Der »Liederkreis«

[27] Es war dieß der sogenannte »Liederkreis«, der in der ersten Zeit seines Bestehens den wahrhaft furchtbaren Namen »Dichter-Thee« führte.

Die namhafte Anzahl der in Dresden lebenden Schriftsteller und Dichter gehörte, mit Ausnahme des ganz isolirt stehenden Ludwig Tieck, mehr oder weniger ausgesprochen ein und derselben Richtung an, die dem Charakter der damaligen, geistigen Atmosphäre der Residenz so bestimmt entsprach, daß man ihre Gesammtheit fast eine Schule, die Dresdener Dichterschule, nennen kann. Weichheit und unklare Sentimentalität, Romantik mit Hirtenstab und Haarbeutel, gesuchter Humor ohne Tiefe, Lüsternheit ohne Leidenschaft, Impotenz der Erfindung, Unmännlichkeit des Ausdruckes, bei oft sehr ausgesprochenem Talente, vieler Formengewandtheit, gutem Wissen und Willen, waren die charakteristischen Züge dieser Schule, die in Friedrich Kind, Carl Förster,[27] Theodor Hell, Isidorus Orientalis, der Chezy, Graf Kalkreuth und Malsburg ihre talentbegabtesten Koryphäen aufweist und das Stichblatt von Ludwig Tieck's unablässigen, geistvollen Spöttereien war.

An diese reihte sich eine große Anzahl minder bedeutsamer literarischer Producenten an, deren Aufzählung hier zu weit führen würde und aus denen wir hier nur Friedrich Kuhn, A. F. E. Langbein, W. A. Lindau, Therese aus dem Winkel, Gustav Schilling, die Professoren Hasse, Haase, Herrmann etc. hervorheben.

Im Jahre 1814 versammelte ein Freiherr von Seckendorf wöchentlich eine Anzahl Dichter und Künstler bei einfacher Bewirthung (Thee und Butterbrod) in seinem Hause. Es wurde deklamirt, vorgelesen, gesprochen; etwas Ordentliches kam nicht zu Stande, da der Unternehmer der Leitung nicht gewachsen war. Doch war ein solcher Verein schon zu lange gewünscht worden, um nicht gepflegt zu werden; man schloß sich enger zusammen, begann den Ort der Versammlung bei den verheiratheten Mitgliedern wechseln zu lassen, der liebenswürdige und geistvolle Minister von Nostitz (mit dem Dichternamen Arthur von Nordstern) nahm sich der Sache mit Vorliebe an, die Gesellschaft erhielt eine, wenn auch zwanglose, Form, die Frauen betheiligten sich rege, vielleicht sogar zu vorherrschend, daran und es bildete sich unter dem oben erwähnten, nüchternsten aller Namen, »Dichter-Thee«, der Verein, welcher sich später »Liederkreis« nannte und der, mag man auch immerhin seine Tendenz und sein Gebahren weich, kraftlos und kindlich nennen, doch seit seinem Eingehen Dresden ohne jeden literarisch-künstlerischen Mittelpunkt gelassen hat, der sich ihm entfernt an Bedeutung vergleichen könnte. Die Hauptsache war, daß die Leute sich trefflich unterhielten, und wenn auch nach und nach die Gesellschaft, nach Tieck's Ausspruch, eine »Räucheranstalt« wurde, »in die jedes Mitglied sein Weihrauchfaß mitbrachte, um es vor den Worten des eben Vortragenden zu schwingen, jede Dame einen Lorbeerkranz hinter ihrem Stuhle verborgen hielt, um ihn zu einer etwa nöthigen Bekrönung bei der Hand zu haben«, so war doch der »Liederkreis« ein Zirkel, der an gutem Ton, an Objecten der Conversation, Urbanität der Sitte, Zusammensetzung und geistigem Streben hoch über jeder[28] andern geselligen Vereinigung Dresdens stand. Die feinsten Mittel der Unterhaltung stellten sich ihm gern zur Verfügung, die italienischen Sänger sangen, die besten Künstler musizirten, die gründlichsten Gelehrten hielten hier Vorträge und es war der Gesellschaft daher zu verzeihen wenn sie nach und nach die Allüren eines Areopages des guten Geschmacks annahm.

Im Jahre 1817 fand Carl Maria Weber den Verein in seiner lebendigsten Entwickelung. Um den würdigen, trefflichen Präsidenten Arthur von Nordstern gereiht, fand er den unermüdlichen, formgewandten Carl Theodor Winkler (Theodor Hell), der, obwohl unschön von Aeußern, doch zu fesseln und zu gewinnen verstand, ihm aber anfangs ziemlich abgeneigt war; den seines Dichterwerthes sehr bewußten, den kleinen Poetenfürsten spielenden Friedrich Kind, der eben sein »Van Dyk's Landleben« mit einigem kritischen Lärm in die Welt gesetzt hatte; den Uebersetzer der »Lusiade«, F. A. Kuhn; den Verfasser der »Theorie des Lustspiels«, Professor Hasse; den berühmten Archäologen und Besitzer wahrhaft immensen Wissens, Böttcher, welchem die »Abendzeitung« überdieß eine Reihe trefflicher, dramaturgisch gelehrter Recensionen verdankt; dessen Jünger und späteren Nachfolger, den Alterthumskenner H. A. Haase; den Historiker Aug. Ludw. Herrmann; Eduard Gehe, von dem das boshafte bon mot umlief, die Muse selbst habe ihm den Namen gegeben, indem sie gesagt habe: Eduard geh!; den »deutschen Petrarka« Carl Förster und die Schriftstellerin, Harfenspielerin und Malerin, Therese aus dem Winkel, eine glühende Verehrerin der italienischen Oper, die unter der Chiffre C. Kritiken in die Abendzeitung zu schreiben pflegte und seine bitterste Gegnerin wurde, und mehrere Andere.

Ab und zu wanderten Graf Kalkreuth, dessen Vorträge durch eine häßliche, mutirende Stimme fast unerträglich wurden; Malsburg, von dem Müllner sagte: »er schwärmt allnächtlich und dichtet dann alltäglich«, und an den, seiner undeutschen Gesinnung wegen, E. M. Arndt schrieb: »Herrn von Malsburg, Schlechtgeboren«; der katholisirende, streng aristokratische Graf Löben (Isidorus Orientalis), der seiner poetischen[29] Richtung nach zu Brentano und Arnim, seiner Gesinnung nach in den Liederkreis gehörte, und Andere.

Mehrere dieser Persönlichkeiten werden wir noch näher kennen zu lernen Gelegenheit haben.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 27-30.
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