XII.
(1824.)

Nach dem im Jahre 1863 erfolgten Ableben des Professors Leopold Kupelwieser fand sich in dessen brieflichem Nachlaß ein Schreiben Franz Schubert's an ihn vor, datirt 31. März 1824, dessen Inhalt einen schmerzlich überraschenden Einblick in die damalige Gemüthsstimmung des Tondichters gewährt.

Das Fehlschlagen so mancher Hoffnung – insbesondere was die Aufführung seiner Opern im Theater anbelangt – bedrängte äußere Verhältnisse, anhaltendes körperliches Unwohlsein, die lange währende Abwesenheit mehrerer seiner vertrautesten Freunde1 von Wien, endlich, wie man wohl annehmen darf, etwas Liebesgram, überantworteten den zwar ernsten, aber nichts weniger als weltschmerzelnden Gefühlen nachhängenden Schubert um diese Zeit einer trübseligen, an Verzweiflung grenzenden Gemüthsstimmung. Auf das reich blühende Leben der eben vorhergegangenen Periode folgte – allerdings nur vorübergehend – ein Zustand physischer Abspannung und moralischer Niedergeschlagenheit, wie wir einem solchen in Schubert's Leben kein zweites Mal wieder begegnen.

[318] Leopold Kupelwieser2, von Sehnsucht getrieben, die Heimat der Künste zu schauen und daselbst seiner weiteren Ausbildung in der Malerkunst obzuliegen, war – ein 27jähriger Jüngling – zu Anfang dieses Jahres in Gesellschaft eines russischen Edelmanns, Namens Alexis Beresin, nach Italien gereist, und hatte zunächst in Rom längeren Aufenthalt genommen3. An ihn sind (unter dem erwähnten Datum) die nachstehenden Zeilen4 gerichtet:


»Lieber Kupelwieser!


Schon längst drängt es mich, an Dich zu schreiben, doch niemals wußte ich wo aus, wo ein. Doch nun beut sich mir die Gelegenheit durch Smirsch5, und ich kann endlich wieder einmal Jemanden meine Seele ganz ausschütten. Du bist ja so gut und bieder, Du wirst mir gewiß manches verzeihen, was mir Andere sehr übel nehmen würden. – Mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten, elendsten Menschen auf der Welt.[319]

Denke Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will, und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht; denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bietet als höchstens Schmerz, dem Begeisterung (wenigstens anregende) für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr, so kann ich jetzt wohl alle Tage sagen, denn jede Nacht, wenn ich schlafen geh', hoffe ich nicht mehr zu erwachen, und jeder Morgen kündet mir neu den gestrigen Gram. So freude- und freundelos verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen süßen Tage zuwendete. – Unsere Gesellschaft (Lesegesellschaft)6 hat sich, wie Du wohl schon wissen wirst, wegen Verstärkung des rohen Chores im Biertrinken und Würstelessen den Tod gegeben, denn ihre Auflösung erfolgt in zwei Tagen, obwohl ich schon beinahe seit Deiner Abreise sie nicht mehr besuchte. Leidesdorf7, mit dem ich recht genau bekannt geworden bin, ist zwar ein wirklich tiefer und guter Mensch, doch von so großer Melancholie, daß ich beinahe fürchte, von ihm mehr[320] als zu viel in dieser Hinsicht profitirt zu haben; auch geht es mit meinen und seinen Sachen schlecht, daher wir nie Geld haben. Die Oper von Deinem Bruder8 (der nicht sehr wohl that, daß er vom Theater wegging) wurde für unbrauchbar erklärt, und mithin meine Musik nicht in Anspruch genommen. Die Oper von Castelli: Die Verschwornen, ist in Berlin, von einem dortigen Compositeur componirt, mit Beifall aufgenommen worden9. Auf diese Art hätte ich also wieder zwei Opern umsonst componirt. In Liedern habe ich wenig Neues gemacht10, dagegen versuchte ich mich in mehreren Instrumentalsachen, denn ich componirte zwei Quartette für Violinen, Viola und Violoncello und ein Octett, und will noch ein Quartett11 schreiben; überhaupt will ich mir auf diese Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen.

Das Neueste in Wien ist, daß Beethoven ein Concert gibt, in welchem er seine neue Sinfonie, drei Stücke aus der neuen Messe und eine neue Ouverture produciren läßt12. Wenn Gott will, so bin ich auch gesonnen, künftiges Jahr ein ähnliches Concert zu geben13. Ich schließe jetzt, damit[321] ich nicht zu viel Papier brauche, und küsse dich tausend Mal. Wenn Du mir über Deine jetzige begeisterte Stimmung und über Dein sonstiges Leben schreiben würdest, so freuete nichts mehr

Deinen treuen Freund

Franz Schubert.«


»Meine Adresse wäre dann: An die Kunsthandlung Sauer und Leidesdorf, weil ich Anfangs März14 mit Esterhazy nach Ungarn gehe.«

In innigem Zusammenhang mit diesem melancholischen Brief stehen folgende, die damalige Gemüthsstimmung bezeichnende Tagebuchs-Notizen:


»Schmerz schärft den Verstand und stärkt das Gemüth, dahingegen Freude sich um jenen selten bekümmert und dieses verweichlicht oder frivol macht.«


»Aus dem tiefsten Grunde meines Herzens hasse ich jene Einseitigkeit, welche so viele Elende glauben macht, daß nur eben das, was sie treiben, das Beste sei, alles Uebrige aber nichts. Eine Schönheit soll den Menschen durch das ganze Leben begleiten – wahr ist es, – doch soll der Schimmer dieser Begeisterung alles andere erhellen.«


»27. März. Keiner, der den Schmerz des Andern, und Keiner, der die Freude des Andern versteht. Man glaubt immer zu einander zu gehen und man geht nur neben einander. O Qual für den, der dieß erkennt!«
[322]

»Meine Erzeugnisse in der Musik sind durch den Verstand und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen die Welt am meisten zu erfreuen.«


»Die höchste Begeisterung hat zum ganz Lächerlichen nur einen Schritt, sowie die tiefste Weisheit zur krassen Dummheit.«


»Mit dem Glauben tritt der Mensch in die Welt; er kommt vor Verstand und Kenntnissen weit voraus; denn um etwas zu verstehen, muß ich vorher etwas glauben; er ist die höhere Basis, auf welche der schwache Verstand seinen ersten Beweispfeiler aufpflanzt. Verstand ist nichts als analisirter Glaube.«


»29. März. O Fantasie, du unerforschlicher Quell, aus dem Künstler und Gelehrte trinken! O bleibe bei uns, wenn auch von Wenigen nur anerkannt und verehrt, um uns vor jener sogenannten Aufklärung, jenem Gerippe ohne Fleisch und Blut zu bewahren.«


Daß das nächtige Dunkel, welches sich über Schubert's Seele gelagert hatte, auf seine Productionskraft keineswegs lähmend einwirkte, bezeugen die gerade um jene Zeit entstandenen Compositionen. Die umfangreichste darunter ist das (in dem Brief an Kupelwieser erwähnte) Octett15 für Streich-[323] und Blasinstrumente, ein nicht eben durch Gedankentiefe hervorragendes, aber anmuthiges und anregendes Werk von echt Schubert'schem Gepräge.

Dasselbe wurde (nach Hrn. Doppler's Mittheilung) von Schubert auf Bestellung des Grafen Ferdinand Troyer16, Obersthofmeister des Cardinal-Erzherzogs Rudolf von Oesterreich, im Jahre 1824 componirt und in demselben Jahr unter Schuppanzigh's17 Leitung an der ersten Violine und Mitwirkung des Grafen als Clarinettist, zuerst[324] in Wien im Spielmann'schen Hause auf dem Graben, wo Troyer wohnte, aufgeführt. Von dem damals berühmten Rasumoffskischen Quartett wirkten dabei Weiß und Linke mit. Im Jahre 1827 wurde es in dem sogenannten Abonnements-Cyklus des Hrn. Schuppanzigh und später in ein Paar Städten Deutschlands (zuletzt in Frankfurt a.M.) mit Erfolg gegeben. In Wien brachte es Herr Josef Helmesberger nach einer Pause von 34 Jahren in einer seiner Quartett-Productionen zu Ende des Jahres 1861 in abgekürzter Form18 unter großem Beifall »als neu« zur Aufführung.

Von ähnlicher Art und Bedeutung wie das Octett sind die Streichquartette in A-Moll, in E- und Es-Dur, welche überhaupt als die ersten duftigen Blüthen Schubert'scher Kammermusik bezeichnet werden dürfen. Auch die Introduction und Variationen für Clavier und Flöte (op. 160) und eine (unveröffentlichte) Sonate für Pianoforte und Harfe inA-moll19 gehören dieser Zeit an; deßgleichen das bekannte Salve regina (als op. 149 im Stich erschienen) und die »Beiträge« zu der von M.F. Leidesdorf in Wien[325] herausgegebenen und beifällig aufgenommenen Sammlung von sechs und dreißig Ori ginal-Deutschen für Clavier20.

Das Duo für Clavier und Flöte (op. 160) dürfte wohl eine bestellte, auf die Virtuosenschaft einer bestimmten Person berechnete Arbeit sein. Der Gedanke liegt nahe, daß dasselbe für den Flötenvirtuosen Ferdinand Bogner21, Honorar-Professor des Conservatoriums in Wien, der durch seine Verwandtschaft mit der Familie Fröhlich auch Schubert bekannt und befreundet war, oder für jenen »braven Flötenspieler« geschrieben wurde, dessen die Hofschauspielerin Sofie Müller in ihrem Tagebuch aus dem Jahre 1825 (von dem noch die Rede sein wird) erwähnt, welcher ungenannte Flötenspieler aber wahrscheinlich derselbe Bogner gewesen ist.

Die Composition besteht aus einer Introduction und dem Thema: »Trockene Blumen« aus den Müllerliedern, das dann sieben Mal variirt wird. Schubert hatte dabei die Absicht (und durfte wahrscheinlich keine andere haben), dem Flöten- und dem Clavierspieler Gelegenheit zur Erprobung ihrer Kunstfertigkeit auf den bezüglichen Instrumenten zu verschaffen. Beide sind vollauf mit Rouladen beschäftigt, und das Musikstück[326] wird heut zu Tage nur unter der Voraussetzung noch genießbar, daß es mit eben so großer Geläufigkeit als Reinheit und präcisem Zusammenwirken vorgetragen wird22. Der Componist hat es zweifelsohne – wie fast alle derlei »Gefällig keitsstücke« – in Eile auf das Papier hingeworfen und sich nicht mehr darum gekümmert.

Von Gesangscompositionen ist das Lied: »Der Gondelfahrer« und das gleichnamige Quartett (für Männerstimmen) – beide in verschiedener Weise componirt – zu erwähnen. Das Quartett zählt zu den gelungensten Conceptionen Schubert's in dieser Gattung und wurde bald nach seinem Erscheinen in Privatgesellschaften in Wien oft und gerne gesungen. In dem Hause der Frau Lascny (geb. Buchwieser, bekannt als treffliche Sängerin) erlebte Schubert die Freude, den zweiten Baß darin von dem Sänger Luigi Lablache , dem er außerordentliche Verehrung zollte, vorgetragen zu hören.

Im Mai 1824 folgte Franz der Familie des Grafen Carl Esterhazy nach Zelész. Dieser Ausflug dahin und der längere Aufenthalt auf jener Besitzung, wo er, den Staub und alles Ungemach der Residenz von sich schüttelnd, in einem gebildeten, von seinem Genie begeisterten Kreise ruhig heitere Tage verleben durfte, bewährte sich als die wirksamste Kur gegen jene Anwandlung von Verzweiflung, die ihn kurz vorher überkommen hatte. Er schuf in ländlicher[327] Abgeschiedenheit mehrere bedeutende Compositionen23, und ein vom 18. Juli datirtes, an Bruder Ferdinand in Wien datirtes Schreiben bezeugt, daß mittlerweile die trübe Stimmung einer zwar ernsten, aber gefaßteren Lebensanschauung gewichen war. Der Brief lautet:


»Ueber Deine Quartettgesellschaft wundere ich mich um so mehr, da Du den Ignaz dazu zu bewegen mochtest. Aber besser wird es sein, wenn ihr euch an andere Quartetten als die meinigen haltet, denn es ist nichts daran, außer daß sie vielleicht Dir gefallen, dem Alles von mir gefällt. Die Erinnerung an mich ist mir noch das Liebste dabei. War es bloß der Schmerz über meine Abwesenheit, der Dir Thränen entlockt, Die du Dir nicht zu schreiben getrautest? Oder fühltest Du bei dem Andenken an meine Person, die von ewig unbegreiflicher Sehnsucht gedrückt ist, auch um Dich ihren trüben Schleier gehüllt? Oder kamen Dir alle die Thränen, die Du mich schon weinen sah'st, in's Gedächtniß? Dem sei nun wie ihm wolle, ich fühle es in diesem Augenblick deutlicher, Du oder Niemand bist mein innigster, mit jeder Faser meiner Seele verbundener Freund! – Damit Dich diese Zeilen nicht vielleicht verführen, zu glauben, ich sei nicht wohl oder nicht heiteren Gemüthes, so beeile ich mich, Dich des Gegentheils zu versichern. Freilich ist's nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes fatale[328] Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine Fantasie (Gott sei's gedankt) so viel als möglich zu verschönern suche. Man glaubt, an dem Orte, wo man einst glücklich war, hänge das Glück, indem es doch nur in uns selbst ist, und so erfuhr ich zwar eine unangenehme Täuschung und sah eine schon in Steyer gemachte Erfahrung hier erneut, doch bin ich jetzt mehr im Stande, Glück und Ruhe in mir selbst zu finden, als damals. Als Beweis dessen werden Dir eine große Sonate und Variationen über ein selbst erfundenes Thema, beides zu vier Händen, welche ich bereits componirt habe, dienen. Die Variationen erfreuen sich eines ganz besondern Beifalls. Ueber die dem – übergebenen Lieder tröste ich mich, da nur einige davon mir gut erscheinen, als: Wanderers Nachtlied und der entsühnte, nicht aber entführte Orest, über welchen Irrthum ich sehr lachen mußte. Suche wenigstens diese sobald als möglich zurück zu bekommen. Daß Du Dich recht wohl befindest, freut mich um so mehr, da ich hoffe, daß ich selbes Wohlbefinden mit dem meinigen kommenden Winter kräftiglichst genießen werde. Grüße mir Eltern, Geschwister und Freunde innigst. Du sei mir tausendmal geküßt. Schreibe sobald wie möglich und lebe recht, recht wohl. Mit ewiger Liebe

Dein Bruder Franz24


Mit Franz von Schober, der sich in den Jahren 1824 und 1825 in Preußen aufhielt, um eine neue Lebensbahn einzuschlagen, scheint unser Tondichter in lebhaftem Brieflichem[329] Verkehr gestanden zu haben. Darauf deutet ein ebenfalls von wehmüthigen Gefühlen angewehtes Schreiben Schobers25 (datirt 2. December 1824, Breslau) an Schubert hin, dem ich folgende Stelle entlehne:


»Herzlieber Schubert!


Aus meinem Brief nach Zelész wirst Du Dich wohl wenig ausgekannt haben, er war auch in der ärgsten Lage geschrieben. Du mein guter, ewig theurer Freund, Dir hat meine Liebe ihren Werth behalten, Du hast mich um mir selbst willen geliebt, wie mein Schwind und auch Kupelwieser wird treu sein. Und sind denn wir nicht gerade die, die unser Leben in der Kunst fanden, wenn die andern sich damit nur unterhielten, die gewiß und allein unser Innerstes verstanden, wie es nur der Deutsche verstehen kann? Ich fühl's, ich war zu sehr einer Menge von Dingen und Leuten preisgegeben und vergeudete mich und meine Zeit; es war nöthig, daß ich herausgerissen wurde, daß meine Umgebung geläutert, ich selbst zur Thätigkeit gebracht würde, nun ist das eine geschehen und das andere im Werden, und ich kann also im Ganzen nur einen vorgerückten schöneren Stand der Dinge erblicken, und werde, wenn auch alles scheitert, wenigstens tüchtiger und ebenso liebevoll in eure Arme zurückkehren, die ihr mir nun die Einzigen seid. Ich habe eine entfernte Hoffnung euch diesen Winter noch zu sehen, es müßte ein schöner, aber doch komischer Traum werden. Der Baron V., der sehr an abenteuerlichen,[330] ungewöhnlichen Sachen hängt, will nämlich um eines Rendezvous willen, auf das er diesen Sommer in Carlsbad eingegangen, auf eine Nacht nach Wien in eine Redoute kommen, bloß Courier hinfahren, die Nacht da sein und ebenso extrapost wieder zurück. Er hat mich auf den Fall, als das zu Stande kommt, eingeladen, mitzufahren, und war, als er eben von Carlsbad kam, sehr von diesem Plan erfüllt. Nun scheint er aber schon, in eine Menge anderer Sachen verwickelt, wieder abgekühlt zu sein. Wenn es aber geschieht, würde ich euch den Ort sagen, wo ihr mich zu erwarten hättet, und wir verlebten eine selige Nacht«26.

Daß sich Schubert gelegentlich als Dichter versuchte, davon liefern die Textworte zu dem Terzett, welches er für die Geburtstagfeier des Vaters componirte, sowie die »Beiträge« zu Salieri's Jubelfeier, das Lied »In das Stammbuch eines scheidenden Freundes« und die Stelle in Schober's Brief aus dem Jahre 1824, in welchem ihm dieser »für das so wahre und empfundene Gedicht« dankt, wiederholte Beweise.

Hier mögen noch zwei Gedichte27 (das erste datirt vom September 1820, das zweite: »Mein Gebet« überschrieben, vom 8. Mai 1823) ihre Stelle finden, die – wie R.[331] Schumann sich darüber ausspricht – wenn sie auch eine wenig geübte Hand verrathen, immerhin von poetischem Geschick und jener vorherrschenden Gemüthsstimmung zeugen, welche Nähe stehende an Schubert bemerkt haben. Dieselben lauten:


»Laßt sie nur in ihrem Wahn,«

Spricht der Geist der Welt,

»Er ist's, der im schwanken Kahn

So sie mir erhält.«


Laßt sie rennen; jagen nur

Hin nach einem fernen Ziel,

Glauben viel, beweisen viel

Auf der dunkeln Spur.


Nichts ist wahr von alledem,

Doch ist's kein Verlust,

Menschlich ist ihr Weltsystem

Göttlich bin ich's mir bewußt.


Mein Gebet.


Tiefer Sehnsucht heil'ges Bangen

Will in schön're Welten langen;

Möchte füllen dunklen Raum

Mit allmächt'gem Liebestraum.


Großer Vater! reich' dem Sohne,

Tiefer Schmerzen nun zum Lohne,

Endlich als Erlösungsmahl

Deiner Liebe ew'gen Strahl.


Sieh, vernichtet liegt im Staube,

Unerhörtem Gram zum Raube,

Meines Lebens Martergang

Nahend ew'gem Untergang.
[332]

Tödt' es und mich selber tödte,

Stürz' nur Alles in die Lethe,

Und ein reines kräft'ges Sein

Lass', o Großer! dann gedeih'n.


Schließlich folgt noch die Erzählung eines Traumes, dessen Auslegung billig dem Leser überlassen bleibt.


Mein Traum.


Den 3. Juli 1822.


»Ich war ein Bruder vieler Brüder und Schwestern. Unser Vater, unsere Mutter waren gut. Ich war allen mit tiefer Liebe zugethan. – Einstmals führte uns der Vater zu einem Lustgelage. Da wurden die Brüder sehr fröhlich. Ich aber war traurig. Da trat mein Vater zu mir und befahl mir, die köstlichen Speisen zu genießen. Ich aber konnte nicht, worüber mein Vater zürnend mich aus seinem Angesichte verbannte. Ich wandte meine Schritte und mit einem Herzen voll unendlicher Liebe für die, welche sie verschmähten, wanderte ich in ferne Gegend. Jahre lang fühlte ich den größten Schmerz und die größte Liebe mich zertheilen. Da kam mir Kunde von meiner Mutter Tode. Ich eilte sie zu sehen, und mein Vater, von Trauer erweicht, hinderte meinen Eintritt nicht. Da sah ich ihre Leiche. Thränen entflossen meinen Augen. Wie die gute alte Vergangenheit, in der wir uns nach der Verstorbenen Meinung auch bewegen sollten, wie sie sich einst, sah ich sie liegen. Und wir folgten ihrer Leiche in Trauer und die Bahre versank. – Von dieser Zeit an blieb ich wieder zu Hause. Da führte mich mein Vater wieder einstmals in seinen Lieblingsgarten: er fragte mich, ob er mir gefiele. Doch mir war der Garten ganz[333] widrig und ich getraute mir nichts zu sagen. Da fragte er mich zum zweiten Male erglühend: ob mir der Garten gefiele? Ich verneinte es zitternd. Da schlug mich mein Vater und ich entfloh. Und zum zweiten Male wandte ich meine Schritte und mit einem Herzen voll unendlicher Liebe für die, welche sie verschmähten, wanderte ich abermals in ferne Gegend. Lieder sang ich nun lange, lange Jahre. Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zertheilte mich die Liebe und der Schmerz. Und einst bekam ich Kunde von einer frommen Jungfrau, die einst gestorben war. Und ein Kreis sich um ihr Grabmal zog, in dem viele Jünglinge und Greise auf ewig wie in Seligkeiten wandelten. Sie sprachen leise, die Jungfrau nicht zu wecken. Himmlische Gedanken schienen immerwährend aus der Jungfrau Grabmal auf die Jünglinge wie leichte Funken zu sprühen, welche sanftes Geräusch erregten. Da scheute ich mich sehr auch da zu wandeln. Doch nur ein Wunder, sagten die Leute, führt in diesen Kreis. Ich aber trat langsamen Schrittes, immer Andacht und fester Glaube, mit gesenktem Blicke auf das Grabmal zu, und eh' ich es wähnte, war ich in dem Kreise, der einen wunderlieblichen Ton von sich gab; und ich fühlte die ewige Seligkeit wie in einen Augenblick zusammengedrängt. Auch meinen Vater sah ich versöhnt und liebend. Er schloß mich in seine Arme und weinte. Noch mehr aber ich.«

1

Kupelwieser befand sich in Italien, Schober in Preußen.

2

L. Kupelwieser, geboren 1796 zu Pisting in Niederösterreich, wurde Professor und k. Rath an der Kunstakademie in Wien, und starb daselbst am 17. Nov. 1862.

3

Als die beiden Reisenden nach Sicilien überfuhren, erkrankten sie am Nervenfieber: Beresin starb, Kupelweiser aber erholte sich und blieb bis in das Jahr 1825 in Italien.

4

Der Brief ist addressirt: Al Signor Leopoldo Kupelwieser, pittore tedesco, recapito al Caffe greco a Roma. Derselbe wurde mir von der Familie Kupelwieser freundschaftlichst mitgetheilt.

5

Smirsch, damals Cassier am kaiserlichen Hof, und ein geschickter Blumenmaler, besorgte während K's. Aufenthalt in Italien dessen Geschäfte. S. lebt derzeit in Pension in Wien.

6

Diese Leseabende fanden bei Schober und Bruchmann statt. Es wurden dabei die Classiker, auch Homer vorgenommen. Schubert pflegte diesen ästhetischen Uebungen beizuwohnen, in welchen Franz v. Schober und Bruchmann (Sohn) gewöhnlich die Vorlesenden waren.

7

Leidesdorf, Kunst- und Musikalienhändler in Wien, etablirte sich später in Florenz. Ein Theil der Schubert'schen Compositionen wurde von ihm verlegt.

8

Josef Kupelwieser, der Verfasser des Textes zu der Oper »Fierrabras«.

9

Ich habe nicht erfahren können, welcher Componist in Berlin »Die Verschwornen« in Musik setzte.

10

Der Catalog weist deren nur sechs aus.

11

Diese Streichquartette sind wohl die bekannten inA-Moll, in Es- und E-Dur.

12

Die neunte Sinfonie, die D-Messe und Ouverture (op. 124) Das Concert fand am 7. Mai statt.

13

Dieser Vorsatz kam erst im Jahre 1828 zur Ausführung.

14

Muß wohl Mai heißen.

15

Es ist geschrieben für zwei Violinen, Viola, Clarinett, Fagott, Waldhorn, Cello und Contrabaß. Wie auf der Original-Partitur (im Besitz von Spina) zu lesen, begann Schubert die Composition im Februar und war am ersten März damit fertig. Das Octett erschien als op. 166 bei Spina in Stimmen. Einen vierhändigen Clavierauszug (ebenda herausgegeben) verfaßte S. Leitner. (Dr. L. v. Sonnleithner.)

16

Graf Troyer, ein Zögling des Josef Friedlowsky, Professors am Conservatorium in Wien, galt für einen ausgezeichneten Dilettanten auf der Clarinette. – Ein gewisser Melzer spielte damals den Contrabaß und Radecki blies das Horn.

17

Schuppanzigh (Ignaz), geb. 1776 in Wien, war der Gründer des bekannt und berühmt gewordenen Quartettvereins und Leiter der damals im Augarten veranstalteten Donnerstag-Morgenconcerte. Als Fürst Rasumoffsky (russischer Botschafter in Wien) ein auserlesenes Streichquartett herzustellen beabsichtigte, trat Schuppanzigh und auf dessen Vorschlag auch Franz Weiß (geb. 1778 in Schlesien, gest. 1830 in Wien) als Violaspieler, und Josef Linke (geb. 1783 zu Trachenberg in Preußisch-Schlesien, gest. 1837 in Wien) als Violoncellospieler in des Fürsten Dienste und bildeten mit letzterem, der selbst die zweite Violine spielte, jenes weltbekannte Beethoven-Quartett. Nach Auflösung der fürstlichen Kammercapelle machte Schuppanzigh mehrere Jahre hindurch Reisen durch Nordeuropa und kehrte dann nach Wien zurück, wo er 1824 Mitglied der Hofcapelle und von 1828 an (unter Graf Gallenberg) Musikdirector am Hofoperntheater wurde. Er starb im März 1830 in Wien.

18

Das Octett ist sechssätzig und besteht aus einemAdagio (F-Dur 4/4), an welches sich ein Allegro (in gleicher Tonart und Zeitmaß) anschließt; aus einemAndante (B-Dur 4/4); einem Allegro vivace (D-Moll 3/4) sammt Trio; einem Andante (C-Dur 2/4) mit sieben Variationen; einem Menuetto (Allegretto F-Dur 3/4) mit Trio und Coda und einem kurzen Satz: Andante molto As-Dur 4/4 schließend, und dem Finale (Allegro F-Dur 4/4) ebenfalls mit einem kurzen Zwischensatz (Andante molto) und mit dem Eingangsthema (Allegro molto) abschließend.

19

Eine Copie dieser Sonate (für Clavier und Arpeggione) besitzt Josef v. Spaun.

20

Czerny, Horzalka, Pixis, Preisinger, Schoberlechner und Worzischek trugen ebenfalls ihr Schärflein dazu bei.

21

Ferd. Bogner, geb. 1786 in Wien, Schüler des Flötisten Florian Heinemann, galt als tüchtiger Flötenspieler. Er war Beamter bei der k.k. Hofkammer, seit 1821 Professor im Wiener Conservatorium, und producirte sich zu wiederholten Malen in öffentlichen Akademien. B. verehlichte sich mit Barbara Fröhlich, Sängerin und Gesangslehrerin in Wien, und starb am 24. Juni 1846.

22

Oeffentlich scheint es zu Schubert's Zeiten nicht gespielt worden zu sein; in Wien wurde es in neuerer Zeit (im März 1862) in einer Privat-Abonnements-Soirée im Musikvereinssaal von den Herren Doppler und Dachs zu Gehör gebracht.

23

Das Duo für Clavier (op. 140), comp. im Juni, Märsche, Tänze (comp. im October), »Gebet vor der Schlacht«, »Abendroth« und Clavierübungen entstanden damals in Zelesz.

24

Das Schreiben ist abgedruckt in der »Neue Zeitschrift für Musik« 1839.

25

Das Original des Briefes besaß (und besitzt vielleicht noch) die Familie des Ferd. Schubert.

26

Der weitere Inhalt bezieht sich auf musikalische Angelegenheiten und ist bereits (bei dem Jahre 1822) angegeben worden.

27

Dieselben befanden sich, so wie auch die Erzählung: »Mein Traum«, in Ferdinand Schubert's Besitz, welcher sie A. Schumann im Jahre 1838 zur Veröffentlichung in der »Leipziger Musikzeitung« mittheilte.

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865, S. 317-334.
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