Sechsundfünfzigstes Capitel.
Von dem Andenken an den Tod.

[80] Es gab einst einen gewissen Fürsten, der sich sehr an der Jagd ergötzte: nun begab es sich einmal, daß, als er zum Jagen ausgezogen war, zufällig ein Kaufmann ihm auf derselben Straße nachfolgte und da er den Fürsten erblickte, wie er schön, angenehm anzuschauen und mit kostbaren Gewändern bekleidet war, sprach er in seinem Herzen zu sich: O mein Herrgott, dieser Mann da liegt dir wohl sehr am Herzen; sieh wie schön er ist, munter und angenehm anzusehen und wie Alle in seiner Umgebung anständig gekleidet sind. Als er dieß so bei sich gedacht hatte, sprach er zu einem von den Dienern des Fürsten: sage mir, mein Lieber, wer ist denn Euer Herr? Der aber versetzte: er ist Herr über viele Länder und gar mächtig durch seinen Reichthum an Gold, Silber und Dienerschaft. Da sprach der Kaufmann: Der steht bei[80] Gott wohl angeschrieben, denn er ist der schönste und weiseste von Allen, die ich gesehn habe. Wie jener das hörte, erzählt er im Geheim alle Worte des Kaufmanns seinem Herrn. Als nun der Herr gegen die Abendstunden nach Hause zurückkehrte, bat er den Kaufmann bei ihm zu übernachten. Der unterstand sich nicht dagegen etwas einzuwenden, sondern begab sich mit dem Fürsten in die Stadt. Als er nun das Schloß desselben betreten hatte, erblickte er so viele schöne mit Gold ausgemalte Zimmer und soviele Reichthümer, daß er sich gar sehr wunderte. Wie nun die Stunde des Abendessens da war, hieß der Fürst den Kaufmann sich neben seiner Gemahlin zu Tische setzen und als dieser eine so schöne und liebenswürdige Dame erblickte, gerieth er fast außer sich und sprach in seinem Herzen: o mein Gott, dieser Fürst hat Alles, was sein Herz begehrt, eine schöne Frau und Tochter, Söhne und Diener mehr als zuviel. Wie er noch so nachdachte, wurden vor die Fürstin und ihn Speisen gesetzt und siehe, die kostbarsten Delicatessen wurden auf einem Todenkopfe servirt und vor die Dame hingestellt und Allen wurde im großen Saale von silbernen Schüsseln durch ihre Diener aufgewartet. Wie nun der Kaufmann einen Todtenkopf vor sich sah, da bewegten sich alle seine Eingeweide und er sprach in seinem Herzen: weh mir, ich fürchte an diesem Orte mein Leben einzubüßen. Die Dame aber beruhigte ihn soviel sie vermochte. Als nun aber die Nacht gekommen war, führte man ihn in ein anständiges Zimmer, wo er ein Bett bereitet fand, das mit Vorhängen umgeben war, und in einem Winkel des Gemaches große Kandelaber. Als er nun das Bett bestiegen hatte, verschlossen die Diener die Thüre und der Kaufmann blieb allein[81] in dem Gemache zurück und betrachtete sich den Winkel, wo das Licht war, und sah zwei todte Menschen daselbst an den Armen aufgehängt. Wie er das gesehn hatte, ergriff ihn eine unerträgliche Furcht, sodaß er durchaus nicht einschlafen konnte; des Morgens früh aber stand er auf und sprach: Weh mir! ich fürchte, ich muß heute neben jenen Beiden hängen. Als nun aber der Fürst aufgestanden war, ließ er den Kaufmann zu sich rufen und sprach: mein Lieber, wie gefällt es Dir bei mir? Der aber versetzte: mir gefällt Alles recht wohl, außer daß man mich bei Tische auf einem Todtenkopfe bediente, sodaß ich unglaublichen Ekel empfand und nicht essen konnte. Als ich mich aber zu Bette gelegt hatte, sah ich zwei Jünglinge in einem Winkel des Gemaches aufgehängt, sodaß mich eine so gewaltige Furcht ergriff, daß ich nicht schlafen konnte und deshalb laßt mich um Gottes Willen jetzt weiter ziehen. Da sprach der Fürst: mein Lieber, Du sahest meine allzu schöne Frau und einen Todtenkopf vor ihr. Der Grund ist folgender. Der, dessen Kopf da war, war einst ein edler Herzog, der meine Frau beredete und sie verführte. Kaum hatte ich sie aber einmal zusammen getroffen, ergriff ich mein Schwert und hieb ihm den Kopf ab. Darum nun setze ich zum Zeichen ihrer Beschämung jenes Haupt jeden Tag vor sie hin, um ihr die Sünde, welche sie begangen hat, wieder vor das Gedächtniß zu führen. Der Sohn des Getödteten hat jene zwei mir so nahe verwandten Jünglinge ermordet, die in jenem Gemache hängen. Darum nun besuche ich jeden Tag ihre Körper, auf daß ich immer hitziger werde, ihr Blut zu rächen. Wenn ich aber die Treulosigkeit meiner Gattin bedenke und den Tod jener Jünglinge vor mein Gedächtniß zurückführe,[82] kann ich keine Freude mehr haben. Gehe also mein Lieber hin in Frieden und beurtheile fürder nicht mehr nach dem Scheine das Leben eines Menschen, bevor Dir nicht die vollständige Wahrheit bekannt worden ist. Da nahm der Kaufmann Abschied von ihm und machte sich zu seinen Handelsgeschäften auf den Weg.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 80-83.
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