XIV. Blutgefärbte Pflanzen.

A. Die Schneckenbohne.

[228] Aus Malta.


Als Christus am Kreuze hing, geschah es, daß die vormals weiße Schneckenbohne sich hinaufrankte, um das Blut aufzusaugen, das von den Füßen des Herrn floß. Dann, um die großen Rißwunden zu schließen und zu kühlen, legte sie sich hinein und schloß die offenen Äderchen. So leistete sie dem Herrn einen Dienst, und so kam es, daß er sagte: »Die Form, welche du in meiner Wunde angenommen hast, soll dir bleiben, auch die blutigen Flecken, die dich jetzt zieren. Du sollst dich so hoch hinaufranken können, wie mein Kreuz es ist. Sei gesegnet!« Seitdem ist die Blume mit hellen und dunkeln Flecken besät und hat eine Form mit tausend Windungen: so hat sie in der Wunde des Herrn gelegen.


  • Literatur: Mitt. von Fräulein Bertha Ilg.

B. Das (durchlöcherte) Johanniskraut (hypericum perforatum).

1. Aus Deutschland.


Zu Anfang des dreißigjährigen Krieges hatte die Pflanze eine besondere Wichtigkeit erlangt: man sagte, sie wäre aus dem Blute Johannis des Täufers entstanden1, oder es wurde gesagt, sie wüchse unter dem Kreuze Christi und hätte von dem herabfließenden Blute desselben ihre Heilkraft und den Namen Jesuwundenkraut, Herrgottsblut, auch wohl Mannsblut erhalten.


  • Literatur: Bl. f. pomm. V. 6, 40 (aus Gilow, De planten, S. 1534), vgl. 6, 38, Nach Schiller, Zum Tier- und Kräuterbuch des Mecklenb. Volkes 2, 26 hat das Kraut auch Christi Kreuzblut geheißen. Woeste, Z. der vgl. Spracht 4, 223:

»Nach märkischer Volkssage wuchs unter dem Kreuze Christi das gelbblühende[228] hypericum, welches von dem herabrinnenden Blute des Herrn seinen roten Tropfen, seine Heilkraft und den Namen Hiärguadsblaud erhielt.«


2. Aus Norwegen.


  • Literatur: Norsk Hist. Tidskrift 2 Rœkke 3, 166.

C. Verschiedene Pflanzen am Kreuze.

Der Knöterich hat auf den Blättern schwarzbraune Flecken. Als Christus gekreuzigt wurde, stand dies Kraut unter dem Kreuze und fing mit seinen Blättern die Blutstropfen auf, die aus den Wunden Christi herabfielen.


  • Literatur: Menzel, Symbol. 1, 145 nach »Regensburger Flora« 1835, 1, 272. L. Strackerjan, Abergl. und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 2 (1867), S. 80. v. Schulenburg, wendische Volkssagen und Gebräuche aus dem Spreewalde S. 268. Dasselbe wird vom polygonum persicaria (L.) erzählt: Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels S. 118. Joos, Vertelsels Nr. 17. Ons Volksleven 12, 105.

Gottesgnad, in einigen Gegenden auch Josephstengel genannt, gilt als eine sehr heilkräftige Pflanze. Ihre Blüten sind deshalb so rot, weil sie am Fuße des Kreuzes von Christi Blut benetzt wurde. In dieser Stunde erhielt das Kraut auch seine wunderstarke Heilkraft.


  • Literatur: Aus Tirol. Wolfs Zeitschr. f. deutsche Myth. 1, 332.

Als der Herr am Kreuze hing, fiel sein Blut auf die Blätter des Knabenkrautes (orchis maculata), davon haben die Blätter der Pflanze noch heute die dunkelroten Flecken.


  • Literatur: Aus Nordthüringen. Zschr. d. Ver. f. Volkskunde 10, 213. Auch in England: Hardwicke's Science Gossip 1865 p. 114.

Neben dem Kreuze standen gelbe Immortellen. Als Christi Blut auf sie floß, entstanden die roten Immortellen, die man verhältnismäßig selten findet.


  • Literatur: E. Handtmann, Neue Sagen aus der Mark Brandenburg S. 164.

Eine besondere Gattung der Federnelken hat im Herzen einen dunkeln Purpurflecken. Das, sagt man, sei ein Tropfen Blut, den der Heiland vom Kreuze habe hineinfallen lassen.


  • Literatur: W. Grimm, zu KHM Nr. 88.

Die braunroten Flecken des aegopodium podagraria rühren von Christi Blut her, das bei der Kreuzigung herabtropfte.


  • Literatur: Niederl. (Groningen): Volkskunde 15, 115.

Dasselbe wird von der Aaronswurz in Cheshire, England, gesagt, die darum auch Gethsemane heißt.


  • Literatur: Dyer, English Folklore S. 35.

Als der Herr am Kreuze gestorben war, rissen die Kriegsknechte die drei blutigen Nägel, die durch die Hände und Füße des Erlösers geschlagen worden waren, aus dem Holz heraus und warfen sie auf die Erde. Als nun der teure Leib Jesu in dem nahen Felsengrabe bestattet worden war, ging Maria nochmals nach Golgatha zurück, um die blutigen Nägel als teure Andenken mitzunehmen. Als sie die Nägel aufhob, entsprossen an derselben Stelle noch unter ihren Händen am Boden blutrote Blumen (Nelken), die sie, erschreckend über die Ähnlichkeit mit den blutigen Nägeln in ihrer Hand, »Nägelein« benannte (griechisch: Διὸς ἄνθος, lateinisch: Dianthus).


  • Literatur: Quellwasser fürs deutsche Haus 30 (1905), 15.

[229] Auch die Moosrose soll, wahrscheinlich aber nach einer neueren Legende, aus einem Tropfen von Christi Blut entstanden sein, der ins Moos niederfiel.


  • Literatur: Menzel, Symbolik 279.

Rosen und Anemonen sproßten aus Christi Blut hervor.


  • Literatur: Sepp, Symbolik 5, 135.

Parallele:


Die Türken sagen, die Rosen seien durch Mohammeds Blut rot geworden.


  • Literatur: Dyer, Folklore of Plants 306.

Fußnoten

1 So auch bei Sloet, De planten in het Volksgeloof S. 71. – Vgl. Menzel, Gesch. d. deutsch. Dichtung 1, 180: Vom Johannistage an zeigen sich welke Flecken auf den Baumblättern, und das Volk glaubt, es seien Flecken vom Blute des Johannes.

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 228-230.
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