III. Huldigende Bäume.

[30] Eine indische Erzählung berichtet von dem verbannten Vessantara, der mit Frau und Kindern in brennender Sonnenhitze durch den Wald irrte. Da sahen die durstigen Kleinen Bäume, mit Früchten beladene Bäume, und weinten voll Verlangen nach Labung. Beim Anblick der[30] weinenden Kinder neigten sich die hohen Waldriesen von selbst zu den Kindern herab. (Cariyâ Piṭaka I, 9 bei Oldenberg, Buddha S. 348.)

Auch sonst begegnen wir in der indischen Literatur wiederholt Erzählungen von Bäumen, die sich niederbeugen. Aus Furcht vor den Maruts, den Gesellen Indras, beugen sich die Wälder: Ṛg-Veda 5, 60, 2. Mâyâ stand bei ihrer Niederkunft neben einem hohen Baum und streckte ihre Hand aus, um einen der Äste zu ergreifen; sofort neigten alle Bäume ihre Äste und boten ihre Dienste an. (P. Bigandet, The life or legend of Gaudama3 (Lond. 1880) I, S. 35. Alabaster, The Wheel of the Law, Lond. 1871, S. 101.) Auch die Berge neigen sich, wenn dies nötig ist; indem sich Buddha dann auf den Gipfel derselben stellt, erreicht er schnell den Himmel, wo er seiner Mutter das Gesetz predigt. (Bigandet S. 219.) Als Buddha die Erleuchtung zuteil geworden ist, neigen nicht nur Bäume, sondern auch Berge ihre Gipfel nach der Richtung von Bodhimaṇḍa (dem Ort der Erleuchtung). (Lalita-Vistara, ch. XIX, Foucaux S. 235.) Als einst der Teufel mittels seiner schwarzen Kunst die Ufer eines Weihers, in welchem Buddha sich badete, außerordentlich erhöht hatte, so daß dieser nicht mehr herauskommen konnte, rettete er sich dadurch aus der schwierigen Lage, daß er der Göttin eines am Ufer stehenden Baumes zurief: »Laß einen Ast dieses Baumes sich herabneigen.« Das geschah, und mit Hilfe desselben kam Buddha aus dem Wasser. (Lalita-Vistara cap. 18, Foucaux S. 229.)

In allen diesen Beispielen wirkt die übernatürliche Kraft, die von Buddha ausgeht, mit oder ohne seinen Machtspruch diese Wunder.

Die christliche apokryphe Tradition kennt ebenfalls solche Ehrenbezeigungen.1 Auch das Motiv der Labung, wie es die Geschichte von der Flucht des Vessantara aufweist, verbunden mit dem des göttlichen Machtspruches findet sich, ohne daß man die Abhängigkeit von indischen Vorbildern anzunehmen braucht. Denn die Vorstellung, daß die schmachtenden Flüchtlinge durch ein Ereignis solcher Art belebt wurden, liegt in der ganzen Situation begründet.

In dem liber de infantia Mariae et Christi Servatoris, herausg. von Oskar Schade, S. 38 f. (vgl. Pseudo-Matth. cap. 20 f., herausg. von Tischendorf, S. 87 ff.) wird erzählt:

Es begab sich am dritten Tage ihrer Reise, daß Maria von der allzu großen Sonnenglut matt wurde in der Wüste. Und da sie einen Palmbaum von wunderbarer Schönheit und Größe sah und unter seinem Schatten ein wenig ruhen wollte, führte Josef sie eilends zu dieser Palme und ließ[31] sie herabsteigen von ihrem Tiere. Als Maria sich niedergesetzt hatte, blickte sie auf die Krone der Palme und sah sie voller Früchte und sprach: »O wäre es doch möglich, daß ich von diesen Früchten da pflückte!« Und Josef sprach zu ihr: »Ich wundere mich, daß du dies sagest, da du doch die große Höhe dieser Palme siehest. Aber während du an die Palmfrüchte denkst, so denke ich an das Wasser, das uns schon ausgegangen ist in den Schläuchen, und wir haben nicht, wovon wir uns oder die Tiere erquicken können.« Da rief das Jesusknäblein, das auf dem Schoße seiner jungfräulichen Mutter saß und jene Rede hörte und verstand, zur Palme hinauf und sprach: »Neige dich, Baum, und erquicke mit deinen Früchten meine Mutter.« Alsbald neigte auf sein Wort hin die Palme ihren Wipfel bis zu den Wangen der Maria, und alle wurden erquickt, indem sie deren Früchte pflückten. Nachdem aber alle Früchte gepflückt waren, blieb der Baum geneigt und wartete auf ein Geheiß, gleichwie er auf Geheiß sich geneigt hatte. Da blickte Jesus auf ihn und sprach: »Richte dich auf, Palme, und werde stark und gehöre zu jenen Bäumen, die im Paradiese meines Vaters sind. Öffne aber an deinen Wurzeln die verborgenen Quellen und laß Wasser zur Sättigung herausfließen!« Und sogleich richtete sich die Palme auf, und durch ihre Wurzeln begann herauszuströmen klares, frisches und süßes Quellwasser. Da sie aber das Wasser fließen sahen, freuten sie sich sehr und tranken mitsamt ihrem Vieh und ihren Begleitern und dankten Gott. Am andern Tage reisten sie weiter. Zu der Stunde aber, da sie den Weg antraten, wandte sich Jesus zur Palme und sagte: »Dies Vorrecht gebe ich dir, Palme, daß einer deiner Zweige von meinen Engeln in das Paradies verpflanzt werde. Diese Segnung aber lege ich auf dich, daß es von jedem, der in irgendwelchem Kampfe gesiegt haben wird, heißen soll: Du bist zur Palme [des Sieges] gelangt.« [Ein Engel erscheint darauf und trägt einen Zweig hinweg.]


  • Literatur: Hierzu vgl. die völlig übereinstimmende altenglische Überlieferung bei Carl Horstmann, altengl. Legenden (Paderborn 1875) S. 3–61, v. 89–208; Horstmann, Sammlung altengl. Legenden (Heilbronn 1878) S. 111–123, v. 65–108; Cursor mundi – Anf. 14. Jahrh. – ed. by Rich. Morris (Published for the Early English Text Society Vol. 1–5), v. 11658–11730).

In einem weit kürzeren Bericht fehlt die Erzählung, daß die Palme zum Paradiesesbaum und zum Symbol des Sieges erhoben wird. Bei Schade, Narrationes S. 16 Kap. 24 heißt es:


Die hl. Familie kommt – und zwar nicht am dritten Tage, sondern »die quadam«, zur Palme. Der Jesusknabe ruft eine Quelle hervor, indem er mit dem Finger in die Erde bohrt.2 (Puer autem Jesus parum digito fodit terram et uberrimus fons erupit, quo omnes fuerunt cum gaudio recreati homines et iumenta).[32] Dem Baum befiehlt er, sich zu neigen und seiner Mutter Früchte zu geben. Recepit ergo virgo fructus, et omnes cum gaudio consederunt et pro via partem, quae superfuit, servaverunt.


Vgl. ferner Vie de Jesuchrist avec sa mort et passion (Brunet, les évangiles apocryphes p. 214):


Et quant ils eurent fort cheminé, la Vierge Marie fut lasse et auoit grand chault pour le soleil et en passant par ung grand desert, nostre dame veit un arbre de palme beau et grant dessoulz lequel se voulut reposer en l'ombre et, quant ils y furent, Joseph la descendit de dessus l'asne; quant elle fut descendue, elle regarda en haut et veit l'arbre tout plein de pommes et dist: Joseph, ie vouldroye bien avoir du fruict de cet arbre car ien mangeroye volontiers, et Joseph lui dist: Marie, ie mesmerveille comment vous auez desir de manger de cet fruict.

Adonc Jesuchrist que se sevit au giron de sa mère, dist à l'arbre de palme qu'il s'inclinast et qu'il laissast manger à sa mère de son fruict à son plaisir. Et tout incontinent que Jesuchrist eust ce dist, le palme s'inclina vers la Vierge Marie, et elle prit des pommes ce qu'il lui pleut et demoura cette palme encore inclinée vers elle et quant Jesuchrist veit qu'il ne se dressait pas, il dist: dresse toi, palme, et l'arbre se dressa.


Auf deutschem Boden wurde die Sage behandelt von Hrotsvit e 3 r Mitte bis e 4 r Anf., Cuonrad v. Fußesbr. 83, 67–84, 74, Auct. Passionalis 29, 72–30, 89, Bruder Philipp 2786–2865, Walther 73, 27–74, 20.

Bisweilen nennt die Sage auch den Ort der Begebenheit.

Sozomenos, hist. eccl. 5, 21 erzählt als ägyptische Tradition, daß, als Jesus auf seiner Flucht nach Hermopolis gekommen sei, ein hoher Pfirsichbaum sich vor ihm zur Erde gebeugt und ihn so angebetet habe. Ebenso bei Schade, narrationes cap. 30.

Danach Legenda anrea I, 58.3

Entsprechend heißt es in der Vita B. Virg. Mar. et Salv. rhythmica ed. Vögtlin, v. 2322–2340.


Sed ad quandam civitatem Egypti cum venissent,

Hermopolis que dicitur, atque transivissent,

Prope quandam arborem, que est appellata

Persicus et fuerat cunctis dedicata

Demonibus ab incolis illius regionis

Et erat eis maxime venerationis,

Ad hanc autem arborem Jesus cum veniret

Ipsamque cum comitatu suo pertransiret,

Arbor hec ab alto suos ramos inclinavit,

Transeuntem creatorem suum adoravit.

Cum ramis suis arbor hec ad terram incurvatur.

Atque Jesum transeuntem prona veneratur.

[33] Virtutem tantam arbor hec ab illo mox concepit

Tempore, quod omnibus esse iam incepit

Mortis salutifera, cunctis quoque malis

Ac infirmitatibus tunc medicinalis

Arbor hec que prius erat superstitiosa

De demonum ovaculis et prestigiosa

Ex Jesu Christi transitu nunc sanctificatur,

Et cultura demonum ab hac eliminatur.


Vanslebius bei Paulus, Samml. merkw. Reisen III, S. 79 f. berichtet uns nach einer alten Handschrift aus Abessinien, daß daselbst der 8. Juni als Gedächtnistag des Wunders gefeiert wird, daß bei der Maria großem Durst durch Christi Allmacht eine Quelle entsprungen sei, von welcher alle Kranken, die aus ihr getrunken, gesund wurden.

Bei Matarea, wohin die Familie nach dem schon oben erwähnten Kap. 24 des arabischen Kindheitsevangeliums gelangte – zwei Stunden von Kairo –, wird ein sehr alter Maulbeer-Feigenbaum gezeigt, unter dem Maria mit dem Kinde geruht haben soll.


  • Literatur: Winer, Bibl. Realwörterbuch 1 (1847), S. 556, wo zitiert wird: Prosp. Alpin, rer. aeg. 1, 5, p. 24. Paulus, Samml. III, S. 256 ff. Robinson, Palaestina I, 41. Tischendorf, Reisen I, 41 f. Hartmann, Erdbeschr. von Afrika I, 878 f.

Vgl. Gubernatis, Myth. des plantes 2, 356:

Die ägyptische Sykomore wird noch verehrt wegen des Schutzes, den sie der Madonna und dem Jesuskinde in Ägypten gewährt hat. Wenn man außerhalb Kairos zwischen einem Kanäle und einem von Nilwässern übriggebliebenen kleinen See auf sehr schöner, von gewaltigen Bäumen beschatteter Straße wandert, trifft man in einer Entfernung von 7 Meilen auf ein Landhaus, das sie Matarea4 nennen. Dort findet sich auch ein Haus, in dem die Madonna bei dem ersten Eintritt in Ägypten einige Jahre wohnte ... Ferner sieht man dort ein Wasser, in dem, wie die Sage geht, Maria die Windeln des Jesuskindleins zu waschen pflegte, und nahe dabei zeigt man in einem Garten – in dem man einstmals den Balsam sah, der jetzt nicht mehr ist – einen großen Baum, einen sogen. Pharaofeigenbaum (Sykomore). Von dem wollen sie, daß er aus jenen Zeiten stamme, und die Türken, die den Ort aus Liebe zu Jesus in hoher Verehrung halten (denn Jesus gilt bei ihnen als großer Prophet), erzählen davon ein apokryphes Wunder. Es ist indes nicht von Bedeutung, weil aus der antiken Sage des Wunders entstanden, das Nikephoros und Sozomenos von den Bäumen zu Hermopolis in Ägypten erzählen, daß sie bei der Ankunft unseres Herrn alle sich bewegt und, wenn auch groß und stark, doch bis zur Erde sich geneigt hätten, wie um ihn anzubeten.[34]

Sepp, Symbolik zum Leben Christi erzählt folgende drei parallel entwickelte Sagen:


a) Bd. 5, S. 28:


Als sie nun endlich in die Gegend von Matarea kamen, ließen sie, von der Wanderschaft erschöpft, sich unter einem Palmbaum nieder, um welchen viel Gras war, so daß Ochs und Esel genug zu fressen hatten. Da nun Maria wegen großen Durstes einen Trunk Wasser begehrte, nahm sie den Sohn Jesus auf ihren Schoß, stach mit dem Finger in die Erde, und es entsprang auf den Befehl ihres göttlichen Knaben am Fuße des Baumes ein frisches, kühles Marienbrünnlein. [Nach dem Zeugnisse älterer arabischer Schriftsteller zeigte man in Ägypten noch lange den Lebaktbaum, unter welchem Maria ihren Säugling an die Brust gelegt. Diese Pflanze gewährt Kühlung, hat eine Art Mandeln zur Frucht und gilt für ein Sinnbild des Trostes, ist aber jetzt dort zu Lande ausgegangen.]


b) Bd. 5, S. 27:


So erreichten sie nun die Götzenstadt Hermopolis in der Thebais, die sich bei ihrer Annäherung in einen Sandhaufen verwandelte. Vor dem Stadttore stand ein übergroßer Baum: der erhob sich dabei von der Wur zel aus und beugte sich mit seinem Gipfel bis zur Erde, grünte aber dann in neuer Kraft und Gesundheit wieder auf, wie noch dort zu sehen ist.


c) Bd. 5, S. 20:


Unfern dem Grabe Rachels sieht man noch den Feigenbaum, unter dessen Schatten die hl. Familie – im Begriffe, die Flucht anzutreten – gesessen hatte. Als nun das göttliche Kind tändelnd in seiner Unschuld nach den Feigen emporlangte, sieh! da bog sich der Baum mit seinen Früchten nieder und bot sie zum Pflücken dar. Diese Legende hat Correggio in seinem berühmten Gemälde Madonna colla scutella behandelt. (Auf ähnliche ›Riposo‹-Bilder einzugehen, ist hier nicht der Ort.)


Aus einer nach dem Kindheitsevangelium estnisch bearbeiteten Jugendgeschichte Jesu, die handschriftlich in mehreren Kirchspielen der Wiek verbreitet und wahrscheinlich gleichen Inhalts ist mit »Jesu Christi Barndoms-Bok« (Oerebro 1827; vgl. Bäckström II, 159) ist besonders folgendes bekannt, was hierher gehört:

Auf der Flucht nach Ägypten öffnete das Kind Jesus mit dem Finger eine verborgene Quelle, und ein hoher Baum neigte sich herab, um seine Früchte anzubieten.


  • Literatur: Rußwurm, Eibofolke S. 184.

Teils als Ausläufer dieser apokryphen Geschichte teils als unabhängige Neubildungen, die in einer ähnlichen Vorstellungswelt wurzeln5, sind folgende Sagen anzusehen:[35]


1. Bolognesische Legende.


Man erzählt den Kindern, daß die Madonna auf der Flucht nach Ägypten mit Joseph und dem Christuskind sich unter einer Palme ausruhte und daß diese ihre grünen Zweige demütig neigte, um Christus vor den brennenden Sonnenstrahlen zu schützen. Und es geschah dann, daß die Madonna gerne von den Früchten essen wollte, um sich nach dem Durst und der Ermüdung der langen, beschwerlichen Reise zu erfrischen. Da neigte sich die Palme und machte es Maria leicht, sie zu pflücken. Das rührte Christus, und er segnete die Palme, sie solle seit der Zeit das Sinnbild des ewigen Heils sein, und er würde mit ihr in Jerusalem einziehen, wie es dann geschah.


  • Literatur: Carol. Coron. Berti, Appunti di Botanica Bolognese (Firenze 1875) p. 6.

Vgl. die poetische Legende aus Palermo:


Sutta un pedi di parma s' assittaru

Maria ddi belli frutti risguardava

E guardannu ddu locu umili e caru

Quattru di ddi frutti addisiava.

Ascuta e senti stu mrâculu raru:

La stissa parma li rami calava;

Li grattuli a Maria cci apprisantau,

Maria li cogghi e la parma s' arzau.

...

Cristu a la parma cci para e cci dici:

– Jo, parma, ti dugnu a binidizioni,

Comu onurasti li me' cari amici,

Sarai cumpagna a la mè passioni.

Ancora cu li toi rami filici

Portami ogn' arma a la sarvazioni;

E ancora cu li toi pampini santi

Trasemu a Gerusalemmi triunfanti.


  • Literatur: Pitrè, Appunti di Bot. Sic. (= Rivista Europea 1875) p. 4 = Canti popolari siciliani vol. 2, n. 955 = Usi e costumi 3, 237.

2. Aus Malta.


Eine Überlieferung, die wir oben S. 9 kennen gelernt haben, vermengt sich auf Malta mit der Fluchtgeschichte, und man erzählt:


Als Maria mit dem kleinen Jesus fliehen mußte, geschah es, daß sie unterwegs Hunger litten und nichts Eßbares fanden. So gingen sie, hungrig und müde, weiter. Plötzlich rief der kleine Jesus: »Bieg mir den Ast herunter!« was die Mutter Gottes eiligst tat. Es war aber eine Palme, deren Äste voller Datteln waren. Da rief Maria: »O che bel frutto!« Seit dieser Zeit trägt jeder Dattelkern ein o eingeprägt.

(Diese kleine Legende ist in Malta allgemein bekannt. Seltsamerweise wird der Ausruf stets auf Italienisch wiedergegeben, wie auch von den Maltesern oft behauptet wird, die Mutter Gottes habe italienisch und maltesisch gesprochen. Darum lassen sich die beiden Sprachen auf Malta nicht ausrotten.)


  • Literatur: Mitteilung von Frl. B. Ilg.

3. Die gleiche Naturdeutung findet sich auch in Marokko und Portugal, vgl. oben S. 10.[36]


4. Aus Ungarn.


a) Als die heilige Jungfrau unter dem Weidenbaum saß, da neigten sich seine Zweige vor ihr: er beugte sich nieder und ist seitdem so geblieben.


  • Literatur: Kálmány, Vil. al. ny. S. 40.

(Vermengung mit Fluchtgeschichten der späteren Lebenszeit:)


b) Als die Juden unsern Herrn Christus verfolgten, war er sehr müde und setzte sich unter dem Weidenbaum nieder; denn der Weidenbaum ist der schmiegsamste Baum; nirgends hat er stachlige Äste. Als unser Herr Christus niedersaß, da hat sich der Weidenbaum über ihn geneigt und hat sich nicht wieder aufgerichtet; er ist so geblieben.


  • Literatur: Kálmány, Szeged Népe 2, 139 = Revue des trad. pop. 7, 485.

5. Aus Frankreich (?).


Villard, Les fleurs à travers les âges, S. 178 erzählt ohne Angabe der Heimat dieser Sage, daß, als die hl. Jungfrau auf der Flucht nach Ägypten einen Augenblick ausruhen wollte, die mitleidige Salbei ihre Blätter ausbreitete und dem göttlichen Kinde einen köstlichen Teppich darbot. Zur Belohnung erhielt sie die Kraft, Krankheiten zu heilen. Vgl. die Sage von der schutzbietenden Salbei unten S. 42.


Erweiterung: Die Ehrfurcht huldigender Bäume wird durch den Hochmut eines grußweigernden Baumes heller beleuchtet:


1. Aus Polen.


Als der Herr Jesus des Weges ging, traf er zwei Bäumchen, die am Teiche wuchsen; als das eine den sich nähernden Heiland von ferne wahrnahm, fing es an, sich vor Freude zu neigen und den Herrn mit seinen Ästen zu begrüßen. Und zwar war dies die Birke. Die Pappel dagegen rührte sich nicht einmal, trotzdem der Herr Jesus ganz dicht an ihr vorbeiging. Darum gewährte er der Birke, daß sie stets luftige Zweige habe und sie bei jedem Windhauche zur Erde senke, als wenn sie grüßen wollte. Die Pappel dagegen steht wie festgemauert und erhebt ihre Wipfel hochmütig zu den Wolken.


  • Literatur: Zbiór wiad. 7, 117 Nr. 37.

2. Aus Sizilien.


Wenn man die Frucht der Pinie schält und sie senkrecht durchschneidet, sieht man etwas wie eine Hand. Man deutet sie als die segnende Hand des Christuskindes und erzählt darüber wie folgt:


Auf der Flucht nach Ägypten wußte die hl. Familie nicht, wo sie ausruhen konnte, stieß zufällig auf eine Lupine und näherte sich ihr, um sich's darunter bequem zu machen. Damals war aber die Lupine – wie einst die Tamariske (vgl. weiter unten) – ein großer Baum mit auserlesenen Früchten. Sie weigerte sich aber, die armen Flüchtlinge unter sich aufzunehmen, machte sich klein und zog ihre großen Zweige ein, so wie sie seitdem geblieben ist. Der hl. Joseph, Maria und das Kindlein mußten also unbeschirmt bleiben und trotz Müdigkeit und Furcht ihren Weg fortsetzen. Etwas weiter sahen sie eine Pinie, unter die sie sich flüchteten. Und die Pinie breitete ihre schönen Äste aus und nahm das Jesuskind liebevoll auf.

Seit jenem Tage hat sie die Gunst, das Christushändchen in sich zu tragen,[37] und gedeiht immer. Aber die Lupine ist verflucht, sie darf sich nicht höher als eine Spanne vom Boden erheben, und ihre Frucht ist bitter.


  • Literatur: Pitrè, Appunti p. 7 = Usi e cost. Sic. 3, 239; auch bei Gubernatis, mythologie des plantes 2, 291 nach Mitteilung von Pitrè.

3. Aus Ösel; deutsch und estnisch.


Einst ging die Jungfrau Maria mit ihrem Kinde durch einen Wald, und sämtliche Bäume neigten ehrfurchtsvoll ihre Häupter, sie zu begrüßen. Nur die Espe stand gleichgültig da, ihre Blätter und Zweige starr in die Höhe gerichtet. Da sprach die Jungfrau die Strafe über sie aus, daß ihre Blätter sich bei dem geringsten Winde hin und her bewegen und zittern sollten.

Später wurde nach Christi Verurteilung das Kreuz für ihn aus Espenholz zugehauen.


  • Literatur: C. Rußwurm, Sagen aus Hapsal S. 189, Nr. 199 B mit dem Zusatz: Auch in Estland scheint früher die Espe göttliche Verehrung genossen zu haben. Ganz in der Nähe des Dorfes Röiks auf Dagö stand eine große heilige Espe, die man in keiner Weise beschädigen durfte. Noch vor 10 Jahren (1850) war es ganz allgemein, bei Krankheiten des Viehs oder ähnlichen Unglücksfällen dieselbe mit bunten Bändern, Bandschleifen und kleinen Kreuzen zu behängen, welche Opfer die Gunst des Baumgeistes erwerben sollten.

  • Literatur: Die Verehrung der Espenhaine, die in Schweden allgemein gewesen zu sein scheint, läßt sich auch für unsere Gegenden aus dem Namen der Stadt Hapsal (von haab und sallo, Hain) vermuten; auch der Asplûnd (Espenhain) zu Worms mag früher heilig gewesen sein. Über die Espenhaine s. Eibofolke § 355. Runa, Swenska forsamlingar utg. af R. Dybeck 1848, S. 16.

  • Literatur: Vgl. hierzu Grimm, Myth. 2, 614: Einzelnen Gottheiten, vielleicht allen, waren Haine, in dem Hain vermutlich besondere Bäume geweiht. Ein solcher Hain durfte nicht von Profanen betreten, ein solcher Baum nicht seines Laubes, seiner Zweige beraubt und nie umgehauen werden. Auch einzelnen Dämonen, Elben, Wald- und Hausgeistern sind Bäume geheiligt.

4. Der heidnische Hintergrund dieser Sage zeigt sich klar in der estnischen Variante unten S. 45 und folgendem Liede der Setukesen in Estland.


Eine Jungfrau, namens Marie, sucht sich einen Mann, der ihr gefiele und entspräche. Auf dem Markt glaubt sie einen solchen gefunden zu haben. Die Heirat wird vollzogen, aber die Hoffnung der jungen Frau wird nicht erfüllt. Der Mann gefällt ihr nicht, sie will sich seiner entledigen. Sie setzt des Abends scharfe Werkzeuge ins Bett, durch die der Mann zu Tode verwundet wird. Am Morgen steht die Marie auf und treibt das Vieh auf die Weide. Die Weiber des Dorfes fragen sie: »Warum ist dein Stiefel blutig, dein Strumpf blutbesprengt?« Sie erwidert: »Ich habe ein Schaf geschlachtet, daher das Blut.« Die Weiber glauben dem nicht und erklären, sie habe ihren Mann umgebracht. Nun flieht die junge Frau und sucht Schutz resp. Rettung an verschiedenen Orten: beim Brunnen, beim Hanf, bei der Birke, Kiefer, Tanne, beim Wacholder. Alle entschuldigen sich und begründen es, warum sie die Fliehende nicht schützen können. Zuletzt kommt sie zur Espe und Erle, die nehmen sie auf, die Espe unter ihre Blätter, die Erle unter ihre Rinde. Dort lebt die Gattenmörderin weiter; darum zittern die Blätter der Espe beständig, darum ist die Rinde (der Splint) der Erle rot.


  • Literatur: Monumenta Eistoniae antiquae 1, 1, Abt. C, S. 35.

In Varianten spricht die junge Frau einen Fluch über die Espe aus, die der Flüchtigen ebenfalls ihren Schutz versagt: die Blätter der Espe[38] sollen zittern, wie der Leib der Fliehenden zitterte, das Herz der Espe soll faulen, weil sie sich nicht erbarmte des bebenden Herzens der Marie.


5. Aus Deutschland.


a) Mit de ful Esch is dat so kamen: uns Herr Christus is ens in'n Holt kamen; dor neigen sik alle Böm, bloß de Esch is so grotbertansch un will sik nich dal geben; öwer as de annern Böm sik nu all wedder uprichten, dor verfiert se sik doch un fangt an to zittern. Un as nu Christus bi ehr vörbi kümmt, segt he: »Wil du so ful west büst, sasst du ewig ful Esch heten un sasst bewern Nacht un Dag, wenn ok gor ken Wind weiht.«


  • Literatur: Wossidlo, Volkstümliches aus Mecklenburg 1. Heft, Nr. 63.

b) Als Christus einst über Berg und Tal reiste und die Kranken heilte, kam er durch einen Wald. Da erkannten ihn die Bäume und neigten sich vor ihm zu Boden. Nur die Espe blieb aufrecht stehen. Da sprach Christus: »Du sollst dich von nun an ewig mit allen deinen Zweigen bewegen, und auch im lindesten Winde sollen deine Blätter nicht ruhig bleiben.«

Seitdem hat der Baum nicht Ruhe, und seine Blätter flüstern und zittern bis zum jüngsten Tag.


  • Literatur: Nork, Mythologie der Volkssagen S. 951. Vgl. Frischbier, Z. volkst. Naturkunde. Beiträge aus Ost- und Westpreußen. Altpreuß. Monatsschr. 22 (1885), S. 320. Haas, Rügensche Sagen S. 153.

6. Aus Island.


Eines Tages ging Jesus durch die heiligen Wälder der alten Germanen.6 Alle Bäume neigten sich vor ihm, um seiner Gottheit zu huldigen; nur die Pappel blieb in ihrem trotzigen Hochmut aufrecht stehen, und Jesus sagte zu ihr: »Da du dich nicht vor mir beugen wolltest, sollst du dich immerdar beugen im Morgen- und Abendwinde.«


  • Literatur: Douhet, Dictionnaire des légendes S. 1274 aus M. Marmier, Lettres sur l'Islande p. 106. Auch Revue des trad. pop. 4, 471.

7. Aus Steiermark.


Weil die Esche (so heißt an der Traun die Zitterpappel) einst, als der Heiland vorüber ging, ihr Haupt stolz erhoben hielt und ihm nicht neigte, schlug sie der Herr mit ewigem Zittern.


  • Literatur: Baumgarten I, S. 131.

8. Endlich wird noch eine maltesische Sage hierher zu stellen sein, die freilich nur in ihrem ersten Teil an die Palmbaumsage erinnert und gleich jener die Erschöpfung Marias und ihr Verlangen nach der lockenden Frucht[39] erzählt, im zweiten dagegen, und gerade im wesentlichen, durch eine völlig neue Erfindung überrascht.


Auf der Flucht nach dem sichern Lande kam die Jungfrau Maria mit dem Kinde auch nach Alexandrien. Es war ein sehr heißer, staubiger Tag, und ganz erschöpft sank die Arme nieder; sie hatte Hunger und Durst, und das Kindchen wimmerte leise. Da erblickte sie in der Nähe einen riesig großen, fruchtbehangenen Birnbaum, und auf der gegenüberliegenden Gartenmauer hingen die Äste eines reichtragenden Apfelbaumes. So ging sie hin, erblickte den Besitzer des Birnbaumes und bat um eine Frucht. Dieser aber schrie: »Ich habe keine Birnen; was ich habe, das sind Steine!« Die Jungfrau Maria rief aber drohend: »Von heute an sollst du am eigenen Baume Steine finden und Grieß, der an steinernen Sand gemahnt, in den Birnen der Nachbarn!« Sofort wurde der Baum zu Stein, behielt aber die Formen, die der Blätter, der Früchte, des Stammes, und heute noch ist der Baum eine der Sehenswürdigkeiten Alexandriens. Der Besitzer des Apfelbaumes hingegen war freigebig, stellte ihr die gesamten Früchte zur Verfügung, und so wurden die Äpfel Alexandriens, die von dorther zu uns kommen, gesegnet und tragen reichlicher als in andern Ländern.


  • Literatur: Frdl. Mitt. von Frl. B. Ilg.

9. Übertragung auf den hl. Pardroux findet sich in Forez.

Die Espe hat sich allein von allen Bäumen geweigert, sich vor dem hl. Pardroux zu neigen; zur Strafe für diesen Hochmut muß sie ewig zittern.


  • Literatur: Sébillot, Folklore de France 3, 369 = Noëlas, trad. foréziennes 195.

Fußnoten

1 Über Ehrenbezeigung der Götterbilder (Pseudo-Matthaeus cap. 23, Lalita-Vistara cap. 8) und der Fahnen des Pilatus (Ev. Nicodemi cap. 1) siehe van den Bergh van Eysinga S. 68–70. Ebd. die obigen Beisp. aus Indien.


2 Parallele: Kazwini, Kosmographie S. 409 erzählt, daß in der Wüste unter Isma'îls Ferse ein Quell hervorgesprudelt sei. Vgl. dazu: Grünbaum, Neue Beiträge S. 106 f.


3 »In Hermopolis in der Thebais gibt es einen Baum, welcher Persidis heißt und viele Krankheiten heilt. Als die hl. Jungfrau sich mit ihrem Sohne nach Ägypten flüchtete, neigte sich der Baum bis zur Erde und betete Jesus an.« Vgl. Revue des trad. pop. 4, 412.


4 Nach Bädeker S. 109 f. befindet sich in »Matarîje« (Heliopolis) der berühmte Marienbaum (1672 gepflanzt) und der süße Quell, den das Jesuskind selbst hervorsprudeln ließ.


5 Vgl. Tabarîs Erzählung, daß vier Bäume die Scham Adams und Evas, des Pfaus und der Schlange bemitleideten, ihre Zweige niederbeugten und jedem ein Blatt gaben. Bekannt ist die apokryphe Erzählung, daß die Fähnlein von Pilatus' Fahnenträgern sich vor Jesu neigten und ihn anbeteten (Ev. des Nicodemus, nach e. arab. Hdschr. übers. v. Güldenstubbe [1880], S. 5 ff.; Gesta I, 5, 6; Vögtlin, Vita ... rhythm. 5848–67).


6 Zu der Erweiterung, daß alle Bäume sich neigen, vgl. Vögtlin, Vita B. Virg. Mar. et Salv. rhythmica S. 80. v. 2226 ff.


Cum per silvas transiverunt, (näml. auf der Flucht nach Ägypten) ramoa universae

Inclinabant arbores ad puerum conversae.

Arbores cacumina flexerunt adorantes,

Transeunte creatore ramos inclinantes.

Herbaeque similiter fecerunt hoc camporum,

Floresque convallium et gramina pratorum

Se cuncta Jesu puero flectebant inclinando

Venientern dominum suum adorando.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 40.
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