Nachträge.

[268] Zu S. 3:


Estnische Variante. (Aus J. Hurts hdschr. Nachlaß.)


Als Jesus gekreuzigt war, entstand unter den Kriegsknechten ein Streit, ob Jesus Gottes Sohn sei oder nicht. Der eine meinte, er sei es, da sich die Sonne verfinsterte. Der andere entgegnete, daß Gottes Sohn nicht hätte sterben können. Da sagte der erste: »Aber er kann auferstehen!« Darüber lachte ihn der andere aus und meinte, was tot sei, sei tot, und wies dabei auf einen Fisch, dem er die eine Seite abgegessen hatte, und meinte: wenn der Fisch wieder zu leben beginnen könnte, so würde er an Jesu Auferstehung glauben. Dabei warf er den Fisch in den Fluß. Der Fisch bewegte den Schwanz und schwamm munter davon. Dieser. Fisch ist die Butte (Brachse? = latikkala), die gewissermaßen nur eine Seite hat, als wäre die andere bereits abgenagt.


Zu S. 12 ff.:


Aus Malta.


Als das Jesuskind in der Grotte zu Betlehem geboren wurde, kamen mehrere Tiere, um den Neugeborenen anzuhauchen, da es sehr kühl war in der steinernen Grotte. Die Kuh wäre auch sehr gerne hingegangen, aber da sie schwer trächtig war, ließ sie dem Jesuskind durch den Ochsen sagen: »Die Kuh ist nicht imstande, dir bis hierher zu folgen, aber das Kalb, das sie nun bald haben wird, möchte sie dir schenken.« Da freute sich der kleine Jesus, der an Weisheit ja ein Mann war, und sagte: »Verflucht sei der Mann, der eine Kuh einspannt, doppelt verflucht sei er aber, spannt er sie ein, sobald sie schwer trächtig ist!« Und die Kuh kam dann öfters und bot der hl. Maria ihr volles Euter an, damit der Neugeborene nicht Hunger leide.


  • Literatur: Frdl. Mitt. von Frl. B. Ilg.

Zu S. 15:


1. Aus Italien.


Unter den Tieren, die sich in dem hl. Stalle von Bethlehem befanden, war auch der Maulesel, damals noch fruchtbar, wie jedes andere Tier. Als nun eines Tages die Madonna zu nah an ihm vorüberging, da hatte er die traurige Idee, ihr einen Tritt zu geben. Da verfluchte ihn die Madonna zur Strafe, und seit jener Stunde war der arme Maulesel nicht mehr fruchtbar.


  • Literatur: Archivio 17, 442.

2. Von den Azoren.


Der Maulesel wurde verflucht, unfruchtbar zu sein, weil er dem Christkind Stroh aus der Krippe zog.


  • Literatur: Folklore 14, 136.

Zu S. 16, III, 1:


Bald jemand im Sterben liegt und recht Schmerzen leidet, kann man öfters hören: wenn nur die Nachtigall käm und tat uns auflösen! Da kommt dann diemalen ein Vogel geflogen und singt so lieblich und fein, daß die Schmerzen aufhören[269] und man entweder besser wird oder stirbt. Auch ruft man gerne die Mutter Gottes darum an, die Nachtigall zu schicken und den Kranken zu zeichnen zum Leben oder Tod.


  • Literatur: Leoprechting, Aus dem Lechrain S. 79.

Zu S. 17:


Aus den Niederlanden.


Ein Hirt gedachte in der Christnacht des Jesuskindleins, das in einer Krippe auf Stroh lag. »Ach!« sagte er und weinte heftig, »ich schlafe auf einem Federbett, und Jesus liegt auf Stroh!« Plötzlich erschien ihm ein Engel und sprach: »Wenn du einst an Jesus' Seite im Himmel sitzest und der Christtag zu läuten beginnt, dann sollst du mit dem Kindlein dein Bett auf die Erde ausschütten, und die Federn sollen lustig niederwirbeln.« Und wenn es nun am Christtag schneit, dann ist der Hirt an der Arbeit, sein Bett auszuschütten, und alles wird in das Gewand der Unschuld gekleidet, und Wald und Feld schlafen ruhig und wohl unter der blanken Decke, die vom Himmel kommt.


  • Literatur: Joos, Vertelsels 1, Nr. 11. Vgl. die Sage von Frau Holle, die ihr Bett schüttelt, nebst deren Übertragung auf Maria: Grimm, Myth.4 S. 222. 251. In Schottland heißt es, wenn die ersten Schneeflocken fallen: the men o' the East are pyking their geese and sending their feathers here away, here away. Im preußischen Samland sind die Schneeflocken Flaumen, die aus den von den Engeln geschüttelten Bettchen fallen. »Die Vergleichung der Schneeflocken und Federn ist uralt. Die Scythen erklärten die nördliche Weltgegend, weil sie mit Federn angefüllt sei, für unnahbar (Herodot 4, 7).« Grimm, ebd. S. 222. 533.

Zu S. 29:


Vgl. Rückert, der Weißdorn (Poet. Werke 2, 238. 1868).


Zu S. 30:


Den Glauben, daß die Sonne am Sonnabend immer eine Zeitlang scheine, bezeugt für Frankreich Charles Perrault. Vgl. Zs. f. Volksk. 17, 453 Nr. 16 (Bolte).


Zu S. 36:


Von den Azoren.


Auf der Flucht nach Ägypten sah Maria schöne Dattelpalmen mit Datteln, blickte auf und rief: »O welche Dat teln!« Seitdem ist das O auf dem Dattelkern zu sehen.


  • Literatur: Folklore 14, 136.
    In der poet. Legende lies Z. 1 peri, Z. 4 chiddi, Z. 9 parra.

Zu S. 37:


Aus Italien.


Als Jesus auferstanden war und auf Erden wandelte, ehrten ihn die Menschen durch Niederknien, die Bäume durch Rauschen, die Pflanzen durch Verneigen. Der Kürbis, der den Heiland nicht sehen konnte, kletterte an einer benachbarten Zypresse empor, um ihm zu huldigen. Seitdem klettert er noch jetzt.


  • Literatur: Rivista delle trad. pop. 1, 582.

Zu S. 38, 3:


Aus Estland.


Eines Abend war die Jungfrau Maria mit dem Jesuskinde durch den Wald gegangen. Alle Bäume hatten sich vor dem Jesuskinde verneigt, besonders demütig und ehrfurchtsvoll waren die Tanne, die Fichte und der Wacholder gewesen.[270] Nur die Espe hatte stolz gestanden und ihr Haupt von den Strahlen der Abendsonne umspielen lassen. Da hatte die heilige Jungfrau gesagt: »Weil du, Espe, so hochmütig bist, sollen deine Blätter beim leisesten Windhauch zittern und vor Furcht beben. Aber euch, ihr Tanne, Fichte und Wacholder, soll immer eine grüne Krone zieren, als Zeichen meines Dankes.«

Seitdem muß das Espenlaub zittern, während die Nadelbäume sich das Jahr über ihres grünen Schmuckes freuen dürfen.


  • Literatur: Aus dem hdschr. Nachlaß von J. Hurt.

Zu S. 38, 4:


Estnische Variante aus dem Kirchspiel Tarwastu.


In alten Zeiten verfolgte der Teufel einmal ein junges Mädchen, die hieß Maie. [Auch oben S. 38 ist Maie zu lesen.] Sie versteckte sich hinter einer dünnen Espe und bat, sie zu verdecken. Sie sprach:


O Espe, hilf Espe!

Heilige Espe, rett Maie!

. . . . . . . . . . . . . . . . .

(Oh aaba, aawita aaba,

Päha aaba, pästä Maie:

Maie temme (?) neitsikene!)


Die Espe aber hörte nicht die Bitten des Mädchens, gab ihr keinen Schutz, sondern vertrieb sie. Da sagte Maie:


Erzittern soll dein Laub,

Erbeben soll dein Blut,

So wie ich eben zittre.

(Nönda suo lehe libisgu,

Nönda suo weri wärisgu

Kui minu weri wäriseb.)


Und von der Zeit an soll das Espenlaub zittern.

Maie aber ging zu einer Eiche und bat diese:


O Eiche, heilige Eiche,

Hilf Eiche, rett Maie!

. . . . . . . . . . . . . . .

(Oh tammi, päha tammi,

Päha tammi, pästä Maie:

Maie temme neitsikene!)


Die Eiche verbarg Maie unter ihren breiten Blättern. Der Teufel wagte Maie dort nicht zu suchen und unterließ sein Nachstellen.

Seit der Zeit ist die Eiche unter dem Estenvolk ein heiliger Baum.


Zu S. 40 ff.:


Kaukasische Sage.


Ein Ossete, namens Chetag, der Enkel des Ahnvaters der Kabardiner, Inal, floh vor seinen Feinden aus der Kabarda und fiel unweit des jetzigen Auls Salugardon und des Dorfes Alagyr in der Nähe des heiligen Hains Sanadat ermattet zu Boden. Schon bereitete er sich zu sterben, als er plötzlich eine Stimme vernahm: »Komm in den Wald, Chetag, in den Wald!« Aber Chetag antwortete: »Ich bin so matt, daß ich mich nicht bis zum Walde schleppen kann; mag er zu mir[271] kommen!« Und so geschah es. Der Wald kam zu Chetag und barg ihn vor seinen Verfolgern. Und noch bis auf den heutigen Tag steht der Hain in einer waldlosen Gegend, und in der Mitte eines großen Waldes, drei Werst von Alagyr, wird ein freier Platz gezeigt, von wo jener Hain zum Schutze Chetags weggewandert ist. (Die ossetischen heiligen Haine befinden sich an solchen Stellen, wo sonst kein Wald vorhanden ist.)


  • Literatur: Das Ausland 64 (1891), 812 (C. Hahn, Heilige Haine und Bäume bei den Völkern des Kaukasus) aus Pfaff, Reisen im nördl. Ossetien.

Zu S. 42:


Aus Polen.


Die Zitterpappel ist durch Zittern bestraft worden, weil sie durch den Lärm ihrer Blätter Jesus verriet, der sich hinter ihr vor den verfolgenden Juden versteckt hatte.


  • Literatur: Globus 35, S. 271 aus Kopernicki, Des idées médicales. (Heidnischer Hintergrund dieser Sage geht schon aus dem polnischen Aberglauben hervor, daß ein Stückchen Zitterpappelholz, das man in den Körper eines Vampyrs legt, diesen im Grabe zurückzuhalten vermag.)

Zu S. 49:


Parallele aus den Admiralitätsinseln.


Ein Mann aus Sauch (Platz auf der Halbinsel) ging auf den Fischfang. Ein böser Geist erspähte ihn, lief ihm nach und wollte ihn töten und auffressen. Der Mann aber flüchtete in den Wald. Auf der Flucht tat sich vor ihm ein Baum auf, und er schlüpfte hinein, worauf sich der Baum wieder um ihn schloß. Der verfolgende Geist sah den Mann nicht mehr und ging von dannen. Als er fort war, öffnete sich der Baum wieder, und der Mann trat ins Freie. [Der Baum fordert dann zwei weiße Schweine von dem Manne, dieser betrügt ihn: eins der beiden ist ein schwarzes, das er mit Kalk weiß angestrichen hat.] »Daher nimmt der Baum heute nicht mehr den Mann schützend auf, wenn er von einem bösen Geist verfolgt wird.«


  • Literatur: Parkinson, Südsee S. 716.

Zu S. 51:


1. Von den Azoren.


Als Maria und Joseph auf der Flucht nach Ägypten mit dem Jesuskinde durch die Wüste zogen, sah eine Wachtel sie und rief: »aqui vai! aqui vai!« (da gehn sie! da gehn sie!). Da verfluchte Maria die Wachtel und sagte, sie solle sich nie hoch in die Luft erheben können! Sie müsse immer an der Erde fliegen. Die Bachstelze aber folgte den Flüchtigen und wischte mit ihrem langen Schwanze Sand über deren Fußspuren, damit die Feinde ihre Fährte verlören. Maria segnete die Bachstelze, sie solle immer heiter sein, niemand dürfe sie töten. Daher tötet man die Bachstelze nicht und hält es für ein gutes Zeichen, wenn sie den Weg kreuzt.


  • Literatur: Folklore 14, 136.

2. Aus Westflandern.


Als die hl. Familie auf der Flucht nach Ägypten unter einem Olivenbaum rastete, flog eine Lerche herzu und fing an, laut und lustig zu singen. Die Jungfrau Maria aber, die aufs höchste ermattet und betrübt war, konnte den frohen Gesang nicht ertragen, er schnitt ihr ins Herz und machte sie noch trauriger. Sie sah daher auf und sagte zu dem Vöglein: »Ich sitze hier seufzend und weinend,[272] und du kommst und schwatzest voller Freuden über meinem Haupte. Vöglein, Vöglein, nie sollst du fürder auf einem Zweige sitzen.« Da flog die Lerche zwitschernd in die Höhe und rief: »Unsere Liebe Frau, gib mir ein Kornährchen, ich will's nie wieder tun, ich wills nie wieder tun!« (Onze Lieve Vrouw, geef mij een koornaarken, ik zal het nooit meer doen, ik zal het nooit meer doen). Seitdem baut die Lerche ihr Nest im Kornfeld und fliegt fortwährend aufwärts und niederwärts, ohne sich je auf einen Zweig zu setzen.


  • Literatur: Mont en Cock, Vlaamsche Vertelses S. 76.

Zu dieser und den im Abschnitt VI angeführten Sagen vgl. S. 224.


3. Aus Ungarn.


Unser Herr Christus floh vor den Juden auf einem schlecht laufenden Esel. Sie waren schon sehr nahe an ihn herangekommen, als der Esel auf einmal störrisch wurde. Christus schlug und stieß ihn; aber weder hin noch her rührte er sich. Als dies der vorderste Kläffer sah, hieß er sogleich die Leute anhalten: »Ach, Juden, wir sind wohl kaum auf der rechten Spur. Dieser elende Mann auf dem Esel ist nicht der, den wir suchen. Ein Jesus Christus hat nicht nur solch ein störrisches Tier.«

Nach diesen Worten wandten sich die Juden. Unser Herr Christus aber streichelte den Esel und sprach also: »Ei mein liebes kleines Tier, womit soll ich dir danken, daß du mich gerettet hast?« »Gib uns, mein lieber Herr, jeden Tag Futter. Laß von nun an die Esel glückliche Tiere sein!« »Gut, du arme Seele, ich mache dein ganzes Geschlecht glücklich. Bisher habt ihr nur ab und an Hafer erwischt. Von nun an sollt ihr kein Korn mehr sehen. Dürre Stengel seien euer Futter. Die könnt ihr Winter und Sommer fressen, auf Weg und Steg gibt's deren genug.«


  • Literatur: Arany-Gyulai, Magyar Népköltési Gyüjtemény 3, 476.

Zu S. 54:


In der 7. Variante ist statt Grünfink: Grauammer zu lesen.


Zu S. 59:


Von den Azoren.


Die trocknen Lupinen rascheln auf der Flucht. Maria verflucht sie, daß sie bitter werden und den Hunger nicht stillen sollen. Man müsse sie dreimal in Salzwasser legen, ehe man sie essen könne.


  • Literatur: Folklore 14, 136.

Zu S. 60:


Aus den Abruzzen.


Als sich der Jesusknabe auf der Flucht vor Herodes in einem Lupinenfelde verborgen hatte und die Soldaten ihn dort fanden, verfluchte er die Lupinen. Deshalb sättigen diese nicht, auch wenn man eine Menge davon ißt. Dann barg er sich mitten in Olivenzweigen und segnete den Baum. Daher sagt man:


La 'liva bbenedétte aàrde vérd' e ssécche.


Dann barg er sich in Mehlteig, daraus Brot gemacht werden sollte, ward wiederum nicht gefunden und segnete den Teig, daß er unaufhörlich Brot gab. Es war aber Freitag. Daher sagt man:


Bbendétte chelu pane che lu vennardì se spiane.


[273] Weiterhin wollte er sich am Freitag in den Haaren einer Frau, die sich kämmte, verstecken; aber sie ließ es nicht zu. Da sprach Christus:


Mmaldétta chela trécce, che dde vennardì se strécce.


Dann wollte er sich Freitags in einem Gewebe bergen, doch die Weberin wehrte ihm. Jesus sagte:


Mmaldétta chela téle, che dde vennardì se spele.


Zuletzt holten Herodes' Soldaten die Jungfrau ein. Da hatte diese statt des Kindes ein kleines Bündel Gras im Arm.


  • Literatur: Archivio 4, 474.

Zu S. 66:


Vgl. Rückert, Das Wunder auf der Flucht. Poet. W. 4, 133. 1868 (Spinne und Taube). Dazu noch folgende Parallele aus dem Spreewald:


Als sie Johannes verfolgten, hatten Spinnen die Höhle zugesponnen. Und wie die Verfolger die Spinngewebe sahen, gingen sie wieder ab.


  • Literatur: Schulenburg, Wend. Volkssag. S. 267.

Zu S. 70:


Nach Grimm, Myth.4 S. 251. 999 hießen mehrere Arten des Farnkrautes Freyjuhâr, später Frauenhaar, Mariengras u. dgl. Nach John Gerardes Herbal war der Rispenfarn (Osmunda regalis L.) dem hl. Christoph geweiht, der hier an Thors Stelle gesetzt ist (Deutsche Rundschau 64, 46).


Zu S. 82:


Aus Malta.


1. Als Strafe hatte Gott der Herr den Menschen das Niesen auferlegt, und jeder, der nieste, mußte sterben. Die Leute wurden damals sehr alt, und da die Welt zu überfüllt geworden wäre, ließ Gott viele durch das Niesen sterben. Die Menschen hatten nun oft versucht, sich davor zu schützen durch allerlei vorbeugende Mittel; so gab es auch ein Kraut, welches das todbringende Niesen verhindern sollte, aber mit der Zeit sahen sie stets ein, wie unzulänglich ihre Versuche blieben, und verzweifelten so sehr, daß sie irre redeten und den Verstand verloren. So kam der Wahnsinn in die Welt.

Wie nun der Versucher dem Herrn in der Wüste von den Leiden erzählte, die dieser auf die Menschheit und das Tierreich gebracht, nachdem er ihm gezeigt, wie groß und unheilbar dieses Leid sei, sagte er zuletzt, gleichsam um ihn zur Verzweiflung zu bringen: »Deine Umbarmherzigkeit ist so riesengroß, daß du es über dich bringst, durch das Niesen die armen Menschen sterben zu lassen wie die Fliegen!« Der Herr aber öffnete seinen Mund und sprach so laut, daß die ganze Welt es vernahm, daß die Menschen, die Tiere der Erde, des Wassers und der Luft es hörten: »Du sollst es zum letzten der Vorwürfe machen: wer beim Niesen meinen Namen anruft oder den eines meiner Heiligen, dem wird der Tod nichts anhaben können! Geh!« Da hob sich der Satan hinweg.

Seitdem stirbt kein Mensch mehr am Niesen, weil sie sofort einen heiligen Namen nennen und irgendeinen frommen Wunsch aussprechen für sich und für die andern.

2. In der alten Zeit geschah es, daß ein Mensch, der niesen mußte, dem Tode verfiel, da ihm sein Blut bis zum letzten Tropfen aus der Nase lief. So starben Hunderte, ja Tausende, und der Jammer war groß unter den Geschöpfen der Erde.[274] Es lebte da nun ein Mann, der sehr fromm und heilig lebte, abseits in der Wüste. Ihn dauerten die armen Menschen, und gerne hätte er sie vom großen Übel befreit: sein Herz war voller Mitleid, und um einen Menschen zu retten, hätte er freudig sein Leben hingegeben. Eines Tages nun kamen viele der armen Menschen, die die Furcht vor dem Tode ergriffen hatte, zu ihm und erzählten von dem grausamen Geschicke, das Gott über sie verhängt. Und so erschütternd war ihr Leid, daß der Heilige versprach, sich bei Gott für sie zu verwenden. Er zog sich zurück und betete, schrie laut um Erhörung. Gott erhörte sein Flehen und befahl ihm zu sprechen. Da bat der Heilige um einen andern Tod für die Menschen, da der jetzige so erschrecklich plötzlich eintrete und keine Zeit lasse, Vorkehrungen zu treffen. Da gab ihm Gott zwei Gefäße und sagte: »Eines birgt ungetrübtes Leben und sanftes Sterben, das andere langsamen Tod! Nimm das eine in die rechte, das andere in die linke Hand und zeige dich dem Volke!« So tat der Heilige, und kaum erblickten ihn die Leute, so stürmten sie auf ihn zu und entrissen ihm die Gefäße: sie wußten sich vor Neugierde nicht zu lassen! Aber plötzlich zerschlugen sie im Eifer eines der beiden Gefäße, und um den Inhalt kümmerten sie sich nicht. Zuletzt aber sagten sie zum Heiligen: »Was hast du uns gebracht? mache an dir die Probe!« Da bestrich sich der Heilige ohne Furcht und Bedenken mit dem Inhalt des zerschlagenen Kruges, und die Leute taten dasselbe, wollten aber auch den zweiten Krug erproben und – holten sich die Pest, da diese ihnen vom Herrn bestimmt war, auf daß die Erdbewohner nicht zu zahlreich würden. Durch das Niesen stirbt heute niemand mehr, doch Tausende durch die Pest, die noch irgendwo steht im Kruge, den niemand finden kann, und bis zum Ende der Welt wüten wird und töten.


  • Literatur: Frdl. Mitt. von Frl. B. Ilg.

Zu S. 83:


Gastropacha neustria ist jetzt Malacosama neustria = Ringelspinner, ein Schmetterling, der seine Eier in Form eines Ringes um dünne Äste herumlegt. Seine Raupe (nach der Färbung volkstümlich Livreeraupe genannt) ist sehr schädlich.


Aus Ungarn.


a) Als Christus mit St. Peter auf der Landstraße herumwanderte, erblickten sie einen würmigen Hund. St. Peter bedeckte seine Nase und wich ihm aus, Christus aber ging den graden Weg vorwärts. Bald darauf begegneten sie einem Besoffenen. Christus wich ihm schon von weitem aus. Petrus fragte nun Jesum, warum er also getan. Dieser versetzte: »Sieh, Peter! jener würmige Hund fügt niemand ein Leid zu, dieses Schwein da aber greift jedermann an; deshalb muß man ihm aus dem Wege gehen.« Seither spaltet sich die »Landstraße« am Himmel.

[Beim Auge des Cepheus-Sternbildes weicht Christus dem Besoffnen aus; die Kneipe, wo dieser sich betrunken, sind die Sterne α, β, γ, χ der Cassiopea. Andere Überlieferungen nennen diese Sterne der Cassiopea die Kneipe, das Auge des Cepheus den würmigen Hund; der Besoffene ist das Gestirn Deneb.]


  • Literatur: Kálmány, Am Urquell 4, 45.

b) Christus fuhr auf dem kleinen Wagen einher und streute Stroh auf die »Landstraße« (s. ob.). Als er zurückkehrte, brach die Deichsel; seit der Zeit ist sie krumm.

[275] [Die 3 ersten Sterne des kleinen Bären bedeuten die Deichsel (oder auch 3 Paar Ochsen), die 4 hinteren Sterne sind die 4 Wagenräder.]


  • Literatur: Am Urquell 4, 46.

Zu S. 84 (vgl. auch Kap. 10, D):


Aus Niederbayern.


Am späten Abend kamen Christus und Petrus auf ihrer Wanderung nach Lindau am Bodensee, suchten eine Herberge, wurden aber von den Bürgern der Stadt überall abgewiesen. Vor der Stadt wohnte ein armer Taglöhner mit seinem Weibe in einem kleinen Häuschen. Diese nahmen die Gäste willig auf, setzten ihnen Speisen, wie sie eben versehen waren, vor und bereiteten ihnen ein Lager von Stroh. Als Christus und Petrus das spärliche Mahl genossen hatten, gaben sie sich den armen Leuten zu erkennen, und der Herr sprach: »Weil ihr so gute Leute seid, so dürft ihr einen Wunsch aussprechen: er soll euch erfüllt werden.« Sie besannen sich nicht lange und meinten, wenn sie um ihre Hütte nur ein Gärtchen und dabei ein kleines Gütchen hätten, wie es die reichen Bürger der Stadt im großen haben. »Euer Wunsch sei euch gewährt,« sprach der Herr. Ehe noch die armen Leute aus dem Schlaf erwacht waren, hatten die Gäste ihre Wanderung am frischen Morgen angetreten. Als der Tagelöhner und sein Weib erwachten, war ihr Erstes, sich vor ihrer Haustüre umzusehen. Wie groß war ihr Staunen und ihre Freude, als sie um ihre Hütte einen schönen Garten mit fruchttragenden Bäumen und dabei Wiesen und Äcker mit schweren Ähren erblickten. Eben kam einer der reichen Bürger der Stadt, welchem sie alles erzählten. Dieser eilte in die Stadt zurück, der Rat versammelte sich und faßte den Entschluß, den göttlichen Wanderern eine Deputation nachzusenden und den Herrn auch um die Erfüllung eines Wunsches zu bitten. Als die Abgeordneten die Wanderer erreicht hatten, machten sie viele Bücklinge, brachten Entschuldigungen vor und beteuerten, daß sie ihnen gewiß Nachtquartier gegeben haben würden, wenn sie gewußt hätten, wer sie wären; ihre Gegend sei schön und fruchtbar, wenn sie nur auch Reben hätten. »Sie seien euch gewährt!« sprach der Herr. Als die Abgeordneten mit vielen Bücklingen ihren Rückweg angetreten hatten, fragte Petrus unwillig: »Herr, wie magst du den groben Kerlen, die uns kein Nachtlager gönnten, Wein wachsen lassen?« »Beruhige dich, Peter,« entgegnete der Herr, »er ist auch danach!« (Bekanntlich ist der Seewein etwas sauer.)


  • Literatur: Merkens, Was sich das Volk erzählt2 1, 76.

Zu S. 86:


Aus dem Spreewald.


Als Jesus Christus reiste, stieß er sich sehr mit dem Fuße an einem Stein und verfluchte die Steine, daß sie nicht mehr wachsen sollten.


  • Literatur: Schulenburg, Wendische Volkssagen S. 269.

Zu S. 88:


Slawische Varianten.


Die Mutter Gottes reiste einmal mit dem Gottessohn; sie bekamen Hunger, baten Leute, die auf dem Felde arbeiteten, um etwas Brot. Aber die Leute wiesen sie ab, das Korn sei ohnedies kaum eine kleine Spanne hoch. Gott bestrafte sie damit, daß das Korn seitdem zwar ebenso hoch wächst wie früher, aber oben eine kaum eine Spanne hohe Frucht trägt. – Weiter kommt die Mutter Gottes zu einem Fluß, auf der Wiese weidete daneben ein Pferd; das wollte sie nicht über das Wasser[276] tragen, sondern fraß eifrig das Gras. Deswegen wurde das Pferd verwünscht, daß es fortwährend frißt und nie satt wird.


  • Literatur: Gravrilović Nr. 15, S. 85. Vgl. ferner Swiętek, Lud nadrabski 580; Mater. antropol., archeol. i etnograf. 4. Abt., 2, 192; Zbornik za nar. život južnih Slavena 12, 152; Zeitschr. Karadžić 2, 216.

Zu S. 91:


Estnische Varianten.


a) Einst wollte Altvater einem ertrinkenden Menschen zu Hilfe eilen, der auf dem jenseitigen Ufer eines breiten Flusses unter eine Fähre gefallen war. Schwimmen konnte er nicht. Er ging zu einem Pferde, das am Ufer weidete, und bat, es möchte ihn auf den Rücken nehmen und über den Fluß tragen. Das Pferd sagte: »Mir gibt man nicht viel Zeit zum Fressen, und wenn ich diese Zeit dann noch auf anderes verschwende, so kann ich nicht satt werden und muß hungrig an die Arbeit gehen. Ich habe keine Zeit, deinen Willen zu erfüllen!« Altvater ging fort, aber zur Strafe ließ er dem Pferde einen nie vergehenden Hunger und fortwährenden Appetit, so daß es immer schnell mit den Zähnen zu packen versucht, wenn ihm etwas Freßbares in greifbare Nähe kommt.

Ein Ochs nahm Altvater bereitwillig auf den Rücken und trug ihn über den Fluß. Altvater wollte sich ihm dankbar erweisen und erlaubte dem Ochsen, sich etwas zu wünschen. Der Ochs bat für sich und sein Geschlecht um eine Verteidigungswaffe, mit der er sich schützen könnte und nicht nötig hätte, sich vor allen anderen zu fürchten und vor ihnen zu flüchten. Altvater hielt den Ochsen für ein armseliges Geschöpf und verlieh ihm sofort zwei Hörner, damit er dem Feinde Widerstand leisten könne.


b) Vor Zeiten, als der Himmel tiefer hing und Thaara [der Donnerer] häufig auf Erden weilte, den Erdenkindern seine Weisheit lehrte und ihnen mit Rat und Tat half, geschah es einst, daß Thaara sich an einem Fluß niedersetzte, um auszuruhen, denn er war müde. Da erscholl vom jenseitigen Ufer ein Hilferuf. Altvater wollte dem Unglücklichen zu Hilfe eilen, aber seine müden Füße gehorchten ihm nicht. Er bat das Pferd, das unweit graste, ihn hinüber zu tragen. Das Pferd antwortete: »Habe keine Zeit, herumzuschlendern, will fressen!« Da kam ein Ochs, um am Fluß zu trinken, dem erzählte Altvater seine Not. Der Ochs sprach: »Obgleich ich nicht so flinke Beine habe wie das Pferd, so will ich dich doch gern hinübertragen.« Als sie über den Fluß waren, sprach Altvater: »Du bist ein tüchtiges, gehorsames Tier. Was du dir zum Lohn erbittest für deine Mühe, will ich dir gern gewähren.« Da bat der Ochs um eine Waffe, mit der er sich und sein Geschlecht vor seinen Feinden schützen könnte. »Zwei starke Hörner sollen deinen Kopf schmücken,« sprach Thaara, »aber das Pferd soll Tag und Nacht fressen, und sein Verlangen nach Futter soll unersättlich sein!« – Seitdem hat der Ochs Hörner und das Pferd einen immerwährenden Appetit. Noch jetzt kann man zwischen den beiden Hörnern die Stelle erkennen, wo Altvater gesessen hat.


  • Literatur: Aus dem hdschr. Nachlaß von J. Hurt.

c) Jesus wünschte einen Fluß zu überschreiten, doch nirgends war Steg noch Nachen zu finden. Verhalten des Pferdes und des Rindes, sowie Strafe und Lohn wie gewöhnlich: Unruhe und steter Hunger, Ruhe und Wiederkäuen.


  • Literatur: Neus, Estnische Volkslieder S. 435.

d) Ein Lied aus Pleskau bei Neus, ebd., entspricht der Variante, oben[277] S. 92 (die aus Grimm oben S. 88 angeführte Sage stammt aus Tettau und Temme, Volkss. Ostpreuß., Lit. u. Westpr. S. 29).


Zu S. 94:


In der 9. Variante lies: cladonia rangiferina = Renntierflechte.


Zu S. 95:


Aus einer Münchener Handschrift (cgm. 335, f. 56 a).


Eine halbe meil von Racheln grab ist ain veld, und dâ Christus daselb ging, da säet ein paur zisern. dâ sprach Christus zů ihm: son, was säest du dâ? sprach der paur lugenhäftiglîch: hêrr, ich säe stein. dâ sprach Christus: so sein auch stain. zů stund was der sam verchert in stainein zisern: der vint man noch heut zu tage vil in demselben acker.


  • Literatur: Anzeiger f. Kunde der deutsch. Vorzeit 1866, 311.

Zu S. 99 ff.:


1. Sage der Burjäten.


Ein Mensch, der Gottes Roß erschreckt hatte, so daß Gott herunterfiel, wurde in einen Bären verwandelt.


  • Literatur: Etn. Obozr. 2, 1, 109 f. Ebendort die Varianten der Altaier (Chan, von einem bösen Geist – Erlik – in einen Bären verwandelt, weil er dessen Mütze durch ein Mädchen stehlen ließ) und der Sojoten (Dschelbega ließ nach der großen Flut nur einen alten Mann und dessen Frau übrig. Der Alte wurde zum Bär). Weiteres in den »Tiersagen«.

2. Estnische Sagen.


a) Ein junges Mädchen spottete einst über das minder hübsche Aussehen einer Gottheit und wurde dafür in einen Bären verwandelt. Ein abgehäuteter Bär hat darum große Ähnlichkeit mit einem Mädchen, besonders an Brust, Hüften und Beinen.


  • Literatur: Wiedemann, Aus d. inn. u. äuß. Leben d. Esten. S. 451.

b) Eine alte Jungfer hatte sieh einen Pelz verkehrt angezogen, die Haare nach außen, und war auf einen Baum geklettert und hatte gebrummt. Der Erlöser war vorübergegangen und hatte das Mädchen bemerkt, das auf dem Baume brummte. Da hatte der Heiland gesagt: »Hast du dich zu einem Schrecknis gemacht, sollst du es auch bleiben!« Und da war das Mädchen zu einem Bären geworden.


  • Literatur: Aus Hurts hdschr. Nachlaß.

3. Weitere Varianten.


Am Urquell 3, 17. Dragomanov S. 5, Nr. 10 (Müller im umgewendeten Pelz will Gott an einem Damm erschrecken und wird verwandelt); ebd. Var.: Verwandlung von Menschen, die unter der Brücke versteckt sind, um Gott zu erschrecken Cordier, sup. et lég. des Pyrénées p. 9: Ein Schmied, stolz auf seine Kunst, schlägt in Gegenwart des Heilands auf Eisen, daß diesem die Stücke ins Gesicht fliegen. Jesus sagt: Ein Bär sollst du sein und auf die Bäume klettern außer auf die Buche! Jener erwidert: Gut, so werde ich ihn entwurzeln. (Man sagt, der Bär halte sich nicht gern in Buchenwäldern auf.) Folklore 12, 194 (aus Polen: ein den Heiland erschreckender Mensch wird zum Bären; ein Mädchen, das Christus durch Kuckuckrufen stört, wird zum Kuckuck).[278]


Zu S. 100, 8 und 9:


8. Lettische Variante.


Der Bär stammt von einem Müller ab. Dieser badete einstmals und sah einen alten Mann mit eisgrauem Bart vorübergehen, – das war aber Gott der Herr. Da dachte der Müller bei sich: man muß den Alten erschrecken; nahm zwei Pelzmäntel, wendete das Fell nach außen und zog einen über die Arme, den anderen über die Beine. Dann sprang er an den Weg und begann zu brummen. Gott der Herr aber sprach zu ihm: »So werde denn ein Bär, wenn du so gut brummen kannst!«


  • Literatur: Živ. Starina 5, 441, Nr. 4.

9. Litauische Variante.


Als der Erlöser mit seinen Schülern auf der Erde wanderte, wollte ihn einst ein Tartar (andere sagen ein Weißrusse [Gudas]) erschrecken, versteckte sich unter einer Brücke, über die jene kommen mußten, und brüllte wie ein Bär, als sie nahe waren. Die Schüler hörten eine solche Stimme zum ersten Male und fragten Jesus, wer da brülle. Der Herr antwortete, daß es ein Tier sei, das sie noch nie gesehen hätten und »Bär« heiße. Gleich darauf sahen die Schüler auch einen zottigen Bären unter der Brücke hervorlaufen und mit furchtbarem Gebrüll im Walde verschwinden. Darum sind auch die Fußspuren der Bären denen der Menschen gleich.


  • Literatur: Etnogr. Obozr. 2, 3, 143 (Var. ebd. 144).

Zu S. 102 ff.:


1. Aus Prätorius' Weihnachtsfrazzen S. 137.


Eine Jüdin versteckte sich mit ihren Kindern hinter eine Wand. Der Jude fragte höhnisch den vorbeiwan delnden Christus, was hinter der Wand stecke. »Ein altes Weib,« sagte Christus, »mit einigen Kindern.« Da grunzten die hinter der Wand wie Schweine, und der Jude lachte Christus aus. »Nun denn«, sagte Christus, »so sollen es Schweine sein.« Und siehe da! Hinter der Wand spazierte eine Sau mit ihren Ferkeln hervor. Seitdem essen die Juden kein Schweinefleisch, aus Furcht, einen Verwandten zu verspeisen.


  • Literatur: Menzel, Gesch. der deutschen Dichtung 2, 82.

2. Aus Mecklenburg.


Als der Herr Christus zum Richtplatz ging, schlossen die Juden ihre Kinder ein, damit sie sich nicht an ihm versehen und ihn nicht bedauern sollten. Wie er aber vorbeikam, da wollten die Kinder heraus. Der Herr sprach: »Laßt die Kinder heraus!« Die Juden aber sagten: »Es sind keine Kinder, es sind Schweine.« Da sagte er noch einmal: »Lasset die Kinder heraus!« Aber die Juden sagten wieder: »Es sind keine Kinder, es sind Schweine.« Da sagte er: »Wenn es denn Schweine sind, so sollen es auch Schweine bleiben.« Als sie nun nachher die Kinder herauslassen wollten, waren es lauter Schweine.


  • Literatur: Bartsch, Sagen, Märchen u. Gebr. aus Mecklenburg 1, 523, Nr. 37, 2.

3. Aus Schwaben.


a) Die Sau hat unter dem »Hochrucken« im Genick ein Wirbelbein, das da aussieht, als sitze ein Mädchen im Zuber. Dies nennt man die Saujungfer; wer diese beim Essen bekommt, wird ausgelacht, denn es ist eine Jüdin.


[279] b) Mal gingen Jesus und Petrus über Feld und kamen in eine Stadt; da saß ein Pharisäer auf seiner Hausbank. Dachte der: »Den Gescheiten da will ich geh' doch fragen!« »He, he, ihr Herren,« rief er; »was meint ihr, was unter diesem Zuber sei?« Es hatte der Pharisäer am selbigen Tage eine Sau geschlachtet, und war der Zuber zum Austrocknen umgestürzt worden. Es hatten sich aber des Pharisäers Kinder spielend darunter gesetzt. Entgegnete der Herr: »Deine Kinder sind drunter.« Lachte der Pharisäer und rief: »Weit gefehlt! Meine Sauen sind drunter.« Sprach der Herr: »Nun, so sollen's auch Sauen sein!« Und plötzlich rannten des Pharisäers Kinder grunzend unter dem Zuber als Säulein hervor. Von dorther schreibt sich's, daß die Juden kein Saufleisch essen dürfen und daß die Sauen Eingeweide haben gleich denen der Menschen; ist auch von selbiger Stunde an den Sauen im Rückgrat ein Bein gewachsen, welches aussieht wie ein Zuber, in dem eine Jungfer sitzt, die Saujungfer, nach der man bei Tische so gierig langt.


  • Literatur: A. Birlinger, Volkstümliches aus Schwaben 1, 122, 360 = Merkens, Was sich das Volk erzählt2 1, 69.

Hierzu bemerkt Höfler in der Zeitschrift des Vereins f. Volksk. 5, 102, daß der erste und zweite Halswirbel beim Schweine in der Tat eine eigentümliche Bildung zeigen, die den Vergleich mit dem Badezuber und dem daraus hervorragenden Kopf der Jungfrau zulassen (vgl. daselbst Abb. 2). Die Annahme, daß die Eingeweide der Menschen denen der Schweine gleichen, entspricht einer von Höfler nachgewiesenen jüdischen Meinung, daß es am menschlichen Leibe einen Judenknochen gebe, der als Sitz der unsterblichen Seele galt. Die Übertragung des Knochenbefundes am Schwein auf den Menschen mag geschehen sein, ehe menschliche Leichen ein anatomisches Objekt waren. »Die stets schaffende Volksseele aber knüpfte an den Knochennamen eine Sage an, um dieses oder jenes ihr Unverständliche zu erklären.«


4. Aus dem Gouvernement Irkutsk.


Die Juden sperrten ein schwangeres Weib unter einen Trog und ließen Christus raten. Ein Schwein mit Jungen kam hervor.


  • Literatur: Etnogr. Obozrěnie 4, H. 2/3, 251 f.

5. Sage der Votjaken.


Die Votjaken halten es für Sünde, Schweinefleisch zu essen, denn das Schwein sei des Votjaken Mutter gewesen.


  • Literatur: Živaja Starina 10, 202.

6. Lettische Variante.


Das Schwein ist früher eine Jüdin gewesen. Als Gott der Herr auf Erden wandelte, verlangten einst die Juden, er solle erraten, was unter zwei Trögen versteckt sei; unter dem einen aber befand sich eine Jüdin mit ihren Kindern, unter dem anderen – eine Sau mit Ferkeln. Jesus antwortete: »Hier unter diesem Trog ist eine Sau mit ihren Ferkeln, unter jenem aber eine Jüdin mit ihren Kindern.«

Die Juden lachten ihn aus, daß er falsch geraten habe. Doch als sie die Tröge[280] aufhoben, war aus der Jüdin eine Sau mit Ferkeln geworden und aus der Sau eine Jüdin mit ihren Kindern.

Darum essen sie jetzt kein Schweinefleisch mehr.


  • Literatur: Živaja Starina 5, 441.

7. Varianten.


  • Literatur: Genter Zschr. Volkskunde 17, 16. Revue des trad. pop. 4, 362. 409. 5, 435. 6, 727. 7, 487. 717. 10, 120. 15, 357. Čubinskij, Trudy 1, 49–50. Kiewskaja starina 23, 143. 32, 448–449. Etnografičeskoje Obozrěnie 13–14, 251–252. Zapiski geograf obščestwa po otd. etnografii 5, 715. Romanow, Bjelorusskij sbornik 4, 159. Dikarew, Čornomorski narod. kazki i anekdoty S. 5. Mročko, Sniatyńszczyzna 1, 62. Kolberg, Chełmskie 2, 157. Swiętek, Lud nadrabski 583–584. Zbiór wiadomości do antropologii krajowej 2, 130–131. 5, 167. 11, 39. 15, 265. Die flandrische Erzählung bei Ch. G. Leland, Etruscan Roman Remains (London 1892), 254 beruht offenbar auf der Var. S. 106, 7 b.

Die Verwandlung findet sich, schon im arab. Kindheitsevangelium Kap. 40 (Tischendorf S. 202). Vgl. Hammer, Rosenöl S. 265: Jesus brachte eines Tages einen gedeckten Tisch vom Himmel herunter, um eine Menge Volks zu speisen. Die ungläubigen Juden, die über dieses Wunder spotteten, wurden in Schweine verwandelt, so wie andere ihrer Vorgänger, welche die Feier des Sabbaths entheiligten, in Affen (vgl. Natursagen 1, 320). Ihre Abkömmlinge haben Schweins- und Affengesichter behalten. Reinsch, Pseudoevang. verweist noch auf Weil, bibl. Legenden der Muselmänner S. 292 und Kessaeus bei Sike, Evangelium Infantiae, Notae p. 54.


Variante aus einem provençalischen Kindheitsevangelium.


Die Juden sperren heimlich Knaben und Mädchen in einen Saal, um Jesus raten zu lassen, was darin wäre. Jesus sagt: Schweine und Sauen. Die Juden sehen entsetzt ihre Kinder in Schweine verwandelt und halten Jesum für den größten Teufel.


  • Literatur: K. Bartsch, Denkmäler der provençal. Lit. (Bibl. d. Lit. V. zu Stuttg. 39), S. 301, 19–303, 10. Vgl. Reinsch, Pseudo-Ev. von Jesu und Marias Kindheit S. 98.

Englische Variante des 13. Jahrhunderts.


Die Juden verbergen ihre Kinder in einem Ofen, um sie nicht an Jesu Spielen mit teilnehmen zu lassen. Als sie zu Jesus sagen, daß Schweine darin sind, verwandelt er die Kinder alle in Schweine.


  • Literatur: Reinsch, S. 127, vgl. Horstmann, Altengl. Legenden p. 34–36 (1875), v. 997–1050. Auch in William Caxtons Infancia saluatoris, wo den Kindern ihre frühere Gestalt wiedergegeben wird.

Zu S. 107 ff.:


Aus Estland.


Der Teufel (Wanapagan) ist drei Tage nach der Reihe im Walde gewesen. Er ist sehr müde. Er sieht am Fluß einen breiten Stein und daneben einen dichten Busch, der Schatten spendet. Er streckt sich auf dem Stein aus. Die Müdigkeit und die Hitze des Sommertages überwältigen ihn. Er schläft ein. Er schläft so süß, daß ihm der Speichel aus dem Munde fließt. Wie er erwacht, sieht er den Speichel, faßt die zusammenhängende Masse, zieht sie zur Hälfte, wirft den einen Teil davon in den Busch und den anderen Teil in den Fluß. Aus der ersten Hälfte wurde im Busch eine Schlange, aus der zweiten im Fluß ein Aal. Da der[281] erste Teil Gift enthielt, so ist die Schlange giftig. Weil aber der Aal und die Schlange beide aus einem Stück geboren sind, sagt man, der Aal sei der Halbbruder der Schlange. (Vgl. Bd. 1, 218.)


  • Literatur: Aus dem handschr. Nachlaß von J. Hurt.

Zu S. 111, »Kreis ähnlicher Erzählungen« (vgl. S. 105, Var. 6, Z. 3):


Aus Koblenz.


Als noch Christus met seine Jinger of der Welt erem es gezoge, om alle Leit seine neie Glauwe ze predige on beizebrenge, koomen se och onner annere of de Mussel. Ohwer die huhe Berg do on die Sonn, die dozemol esu heiß geschinne hat, moochten en gar net gefalle; dann kaum hann se paar Schritt gange, hann se gleich geschwezt wie die Bäre. Wie se nau esu eines Daags puddelpletschenaß vur Schweiß getrebst (getrieft) hann on sech onner en Baum gelegt hatte, om sech e besje auszerohe on abzekehle, leeß Christus de Petrus komme on soot zo em: »Hier emol, Pitter, de kanns doch esu got laufe, – lauf emol geschwind henne en dat Dorf enen on holl mer e Scheppche Wein, ech kann et vur Duurscht bahl net mieh aushalle!« Ob änem och Geld derfur hat metgewe, davon weis mer nicks. Petrus leeß sech dat net zweimal soon on mooch sech, weil ä sellewer och Duurscht hat gehat, gleich of die Labbe (Sohlen) on leef iwwer Kopp on Hols spurestreichs en et Dorf enen.


Eh ä ohwer an seine Här hat gedacht,

Hat ä irscht sellewer en Schoppe gekracht,


on soff en allmieëlech gruße holzene Becher en einem Zuch ratsch! aus. Nau leeß ä sech ohwer och fur seine Här dä Becher geschwiwwelte voll enschenke, esu voll, dat dä Wein emmer, wann ä ganze es, erausgeschlappt es. – »Waart,« daacht Petrus, »dem Schlappe sall ech schunn abhelfe!« on tronk esu ganz behaglech näxt da hallewe Becher aus. Dat nau Christus nicks dervon merke sollt, helt ä geschwind sei Mäß aus em Sack eraus on schneidt dä Becher, su weit als ä leer wor, ronden erem ab. Wie ä nau widder gange es, feeng och dä Wein widder zu schlappere an. Et Pitterche woßt ohwer dem Geschlappersch geschwind e Enn ze mache: ä tronk widder ab on schnitt och widder ab. Esu koom ä nau zo seinem Här on soot: »Dau mooß nohre net maine, dat ech dir hei (hier) e Schnäpsje brenge, die Scheppcher sein hei ze Lann net grießer. Et scheint mer ohwer, dat dat Säftche do net iwwel es, on iwwer dat Winnige do looß der nohre kai grau Hoor driwwer waxe; dau kanns jo leicht aus dem winnige vill mache.« Du soot ohwer Christus zo im: »Mei lewer Pitter, dau bes nit esu domm, wieste aussehs! dau haß et faustedeck henner de Uhre! Gell, dau wollst de Sichere spille, falls et heit nicks mieh zu trenke gäf? Iwwerigens weere ech dir heit et Maul schunn sauwer halle, wann mir ons heit Owend am Wiertshaus de Gote andohn. Dat soon ech dir ohwer, wann dau mir noch emol en Schoppe ze brenge haß, dann breng mer en ordentleche, on ne esu en miserawele.«

Heit ze Daag heiße of der ganze Mussel, von onne bes owe, dem St. Pitter ze Ehre, die kleine Scheppcher all noch »Miserawelcher«.


  • Literatur: Merkens 1, 89 (vielfach mündlich am Rhein). Vgl. Firmenich 1, 523.

Parallelen zu Goethes Hufeisenlegende gibt Bolte im Goethe-Jahrbuch 19, 307 und 21, 257. – Auf den heidnischen Ursprung der Sage von der Entstehung der Pilze deutet auch deren Stellung im Volksglauben. Nach Grimm, Myth.4 3, 199 sitzt die Kröte, ein giftiges Zaubertier [Seelentier],[282] auf Schwämmen und Pilzen. Der Schwamm heißt deswegen Krötenstuhl, ein Pilz wird Weißkrötling genannt. Nach Th. Bodin (Die Natur, N.F. 5. Jahrg. 1875, S. 601) heißen die gelben Holzpilze Hexenbutter. Wenn die Milch keine Butter geben will, und es wachsen am Holz der Brunnensäule gelbe Pilze, so gilt es im Oldenburgischen als ein Zeichen, daß die Butter weggehext werde. Hexeneier nennt der Landmann des Niederrheines die übelriechenden Wulste, aus denen die gemeinen Gichtschwämme (eine Art Morcheln, in Fichtenwäldern) hervorwachsen. Sie werden getrocknet und zu Zaubereien, besonders zu Liebestränken aufbewahrt. Der Bovist (auch Hirschbrunst und Bullenkrut genannt) gilt als Reizmittel für Kühe. Vom Schmelztiegelpilz (cyathus crucibulum) heißt es im Vogtlande: so viel Sporenhüllchen er enthalte, so viel Groschen koste das Getreide nach der Ernte.


Zu S. 112 ff.:


Aus Nordwestrußland.


Die Läuse wurden von Gott erschaffen auf die Bitte eines müßigen Weibes.


  • Literatur: Šejn, Materiali Nr. 205 (Inhaltsangabe von Polívka, Arch. f. slaw. Phil. 19, 260). Vgl. ferner Žytje i Slowo 1894, 2, 185, Nr. 14.

Aus den Niederlanden.


Christus und Petrus kommen an einem faulen Weibe vorbei. Um ihr Arbeit zu geben, erschafft Christus die Flöhe, indem er Staub auf sie wirft.


  • Literatur: Vincx, Grappige Vertelsels. Tweede Reeks 2, 9.

Estnische Varianten.


a) Als Jesus noch auf Erden lebte, ging eine alte Jungfer zu ihm und fragte, ob man am Sonntag auch arbeiten dürfe. Jesus nahm eine Hand voll Sand und warf ihn auf den Kopf der Fragenden. Aus jedem Sandkörnchen wurde eine Laus. »Das sei eure Sonntagsarbeit, daß ihr einander den Kopf sucht,« sprach Jesus. So ist das die Faulen quälende Ungeziefer unter die Menschen gekommen.


b) In früheren Zeiten war ein Teil der Menschheit faul geworden und hatte nur immer geschlafen. Da hatte Gott auf die schlafenden Faulenzer eine Handvoll Erde und eine Handvoll Sand geworfen. Aus der Erde waren Flöhe und aus dem Sande Läuse entstanden. Nun konnten die Faulen nicht mehr ruhig schlafen, sondern mußten beständig kratzen und fangen.


c) Ein Mädchen hat einmal an einem Sonntage gearbeitet. Es hatte nicht geglaubt, daß die Arbeit am Sonntag keinen Segen habe.

Da waren vom Himmel eine Handvoll Läuse und Flöhe auf das Mädchen gefallen.

So sind diese kleinen Tierchen entstanden.


  • Literatur: Aus dem hdschr. Nachlaß von J. Hurt.

Zu S. 113, 7:


Variante aus Borghetto.


Als der Herr die Welt schuf und Adam und Eva bildete, machte er nur gute Dinge. Flöhe und Läuse gab es überhaupt noch nicht.

Nach langer, langer Zeit, erzählt man, habe eine alte Frau, weil ihr die Kräfte zur Arbeit fehlten und sie Tag und Nacht mit den Händen über dem Bauch auf[283] dem Bette in Langerweile lag, zu Christus gebetet: »O ewiger Gott, sende mir ein paar Flöhe und Läuse, um mich mit deren Jagd ein wenig zu unterhalten. Tu mir doch diese Gnade an!«

Und so viel Gelübde sandte sie zu Gott, daß er ihr unzählige Flöhe und Läuse schickte. Und nun suchte sie und jagte nach ihnen, suchte und jagte, und so verbrachte sie die Zeit glücklich und zufrieden.

Seitdem aber breiteten sich die Flöhe und Läuse zu solchen Millionen aus, daß es nicht möglich ist, sich von ihnen wieder zu befreien.

Daher das Sprichwort: »Verdammte Alte, die euch herbeisehnte!«


  • Literatur: Archivio 2, 555. Ebenso in Palermo, doch sind es dort nur Flöhe.

Zu S. 115:


  • Literatur: Ferner vgl. H. Sachs, Fabeln 4, Nr. 395. Birlinger, Volkstümliches 1, 360. Eyering 2, 574. Aurbacher3 1, 65. Reiser 1, 353. Cornelissen en Vervliet Nr. 32. Skattegraveren 10, 1. 12, 1. Hyltén-Cavallius 2, XLI. Åberg Nr. 156. Strauß S. 300. Schischmanoff Nr. 79. Siebenbürg. Archiv. 33, 527 (rumän.) usw.

Zu S. 115, C:


1. Lettische Variante.


Warum gerät Weiberarbeit nie bis zum Ende? Sie selbst sind Schuld daran.

Als Gott der Herr wanderte und nach dem Wege fragte, antwortete ihm ein Weib: »Ich habe keine Zeit.« Der Herr ging weiter und fragte einen Bauern, der auf dem Felde ackerte; dieser ließ sofort Pferd und Pflug stehen und wies Gott den Weg. Darum findet Weiberarbeit jetzt nie ihr Ende, und nie hat ein Weib Zeit, der Bauer aber vollendet sein Tagwerk und hat darum stets genug freie Zeit.


  • Literatur: Živaja Starina 5, 437.

2. Russische Variante.


Gott geht über ein Feld, sieht eine junge Frau bei der Arbeit und ruft sie zu sich. Sie antwortet unwillig, daß sie keine Zeit dazu habe. Da verflucht sie der Herr: sie solle in alle Ewigkeit keine Zeit zur Erholung finden. – Beim Weitergehn trifft er einen Bauer und ruft ihn zu sich; der kommt, und sie plaudern miteinander. – Seit dieser Zeit arbeitet der Mann und erholt sich dazwischen, das Weib aber findet keine Ruhe, kaum hat es etwas beendigt, stürzt es sich auf das Nächste.


  • Literatur: Šejn, Materialy 2, Nr. 225, S. 399 f. Vgl. Romanow, Bialorusskij Sbornik 4, 160; Menšik, Mor. poh. a pov. S. 332 (Polívka, Arch. f. slav. Phil. 19, 262).

Zu S. 127 (oder 102):


Aus Mecklenburg.


Uns' Herrgott geit eens betteln bi' ne Buurfru, dee is so nerig wäst. As he nu rinkickt in de Stuw' un um'n Almosen biddt, geit se in een Eck stahn und röppt: Kuckuck. As uns' Herrgott dor hen geit, geit se uppe anner Siet in de Eck stahn und röppt wedder: Kuckuck. Dor fröcht uns' Herrgott, warum se dat ded'. Ja, se hadd ehr Lust doran. Na, denn sall se ok ehr Lebenstiet Kuckuck ropen und ehr Nakœmlinge ok, wenn de Johrstiet is, un nahst sœlen se sik ernähren as Ruffvœgel; un ehr Mann sall to'n Wädhopp warden un ümmer: Puup puup ropen.


  • Literatur: Wossidlo, Mecklenburg. Volksüberl. 2, 1, 47.

[284] Zu S. 129:


1. Aus Mähren.


Kolář-Kochovský, Chudobinky S. 8 (Biene entsteht aus des Heilands Blut: eine geizige Bäuerin wollte mit der Heugabel den bettelnden Petrus schlagen, aber Jesus streckte die Hand entgegen) ähnlich Zs. Lud. 6; 351 Nr. 1; Mater, i prace Komis, językowej 1, 5; Sébillot, Folklore de France 3, 301 (die Bienen entstehen in den Kirchen, vgl. ob. S. 225); B. Krek, Slovenske nar. pravljice 33.


2. Schwedische Variante mit neuem Schluß.


Als am Anfang der Heiland mit St. Peter auf der Erde wanderte und die ganze Welt erschuf, kamen sie eines Tages an eine Hütte. Sie baten um etwas zu essen und waren beide hungrig. Das Weib, das dort wohnte, war gut gesinnt, schenkte ihnen ein großes Brot, und da sie weggingen, vermochten sie nur die Hälfte davon zu essen. Der Heiland erhob alsdann ein Rasenstück und verbarg darunter, was vom Brote übrig geblieben war. Tags darnach war aus der Erde eine Kohlpflanze ersprossen. Der Heiland ging zu dem Weibe und sprach: »Gestern gabst du mir Brot, heute gebe ich dir Kohl. Solange du Brot und Kohl hast, wirst du nicht hungern.«


  • Literatur: Cavallius, Wärend 2, 100.

3. Russische Variante.


Zu einer blutarmen alten Frau kommt Gott in Gestalt eines alten Mannes und bittet um Nachtlager. Er muß mit einem Platz hinter dem Ofen vorlieb nehmen, und da das Weib nichts zu essen hat, zieht er einige Brotreste hervor und läßt die Alte aus ihnen Brot backen. Sie gehorcht, und aus den Resten entsteht so viel Brot, daß es den ganzen Backtrog füllt.

Einen Monat nähren sich die beiden von dem Brot. Als die Frau wiederum backen will, bittet Gott um Mohn und tut ihn in den Teig. Die Alte zieht das fertig gebackene Brot aus dem Ofen: es ist riesengroß aufgegangen, und der Mohn ist erblüht. Da wendet sich das Weib zu ihrem Gast und ruft: »Gewiß bist du Gott,« – im selben Augenblick verschwindet er und hinterläßt eine Helligkeit in der Hütte. Seit der Zeit ging es der Alten gut.


  • Literatur: Šejn, Materiali 2, 398 Nr. 223.

4. Aus Finnland.


a) Die Bäuerin knetete den Teig zum Brot. Da kam ein Bettler heran, – das war aber der Heiland. Als nun die Bäuerin ihr Brot bereitete, sagte der Alte: »Magst du mir nicht auch eins backen, wenn auch nur von der Größe des Blättchens von einem Badequast?« Die Frau machte eins von dieser Größe. Als sie es aber in den Ofen tat, ging es so groß auf, daß es nicht mehr aus der Ofentür herausgeholt werden konnte. Da mochte es die Bäuerin nicht fortgeben. Der Heiland bat sie, ein noch kleineres zu backen. Das tat die Frau, aber auch dieses wuchs so, daß es ihr leid ward es zu geben. Der Heiland bat sie, ein drittes zu bereiten, doch die Bäuerin sagte: »Ich habe keine Zeit zu verlieren, ich muß nach meinen Kälbern sehen.« Der Heiland sagte: »Geh nur hin.« Die Frau schwirrte zum Rauchfang hinaus, denn sie war zum Schwarzspecht verwandelt, und rief immerzu: »ptrü, ptrü, ptrü!« Sie flog zum Gehege, um nach den Kälbern zu sehen, doch die waren alle tot. Sie brach in Weinen und Klagen aus: »tiuu!« Seit der[285] Zeit lockt der Specht immer: »ptrü, ptrü, ptrü!« und klagt: »tiuu!« (Ptrü, ptrü: in Finnland der Lockruf für die Kühe).


b) Ein Weib buk Brot. Da trat der Heiland zu ihr und sagte: »Gute Frau, backe mir ein kleines Brötchen.« Die Bäuerin bereitete es und schob es in den Ofen. Es ging so groß auf, daß es der Bäuerin leid tat es fortzugeben. Sie machte ein anderes Brot und tat es in den Ofen. Der Heiland sprach:


»Wachse, wachse, winziges Brötchen,

Jesus läßt das Brot gedeihen.«


Es wuchs und ging so auf, daß man einen Teil des Ofens abbrechen mußte, um es herauszubekommen. Auch dieses Brot mochte die Frau nicht hergeben. Der Heiland sagte: »Auch dieses gibst du nicht?« Sie antwortete: »Ich will ein drittes bereiten und auf der Herdplatte backen.« Sie machte ein drittes und buk es auf dem Herde. Als die Bäuerin es mit der Brotschaufel vom Herde nehmen wollte, verwandelte sich's in eine Schwalbe, schwirrte hinaus und fing an auf dem Zaunpfahl zu singen. Und der Heiland verschwand. Da erschrak das Weib doch sehr: »Was soll das bedeuten, daß sieh das Brot in einen Vogel verwandelt, und ein Mann so verschwindet, daß man ihn nicht mehr wiedersieht?«


  • Literatur: (Süd-Karelen.)
    Frdl. Mitt. von Herrn Prof. K. Krohn, Übersetzung von Frau Prof. Schreck.

Zu S. 136:


Aus Sardinien.


Gegen 5 Stunden von Alghēro (im Nordw. von Sardinien), in der Nurralandschaft1, ist die sog. »Pischina2 di Baracis«, wo sich ein Tempel der antiken Stadt gleichen Namens erhob, die, wie die Tradition will, infolge einer Himmelsstrafe versunken wäre, verschluckt und begraben unter den Wassern, die in jenen Sumpf zusammenströmten.

Christus, als Pilger verkleidet, ging einmal betteln in Barace, aber niemand gab ihm irgend etwas. Schließlich wandte er sich an eine gute Alte, die außerhalb der Stadt wohnte. Die lud ihn ein, einzutreten, indem sie ihm sagte, er möchte warten, bis das Brot gebacken wäre, um es gemeinsam dann zu verzehren.

Nachdem von Christus das Wunder der Vergrößerung der kleinen Brote, die die Frau ans Feuer gelegt hatte, vollzogen war, sagte er ihr, sie möchte mit ihrem heißgeliebten Sohne fliehen und sich niemals umwenden, was für ein Geräusch sie auch hören würde. Es würde das besser für sie sein.

Die Frau hatte kaum das Backen des Brotes beendet, als sie sich auf den Weg machte nach Monteforte mit dem Korb auf dem Kopfe und dem Bübchen im Arm.

Inzwischen machte von Monteginato her das Meer eine heftige Bewegung und ergoß sich furchtbar auf das Land. Sie, entsetzt von dem Getöse der Wellen und von dem verzweifelten und herzzerreißenden Geschrei der Unglücklichen, die ertranken, konnte nicht widerstehen, wandte sich zurück, um zu sehen, und ward zu Stein.

Noch heutigen Tages sieht man auf dem Grund des Sumpfes deutlich zahlreiche Trümmer, und nicht weit davon, in der Gegend, die »Para de'l Canistrèt« heißt, findet man einen Fels, darstellend die Frau mit dem Korb auf dem Kopfe und dem Kinde im Arm.


  • Literatur: Archivio 19, 446.

[286] Zu S. 137:


Bei Sébillot, petite légende dorée de la Haute-Bretagne p. 207 ist das Ende der Stadt Herbauge nach Albert Le Grand, La vie des saints de Bretagne, édition Kerdanet 1837, p. 647 [mir unzugänglich] in folgendem Wortlaut mitgeteilt:


Ils n'estoient guere loin que sainct Martin s'estant mis en oraison, il se fit un effroyable tremblement de terre, laquelle s'ouvrant, engloutit cette ville, avec ses tours, murs, chasteaux, faux-bourgs et autres appartenances qui en moins d'une heure fondirent en abyme, et en leur lieu se fit un grand lac qui s'appelle à présent le lac de Grandlieu. L'hostesse de saint Martin, oyant le fracas et le tintamarre que causoient la cheute des édifices, les cris et lamentations de ceux qui périssoient, se detourna pour regarder ce que c'estoit, sans se soucier de la deffense du saint; mais elle en fut punie sur-le-champ, ayant été convertie en une statue de pierre.


Zu S. 143:


Aus Luxemburg.


Unser lieber Herrgott und St. Peter sprachen einst bei einer Frau um Herberge an, wurden aber von ihr abgewiesen. Sie gingen daher ins Nachbarhaus, wo die Frau sie gut bewirtete und ihnen neue Bettücher aufs Bett legte. Am folgenden Tage sagte unser Herrgott zur Frau, daß sie für ihren Lohn das während des Tages machen solle, womit sie den Tag angefangen. Die Frau maß aber die Bettücher, um zu sehen, ob man nichts heruntergeschnitten habe, und sie konnte den ganzen Tag Leinwand messen. Die Frau erzählte es der Nachbarin. Diese dachte: Wenn sie wiederkommen, dann fängst du Geld zu zählen an. Als aber unser Herrgott und St. Peter wiederkehrten, mußte diese Frau frühmorgens gähnen und gähnte nun den ganzen Tag.


  • Literatur: Grredt, Sagenschatz des Luxemburger Landes 435, 3.

Zu S. 144:


Variante aus West-Hageland.


Im wesentlichen wie oben Nr. 4, b. Ehe die reiche Nachbarin ans Geldzählen geht, will sie sich noch einmal tüchtig schneuzen, um dann ungestört zu sein. Das setzt sie bis zum Abend fort. Aus dem Nasenwasser ist die Dijle enstanden.


  • Literatur: J.-F. Vincx, Grappige Vertelses 2, 29.

Zu S. 146:


Aus Österreich.


Die heilige Jungfrau hatte sich einmal auf ihrer Flucht nach Ägyptenland ohne den heiligen Joseph in einem finstern Walde verlaufen, wo sie voller Angst und Not lange herumirrte, bis sie endlich schon spät in der Nacht aus demselben heraus und in ein Dörflein kam. Dort klopfte sie an einem stattlichen Bauernhause an. »Wer ist da?« rief die Besitzerin des Hauses, die aus dem Fenster guckte. »Ich bitt' Euch, laßt mich und mein Kindlein herein für diese eine Nacht bloß, denn wir kommen von weither, sind todmüd', und es friert uns sehr.« »Mein Haus ist kein Wirtshaus! Seht, wo Ihr sonst unterkommt!« war die Antwort, und traurig ging die heilige Jungfrau mit ihrem Kinde weiter. Da gewahrte sie auf einmal eine kleine halbverfallene Hütte, aus der noch ein Lichtschein schim merte. Auch hier klopfte sie an. »Herein!« rief es von innen heraus, und als die heilige Jungfrau in die Stube trat, kam ihr ein armes Weiblein gar freundlich[287] entgegen und fragte nach ihrem Begehr. Die heilige Jungfrau bat um Nachtquartier. »Sehr gern!« sprach das arme Weiblein und bereitete ihren Gästen ein bequemes Nachtlager, nachdem sie sie mit etwas Milch und Brot erquickt hatte Als nun am andern Morgen Maria weiter zog, dankte sie dem armen Weiblein und sprach: »Was du heute zuerst tust, das soll dir tausendfältig belohnt werden.« Da lief das arme Weiblein flugs an ihr Spinnrad und spann fleißig den ganzen Tag, und als sie am Abend auf ihre Arbeit sah, da gewahrte sie mit freudigem Schrecken, daß sie tausend Bocken gesponnen hatte. – Einige Zeit darauf, als die heilige Jungfrau auf demselben Wege aus Ägyptenland in ihre Heimat zurückkehrte, begegnete sie wieder der hartherzigen reichen Bäuerin, die ihr damals ein Obdach verweigert hatte; als diese die heilige Jungfrau sah, ging sie mit freundlicher Miene auf sie zu und bat sie gar schön, doch ihr lieber Gast sein zu wollen. Maria folgte ihr in ihr Haus und ward aufs köstlichste bewirtet; sie und ihr Kind erhielten auch auf weichem Pfühle ein herrliches Nachtlager. Als nun am andern Morgen die heilige Jungfrau ihre Heimreise fortsetzte, bedankte sie sich und sprach: »Was du heute zuerst tust, das soll dir tausendfältig belohnt werden.« Als das das reiche Weib hörte, war sie außer sich vor Freude und bedachte sich, was sie tun sollte. Aber so viel und so sehr sie auch darüber nachdachte, es wollte ihr nichts einfallen. Da schlug sie sich endlich vor lauter Arger an den Kopf. Das war heute ihre erste Arbeit gewesen, und die ist ihr auch zur Strafe für ihre Hartherzigkeit und Heuchelei so tausendfältig belohnt worden, daß ihr bald Hören und Sehen ver ging.


  • Literatur: Merkens, Was sich das Volk erzählt2 1, 59.

Zu S. 154, Anm. 2 und S. 155:


  • Literatur: Vgl. Hopkins, The fountain of youth (Journ. of the American Oriental Society 26, 1–67. 411–415. 1905). Bolte, Archiv für neuere Sprachen 102, 241 (über Runzelmühlen).

Zu S. 164:


  • Literatur: Die oberpfälzische Variante ist im vollen Wortlaut auch bei Merkens, Was sich das Volk erzählt 1, 74, Nr. 87 abgedruckt.

Zu S. 165:


1. Aus den Niederlanden.


Christus und Petrus sprechen bei einem Schmiede vor, um einen zerbrochnen Stock machen zu lassen. Dieser fertigt sie kurz ab. Im Weitergehen treffen sie ein altes Weib, das sie belehrt, sie müßten ihn »Meister aller Meister« anreden, dann werde er ihnen helfen. Sie tun es, und er erfüllt ihr Begehren. Christus hält darauf die Alte ins glühende Schmiedfeuer, und als er sie herauszieht, steht da eine blühende junge Frau. Als die beiden fort sind, versucht der Schmied das gleiche Verfahren an seiner Frau. Es mißglückt, er läuft ihnen nach, bittet um Hilfe und bewegt sie zur Umkehr. Christus bringt aber nur noch einen Affen zustande.


  • Literatur: Vincx, Grappige Vertelsels. Tweede Reeks 1, 58.

2. Vgl. ferner: Čubinskij 1, 154. Karłowicz, Pod. lit. 39, 58. Kolberg, Lud 8, 97 (Polívka, Arch. f. slav. Phil. 29, 254).


3. Amerikanische Negersage (aus Virginia).


Ein Sägemüller lebt mit seinem Sohne und nimmt einen Mann in die Lehre. Als der Sägemüller einmal über das Alter klagt, schickt der Mann alle außer dem[288] Sohne fort und zersägt ihn. Nach dem Zusammenlegen der Teile ist der Vater wieder jung. Trotzdem behandelt der Sohn den Mann stets unfreundlich, und als der Vater einmal ausgegangen ist, erzürnen sie sich, und der Mann verläßt das Haus. Der Vater kommt mit einer Alten wieder, die verjüngt werden soll; der Sohn wagt nichts vom Streit zu sagen und behauptet, er werde die Alte jung machen. Es mißlingt ihm aber, und er soll gehängt werden. Am Galgen bereut er laut seine Unfreundlichkeit gegen den Fremden. Da erscheint dieser und rettet ihn, indem er die Alte belebt.


  • Literatur: Groome, Gipsy Folk Tales S. 291 = Athenaeum 20. Aug. 1887, S. 245.

Wenn in dem öfters hinzugefügten Teil der Sage, der von der Hufbeschlagung handelt, Wodan zu erkennen ist, so ließe sich vielleicht vermuten, daß der Hauptbestandteil ursprünglich von Thor erzählt worden sei. Die Gleichsetzung Thor = Christus findet sich z.B. bei Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels S. 360 (Christus mit dem Hammer blitzend im Donnerwagen); über Thor = Schmied siehe Wolf, Beitr. z.d. Myth. 1, 99. Es scheint indes, als ob die Züge, die auf Thor passen, erst nachträglich hineingekommen sind. Der ursprüngliche Mythengehalt liegt wohl in den slawischen Varianten vor, und die Figur des Teufels dürfte, wie in so vielen Sagen, namentlich des 1. Bd. der Natursagen, so auch hier aus dem Osten zu den Germanen und anderswohin gelangt sein.


Zu S. 172 bis 178:


  • Literatur: S. 172, 4. Z.v. u. lies: Montanus, W. Kap. 6. – Zu S. 173 vgl. Wisser, Wat Grotmoder vertellt 2, 75; Rogasener Familienblatt 1903, 41. – Zu S. 178 vgl. Montanus S. 5632; Skattegraveren 2, 205; Siebenbürg. Archiv 33, 410 (rumän.).

Zu S. 184:


1. Aus den Abruzzen.


Der hl. Petrus drängte fortgesetzt den Meister, daß er den Calabreserhut erschüfe3, aber Christus woll te nicht eigentlich etwas davon wissen. Indessen ließ Petrus nicht ab, in ihn zu dringen, bis Christus, um ihn los zu sein, die erste harte Sache segnete, die ein Esel auf der Straße hatte liegen lassen.

Gesagt, getan. Alsbald schnellte ein Männlein mit kegelförmigem Hut empor. Das war berauscht und aufgeregt und konnte den Mund nicht öffnen, ohne fortgesetzt zu fluchen: »Petrus, Paulus und Christus!« Beim Sehen und Hören dieses Wunders blieb Petrus versteinert stehen, und indem Christus auf diese Demütigung Wert legte, ermahnte er ihn, in Zukunft nicht wieder viel begehrend und eigensinnig zu sein.


  • Literatur: Finamore, Cred., us. e cost. abruzzesi 169.

2. Kleinrussische Sage.


Petrus macht die Kleinrussen aus Weizenmehlteig, Paulus – die »moskali« (Großrussen) aus rotem Lehm. Hund verschlingt die Kleinrussen usw.


  • Literatur: Etn. Obozr. 2, 4, 93.

3. Varianten.


  • Literatur: La Tradition 2, 357 (Ursprung von Engländern und Franzosen), vgl. Journal of Am. Folklore 3, 302. Folklore Journal 4, 283 (Ursprung der Russen, mongolisch). Volkskunde[289] 9, 28 (Ursprung der Franzosen, wie oben S. 185). Fernerstehend: Volksk. 9, 149 (Müller aus einem erhängten Dieb gemacht).

Zu S. 199:


1. Estnische Sage.


An Flüssen und Bächen lebt ein Vogel, der die Rohrdommel (estn.: hüüp) heißt. Im Frühling hört man ihn mit einer tiefen Stimme rufen, die oft Werste weit schallt.

Die alten Leute sagen, Pilatus sei zur Rohrdommel geworden, zur Strafe dafür, daß er Jesus hatte kreuzigen lassen. Das sei so zugegangen: Pilatus war seines Amtes entsetzt und in ein Gefängnis am Ufer der Donau geführt worden, wo er unter einem großen Kübel (törs) gefangen gehalten wurde. Pilatus war unter dem Kübel nicht umgekommen, sondern war zur Rohrdommel geworden.


Über Pilatussagen, die als Lokalsagen außer dem Bereich meiner Aufgabe liegen, siehe Zs. f. Volksk. 17, 42 ff.


2. Aus Brandenburg.


Als Petrus den Herrn zum drittenmal verleugnet hatte und bitterlich weinend zur Tür des Hohenpriesterpalastes hinauswankte, wollten ihn die Knechte verfolgen, doch sie fanden ihn weder in der Nähe, noch bemerkten sie ihn in der Ferne. Freilich war er nicht weit gekommen, vielmehr dicht neben der Tür kraftlos zusammengesunken, aber Gott hatte es also gefügt, daß ein Strauch ihn aufnahm und mit dichtem Gezweige und Blattwerk vor den Augen der Späher verbarg. Petri Reuetränen netzten nun des Strauches Zweige und blieben dort in dichten weißen Perlenreihen hängen. (Die Schneebeere, Lonicera tartarica, heißt vielfach Petristrauch.)


  • Literatur: Handtmann, Was auf märk. Heide sprießt S. 104.

Zu S. 200:


Als Christus auf dem Wege zur Richtstätte mit dem Kreuz auf dem Rücken hinfiel, half ihm der Hauptmann Longin aufstehen und das Kreuz tragen. Dafür[290] wurde ihm der Gürtel des Herrn zuteil, der jedesmal, wenn der Hauptmann den kaiserlichen Palast betreten hatte, diesen erzittern machte.

Schließlich heilt die Berührung mit dem Gürtel des Kaisers Augen.


  • Literatur: Živaja Starina 9, 392.

Zu S. 201:


Aus der Mark Brandenburg.


Der Heiland wurde mit Holunderruten gegeißelt. Seitdem verlor der Holunder (sambucus nigra) alle Schönheit. Seine Haut ward gleich der des Heilandes, dessen Leib der Schrunden voll wurde. Bemüht, dem Herrn möglichst wehe zu tun, zersprengte er sein bis dahin leicht biegsames Holz in ächzendem Krach, senkte trauernd die frisch aufstrebenden weißen Blüten nieder und zeitigte die blutige Tränenfrucht.


  • Literatur: Handtmann, Was auf märkischer Heide sprießt S. 5.

Zu S. 203:


Bezüglich der Dornenkrone berichtet der Palästinareisende Sir John Maundeville: »Denn Ihr sollt wissen, daß unser Herr Jesus in der Nacht, als sie ihn gefangen nahmen, in einen Garten geführt und dort scharf verhört wurde. Und die Juden verspotteten ihn und machten eine Krone aus den Zweigen der Aubépine (des Weißdorns), welche in selbigem Garten wuchs, und drückten sie auf sein Haupt, so fest und so tief, daß das Blut herniederrann über sein Antlitz, den Hals und die Schultern. Und darum hat der Weißdorn der Tugenden viele, denn wer davon ein Zweiglein an sich trägt, den können weder Donner noch Blitz schädigen, und kein böser Geist kann in ein Haus hinein oder in irgend einen Platz, wo solcher aufgehangen ist. Und in selbigem Garten verleugnete der heilige Peter dreimalen seinen Meister. Nachher wurde der Herr vor die Bischöfe geführt, und vor die Schriftgelehrten in einen anderen Garten, der dem Annas gehörte, und auch hier wurde er befragt, gescholten und verspottet und abermals gekrönt mit einem weißen Dorn, der Barbaryne (Berberitze) heißt und in diesem Garten wuchs, weshalb er gleichfalls viele Tugenden besitzt. Und dann wurde er in den Garten des Kaiphas geführt und da mit weißen Eglantines (Hagerosen) gekrönt. Und hierauf führten sie ihn in die Halle des Pilatus, und dort wurde er nochmals verhört und gekrönt. Und die Juden setzten ihn auf einen Stuhl und bekleideten ihn mit einem Mantel, und hier machten sie eine Krone aus Joncs marines (Stechginster) und knieten vor ihm und verhöhnten ihn und riefen: ›Heil! König der Juden!‹ Und die Hälfte dieser Krone ist in Paris (in der Sainte Chapelle), und die andere Hälfte ist in Konstantinopel. Und Christus trug diese Krone auf seinem Haupte, als sie ihn ans Kreuz schlugen, und darum müssen die Menschen sie heilig halten und höher schätzen als irgendeine andere Krone in der Welt.«

In diesem Bericht Maundevilles finden wir verschiedene Überlieferungen wunderlich vermischt. Nach dem in Nordeuropa allgemein verbreiteten Glauben war die Krone, wie bereits erwähnt, aus Weißdorn, dessen süßer Duft die Luft erfüllte, als, wie eine alte Romanze erzählt, die heilige Dornenkrone in Paris von neuem erblühte, während der siegreiche Kaiser Karl der Große betend vor ihr auf den Knieen lag. Der Weißdorn wird überall vom Volke hochgeschätzt; in der Bretagne und in Irland gilt es für ungeheuer, auch nur ein einzig Blatt von gewissen alten, einzelnstehenden Dornbüschen zu brechen, welche in versteckten Mulden der Moor lande wachsen, weil die Elfen darunter ihre Zusammenkünfte halten. Die Barbaryne[291] (Berberis vulgaris L.) ist die Spina Santa einiger Gegenden Italiens, wo die Berberitze diesen Namen erhalten zu haben scheint, weil sie dreiteilige Dornen als Sinnbild der heiligen Dreifaltigkeit trägt. Die Joncs marines der Dornenkrone sind eine morgenländische Tradition, welche jedoch ziemlich jener Pflanze entspricht, die möglicherweise zur Dornenkrone geflochten wurde, denn kein Dorn ist häufiger in Palästina als der Judendorn (Zizyphus Spina Christi Tourn.) und der Nebk der Araber (Paliurus aculeatus Tourn.), welche beide den Namen Spina Christi führen.


  • Literatur: Junker von Langegg, Deutsche Rundschau 63, 416.

Zu S. 207:


1. Aus den mittleren Grafschaften Englands.


Da der Holunder das Holz für Christi Kreuz geliefert hat, darf dessen Reisig nicht in Bündel für Brennholz gebunden noch zu anderem geringen Gebrauch verwendet werden.


  • Literatur: Deutsche Rundschau 63, 414.

2. Aus dem Spreewald.


Von Kreuzdorn war das Kreuz Christi gemacht. Und wie seine beiden Hände auf dem Kreuze festgenagelt waren, so stehen sich noch die Dornen gegenüber.


  • Literatur: Schulenburg, Wend. Volkssagen S. 268.

Zu S. 208:


1. Aus Ostpreußen (Fischhausen).


a) Der Splint (Knebel), der in Jesu Mund gesetzt wurde (?!), soll von dem Holze einer Pappel genommen sein.

Seitdem zittert die Pappel, wie Christus in seiner Todespein.


  • Literatur: Frischbier, Altpr. Monatsschr. 22, 320.

b) Die Zitterpappel zittert, seitdem sie den Heiland an dem Kreuze, das aus ihrem Holze gefertigt war, leiden sah.


  • Literatur: Ebd.

2. Sage der Neger in Louisiana (Nordamerika).


Ebenso wie die vorige Variante, handelt jedoch vom cottonwood-tree (Pappelart).


  • Literatur: Journal of Am. Folklore 18, 251.

3. Die Jesiden verehren die Espe, weil Christi Kreuz, wie sie sagen, aus ihrem Holze gemacht wurde.


  • Literatur: Menant, Les Yézidis p. 86.

4. Aus Schweden.


Der Schwarzsauer (»lummer«, lycopodium complanatum) war früher ein hoher, starker Baum. Nachdem aber Christi Kreuz aus ihm verfertigt worden war, konnte er nimmer gedeihen, sondern wurde ein kleines, schwaches Gewächs.


  • Literatur: G. Wigström, Folkdiktning 2, 127.

Zu S. 209:


Nach Justus Lipsius, de cruce 1, 3, cap. 13 war das Kreuz aus Eichenholz, »erstens weil glaubwürdige Männer die Stückchen jenes heiligsten Holzes; die heute noch vorhanden sind, dieser Art zuschreiben; dann weil jener Baum in Judäa einst gewöhnlich und häufig war und es jetzt noch[292] ist; drittens, weil jenes Holz stark und zum Anheften und Tragen geeignet ist .... Wenngleich Schriftsteller einer früheren Zeit dreierlei [Zeder? Zypresse, Föhre] oder viererlei Arten von Holz [Palme, Zeder, Zypresse, Olive] im Kreuze des Herrn annehmen, so halten wir dies mehr für einen absonderlichen, als für einen wahren Ausspruch.«


  • Literatur: Deutsche Rundschau 63, 414. Der Schlußsatz bezieht sich auf die außerhalb unserer Aufgabe liegende Legende von der Vorgeschichte des Kreuzes und seiner Wiederauffindung durch die Kaiserin Helena im J. 326 (ebenda S. 409 ff.). Über die Eiche als Kreuzesbaum s. auch Revue d. trad. pop. 19, 297. Nach dem apokr. Ev. Nicodemi war das Kreuz aus den zwei Holzarten der Palme und der Olive zusammengesetzt.

Zu S. 209 ff.:


Toldoth (= Pluralis: Geburtsgeschichten) ist fälschlich als Singularis gebraucht.


Zu S. 2141:


Die Dreizahl der Nägel wird im 13. Jahrh. üblich.


  • Literatur: Otte, Kirchl. Kunstarchäologie5 1, 538.

Zu S. 217:


1. Englisches Gedicht in einer mittelalterlichen Handschrift.


Die Juden verlangen drei Nägel von einem Schmied. Dieser glaubt an Jesus und gibt vor, die Nägel nicht anfertigen zu können, da seine Hand verletzt sei. Als er sie vorzeigen muß, scheint sie wirklich krank zu sein. Seine Frau aber kommt scheltend hervor und sagt, so wolle sie die Nägel machen, was sie auch ausführt.


  • Literatur: Morris, Legends of the holy rood S. 48, vgl. S. XVIII. Auf den Hebriden heißt es: Eine Frau soll das Feuer nicht mit dem Rock anfachen. Denn als die Nägel zur Kreuzigung gemacht wurden, fachte des Schmiedes Tochter das Feuer so an. Folklore 13, 33.
    Auch Norris, Cornish Drama S. 433–439 enthält die Geschichte der Kreuzesnägel.

2. Erzählungen elsässischer Zigeuner.


a) Als man Christus kreuzigen wollte, ging eine Zigeunerin vorbei und stahl einen der 4 Nägel; darum wurde Jesus nur mit 3 Nägeln gekreuzigt, die beiden Füße nur mit einem. Deshalb dürfen die Zigeuner einmal in sieben Jahren stehlen.


  • Literatur: Groome, S. XXIX.

b) Als unser Herr Jesus Christus ans Kreuz geheftet werden sollte, da folgten ihm in der Volksmenge auch zwei Brüder auf die Richtstätte hinaus; der eine der beiden Juden hieß Schmul, der andere Rom-Schmul. Beim Anblick der Kreuzaufrichtung und der sonstigen Vorbereitungen zum Martertode Jesu blieb Schmul nicht bloß teilnahmlos, sondern bezeugte sogar seine Freude darüber; Rom-Schmul dagegen neigte jetzt zu anderen Gesinnungen, ihm ging das bevorstehende Schauspiel sehr nahe, und gern hätte er den Heiland von der Todesqual errettet. Leider war dies unmöglich. Da wollte er aber dennoch etwas tun, und nun stahl er wenigstens einen der vier Nägel, mit welchen der Herr ans Kreuz geheftet werden sollte. Und so kam es denn auch, wie man's bekanntlich auf vielen Bildern sieht, daß die Füße Christi übereinandergelegt werden mußten und nur mit einem Nagel angeheftet wurden. Rom-Schmul bekannte sich übrigens sofort zum Christentum, während sein Bruder ein Jude blieb. Er ist's, welcher der Stammvater der Roms oder Zigeuner ward.


  • Literatur: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Hrsg. von Julius Rodenberg. Bd. 1 (1874), 92.

[293] 3. Ebenso wie 2, a im Gipsy Lore Journal 1, 1889, S. 253. Sage der littauischen Zigeuner. Über das Schmiedehandwerk der montenegrinischen Zigeuner siehe Ausland 1874, 403.


4. Aus Estland.


Als Jesus ans Kreuz geschlagen wurde, ward auch ein eiserner Nagel gebracht, der Jesu durchs Herz geschlagen werden sollte. Irgend jemand aber stahl den Nagel; das war der erste Dieb in der Welt, vordem hatte es keinen Diebstahl gegeben. Die jetzigen Diebe sind alle Nachkommen jenes einen Diebes.

Weil der Nagel gestohlen war, wurde später mit einem Speer in Jesu Herz gestochen.


  • Literatur: Aus dem Nachlaß von J. Hurt (ebenso oben Nr. 6).

5. Aus Lesbos.


Maria hört, daß Christus gefangen worden ist, und macht sich auf, ihn zu suchen. Sie trifft unterwegs den Nagelschmied (einen Zigeuner) und fragt, was er mache. Er sagt, er mache fünf Nägel statt vier. Da verflucht sie die Zigeuner, immer im Elend zu bleiben.


  • Literatur: Auszug aus einem längeren Karfreitagslied bei Georgeakis et Pineau, Folklore de Lesbos p. 273.

6. Aus Malta (Erweiterung).


Kurze Zeit vor der Kreuzigung des Herrn begab sich die Muttergottes zum Schmied, welcher die Nägel anzu fertigen hatte, und bat mit diesen oder ähnlichen Worten: »Hab' Erbarmen! Schmiede die Nägel doch recht spitz, auf daß sie leicht in die armen Hände und Füße meines lieben Sohnes treten, ohne das Wundmal unnötig zu zerfetzen! Hab' Erbarmen, mein Sohn!« Der Schmied aber versetzte grob: »Jetzt, da ich weiß, wonach dein Verlangen steht, fertige ich dir die stumpfsten Nägel der Welt an. Auf diese oder jene Weise wird dein Sohn sich schon mit ihnen abfinden müssen! Ich mach' sie oben quer und unten stumpf und quer! Geh' mir aus dem Licht!«

Da fluchte ihm die Muttergottes und sagte: »Die Schwärze deines Gesichts gibt Zeugnis von deinem Herzen, und so soll es bleiben.« Seit der Zeit sagen wir: Jeder, der sich sein Gesicht schwärzte, wurde ein Schmied (= die (üble) Veranlagung zeigt sich schon in der Jugend).

Die Muttergottes aber machte sich auf und suchte und fand den Tischler, welcher das Kreuz anzufertigen hatte. Da bat sie ihn mit diesen oder ähnlichen Worten: »Sei barmherzig und fertige das Kreuz, welches mein armer Sohn tragen muß, aus dem leichtesten Holze an! Sieh, mein armer Jesus ist ohnehin so müde und soll auch noch das Kreuz tragen!« Und der Tischler versetzte: »Ich hatte vor, das Kreuz leicht zu machen und legte den Eschenholzblock parat! Nun aber, da ich weiß, wonach dein Sinn steht, mach' ich's noch leichter als du denkst: ich werde Holunder verwenden! Und ein Knabe könnte das Kreuz tragen!«

Da segnete ihn die Muttergottes und sagte: »Der Segen Gottes sei über dir und deiner Arbeit, so daß der frohe Mut sie stets begleitet.« Seitdem sind die Tischler meistens vergnügt, und Gesang kürzt ihnen das Geschäft.

Und wieder machte sich die Muttergottes auf, um den Mann zu suchen, der die Geißeln anzufertigen hatte, und bat ihn mit diesen oder ähnlichen Worten: »Möchtest du doch ein gutes Herz zeigen! Sieh, mein Sohn soll gegeißelt werden, und seine Haut ist so weich, so fein, daß der geringste Streich sie zerfetzen wird![294] Bitte, verwende doch lindes Material und drehe locker! Mein Sohn ist so zart!« Der Mann aber versetzte: »Ist er so zart, desto besser für ihn! Ich hatte vor, mir den Auftrag wenig sauer werden zu lassen; nun aber, da ich sehe, was du willst, wird sich meine Arbeit verdoppeln müssen. Ich wollte nur Hanf verwenden, nun wird Leder nötig, und ich werde hübsch scharfe Widerhäkchen hineinflechten müssen. Das reißt so schöne Stückchen heraus!«

Da verfluchte die Muttergottes ihn und sein Gewerbe, wobei sie sagte: »Nur noch ein Weilchen, und deine Geißeln werden auf deinem Körper versucht werden, damit das Wort sich erfülle! Fluch begleite dich!« Nicht lange danach wurde der Mann angeklagt und gegeißelt, bis seine Haut sich vom Fleische trennte und dieses von den Widerhäkchen zerrissen wurde.

Die Muttergottes aber ging weiter und suchte den Dornenstrauch auf, der die Dornenkrone liefern sollte für ihren Sohn. Und da bat sie ihn herzinniglich mit diesen oder ähnlichen Worten: »Lieber Strauch, lasse dich jetzt deine stärksten Dornen abfallen, damit die Peiniger sie nicht für meinen Sohn verwenden! Sei ein lieber Strauch und hab' Erbarmen!« Da schüttelte, rüttelte sich der Strauch, und die größten Stacheln fielen ab, so daß nur noch die zuletzt gewachsenen, immerhin spitzen, aber doch biegsameren blieben. Da lobte die Muttergottes den Strauch und segnete ihn, wobei sie sagte: »Das Blut mei nes Sohnes soll dich fürderhin schmücken, und dein Stamm soll den Mastix hervorbringen, damit die Menschen in Dankbarkeit deiner gedenken!« Seit der Zeit ist der Strauch gefleckt und bringt den feinen Mastix hervor, besonders zur Fastenzeit.


  • Literatur: Frdl. Mitt. von Frl. B. Ilg.

Parallele zu 2, a.


Wenn man den Jesiden (über diese s. Bd. 1, S. 27 ff.) den Vorwurf macht, daß sie Diebe seien, antworten sie, Jesus habe ihnen das Stehlen erlaubt, zum Andenken daran, daß ein Dieb ihm zur Rechten gekreuzigt worden ist.


  • Literatur: Menant, Les Yézidis p. 86.

Zu S. 218 ff.:


1. Aus Venetien.


Das mitleidige Rotkehlchen erhielt den roten Flecken von Christi Blut, und die Schwalbe flog so nahe an der Muttergottes vorbei, daß viele ihrer Federn weiß würden wie deren Tränen; sie heißt daher auch: Vöglein der Madonna.


  • Literatur: Rivista delle trad. pop. 1, 135.

2. Aus Dänemark.


Der Kiebitz rief am Kreuze Christi: »pin ham!« (peinige ihn); der Regenpfeifer (charadrius pluvialis): »hæl ham!« (verbirg ihn); der Sperling: »spar ham!« (schone ihn), oder nach einer anderen Aufzeichnung: »spark ham!« (versetz ihm einen Fußtritt); der Storch: »styrk ham!« (stärke ihn); der Alpenstrandläufer (tringa alpina): »rylt ham!« (dial. rüttele ihn); die Schwalbe: »sval ham!« (erfrische, kühle ihn); die Lerche: »læsk ham!« (labe ihn); der Steinschmätzer (saxicola oenanthe): »sten ham!« (steinige ihn); der Sperber: »hug ham!« (haue ihn); der Rabe: »riv ham!« (kratz ihn); die Heerschnepfe (gallinago): »tuml ham!« (tummle ihn). Die Eule soll am Kreuze Christi gerufen haben: »ynk ham!« (bemitleide ihn).

Varianten: der Alpenstrandläufer: »ryk ham!« (raufe, reiße ihn); der Regenpfeifer: »hjælep ham!« (hilf ihm) oder: »sölle Pier!« (dial. armer Peter oder: du Elender); die Grauammer (emberiza miliaria): »hån ham!« (höhne ihn) oder: »hår ham!« (dial. hasse ihn); die Krähe: »krat ham!« (kratze ihn) (dial.). Zuletzt erschien[295] die Baumlerche und rief: »vi, vi, vi er fri!« (wir sind frei!). Es ist nämlich erlaubt, die Eier der bösen Vögel zu nehmen, die der freundlichen, wozu hier die Baumlerche gehört, aber nicht. Das kleine Rotkehlchen trocknete den (blutigen) Schweiß seines Angesichts durch seine Federn, daher sind seine Brustfedern rot. Der Kreuzschnabel wollte die Nägel mit seinem Schnabel ausziehen, dadurch wurde aber der Schnabel krumm. Storch und Schwalbe darf niemand töten. Der Kiebitz muß zur Strafe für seinen Ruf sein Nest auf der Erde bauen, kann daher auch auf keinem Baume sitzen, sondern muß auf der Erde ruhen.


  • Literatur: Skattegraveren 1, 107. 430–33; Kristensen, Folkeminder 6, 235, 8, 374, Nr. 68–71; Sagn 2, 266, Nr. 74–82.

Færöische Sage.

Man erzählt, daß die Mantelmöwe (larus marinus) den roten Flecken, den sogenannten Blutstropfen unter dem Schnabel, erhalten habe, weil sie Christus am Kreuze habe anfallen wollen. Möglicherweise haben die Færinger dadurch einen solchen Abscheu vor diesem Vogel gewonnen, daß sie ihn nicht essen.


  • Literatur: Winther, Færøernes Oltidshist. S. 403.

Aus Rumänien.


Früher waren die Sperlinge viel größer. Als Christus am Kreuze mit dem Tode rang, flogen Sperlinge immer um ihn herum und riefen: Er lebt, er lebt noch (e viŭ, e viŭ! also ihr Schrei wird so gedeutet). Da bestimmte Jesus zur Strafe, weil sie ihn nicht sterben ließen, sie sollten von nun an nur Brocken und Unkrautsamen fressen, Kinder sollten sie mit Schlingen fangen und die Wandrer auf dem Wege sie totschlagen. Seit jener Zeit werden die Sperlinge von Kindern gefangen und verspottet, von Wandrern mit Peitschen geschlagen und mit Steinen getötet. Auch sind sie (infolge der kärglichen Nahrung) immer kleiner geworden.


  • Literatur: Papahagi, Ornitologia S. 406.

Zu S. 224:


Aus Braunschweig.


Bei der Kreuzigung rief der Hahn voll Mitgefühl: Ik mag et nich seihn.


  • Literatur: Zeitschr. d.V.f. Volksk. 13, 92.

Zu S. 225:


Aus Malta.


Der Teufel kann sich in jede beliebige Gestalt verwandeln, nur nicht in die eines Menschen. Er hat meistens Hühnerfüße, und diese sucht er zu verstecken. Oft hat er aber auch die Füße eines Esels, eines Pferdes oder die einer Kuh. Verwandeln kann er sich auch und tut es gerne, in eine Katze oder einen Hund. Dies sind die eigentlichen Teufelsgeschöpfe, und er kann auch in sie hinein, kann in ihnen wohnen, und über ihre Seelen hat er zu bestimmen. Warum? Ein Hunde- und ein Katzenpaar führten sich unehrerbietig auf, als Christus am Kreuze hing, und achteten nicht der wehmutsvollen Worte, mit denen Christus sie von der Heiligkeit seiner Sterbestunde überzeugen wollte. Immerhin aber gilt der Fluch, den sie sich zugezogen und an dem sie heute noch tragen, mehr den Hunden, da die Katzen dem Kreuze ferner standen und weniger Verstand besaßen von Anbeginn.


  • Literatur: Frdl. Mitt. von Frl. Ilg.

Zu S. 227:


1. Wendische Sage aus dem Spreewald.


Die Kröten haben einen König, der trägt eine Krone. Auf der Krötenkrone ist das Leiden Christi; mancher kann das ausdeuten.


  • [296] Literatur: Schulenburg, Wendische Volkssagen S. 94. Dort werden drei Arten aufgezählt: die kleine weiße Krötenkrone (Galerites vulgaris, weiß verkieselt, klein), die »richtige Krötenkrone« (Seeigel, ein Feuerstein mit bräunlicher verwitterter Rinde, oft mit anhaftender Kreide) und Galerites abbreviatus, Sen. Feuerstein.

2. Vlämische Sage.


Die Marterwerkzeuge sind im Kopfe des1 Schellfisches (oder auch des Hechtes).


  • Literatur: Teirlinck, Folklore flamand p. 29.

3. Aus Dänemark.


Der Teufel kann sich in einen Hecht nicht umschaffen, der ist ein heiliger Fisch, hat zum Zeichen dessen einen Kreuzknochen im Kopfe. Die 5000 wurden vom Heilande mit Hechten gespeist.


  • Literatur: Kristensen, Folkeminder 8, 374, Nr. 672.

4. Aus Italien.


a) Eidechsen darf man nicht töten, da sie des Heilandes Wunden leckten.


  • Literatur: Rivista delle trad. pop. 1, 135.

b) Die Eidechse darf man nicht töten, da sie die Dornen aus dem Haupte des Herrn herauszog. – Var.: Sie zog aus Jesu Fuß den Dorn, den die Schlange hineingestochen hatte. – Var.: Sie zog Dornen aus den Füßen der Madonna.


  • Literatur: Finamore, Trad. pop. abruzz. 236.

Zu S. 227 D:


Solcher, die Leiden Christi symbolisierender Pflanzen finden wir mehrere abgebildet und genau beschrieben in des Priesters Giacomo Bosio: »La trionfante e gloriosa croce« (Roma 1610), einem äußerst seltenen Buche, welches der Verfasser selbst ins Lateinische übersetzte (Crux triumphans et gloriosa a Jacobo Bosio descripta, Libri sex; Antverpiae 1617). In diesem Werke (Lib. II. p. 165) sind die mystischen Zeichen eines Kürbisses »Zucca« im Klostergarten von Santa Pudenziana (angeblich der ältesten Kirche Roms, zuerst erwähnt im Jahre 499, neben der Basilika Santa Maria Maggiore) eingehend geschildert: »Und da war das Zeichen selbst des Kreuzes, beson ders in dem kleineren Kürbisse, so lieblich gebildet, daß in grenzenloser Bewunderung wir alle von Staunen überwältigt und zugleich von innigster Herzensfreude durchdrungen waren. Und der Anblick dieses Kürbisses war wegen des Bildnisses darin überaus gnadenreich, denn in dessen weißem Marke erschien ein grünes Kreuz, welches uns alle mit heiliger und froher Andacht erfüllte. Und noch ein weiteres Wunder wurde bemerkt und sofort bestaunt; in jedem der vier Winkel des Kreuzes im größeren Kürbis lagen fünf winzige Samenkörnlein, ich sage genau fünf, nicht mehr noch weniger, gleichsam die Male der fünf Hauptwunden darstellend, welche unser Herr am Kreuze erhalten hatte«. Bosio vergleicht diesen Kürbis mit dem Crucifixo de la Cepa in Valladolid, einer Darstellung des Erlösers am Kreuze, welche »naturalmente, ma mirabilmente« durch die gewundenen Wurzeln eines Weinstockes gebildet ist. Auch die von Bosio abgebildete Mohnblume (Papaver Rhoeas L.) zeigt ein Kreuz an der Stengelnarbe, und im Querschnitte der Frucht des Pisang (Musa sapientium L.) ist die Kreuzigung zu sehen, weshalb die Banane auf den kanarischen Inseln und in Südamerika niemals geschnitten, sondern nur gebrochen werden darf.

Während Bosio mit diesem Buche beschäftigt war, verbreitete sich im Jahre 1609 in Rom die Nachricht eines noch größeren Pflanzenwunders, und er war unentschlossen, ob er dieses »stupendo a maraviglioso fiore« erwähnen sollte, da[297] ein solches Vorkommnis beinahe »troppo monstruoso e straordinario« wäre, um demselben Glauben beimessen zu können; wollte dennoch es nicht gerne in seinem Werke übergehen, da täglich neue Bestätigungen darüber eintrafen. Dieser »maraviglioso fiore« war die Passionsblume (Passiflora L.), die Granadilla der Neuen Welt. Abbildungen und Beschreibungen dieser Wunderblume wurden in demselben Jahre (1609) gleichzeitig in Spanien und Italien veröffentlicht. Bosios vorzüglichster Gewährsmann war ein Augustinermönch, Frey Emmanuello de Villegas, welcher zu jener Zeit Rom besuchte, und dessen Bericht durch zahlreiche Personen »di qualità e di gravità« bestätigt wurde. »Es scheint,« sagt Bosio, »daß diese wunderbare und mystische Blume der fünf Wunden, wie die Spanier sie benennen, von dem Schöpfer der Welt besonders auserlesen wurde, um das Leiden seines göttlichen Sohnes zu veranschaulichen, auf daß sie, wenn die Zeit gekommen, zur Bekehrung der Völker in den Ländern, wo sie wächst, dienen möge, nachdem ihnen diese Wunderzeichen erklärt worden.« Bosio schildert die Passionsblume also: »Die oberen Blumenblätter sind in Peru ›color di leonato‹ (bräunlichgelb), in Neuspanien (Mejico) weiß und rosig angehaucht. In der Mitte der Blume erhebt sich die Säule, an welche der Erlöser gebunden wurde, und darüber befinden sich die Nägel, sämtliche von hellgrüner Farbe. Darüber ist die Dornenkrone von einer Art Schleier umgeben, welcher aus zweiundsiebzig Fransen, der Zahl der Dornen in der Krone, ›di color pavonazzo‹ (von violetter Farbe) gebildet ist. In der Mitte der Blume, unter der Säule, sieht man fünf blutigrote Male oder Flecken, welche deutlich die fünf Hauptwunden, die Christus am Kreuze erhalten, darstellen. Die Pflanze ist reich an Blättern, deren Gestalt Speeren- oder Lanzenspitzen gleicht und an jenen Speer erinnert, mit dem ›der Kriegsknechte einer öffnete seine Seite‹. Diese Blume schließt sich vollkommen zur Nachtzeit und öffnet sich nur halb während des Tages, stets die Gestalt einer Glocke bildend, ›so daß die also wunderbar eingeschlossenen Mysterien nicht offen dalägen‹. Bosio stellt jedoch in seiner Abbildung die hüllende Glocke geöffnet dar: ›per gusto dei pii lettori‹, damit diese zu ihrer Erbauung die darin verborgenen Wunder und dieses große Wunderwerk unseres Schöpfers schauen und betrachten könnten.« In dieser Verhüllung der Blume meint Bosio die Absicht des Allweisen zu erkennen, daß die Geheimnisse des Kreuzes den Heidenvölkern jener Länder nicht früher geoffenbart werden sollten, als bis die von ihm angesetzte Zeit gekommen.

Noch einer anderen Blume bedienten sich die Jesuitenmissionäre in Südamerika als eines überzeugenden Beweises, daß nach Gottes Ratschluß selbst die stumme Natur die heiligen Mysterien des wahren Glaubens offenbare. Es ist eine im Urwalde Mexikos und des Isthmus von Panama wachsende Orchidee, die Heiligengeistblume (Peristeria elata Hooker), von den Spaniern »El Esperitu Santo« genannt, deren Griffelsäule die Gestalt einer weißen Taube mit gelbem Schnabel bildet, welche mit ausgebreiteten Flügeln über der gelblich-weißen Blüte zu schweben scheint. Hier sei anschließend das Sternbild des südlichen Kreuzes genannt, in welchem die Missionäre mahnend das heilige Zeichen der Erlösung, in Flammenzügen am Himmel geschrieben, wiesen.

Die Wandlung der heidnischen Mythen in christlichen Legenden läßt uns die heiligen Bäume und Pflanzen als ein Palimpsest erscheinen, unter dessen mönchischer Schrift und Schildereien wir die Aufzeichnungen längstvergangener Zeiten wiederfinden.


  • Literatur: Junker von Langegg, Deutsche Rundschau 64, 49.

[298] Zu S. 228:


Parallele aus Königsberg.


Das Nordlicht verkündet Krieg. Die zahlreichen glühroten Nordlichter des Winters 1870/71 hielt das Volk für den Widerschein des von den Schlachtfeldern aufsteigenden Blutes.


  • Literatur: Altpreußische Monatsschrift 22, 226.

Zu S. 229:


a) Kleinrussische Sagen von der Kornblume (Ocymum basilicum L.; russ. vasil'ka genannt).


[Die Juden haben das Kreuz, an dem Christus gestorben war, vergraben, Unrat darüber angehäuft und übelriechende Kräuter ausgesäet, damit niemand in die Nähe käme.] Gott sah die Bosheit der Juden und gab dem Basilius (welchem, ist unbekannt) Samen einer duftenden Pflanze, damit er ihn an derselben Stelle aussäe. [Durch dieses Kennzeichen ist dann auch die fromme Kaiserin Helene imstande, den Ort, wo das Kreuz vergraben liegt, zu finden.]


  • Literatur: Seit der Zeit wird das Kreuz Christi mit Kornblumen geschmückt.
    Etnogr. Obozr. 3, 2, 122.

Die Kornblume ist in dem Grabe des hl. Basilius des Großen gefunden worden, der bei Lebzeiten die Blumen sehr geliebt und seine Zelle stets mit ihnen geschmückt hatte.


  • Literatur: ebenda S. 123.

Zur Zeit der Regierung des Ivan Vasiljevič des Schrecklichen lebte in Moskau Basilius der Gerechte. Er starb auf einem Kirchhof und lag, als man ihn fand, zwischen Blumen, die wunderbar dufteten. Man nannte sie die »Blume des Basilius«.


  • Literatur: ebenda S. 123.

Zwei Kinder werden für ihren Ungehorsam von ihrer Mutter verwandelt: der Knabe in eine Kornblume, das Mädchen in eine Brennessel.


  • Literatur: ebenda S. 125–128.

b) Das rote Leberkraut (hepatica rubra L.) wird in Palästina Blutstropfen Christi genannt.


  • Literatur: Deutsche Rundschau 64, 49.

c) Aus Christi Blutstropfen erklärt man den Ursprung der roten Zeichnungen an der weißen Blüte des gemeinen Sauerklees (Oxalis acetosella L.), welchen die alten italienischen Maler, besonders Fra Giovanni Angelico da Fiesole (Santi Tosini, geb. 1387, gest. 1455) im Vorgrunde ihrer Kreuzigungen anzubringen liebten.


  • Literatur: Deutsche Rundschau 63, 415.

d) Die dunkelrot gesprenkelte Wurzel, welche in vielen Gegenden Norwegens noch Baldursstaude und Baldurs Stirne heißt, wird jetzt häufig St. Johannisblut genannt, da die dunkelroten Flecken an derselben stets zuerst am Gedächtnistage der Enthauptung Johannis, dem 29. August, erscheinen sollen.


  • Literatur: Deutsche Rundschau 64, 45.

e) Weiteres über Pflanzen am Kreuze siehe Teirlinck, Folklore flamand p. 32 und Ons Volksleven 11, 1 ff.[299]


Zu S. 230:


Aus dem Spreewald.


Als Jesus Christus starb, splitterten die Felsen. Daher wird man nie mehr einen Stein ohne Risse finden, nur die »kleinen runden plätschigen« [bohnen-förmige dunkle Feuersteine] haben keine. Das Plätschige ist von der Luft abgezogen, denn sie kommen mit dem Blitze. Wo er in Wiesen unter Rasen eingeschlagen hat, findet man sie, aber sehr selten.


  • Literatur: Schulenburg, Wendische Volkssagen S. 270.

Zu S. 232, XVI:


Über den Ursprung des Tabaks siehe Gr. Polívka, Lidové pověsti o původu tabáku im Zbornik u Slavu Vatroslava Jagića (Jagić-Festschrift) S. 378–388. 1908.


Zu S. 232, XVII:


Aus Belgien.


Als der Herr am Kreuz starb, hatte er die Menschen von der ewigen Verdammnis errettet. Der Teufel war voll Zorn darüber und dachte; Nun ist alles für uns verloren, die Menschen werden unseren Platz im Himmel einnehmen. Aber so weit soll es niemals kommen, wiederholte er schäumend vor Wut, denn ich werde die Welt und die Menschen durch den Donner vernichten. Aber Gott antwortete ihm: »Schweige, böser Geist; eh' du den Donner schickst, werde ich Feuer vom Himmel senden, um die Menschen zu benachrichtigen; sie werden das Kreuzeszeichen machen, und du wirst nicht mehr die Macht haben, ihnen zu schaden.« Darum machen die Leute das Kreuzeszeichen, wenn es blitzt, und denken dann, den Donner brauchen sie nicht zu fürchten, so heftig er auch sei.


  • Literatur: La Tradition 5, 107.

Zu S. 233:


Slavische Sage.


Die Marienblümchen sind aus den Tränen der Maria Magdalena entstanden, als sie zum zweitenmal vor dem leeren Felsengrabe stand. Denn sie glaubte, man habe den Herrn weggenommen. Die Blumenblätter hatten die weiße Farbe des Gewandes der Engel, die vor dem Grabe saßen. Der eine von ihnen segnete die Blume: »Sittsam und bescheiden sollst du sein, ein Sinnbild der Demut dieser Heiligen. Grünen und blühen sollst du zu jeder Jahreszeit, selbst unter dem Schnee des Winters sollst du die Knospe bergen. Und weil du aus den Tränen einer ehemals Schuldigen entstanden bist, sollst du ein Liebling der unschuldigen Kleinen sein.« (Globus, Band?)


Zu S. 236:


a) Nach John Maundeville zeigte man um 1340 am Teiche von Siloah »unter dem Berge Sion, gegen das Tal von Jehosaphat zu« den Holunderbaum, an dem sich Judas in Verzweiflung erhängte.


  • Literatur: Deutsche Rundschau 63, 415.

Aus dem Gouvernement Tver.


b) Judas, der Verräter, wußte, daß der Herr alle Menschen aus der Hölle führen würde. Nun, und als er den Herrn verraten und für ihn 30 Silberlinge erhalten hatte, gedachte er folgendes zu tun: aus dem Garten herauszugehn und das Geld bei sich zu behalten. Und dann lief er sich aufhängen, um früher als Christus in die Hölle zu kommen. Läuft zu einem Baum, sich an einem Zweige[300] aufzuhängen, der aber neigt sich zur Erde; er läuft zu einem andern, er neigt sich zum Boden. Er lief und lief – konnte auf keine Weise sich aufhängen, denn nicht ein einziger Baum nahm ihn bei sich auf. Das heißt also, der Herr läßt es nicht zu und will, daß er, der Verräter, vorher Buße tun solle, aber Judas will das nicht, sondern denkt nur an das eine: wie er so schnell als möglich in die Hölle kommen könnte. Er sieht, die Sache ist faul, und Eile tut not; da ersah der Verräter ein tief ausgefahrenes Geleise, und an seinem Rande hielt sich kaum noch ein überhängender Baum, der sofort in den Hohlweg stürzen mußte. Judas eilte hinzu, setzte sieh hin, und der Baum stürzte auf ihn und preßte den Verräter so stark, daß ihm die Augen aus der Stirn heraussprangen. Nur war es ihm nicht gelungen, früher als der Herr in die Hölle zu kommen. Dieser hatte die Menschen schon von dort herausgeführt. Der Verräter fand sich mit dem Beutel in der Hand als erster in der Hölle beim Satan ein.

So also hat Judas sich umgebracht und nicht an der Espe sich aufgehängt. Für sein Geld hat man später das Dorf »Skudelbnoje«5 gekauft, in dem aber bis heute ein so furchtbarer Gestank herrscht, daß niemand im Dorfe wohnen kann, außer den Schlangen, die heutigen Tages noch dort wohnen.


  • Literatur: Źivaja Starina 9, 392.

c) An einer Espe hat sich Judas, der Verräter, erhängt. Darum zittern die Blätter der Espe beim leisesten Lufthauch, und im Herbst färben sie sich leuchtend rot, – mit der Farbe des Blutes.


  • Literatur: Etn. Obozrěnie 13, 4, 97.

Zu S. 243:


Aus Rumänien.


Jedes Jahr fraß der Sperber die kleinen Krähen. Um das zu verhindern, trägt ihm die alte Krähe eine Gevatterschaft an, die der Sperber annimmt mit dem Versprechen, keine jungen Krähen mehr zu fressen. Da er sie aber nicht kennt, fragt er die alte Krähe, wie ihre Jungen aussehen. Sie sagt ihm, es seien die schönsten von allen jungen Vögeln. – Der Sperber kommt am nächsten Tage zu jungen Amseln und andern; da sie hübsch sind, hält er sie für junge Krähen. So fastet er bis zum dritten Tage. Da kommt er an ein Krähennest, sieht die häßlichen Jungen und frißt sie ohne Bedenken. – Bald darauf trifft ihn die alte Krähe und setzt ihn zur Rede. Jetzt klärt sich das Mißverständnis auf: die Mutter hatte ihre häßlichen Kinder für die schönsten von allen Vögeln gehalten. – Seit jener Zeit verfolgen die Krähen den Sperber.


  • Literatur: Marianu, Ornitologia 2, 41 (ebd. S. 39 auch die oben aus der Revue des trad. pop. angeführte Variante).

Aus Schweden.


a) Der Fuchs kam gegangen, ihm begegnete die Eule. »Hast du einige Junge angetroffen?« sprach sie. »Ja gewiß!« »Es sind doch wohl nicht die meinen, die du ge holt hast?« »Wie sahen sie aus?« »Sie sind die schönsten auf der Welt.« »Nein, die, welche ich mir holte, waren die häßlichsten, die man sehen konnte.«


  • Literatur: Cavallius, Wärend 2, XXVI.

b) Die Eule bat den Habicht, er möge ihre Jungen nicht töten. »Wüßte ich nur, wer deine Jungen seien!« »Die schönsten, die du sehen wirst, sind meine« usw.


  • Literatur: Cavallius, Wärend 1, 318.

[301] Zu S. 253:


a) St. Columkille watete eines Tages durch eine der sandigen Furten, die es auf den Inseln gibt. Da verspottete ihn die Flunder, die auf einem Stein ruhte. Deshalb bekam sie für alle Zeiten ein schiefes Maul (Hebriden).


  • Literatur: Folklore 13, 37.

b) Das schiefe Maul der Flunder entstand, als sie dem Klippfisch Gesiebter schnitt. Es ist ihr zur Strafe so geblieben, wie sie es verzogen hatte (Sutherland).


c) St. Columba begegnete einer Masse Flundern. »Ist das ein Umzug, ihr Flundern?« fragte er. »Ja, Colum Kil Krummbein!« sagten die Flundern. »Wenn ich krumme Beine habe,« sagte St. Columba, »so sollt ihr ein krummes Maul haben!« Und seitdem hat die Flunder ein schie fes Maul (Tiree und Jona).


  • Literatur: John Greg. Campbell, Superstitions of the Highlands and Islands of Scotland p. 223. (Weiteres in den »Tiersagen«)

Zu S. 255:


Die glänzenden Tröpfchen an den Spitzen des Sonnentaus (Drosera L.) werden häufig »Unserer lieben Frau Tränen« genannt.


  • Literatur: Deutsche Rundschau 63, 418. Weiteres über Marienpflanzen siehe bei Is. Teirlinck, Folklore flamand p. 40 und Volkskunde 7, 153. 186. 193.

Fußnoten

1 Nurra ein Gebirge.


2 Tränkplatz.


3 Oben spitz zulaufender Hut mit breiter Krämpe.


4 Das Buch ist nur mit Vorsicht zu benutzen, da der Verf. die Überlieferung überall durch eigene Zutaten entstellt. Überdies scheinen mehr Sagen aus herrnhutischen und baptistischen Kreisen (vgl. S. 29. 73. 91) als echt volkstümliche vorzuliegen.

Neutestamentliche Sagen stehen noch auf S. 11 f. (Judas an der Schwarzpappel erhängt, vgl. oben S. 240); S. 13 (Espe beugt sich nicht »vor Jehovah im Garten Eden«; und Weide als »Judas-Hängebaum«); S. 17 (Eberesche aus Judas' Gebeinen erwachsen); S. 19 (Bocksdorn, Lycium barbarum, aus dem Dornstock entsprossen, mit dem der Schuster Ahasverus den Heiland schlug, als dieser auf dem Wege nach Golgatha vor dessen Tür unter der Kreuzeslast zusammenbrach); S. 21 (Aus der Stacheleiche [Stechpalme], ilex aquifolium, wurde die Dornenkrone gemacht; seitdem glänzen die Blätter und haben rot gefärbte Spitzen und Ränder); S. 23 (Aus dem Ysopstengel entstand der Topinambur); S. 24 (Die Weide war vordem ein niedriger Strauch. Als Jesus in Gethsemane von den Häschern umdrängt wurde, reckten sich die Kidronweiden, um zu sehen, was vorging. Seitdem auch die zerrissene Rinde und die Knorren der abgerissenen Zweige); S. 27 f. (Trauerweide gebeugt seit Christi Tod); S. 33 (Wacholder als Kreuzholz); S. 36 und 43 (Austreibung der Teufel und Entstehung der Erlen und Binsen); S. 47 (Brombeere bei der Geißelung; vgl. oben S. 201); S. 66 (Marienblümchen beim Gang der Maria zu Elisabeth entsprossen, vgl. oben S. 7); S. 76 (Rosmarin am Fuß des Kreuzes oder am leeren Grabe entsprossen); S. 129 und 137 (Schlüsselblumen und Maiglöckchen aus Maria Tränen entstanden).


5 »Das Dürftige«.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 302.
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