D. Verschiedenes.

[473] 1. Aus Finnland.


Ein König hatte drei Töchter. Die eine wurde zum Kuckuck, die andere zum Eichhörnchen, die dritte zur Kröte. Aber sie hatten das auch gewünscht. Sie sagten – die Älteste meinte: »Wenn nur das aus mir würde, worüber alle sich wundem sollten.« Und sie ward zur Kröte. Die zweite sagte: »Wenn ich so eine würde, daß alle lauschen möchten.« Da ward sie zum Kuckuck, und alle ersehnen im Frühling ihren Ruf und sagen: »Hört man den Kuckuck nicht bald?« Die dritte sagte: »Ich möchte ein Wesen werden, dem alle nachlaufen und dem das junge Volk nachschaut.« Und sie ward zum Eichhörnchen und wird noch jetzt angeschaut. So sind die drei Tiere entstanden.


  • Literatur: Nach mündl. Bericht. Frdl. Mitt. von Herrn Prof. K. Krohn. Im wesentlichen gleichlautend in dessen Suom. Kansansatuja 1, 271, Nr. 279. Živaja Starina 5, 446 (russ. Übers.).

2. Aus Estland.


Ein König hatte eine Tochter und drei Söhne. Einst ließ er sich von seiner Tochter den Kopf krauen. Da fand die Tochter eine Laus. Der König nahm die Laus, legte sie in ein Kästchen und zog sie darin drei Jahre lang groß. Dann schlachtete er die Laus und machte seiner Tochter aus der Lausehaut Schuhe. Darauf versammelte er alle Könige und ließ sie raten, aus was für einem Leder die Schuhe seiner Tochter wären. Wer richtig riet, sollte seine Tochter zur Frau bekommen. Aber niemand erriet es. Plötzlich trat eine große Schlange zur Tür herein und sagte: »Das sind Schuhe aus Lauseleder!« Der König mußte seinem Worte treu bleiben und die Tochter der Schlange zur Frau geben. – Und die Königstochter ging mit der Schlange. Und sie gingen übers Meer, immer eine Brücke vor sich und Wasser hinter sich, bis an einen Ort, wo schöne Häuser standen. Da hatte es die Königstochter sehr schön. Des Tags war ihr Mann eine[473] Schlange, des Nachts aber ein schöner junger Mann. – Nach einem Jahre hatte die Königstochter einen Sohn, und sie war sehr froh und wollte das Kind ihrem Vater zeigen. Ihr Mann wollte es wohl nicht erlauben, aber weil sie so sehr bat, trachte er sie selbst über das Meer, immer eine Brücke vor sich und Wasser hinter sich, bis sie ans Ufer kamen.

»Wenn du zurückkommen willst,« sagte die Schlange, »so rufe: ›Kiilu, kaalu, komm, dein Frauchen heimzufordern!‹« – Die Königstochter ging, und wie sie in das Haus ihres Vaters kam, da wunderten sich alle, denn niemand hatte sie mehr lebend geglaubt. Als sie schon eine Zeitlang dagewesen war, verlangten ihre Brüder zu wissen, was ihr Mann sei. Sie sagte, sie wisse seinen Namen nicht. »Aber wie rufst du ihn denn, wenn du nach Hause gehst?« fragten die Brüder. Das wollte die Königstochter nicht sagen, denn ihr Mann hatte es ihr verboten. Die Brüder drangen so lange in sie, bis sie es dennoch ihnen verriet.

Da gingen die Brüder an das Meeresufer, und der älteste rief: »Kiilu, kaalu« usw. Eine Stimme aus dem Meer antwortete:

»Das ist nicht die Stimme meines Frauchens.« Dann rief der zweite Bruder ebenso und bekam dieselbe Antwort. Dann rief der jüngste Bruder, und da antwortete die Stimme aus dem Meere: »Das ist meines Frauchens Stimme!« und der Kopf der Schlange erschien an der Oberfläche des Wassers. In demselben Augenblick aber schlugen sie ihr mit dem Schwerte den Kopf ab und gingen heim. Als die Königstochter an das Ufer kam und zu rufen begann und keine Antwort erhielt, begriff sie, was geschehen war. Im selben Augenblicke wurde sie selbst zur Maserbirke und ihr Sohn zur Ente. Als die Brüder später nach ihr gingen, fanden sie eine Maserbirke und eine Ente und begriffen auch, was geschehen war. Sie brachen einen Zweig von dem Baume, und diese verwundete Stelle fing an zu bluten. So entstand die blutfließende Maserbirke und die Ente.


3. Indianersagen.


a) Vor vielen, vielen Sommern, da lebte einmal ein Häuptling, das war T'sing der Biber, ganz allein auf einer großen Insel im großen Wasser.

Nun hatte T'sing, der Biber, eine Tochter, Cawk, die mit dem hübschen Antlitz. Ihre Mutter war schon lange tot, und sie lebte allein mit ihrem Vater und wuchs zu einem hübschen Mädchen heran, Cawk.

Alle jungen Männer ringsum im Lande kamen und machten Cawk, der Hübschen, den Hof, aber sie behandelte alle ganz gleich und war zu stolz, eines andern als eines großen Häuptlings Frau zu werden, und so wartete sie.

Einstmals, als das Eis schmolz und das Wasser entfes selt wurde, kam ein großer weißer Vogel, das war T'kope Kula-Kula, die Seemöwe, zu der Insel, wo der Biber T'sing lebte, und sah Cawk, die Hübsche.

Die Seemöwe verliebte sich in Cawk, und durch seinen Gesang gab er ihr seine Liebe kund also:

»Komm mit mir! Komm in das Land der Vögel, wo niemals Hunger herrscht.

Wo meine Hütte aus schönsten Hölzern steht, und wo ich, T'kope Kula-Kula, Häuptling bin.

Dein Feuer soll stets mit Holz brennen.

Du sollst auf reichen Bärenfellen ruhen.

Mein Volk, die Möwen, soll dir Nahrung bringen.

Aus ihren Federn sollen deine Kleider sein.

[474] Dein Korb soll stets mit Fleisch gefüllt sein.«

Cawk lauschte dem Sang, und bald liebte sie T'kope Kula-Kula, die Seemöwe, und zog mit ihm fort über das große Wasser und lebte in seiner Hütte.

Doch nur zu bald merkte die arme Cawk, wie verkehrt es gewesen war, daß sie all die jungen Männer fortgeschickt hatte und mit T'kope Kula-Kula, dem Häuptling der Seemöwen, gegangen war; denn seine Hütte war nicht aus schönem Holz gemacht, sondern aus Fischhäuten und war voller Löcher, durch die Colesnass, der Winter, kam und ihre Finger starr machte.

Statt weicher Bärenfelle waren die Felle Tipsu Ko-shoos, des Seebären, ihr Lager, und sie konnte nicht ruhen.

Und kein Holz war da zum Feuer und kein Fleisch im Korb, und ihre einzige Nahrung waren schmutzige Fische, die die Möwen ihr zuwarfen, und es war immer nur wenig, denn die Möwen sind stets hungrig und fressen alles, was sie bekommen können, selbst.

Da wurde Cawk, T'sings, des Bibers, Tochter, traurig und sehnte sich nach ihrer Heimat und ihrem Vater, und in ihrer Betrübnis sang sie ihr Lied also:

»T'sing, o mein Vater, höre:

Wenn du wüßtest, wie traurig ich bin, du kämst zu mir.

Wir würden das große Wasser kreuzen in deinem Kahn.

T'kope Kula-Kulas Stamm sieht mich nicht mit Liebe, denn ich bin eine Fremde.

Colesnass bläst mich an, und Ka-ke-hete pfeift über mein Lager.

Ich habe nichts zu essen.

Ich bin krank und sehr betrübt.

Komm, Vater, mit deinem Kahn und führe mich heim.«

Als nun der Sommer wiederkehrte, bestieg T'sing seinen Kahn und fuhr über das große Wasser, seine Tochter zu besuchen.

Sie war sehr froh, als er kam, und bat ihn, sie wieder mit nach Hause zu nehmen, und erzählte ihm, wie ihr Mann, T'kope Kula-Kula, sie behandelt hatte.

Als T'sing, der Biber, das hörte, wurde er sehr zornig und wartete, bis T'kope Kula-Kula in die Hütte zurückkehrte, und dann tötete T'sing ihn und schnitt ihm den Kopf ab.

Dann nahm er Cawk, die nicht mehr die Hübsche war, denn ihre Augen waren rot vom Weinen, mit sich in seinen Kahn und machte sich schnell auf den Heimweg über das große Wasser.

Bald kam T'kope Kula-Kulas Stamm heim, und sie fanden ihren Häuptling tot und seine Frau geflüchtet, und sie fingen alle zu schreien an, und so schreien sie noch bis auf den heutigen Tag.

Der ganze Stamm der Möwen machte sich auf die Suche nach dem Mörder ihres Häuptlings, und bald erblickten sie T'sings, des Bibers, Kahn, wie er über das große Wasser fuhr.

Da schürten sie einen großen Sturm an und befahlen dem Wasser, sich zu erheben und T'sings, des Bibers, Kahn zu versenken.

Als sich der Sturm erhob, tat T'sing etwas sehr Böses, denn er nahm Cawk, seine Tochter, und schleuderte sie in das große Wasser für die Vögel, damit sie an ihr Rache nehmen sollten.

Doch Cawk ergriff das Ende des Kahns und hielt sich fest, bis ihr Vater, um sich selbst zu retten, ihr grausam die Finger am ersten Gelenk abschnitt. Da fielen ihre Fingerspitzen ins Wasser, und die erste wurde in einen Walfisch verwandelt,[475] und der Fingernagel wurde das Fischbein, und so kam der Walfisch in die Welt.

Der zweite Finger wurde ein Delphin, oder kleiner Wal, und die andern schwammen in der Gestalt von Lachs, Hering, Kabeljau, Robben und Seebären von dannen, und so kamen all diese ins große Wasser und sind noch da.

Als Cawk ins große Wasser fiel, glaubten die Möwen, sie sei im Wasser ertrunken, und flogen fort, und die Wogen beruhigten sich, und ihr Vater holte die arme Cawk ins Boot zurück und führte sie heim; aber sie hatte keine Finger und litt viel Schmerzen.

Als sie nun an ihres Vaters Feuer saß und ihre Hände ansah, da zog alle Liebe aus ihrem Herzen aus, und hinein zog Ka-ka-hete, der Häuptling der Dämonen, weil ihr Vater so grausam zu ihr gewesen war.

Sie besprach sich mit Ka-ka-hete, und er riet ihr, einen Zauber zu brauen, und ihrem Vater etwas zuleide zu tun.

Da rief Cawk ihren Totem-Geist, das war Hoot-za, der Wolf, und zu ihm sprach sie: »Mein Vater, T'sing der Biber, hat meine Finger abgeschnitten. Bring den ganzen Stamm der Hoot-za und laß sie die Hände und Füße meines Vaters abnagen, während er schläft, so daß Ka-ka-hete aus meinem Herzen weicht und ich schlafen kann.«

Und so kam der Stamm der Hootza und nagte T'sings, des Bibers, Hände und Füße ab, während er schlief, und als er erwachte, war er sehr zornig und schalt mit seinem Tah-mah-na-wis1, weil er zugelassen, daß Hootza seine Hände und Füße fraß.

Als er das tat, wurde der Sap-hale Tah-mah-na-wis sehr zornig und hieß die Erde sich öffnen, und hinuntersanken sie, T'sing, der Biber, Cawk, die Hübsche, und der ganze Stamm Hootzas, des Wolfes, bis auf einen, und von dem stammen alle Wölfe in der Welt, und sie sind alle böse wegen der bösen Taten Hootzas.


  • Literatur: Philipp, Indian Fairy Tales, S. 78.

b) Und Qäls wanderte weiter. Einst traf er einen Mann, welcher einen blauen Mantel trug und weit und breit als unverbesserlicher Dieb bekannt war. Diesen verwandelte er in den Blauhäher. Einem anderen schlug er zwei Hölzer in den Kopf und verwandelte ihn in ein Elk; und er schuf den Bären, die Enten und viele andere Tiere. (Sage der Cowitchin.)


  • Literatur: Boas, Indianische Sagen von der nordpacifischen Küste, S. 46.

Fußnoten

1 Schutzgeist.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 476.
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