b) Die Tiere als Zechpreller.

[259] Ganz vereinzelt steht das folgende Märchen der Siebenbürger Sachsen, in dem sich nicht weniger als drei Ätiologien finden. Varianten zu diesem Märchen sind mir nicht bekannt geworden.


Der Bär, der Wolf, der Fuchs und der Hase auf dem Medwischer Margreti.1

Der Bär, der Wolf, der Fuchs und der Hase saßen einmal vergnügt im grünen Waldhaus beisammen. Da sprach der Fuchs: »Wie wäre es, wenn wir einmal auf den Medwischer Margreti gingen? Es soll dort gar lustig zugehen!« Da antwortete der Bär: »Ich bin schon alt und schwach. Wenn aber der Wolf mitgeht und uns schützen will, so ist es mir recht; denn das Menschenkind ist falsch und uns aufsässig!« »Was? Ich fürchte mich nicht!« schrie der Wolf trotzig. »Ich gehe mit, und ihr sollt weder Schaden noch Schande haben!«

»Auch ich will mit, auch ich!« rief froh der Hase. »Halts Maul, Junge, du bist noch zu dumm!« sprach der Fuchs; »du würdest überallhin gaffen und große Augen machen und uns nur in Not bringen!« Da schmiegte sich der Hase an den Wolf, als wenn er sagen wollte: »Macht, daß ich auch mitgehe!« Dem Wolf gefiel das,[259] und er sprach: »Das Häschen muß auch mit!« und streichelte ihm übers Gesicht. »Aber wofür sollen wir uns ausgeben?« fragte der Bär; »es muß doch jedermann etwas vor stellen, der auf den Margreti geht.« »Ach was, das ist leicht!« sprach der Wolf, »für Schüler (Studenten). Ihr singt den Baß, der Fuchs den Alt, der Hase Diskant; ich will Kantor sein und die Melodie leiten und halten!«

Als sie alles gehörig besprochen hatten, machte jeder seinen Pelz rein – denn man muß auf dem Margreti geputzt erscheinen – und dann brachen sie auf. Sie getrauten sich aber doch nicht recht, am hellen Tage in die Stadt zu gehen, und warteten, bis die Dämmerung einbrach. Da kamen sie auf den Zehen ganz leise in die Vorstadt; sie gingen aber hintereinander, der Wolf zuerst, dann folgte der Fuchs, dann der Bär, zuletzt der Hase. In der Verstadt ist das große Wirtshaus, wie ihr wißt. Der Wirt hatte gerade Schweine geschlachtet, und es roch die frische Wurst ihnen entgegen. »Da müssen wir hinein,« sprach der Wolf, »und uns gemütlich tun! Da kennt man uns nicht!« Der Fuchs wollte nicht recht und sah sich zuerst die Gelegenheit genau an; es sah ihm gefährlich aus. »Gevatter, seid nicht so hitzig!« Der Wolf aber roch nur die Wurst, hörte nichts und klinkte gleich die Tür auf »Nur herein, willkommen!« sprach der Wirt. Da gingen alle hinein. »Frische Wurst und Wein her!« schrie der Wolf, »aber viel!« Der Kellner brachte; sie setzten sich und aßen und tranken, und wie nur etwas auf den Tisch kam, gleich war es verschwunden; der Kellner konnte nicht genug bringen. Endlich waren sie satt. Da kam der Wirt mit der Kreide und sprach: »Zahlen!« Ja, ja, da fing ihre Not an. Der Wolf allein hatte den Mut zu reden und sprach: »Wir sind Schüler (Studenten) und wollen uns morgen durch Ansingen etwas verdienen und dann zahlen!« »Das ist alles recht schön!« sagte der Wirt; »lasset indessen nur eure Mäntel zum Pfände!« Der Wirt aber hatte gleich beim Eintreten der Gäste ihnen angesehen, was für Zahler sie seien und hatte im stillen den Kürschner herbeikommen lassen. »Mein Freund da, der Kürschner, wird das Ausziehen besorgen!« Als sie den Namen Kürschner hörten, sprangen alle voll Entsetzen auf und eilten zur Türe; die war jedoch wohl verschlossen. Der Kürschner und der Wirt suchten nun einen nach dem andern zu packen und zu binden: der Bär brummte, der Wolf heulte, der Fuchs bellte; nur der Hase war vor Furcht stumm und starr, und die Augen standen ihm heraus, der Diskant versagte ihm, und bis heute hat er die Stimme nicht zurückerhalten. Ja, das war einmal ein Gesang!

Der Wolf und der Fuchs sprangen dem Kürschner und Wirte immer zwischen den Händen durch. Da fingen sie zuerst den Hasen, und das war leicht, denn der regte und rührte sich ja nicht von der Stelle, und nagelten ihn am Schwanz an die Wand. Dann machten sie sich über den Bären. Den überwältigten sie auch ohne große Mühe, denn er war alt und schwerfällig, und nagelten ihn auch am Schwanz an die Wand. Jetzt Wolf und Fuchs, haltet euch! Die sprangen unter Geheul und Gebell wild herum, auf und ab, bald an die Tür, bald an das Fenster. In seiner äußersten Angst und Not sprang der Wolf mit aller Kraft noch einmal wider den Fensterladen; der plumpste hinaus, der Wolf mit. Er brach ein Bein, aber er raffte sich dennoch auf und lief unter Jammergeheul davon. Als der Fuchs das Fenster offen sah, sprang er sogleich nach; die Wirtin aber, die Milchrahm zu Butter rühren sollte, hatte gerade den rahmigen Löffel in der Hand und stand an der Fensteröffnung. Als sie den Fuchs springen sah, schlug sie mit dem Löffel nach ihm, traf aber nur die Schwanz spitze, und die ist bis auf den heutigen Tag rahmig-weiß.

[260] Der Kürschner und der Wirt waren hinausgeeilt, um den Wolf noch zu fangen und den Fensterladen wieder anzumachen, damit der Fuchs nicht hinauskönne; indessen war dieser auch schon über alle Berge. Auch der Bär war jetzt nicht müßig, als er die Öffnung sah und wie der Wolf und Fuchs glücklich entwischt waren. Er zog, er riß, wand sich – schubski! ward er los, aber der Schwanz hing an der Wand. Und auch dem Hasen war auf einmal der verlorene Mut wiedergekommen. Er machte es wie der Bär. Er ließ seinen Schwanz an der Wand, und – hast du nicht gesehen! war er davon, und nicht leicht konnte etwas schneller sein, als er. Er lief in einem Atem, ohne umzuschauen, bis in den Wald.

Noch heute hat weder der Bär noch der Hase seinen Schwanz eingelöst


  • Literatur: Haltrich, Deutsche Volksmärchen S. 283 ff. (4. Aufl.) = Dähnhardt, Naturgeschichtl. Volksmärchen Nr. 2 (3. Aufl.).

Fußnoten

1 Der ›Medwischer Margreti‹ ist ein wichtiger Jahrmarkt in Mediasch (in Siebenbürgen), der auf den Tag Margaretä (13. Juli) fällt.


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 261.
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