A. Aus Afrika.

[279] 1. Sage der Hottentotten. Mit naturdeutender Ausschmückung.


Der Schakal kam einst zu der Buschtaube, die oben auf einer Felsenspitze wohnte, und sagte: »Gib mir doch eins deiner Kinderchen.« Die Taube erwiderte: »Nein, das will ich wohl bleiben lassen.« Da sagte der Schakal: »Geschwind gib's, sonst fliege ich hinauf.« Da warf sie ihm eins herunter. Ein andermal kam er wieder, begehrte abermals ein Kindchen, und sie gab es ihm ohne weiteres. Als der Schakal sich davongemacht hatte, kam der Reiher und fragte: »Taube, warum weinest du?« Da sprach die Taube: »Der Schakal hat mir meine Kinderchen genommen, darum weine ich.« Da fragte er sie: »Wie kann er sie dir denn nehmen?« Da erwiderte sie: »Als er mich um sie bat, schlug ich's ab; aber er sagte: ›Ich werde hinauffliegen, darum gib sie mir nur,‹ da warf ich sie ihm hinunter.« Da sprach der Reiher: »Und du bist so dumm und gibst den Schakalen, die gar nicht fliegen können, deine Kinder?« Hierauf ermahnte er sie noch, keins mehr zu geben, und ging weg.

Als nun der Schakal wiederkam und sagte: »Taube, gib mir ein Kindchen,« da weigerte sich die Taube und sagte: »Der Reiher habe ihr erzählt, der Schakal sei gar nicht imstande zu fliegen.« Da murmelte der Schakal: »Wart! den will ich schon kriegen!« und ging seines Weges.

Als der Reiher nun eines Tages am Ufer eines Gewässers stand, fragte ihn der Schakal: »Bruder Reiher! wenn der Wind von dieser Seite weht, wie stehst du dann?« Der Reiher wandte ihm seinen Nacken zu und sprach: »So stehe ich, ich beuge meinen Nacken auf die eine Seite.« Der Schakal fragte ihn wiederum: »Wenn aber nun ein Gewitter kommt und es regnet, wie stehst du dann?« Jener gab ihm zur Antwort: »Da stehe ich so, indem ich meinen Nacken hierhin beuge.« Da schlug ihn der Schakal auf den Nacken und brach ihn mitten entzwei. Seit jenem Tage ist des Reihers Nacken rund gebogen.


  • Literatur: Bleek, Reineke Fachs in Afrika, S. 16 f.

2. Sage der Kuba (Nord-Ost-Afrika).


Eine Wildente brütete ihre Jungen auf einer hohen Palme aus und saß oben über denselben. Da kam der Fuchs mit einer Hacke, welche er aus Lehm ge schmiedet hatte, blieb unter der Palme stehen und rief der Ente seinen Gruß zu. Nachdem diese den Gruß erwidert hatte, sagte der Fuchs: »Du Ente, ich werde mit der Hacke diese Palme fällen und dich mit deinen Jungen aufzehren, wenn du mir nicht eins von ihnen herabwirfst.« Die Ente warf ihm eines hinab, das der Fuchs auffing und verzehrte.

Am folgenden Tage kam der Fuchs abermals und sprach in gleicher Weise, wie er am vorhergehenden Tage geredet hatte, abermals warf ihm die Ente eines von den Jungen hinab, der Fuchs fing es auf, verzehrte es und ging fort. Am dritten Tage kam der Fuchs abermals und sprach in gleicher Weise wie er am vorhergehenden Tage geredet hatte, abermals warf ihm die Ente eines von den Jungen hinab. Der Fuchs fing es auf, verzehrte es und ging fort.

Nachdem der Fuchs fortgegangen war, kam der Rabe auf Besuch zur Ente und fand sie krank. »Weshalb bist du krank?« fragte der Rabe. Die Ente antwortete: »Der Fuchs kam mit seiner Hacke daher und sagte mir, er würde mit seiner Hacke die Palme fällen, und mich und meine Jungen auffressen. Ich sagte ihm: ›Friß doch nicht alle auf, ich will dir ja ein Junges hinabwerfen‹ und ich warf ihm eines hinab. Am zweiten Tage kam der Fuchs abermals und sprach in gleicher[280] Weise, wie er am vorhergehenden Tage geredet hatte. Ich warf ihm zum dritten Male ein Junges hinab. Weil nun der Fuchs drei von meinen Kindern gefressen hat, deshalb bin ich krank vor Kummer«. Der Rabe entgegnete der Ente: »Wir Vögel haben ja Flügel. Wenn also der Fuchs die Palme da fällen sollte, so fliegt fort und setzt euch auf eine andere Palme. Sag' das nur dem Fuchs, wenn er morgen wiederkommt.« Nachdem der Rabe ihr diesen Rat gegeben hatte, entfernte er sich.

Am folgenden Morgen kam der Fuchs wieder und sprach in gleicher Weise, wie er am vorhergehenden Tage geredet hatte. Die Ente nun entgegnete ihm mit den Worten, welche ihr der Rabe gesagt hatte, und sprach zum Fuchs: »Wenn du diese Palme da fallen willst, so falle sie, wir wollen dann auf eine andere fliegen.« Der Fuchs führte nun mit seiner Hacke einen Schlag auf den Stamm der Palme, die Hacke aber, da sie aus dem Lehm geformt war, zerbrach, und nachdem diese gebrochen war, da sprach bei sich der Fuchs: »Diese Geschichte hat mir sicherlich der Schwarzkopf angetan,« und ging seine Wege.

Der Fuchs stellt sich tot, der Rabe sagt: Tote Füchse bewegen ein Ohr. Der Fuchs tut es, und der Rabe fliegt weg. Als er ein zweites Mal kommt, stellt sich der Fuchs wiederum tot. Der Rabe sagt: Tote Füchse bewegen den Schwanz. Der Fuchs tut es, und der Rabe fliegt weg. Ein drittes Mal stellt sich der Fuchs tot, der Rabe sagt: Tote Füchse bewegen die Augen. Der Fuchs tut es nicht. Der Rabe fliegt auf ihn, und der Fuchs ergreift ihn. Der Rabe sagt, er sei von seinen Eltern verflucht worden: ein Fuchs soll dich fangen, dich von der Spitze eines hohen Berges herabstürzen und dann deine zerschmetterten Körperteile aufzehren. Der Fuchs will dies tun und wird so überlistet. Der Rabe stellt ihm seine Dummheit vor. »Ja, das habe ich mir selbst getan,« sprach der Fuchs bei sich und ging seines Weges.


  • Literatur: Reinisch, Die Nuba-Sprache, p. 218. Der Schluß erinnert an den Hasen, der sich dadurch aus der Gefangenschaft befreit, daß er sich ins Gras werfen läßt.

3. Sage der Kunama (Nord-Ost-Afrika).


Der Hornrabe hatte auf einer Adansonia siebenzig Eier gelegt. Da kam der Schakal und brachte ein Beil mit, daß er aus Ton verfertigt hatte. Der Schakal sprach nun zum Hornraben: »Soll ich diese Adansonia mit meinem Beil fällen oder gibst du mir eines deiner Kinder?« Indem er jenem eins nach dem andern gab und schon nahe daran war, alle seine Jungen wegzugeben, kam der Rabe und fragte: »Wie geht es deinen Kindern?« Der Hornrabe antwortete dem Raben: »Meine Kinder hat der Schakal gefressen.« Der Rabe aber sagte: »Wie vermag denn der Schakal auf den Baum zu steigen?« Der Hornrabe entgegnete: »Der Schakal stieg auch nicht auf den Baum, ich warf ihm meine Jungen zur Erde hinab.« Der Rabe erwiderte dem Hornraben: »Warum warfst du sie denn dem Schakal zum Fressen hinab?« Der Hornrabe antwortete: »Der Schakal kam und schickte sich an, diesen Baum mit dem Beil zu fallen. Da warf ich ihm meine Kinder zur Erde hinab.« Der Rabe aber sprach zum Hornraben: »Wie sollte er dieses Beil aus Eisen gefertigt haben? Es ist ja nur aus Ton. Wenn also der Schakal kommt, so gib ihm doch nicht deine Kinder!« Der Schakal kam nun wieder und sprach zum Hornraben: »Gibst du mir wohl eins deiner Kinder, oder soll ich diesen Baum mit meinem Beil fällen?« Der Hornrabe aber erwiderte ihm jetzt: »Haue nur zu, ich weiß schon, daß dein Beil nur aus Ton ist.« Da fragte der Schakal: »Wer hat es dir denn gesagt?« Der Hornrabe erwiderte: »Der Rabe sagte es uns; nun kenne[281] ich dein Beil.« Hierauf ging der Schakal von dannen, und als er zum Raben gekommen war, sprach er zu ihm: »Warte nur, du böser Schlingel!«

Eines Tages lag der Schakal wie tot auf der Erde am Wege. Als dann der Rabe kam, schickte er sich an, den Schakal zu fressen, da er meinte, er sei tot. Da packte und fraß den Raben der Schakal.


  • Literatur: Reinisch, Sitzungsber. d. phil. hist. Kl. d. Kais. Akad. d. Wissensch. 119, 5. Abhdlg. S. 42. (1889).
    Vgl. dazu noch folgende Parallelen: Der Hornrabe hat auf einer Adansonia 70 Eier ausgebrütet. Der Fuchs kommt mit einer Tonaxt heran und droht, den Baum zu fallen, falls er nicht ein Junges erhalte. Damit nicht alle umkommen, wirft ihm der Rabe eins herab, und so geht es Tag für Tag, bis fast alle vertilgt sind. Da kommt der Rabe zum Hornraben und rät ihm, dem Fuchs nichts mehr zu geben; er habe nur eine Axt aus Lehm und könne nicht auf den Baum hinaufsteigen. Der Hornrabe handelt danach, der Fuchs versucht vergeblich sich am Raben zu rächen. Reinisch, Die Bilinsprache 1, 231 f. Die Taube fliegt täglich aus, Korn zu sammeln und bringt ihren Kindern abends das Essen. Da bittet das Frankolin die Taube, ihm Korn zu leihen. »Ach nein,« sagt die Taube, »ich habe ja selbst für mich und meine Kinder nicht genug.« »Da aber meine Habe zu Ende ist, woher soll ich zu essen nehmen?« sagte das Frankolin. »So verkaufe deine Kinder!« sagt die Taube und schickt es fort. Das Frankolin rächt sich, indem es der Taube, während sie wieder zum Kornsammeln ausgeflogen ist, ihre Kinder wegnimmt und dem Geier »als Ehrengeschenk« bringt. Am Abend kehrt die Taube heim, und als sie die Kinder nicht findet, fragt sie das Perlhuhn und bittet, ihr suchen zu helfen. »Nun gut,« sagte das Perlhuhn, »geh nur und laß auch anderwärts suchen.« Die Taube kommt zum Geier und erfahrt, was geschehen ist. Weinend kehrt sie heim. Reinisch, ebd. S. 243.
Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 279-282.
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