XI. Naturalia.

[261] 1. Aus Frankreich.


a) Seit einmal viele Hunde, die an einer Mauer ihr Bedürfnis verrichteten, durch deren Fall erschlagen worden sind, heben nun alle die Pfote dabei, um die Mauer zu stützen.


  • Literatur: Sébillot, Folklore de France 3, 77 = Revue des trad. pop. 17, 578; auch in der älteren frz. Literatur, z.B. Tabarin, Oeuvres complètes 1, 45. Eine türkische Var. mildert die Derbheit und erzählt, Gott habe den Hunden geraten, nicht an einer Mauer zu schlafen, weil sie plötzlich einstürzen könne; daher schlafen sie jetzt mitten auf der Straße (Geg. von Konstantinopel). La Tradition 5, 66, XIX.

[261] b) Die Hunde verrichteten ihr Bedürfnis an der Kirehentür, seit sie – trotz eines Bittgangs nach Rom – nicht mehr mit hinein dürfen.


  • Literatur: Sébillot, Folklore 3, 77 = Revue des trad. pop. 14, 206.

2. Wendische Sage.


Warum heben die Hunde das Bein in die Höhe? Einmal wollte ein Hund an einem alten Abtritte pissen. Dabei fiel der Abtritt um und schlug den Hund tot. Da berieten die Hunde, wie man sich davor hüten sollte, daß ein Abtritt die Hunde totschlüge. Und sie setzten fest, daß jeder Hund das Bein gegen den Abtritt stemmen solle, damit er nicht einfalle. Das tun sie noch heute so.


  • Literatur: W.v. Schulenburg, Wendische Volkssagen und Gebräuche aus d. Spreewald S. 80.

3. Aus Afrika.


a) Der Elefant ist weise und Herrscher über die Tiere. Er duldet nicht, daß sie den Kot in einem Haufen absetzen wie er, sondern zwingt sie, ihre Losung zu verstreuen oder im Laufen fallen zu lassen. Die es doch mit dem Haufen versuchen, schauen ängstlich um sich, ob der Elefant kommt. Sieh nur die Hunde.


  • Literatur: Pechuël-Loesche, Volkskunde von Loango S. 105.

b) Man erzählt, daß beim Tanganjika auf den Fipa-Hügeln ein heftiger Kampf stattfand zwischen den Rhinozerossen und den Elefanten. Die Rhinozerosse wurden besiegt, aber das Leben wurde ihnen unter der Bedingung geschenkt, daß sie nicht mehr die Pfade der Elefanten beschmutzten und ihre Losung verstreuten.


  • Literatur: R. Basset, Contes d'Afrique p. 270. (Sage der Wahehe).

4. Aus Südindien.


Eine Katze und ein Tiger gingen einmal zusammen spazieren. Nachdem sie eine Zeitlang durch den wilden Dschungel gewandert waren, wurde der Tiger hungrig und überlegte sich, ob er einen Sprung auf die Katze ma chen sollte. Seine verstohlenen Blicke erregten den Verdacht der Katze, und da sie nicht wußte, wie sie sonst des Tigers Vorhaben vereiteln könne, so schlug sie vor, daß sie zum Ausruhen auf einen Baum klettern und dann nach Hause gehen wollten. Der Tiger war sogleich damit einverstanden und bat die Katze nur, ihm den Weg zu zeigen. Aber als er nahe genug an ihr heran war, sprang er plötzlich auf sie zu. Doch die Katze war zu schnell für ihn und sprang auf einen schwanken Ast, auf den ihr der Tiger nicht folgen konnte. Da legte sich das grausame Tier am Fuß des Baumes nieder, um zu warten, bis die Katze hinunterkommen müßte. Aber das lange Warten erschöpfte doch die Geduld des Tigers, und zuletzt erhob er sich, um wegzugehen, und brummte dabei: »Jetzt kann ich nicht auf dich warten, aber ihr Katzen werft eure Losung ja immer an demselben Platz ab; da werde ich dich schon bald genug finden!« Darauf stieg die Katze vorsichtig von ihrem Zufluchtsort herunter, ging zu allen Katzen und erzählte ihnen, was der Tiger gesagt hatte, und seitdem haben die Katzen es sich angewöhnt, jeden Tag einen anderen Ort für ihr Bedürfnis zu suchen, und dann graben sie ein Loch, lassen ihr Teil hineinfallen und decken es sorgfältig mit Erde zu, damit die Tiger niemals wissen können, wo sie sie wieder finden können.


  • Literatur: Notes and Queries 7. Ser. IX, 307.

5. Aus Konstantinopel.


Zur Zeit Mohammeds lebte in Arabien ein Jude, Emir-Eptévid, der war von großer Stärke, so daß niemand sich mit ihm messen konnte. Emir-Eptévid war der[262] König des Landes, und seine Hauptstadt war die starke Stadt Héiber. Eines Tages sagte der Engel Gabriel zu Mohammed: »Mache dich auf, nach Héiber zu gehen, und bekehre den Emir.«

Da machte sich der Prophet mit seinen Anhängern auf, unter ihnen befand sich auch Ali.

Als er in Héiber angekommen war, schickte er dem Emir sogleich Herolde entgegen, die ihm befahlen, Muselman zu werden.

»Ich schlage euch einen seltsamen Kampf vor,« antwortete der Jude, »ich werde mit einem von euch kämpfen. Wenn ich siege, müßt ihr meine Religion annehmen, und wenn ihr siegt, nehme ich die eurige an.«

Gabriel gibt Mohammed das Schwert Zulfiquiar und das Pferd Douldoul, und Ali begibt sich damit in den Zweikampf für die Sache Mohammeds und siegt.

Danach wird den Maultiertreibern befohlen, die Reichtümer des Besiegten in Mohammeds Zelt zu bringen.

Die Maultiertreiber waren aber Juden. Anstatt Säcke mit Gold mitzunehmen, nahmen sie schwere Sandsäcke. Das Gewicht (so! gemeint ist wohl die Langsamkeit) der mit Sand beladenen Maulesel machte Ali ärgerlich. Zornig verfluchte er den Maulesel und bat Gott, ihn unfruchtbar zu machen. Seit dieser Zeit ist der Maulesel zur Fortpflanzung untauglich.


  • Literatur: La Tradition 7, 269.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 261-263.
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