1. Die Verkleinerung der Erde.

[127] a) Als Gott Himmel und Erde geschaffen hatte, machte er die Erde etwas zu groß; der Himmel konnte sie nicht bedecken. Gott hatte bemerkt, daß der Teufel mit dem Igel sich über etwas besprach, und schickte die Biene, um zu horchen, was sie sagten.

»Gott weiß es nicht,« sagte der Teufel, »er müßte einen Stock nehmen und die Erde damit schlagen, soviel er könnte, um daraus Berge und Täler zu formen. Dann würde ihr Antlitz sich zusammenziehen und der Himmel genügen, um sie zu bedecken.«

Als die Biene das gehört hatte, begab sie sich wieder zu Gott und sagte ihm alles wieder. Da erschuf Gott die Berge und die Täler auf der Erde, und der Himmel bedeckte sie wieder ganz genau. Dann segnete er die Biene1 und befahl, daß ihr Auswurf dazu dienen sollte, Hochzeiten und Taufen zu erleuchten, und daß ihr Honig die Kranken heilen sollte.


  • Literatur: Bulgarisch. Šišmanov, Nr. 4. Vgl. Sbornik za narodn. umotv. IV, 129 = Strauß, Die Bulgaren S. 11, nur redet dort der Teufel mit sich selber. Ebda. S. 32 finden sich noch zwei Varianten über die Verkleinerung der Erde, doch fehlen Biene und Igel.

[127] b) Als die Erde geschaffen war, paßte sie nicht unter das Himmelsgewölbe. Wo sollte man nun so eine große Scheibe lassen? Da kam just der Igel gegangen und fragte, was es da für ein Unglück gebe. – Soundso, – die Erde sei fertig, aber man kriege sie nicht unter die Rundung des Himmels, und ein Stück abzuspalten, gehe auch nicht an. »Das ist eine Kleinigkeit!« erwiderte der Igel; »man muß die Scheibe etwas zusammendrücken, dann werde es schon gehen.«

Gut. Gott drückte sogleich die Scheibe zusammen, und jetzt ließ sie sich ganz leicht unter den Himmel stecken. Nur entstanden beim Zusammendrücken hier und da Falten, das sind die jetzigen Berge und Täler.

Gott aber schenkte dem Igel für seinen klugen Kopf ein vortreffliches Kleid, ganz aus Nadeln,2 daß kein Angreifer sich ihm nähern kann.


  • Literatur: Lettisch. Lerchis-Puschkaitis, V, S. 50, Nr. 4.

Fußnoten

1 Die Heiligkeit der Biene ist auch sonst in Volksüberlieferungen nachzuweisen. Außer der Sage von ihrer paradiesischen Herkunft (Kap. 5, V, d) vgl. Kalewala, Rune 15, Vers 393–534, sowie folgende Sage bei Dobrovolskij I, 286, Nr. 53: In Ägypten waren Bienen. Nun brauchte man, als der neue Bund aufgerichtet war, ein neues Opfer, das Wachs. Hierzu mußte man Bienen haben, und es war gesagt: »Es gibt solche in Ägypten, aber man kann sie nicht holen, es ist kein Einlaß.« Nikolaus, der Wundertätige, verpflichtete sich, sie zu bringen, und ging nach Ägypten. Aber umsonst, es war ihm nicht möglich. Da meldete sich der hl. Sossim, und man schickte ihn. Er machte aus Schilfrohr einen Bienenstock und begab sich nach Ägypten, wo er zehn Bienen und eine Königin fing und in den Stock setzte. In der Frühe des Morgens entfloh er. Aber bald jagten ihm die Ägypter nach und durchsuchten ihn, aber wiewohl sie ihn dreimal schüttelten, fanden sie doch keine Biene bei ihm: sie waren eben im Schilfrohr. So brachte Sossim die Bienen, aus denen sich bei uns die Schwärme entwickelten. Den ersten Schwarm erhielt Nikolaus.

Bei Strauß, Die Bulgaren, S. 12, findet sich folgende Zusammenstellung über die Biene:

1. Die Tschuvassen glauben, daß die Biene aus dem Nabel des großen Gottes (Mun Túrė) hervorgekrochen sei.

2. Bei den Mordvinen ist die Biene das Lieblingstier der Götter.

3. Die Russen sagen, die Biene sei aus dem Nabel Christi hervorgeflogen, als dieser am Kreuze litt. (Weitere Sagen über Christus und die Biene siehe Band II, Kapitel »Christi Wanderungen«.)

Auch gehört hierher der estnische Glaube, daß die Bienen heilige, fromme Tiere sind, die man nur die Vögelchen nennen darf.

Rußwurm, Eibofolke (Schweden in Estland), S. 189.


2 Vgl. hierzu die estnische Sage von Kalewi-Poeg:

Kalewi-Poeg kämpft gegen den Teufel mit zwölf Dutzend Brettern, und da diese beim Schlagen eins nach dem andern zersplittern, so rät ihm ein Igel, mit den Kanten zu schlagen anstatt mit den Flächen, und so bleibt er Sieger. Um den Igel vor dem Teufel zu verbergen, überschüttet ihn Kalewi-Poeg mit Tannennadeln, wodurch er stachlig geworden ist; nach anderen ist es dadurch gekommen, daß Kalewi-Poeg ein Stück von dem Pelze, den er gerade anhatte, auf ihn warf.

Wiedemann, Aus d. inn. u. äuß. Leben d. Ehsten, S. 421. Im 12. Gesang des estn. Epos von Kalewi-Poeg treibt der Held, vom Igel beraten, die drei Söhne eines Zauberers, der ihm sein Schwert gestohlen hat, durch Kantenhiebe in die Flucht und schenkt dem Igel ein Stück seines Pelzes (Schott, Die estn. Sagen von Kalewi-Poeg, S. 428, 471).


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 128.
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