VIII. Amerikanische Sagen.

[110] Auch nach Amerika könnten Einzelheiten aus diesem Sagenkreise gelangt sein. Es ist oben schon eine Überlieferung mitgeteilt, die einer arabischen Erzählung gleicht. Ich führe noch drei andere Parallelen an, wobei ich nur kurze Hinweise auf Übereinstimmungen in Klammern beifüge.

Eine Sage der Bilqula (bei Boas, Ind. Sagen, S. 242) erzählt:


Masmasalā'niq, Yula'timōt, Matlapē'eqoek? und Itl'itlu'lak kamen zur Erde herab und sprachen: »Laßt uns den Menschen erschaffen.« Masmasalā'niq schnitzte eine menschliche Figur aus Holz [vgl. die Statuen der Jakuten], war aber nicht imstande, dieselbe ins Leben zu rufen. Matlapē'eqoek? und Itl'itlu'lak versuchten ebenfalls, menschliche Figuren zu schnitzen, sie konnten sie aber nicht beleben [vgl. die Mandäer, Gnostiker usw.]. Endlich schnitzte Yula'timōt eine Figur und belebte sie [vgl. Jaldabaoth]. Weiter schnitzt Masmasalā'niq einen Lachs, wirft ihn ins Wasser und heißt ihn von dannen schwimmen. Der Lachs hatte aber noch keine Seele und konnte deshalb nicht schwimmen. Da die vier Gottheiten die Seele nicht machen konnten, riefen sie den Raben (meist der Weltschöpfer, auch eine Art Eulenspiegel) und trugen ihm auf, eine Seele für den Lachs zu suchen ...

In der aztekischen Schöpfungslegende, wie sie uns in den Anales de Quauktitlan, von Brasseur de Bour bourg Codex Chimalpopoca getauft, entgegentritt, sind die Urgötter nicht direkt die Schöpfer des Menschengeschlechtes. Vielmehr läßt die Göttermutter, nachdem die Erde erschaffen war und nachdem sie eine Reihe von göttlichen Kindern geboren hatte, einen Feuerstein zur Erde hinunterfallen, und aus ihm entstehen 1600 Dämonen als ihre jüngsten Söhne, und diese bitten um die Erlaubnis, sich Menschen zu ihrem Dienste schaffen zu dürfen. Es geschieht dies, indem einer von ihnen einen Knochen aus der Unterwelt holt, den sie dann vereint mit dem Blute netzen, welches sie sich mit Dornen aus den Ohrläppchen ritzen.


  • Literatur: Häbler, Rel. d. mittl. Amer., S. 28. [Vgl. die Söhne der Ruha, oben S. 94.]

Die Winnebago erzählen:


Während der Große Geist bei der Arbeit war, schlief der Böse Geist. Er erwachte nun, und als er sah, wieviel der Große Geist geschaffen hatte, machte er sich auch an die Arbeit und war ganz sicher, daß er ebensoviel zustande bringen würde. Zuerst versuchte er, einen Indianer zu machen, aber er machte einen Fehler in der Zusammensetzung, und es wurde ein Schwarzer. Dann wollte er einen schwarzen Bären machen, aber es wurde ein elender grauer. [Hierzu und zum folgenden vergleiche Kap. IV.] Danach schuf er verschiedene Schlangen, sie waren aber giftig. Nun versuchte er es mit den Pflanzen und schuf eine Reihe nutzloser Kräuter, machte ein paar häßliche Bäume und säte[110] Myriaden von Disteln breitwürfig aus. Als letzte Tat brachte er die Geschöpfe des Großen Geistes dazu, Böses zu tun, einige Indianer lehrte er stehlen, morden und lügen. Einmal werden der Große und der Böse Geist miteinander kämpfen, und es wird vier Tage Dunkelheit sein, Donner und Blitz, und die Bösen werden zu dem Bösen Geist gehen. Dann wird die Erde wieder durch eine große Flut zerstört werden, aber der Große Geist wird sie wieder herstellen.


  • Literatur: Emerson, Indian Myths, p. 168.

Nachdem im ersten Kapitel der Zusammenhang der asiatischen und amerikanischen Sagen hinsichtlich der kosmogonischen Erzählung festgestellt ist, liegt die Folgerung nahe, auch für die anthropogonische Tradition einen gleichen Zusammenhang anzunehmen.

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 110-111.
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