienlebens auf. In dem erfahrenen älteren Freunde, dem feurigen und offenherzigen Manne, fand er den teilnahmvoll wohlgesinnten Ratgeber wieder, dem das Herz ebenso warm für Freundschaft, als für Kunst und Wissenschaft schlug. An seiner Seite schaltete häuslich und rührig, im vollen Schmucke blühender Weiblichkeit, die eben in die ersten Dreißiger eingetretene Johanna Wagner, lebendigen Geistes und Gemütes, aber unberührt von jeder literarisch-ästhetischen Schein- und Modebildung, von durchaus ungebrochener Natürlichkeit. Ein Ölporträt von Geyers Hand zeigt sie uns in voller jugendlicher Frische: ihre Gesichtszüge wohlgebildet und sinnig, jeden Augenblick bereit sich in freundlicher Schalkhaftigkeit zu beleben; das Häubchen mit dem › Bandeau‹ unter dem Kinn, wie sie es zu tragen pflegte, und wie es das ebenmäßige Oval ihres Gesichtes recht hervortreten ließ. Von den Kindern besuchte Albert weben die Fürstenschule zu Meißen, die älteste Tochter Rosalie, noch nicht zehnjährig, reiste zu zarter Anmut heran; neben ihr eine fröhlich blühende jüngere Geschwisterschar, von welcher Julius im achten, die kecke muntere Luise im siebenten Lebensjahr stand. Hier fühlte sich der lang Umhergeirrte nicht als Gast und Fremdling geduldet, sondern als Freundschafts- und liebebedürftiger Mensch wie als strebender Künstler verstanden und geschätzt. ›Der Umgang mit lieben Freunden, ihre herzliche Teilnahme an frohen und trüben Stunden, ihre redliche Ausdauer ist eine der höchsten Glückseligkeiten des Lebens‹, schrieb er dann wohl aus der Ferne im Nachgenuß solcher ihm gebotenen Freuden. Wer mochte ahnen, wie nahe eine Trübung ihrer Quelle, dieses häuslichen Glückes selber, bevorstand! Ja, daß das heiß ersehnte Ende des lastenden politischen Druckes mit der drohenden Auflösung dieses friedlichen Hauswesens zusammenfallen sollte!

Fußnoten

1 ›Schon fühle ich an den heftigen Stößen meines Reisewagens, daß ich auf sächsischem Boden bin. Die schlechten sächsischen Dämme bleiben ein großes Übel, das allen Reisenden tausend Jeremiaden auspreßt. Der Kurfürst hat 70,000 Taler zum Chausseebau angewiesen, und es wird an einer Chaussee bei Ziegelrode, in der Gegend von Artern, gearbeitet. »Es wird schon mit der Zeit alles besser werden; – bei uns in Sachsen geht alles langsam«, so spricht selbst derjenige gute Sachse, dem man nicht einmal diesen Grad von Reflexionsgeist zugetraut hätte‹ (Schreiben aus Sachsen im Berliner ›Freimütigen‹ von 1805).


2 So nahm er sich in späteren Jahren, als Direktor des Breslauer Theaters, väterlich des jungen Albert W. an, als dieser hier seine ersten Versuche machte, und Adolf Wagner nennt ihn daher in einem an den Neffen gerichteten Briefe (nach Geyers Tode) ›die wiederauflebende Liebe des Vaters, sein Liebesvermächtnis‹.


3 Seines Abganges gedenkt der ›Freimütige‹ vom 1. August 1809 in einer Breslauer Korrespondenz mit den Worten: ›Herr Geyer, dieser brave Künstler, zu dessen Besitz man jeder Bühne, auch der größten, Glück wünschen darf, hat uns verlassen. Dieser Künstler ist auch ein geschickter Porträtmaler, Bresaus Einwohner verlieren ihn sehr ungern.‹


4 In Porträtsammlungen und -Katalogen ist dieser (Arndtsche) Kupferstich noch heute vielfach anzutreffen. – Als E. T. A. Hoffmann i. J. 1813 das Arbeitszimmer Secondas in Dresden betrat, fand er das Kabinet des Signor Franz mit den Bildnissen von Opitz, Ochsenheimer, Thering usw. geschmückt, sämtlich ›sehr gut in Öl gemalt‹. Hoffmann besaß als talentvoller Zeichner und Maler scharfblickende Kenneraugen; die von ihm gerühmten Bildnisse waren unzweifelhaft von Geyers Hand!


5 So finden wir in dem Lustspiel ›Der Schauspieler wider Willen‹ seine ›bewunderungswürdige Vielseitigkeit in den verschiedenen darin vorkommenden Verkleidungen‹ gerühmt. ›Er verstand die bald entgegengesetzten, bald durch Nüancen sich unterscheidenden Charaktere im Äußern sowohl, als in Haltung, Ton und Sprache dermaßen zu variieren, daß der Theaterbesucher an der Einheit der Person in allem Ernste zweifeln konnte. Dabei stellte er jede der einzelnen Rollen überaus geistreich und richtig dar‹ (Zeitung für die elegante Welt v. 9. März 1810).



Ludwig Geyer.
Ludwig Geyer.
Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 40-49.
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