Weber's Arbeitsform

[458] Auf einsamen Spaziergängen in Hosterwitz, und später im Jahr in Dresden, konnte man Weber auf der Terrasse oder im Großen Garten, zu Stunden, wo diese freundlichen Promenaden von der eleganten Welt Dresdens nicht besucht waren, begegnen, wie er oft[458] kleine, beschriebene Blätter aus der Tasche zog, stillstehend las und dann, wie im leisen Selbstgespräche, weiter schritt. Er lernte den, von ihm selbst abgeschriebenen Text der »Euryanthe« auswendig, bis zur höchsten Geläufigkeit, bis er seinem Geiste innewohnte, wie ein eigenes Produkt, als habe er die Worte selbst erfunden.

Nach dem Wenigen, was er in vertrauten Stunden seinem Schüler Benedikt über den dabei stattfindenden Prozeß der Entwickelung seiner Schöpfung aus den Anregungen, die ihm der Text gewährte, mittheilte und worüber wir diesem trefflichen Künstler werthvollste Notizen, aus damals auf frischer That niedergeschriebenen Aufzeichnungen, verdanken, schwieg sein Genius sehr oft bei einer ganzen Reihe von Recapitulationen des Textes, und dann blitzte wieder plötzlich die Idee zu einer ganzen Nummer, wie aus der Nacht, empor und baute sich, ohne den Meister wieder zu verlassen, unablässig tagelang in ihm gährend und krystallisirend, in seiner ganzen vollendeten Form vor ihm auf. Dann erst fixirte er sie auf dem Papiere.

Hier findet es seine Erklärung, daß Weber fast immer in der Oper weitauseinander liegende Nummern, ganz außerhalb der Reihenfolge derselben, bearbeitete.

Das erste Niederschreiben von Ideen pflegte er früh Morgens nach einem höchst frugalen Frühstücke, an seinem Pulte stehend, zu besorgen, während er der Arbeit des Instrumentirens und Ergänzens der verbindenden Elemente die Abendstunden widmete. Meist skizzirte er bei der ersten Niederschrift nur die Singstimmen vollständig, – zuweilen ohne Baß – und deutete nur hie und da eine Harmoniefolge, oder den Eintritt von Blasinstrumenten, oft in der fragmentarischsten Form, an, ja zuweilen gab er selbst, nur durch ihm bekannte Zeichen, die wunderbaren, für ihn so charakteristischen Orchestereffekte an.

Ungeachtet diese Skizzen so unvollständig waren, daß selbst der erfahrene Meyerbeer und der so sehr in seinen geistigen Formen denkende Marschner es für unmöglich erklärten, eine nach seiner Weise fast fertig gedachte und in dieser Weise fixirte Oper, »Die drei Pintos«, nach denselben zu ergänzen, obgleich beide große Talente das Meiste aus der Oper von ihm selbst hatten vortragen hören, so spielte[459] er doch oft Carolinen, seinem Freunde Roth, Benedikt oder ihn besuchenden befreundeten Meistern aus den Werken, die er in Arbeit und so skizzirt hatte, große Abschnitte vor, die genau die Form besaßen, in der sie später erschienen. Ein einmal gereiftes Musikstück stereotypirte sich in seinem Geiste gleichsam in unvertilgbaren Zügen, so daß die Instrumentation, so zu sagen, zur Kopistenarbeit für ihn wurde, und aus diesen so überaus unvollkommenen Skizzen, ohne irgendwelche Zwischenarbeit, die fehlerlosen Partituren, von den Flötenstimmen bis zum Baß vollständig, mit allen Zeichen, Pausen, Pianos, Fortes, wie in Kupfer gestochen, sauber geschrieben, entstehen und perlig aus seiner Feder hervorrollen konnten.

Aus dieser Form der geistigen Funktion bei der Composition erklärt sich auch die enorme Quantität von Arbeit, die er zeitweilig zu bewältigen im Stande war.

So ist, wie wir weiter unten ausführlicher sehen werden, der ganze, vollständige, erste Akt der »Euryanthe« in 12 Tagen, während deren Weber noch dazu von Hosterwitz aus seinen ganzen Dienst in Dresden besorgte, der zweite in 13, der dritte in 15 Tagen instrumentirt. Tage, wo er 12 und 13, ja 14 Seiten dieser reichen Partitur bearbeitete, finden sich nicht selten in seinen Tagesnotizen verzeichnet. Die gesammte Ausführung der ganzen Oper nach den Skizzen hat nicht mehr als 60 Arbeitstage in Anspruch genommen.

Es involvirte diese, innerem »Fertighaben« der Arbeiten emanirende Rapidität und Sicherheit der Produktion, indeß durchaus kein starres Abschließen derselben mit der Niederschrift der letzten Note. Im Gegentheil opferte er nicht selten die Mühen vieler Tage, später, besonders nach ersten Aufführungen, oder bei den Proben gewonnenen besseren Ueberzeugungen. So genügte ihm z.B. das ganze letzte Allegro in dem zweiten Finale der »Euryanthe«: »Du gleißend Bild, du bist enthüllt«, erst in der dritten Bearbeitung, und in die Ouverture wurde nach den ersten Proben in Wien das mystische Motiv von Emma's Erscheinen eingewoben, während der erste Entwurf nur ein feuriges Allegro in einem Tempo, in der Art der Ouverture zum »Beherrscher der Geister«, war. Er ließ sich dann die Mühe nicht verdrießen,[460] den entsprechenden Theil seiner Partitur so sauber umzuschreiben, daß deren Zierlichkeit kein Abbruch geschah.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 458-461.
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