Achtzigstes Capitel.
Von des Teufels Arglist und wie Gottes Gerichte verborgen sind.

[136] Es lebte einst ein Einsiedler der sich in seiner Höhle aufhielt und Tag und Nacht Gott auf's Frömmste diente. Nun war aber eines Tages neben seiner Zelle ein Schaafhirt, der seine Schaafe weidete. Es begab sich aber eines Tages, daß der Hirt vom Schlafe überfallen wurde und ein Räuber kam, der ihm alle seine Schaafe wegtrieb. Darüber kam aber der Herr der Schafe hinzu, der den Schäfer fragte, wo seine Schaafe wären. Der aber begann zu schwören, daß er zwar die Schaafe verloren habe, aber wie, das wisse er durchaus nicht. Wie das der Herr hörte, gerieth er in Wuth und erschlug ihn. Als das der Einsiedler sah, sprach er in seinem Herzen: o mein Gott, siehe dieser Mensch hat einen Unschuldigen verklagt und getödtet. Weil du erlaubst, das so etwas geschehen kann, will ich wieder in die Welt hinaus gehen und leben wie die Andern. Wie er das gedacht hatte, verließ er seine Einsiedelei und machte sich wieder auf um in die Welt zu gehen, Gott aber wollte ihn nicht verderben, sondern sendete einen Engel in Menschengestalt zu ihm, daß er sich zu ihm geselle. Als nun der Engel selbigen auf der Straße getroffen hatte, sprach er zu ihm: mein Lieber, wo geht Dein Weg hin? Jener aber entgegnete: nach jener Stadt zu, die da vor mir liegt. Der Engel aber sprach zu ihm: ich will unterwegs Dein Begleiter seyn, denn ich bin ein Engel Gottes und zu Dir gekommen, auf daß wir auf diesem Wege mit einander[137] zusammen gehen. Hierauf zogen Beide nach der Stadt: wie sie aber hineinkamen, da baten sie einen Krieger ihnen um Gottes Willen Herberge zu geben. Dieser Krieger aber nahm sie sehr freundlich auf und bewirthete sie in Allem mit großer Demuth auf das Ehrenvollste und Glänzendste. Nun hatte aber dieser Krieger seinen einzigen Sohn in der Wiege liegen, welchen er zärtlich liebte, und als man zu Abend gespeist hatte, wurde das Schlafgemach geöffnet und für den Engel und Eremiten Betten auf's Anständigste zurechte gemacht. Um Mitternacht aber stand der Engel auf und erwürgte den Knaben in seiner Wiege. Wie das der Einsiedler sah, dachte er bei sich: das ist nimmermehr ein Engel Gottes: jener gute Soldat hat ihm um Gottes Willen jegliche Nothdurft verabreicht und hat nichts als dieses unschuldige Söhnlein und dieses hat er getödtet. Indessen wagte er nicht ihm irgend etwas zu sagen. Früh standen nun Beide auf und machten sich nach einer andern Stadt auf den Weg, in welcher sie im Hause eines Bürgers mit großen Ehren aufgenommen und glänzend bewirthet wurden. Dieser Bürger nun besaß einen goldenen Becher, den er gar werth hielt und auf welchen er sehr stolz war: um Mitternacht stand der Engel auf und stahl diesen Becher. Wie das der Einsiedler sah, dachte er bei sich: das ist meines Erachtens nach ein böser Engel: Jener Bürger hat uns Gutes gethan und dafür hat er ihm seinen Becher gestohlen. Indessen sagte er ihm nichts, denn er fürchtete sich vor ihm. In der Frühe aber standen sie auf und zogen ihres Weges, bis sie an ein Gewässer kamen, über welches eine Brück? führte. Sie betraten dieselbe und es begegnete ihnen ein armer Mann. Zu dem sprach der Engel: mein Lieber, zeige uns doch den Weg nach jener Stadt, der Arme[138] aber drehte sich um und zeigte mit dem Finger nach der Richtung derselben. Wie er sich aber umgedreht hatte, faßte ihn der Engel plötzlich bei der Schulter und warf ihn über die Brücke hinab und der Arme versank alsbald. Wie das der Einsiedler sah, sprach er in seinem Herzen: jetzt weiß ich, daß das der Teufel ist, nicht aber ein guter Gottesengel. Was hat denn der Arme Böses gethan und doch hat er ihn umgebracht. Er gedachte sich nun von ihm los zu machen, allein aus Furcht sagte er ihm nichts. Wie sie nun aber in der Abendstunde zur Stadt gelangten, traten sie in das Haus eines Reichen und baten um Gottes Willen um ein Nachtlager. Der aber schlug es ihnen rund ab. Darauf sprach der Engel des Herrn also zu ihm: um Gottes Willen laßt uns nur auf das Dach Eueres Hauses steigen, damit uns nicht die Wölfe und wilden Thiere fressen. Jener aber antwortete: sehet, hier ist der Stall, in welchem meine Schweine wohnen, wenn es Euch gefällt, könnt Ihr Euch zu ihnen legen, wenn nicht, so weichet von mir, denn ich werde Euch keinen andern Platz einräumen. Darauf entgegnete ihm der Engel: so es nicht anders seyn kann, wollen wir bei Euren Schweinen bleiben: und also geschah es. Früh am Morgen standen sie auf, der Engel rief den Wirth herbei und sprach: mein Lieber, hier schenke ich Dir einen Becher, und mit diesen Worten gab er ihm den Becher, welchen er jenem Bürger gestohlen hatte. Wie das der Einsiedler sah, sprach er bei sich: jetzt weiß ich gewiß, daß das der Teufel ist: das war ein guter Mann, der uns mit aller Demuth aufnahm, und dem hat er seinen Becher gestohlen und jenem Schurken geschenkt, der uns bei sich nicht hat aufnehmen wollen. Hierauf sprach er zu dem Engel: ich will nicht weiter bei Euch warten und befehle Euch[139] zu Gott. Darauf entgegnete der Engel: Höret mich und dann möget Ihre gehen. Du lebtest früher in einer Einsiedlerwohnung und der Herr jener Schaafe schlug seinen Hirten todt. Wisse daß jener Hirt damals den Tod nicht verdient hat, denn ein Anderer hatte das Verbrechen begangen, also hätte er nicht sterben sollen. Gott aber ließ zu, daß er getödtet wurde, auf daß er durch diese Strafe dem ewigen Tode entging wegen einer Sünde, die er ein ander Mal begangen und für die er niemals Buße gethan hatte. Der Räuber aber, der mit allen Schaafen entwischt ist, wird ewige Pein leiden und der Besitzer der Schaafe, welcher den Hirten umbrachte, wird sein Leben durch reichliches Almosenspenden und Werke der Barmherzigkeit für das, was er unwissentlich begangen hat, sühnen. Nachher habe ich aber den Sohn jenes Kriegers, der uns eine gute Herberge gewährt hat, in der Nacht erwürgt. Wisse aber, daß ehe jener Knabe geboren ward, dieser Krieger der beste Almosenspender war und viele Werke der Barmherzigkeit ausübte, seitdem aber der Knabe auf die Welt kam, ist er sparsam und habsüchtig geworden und sammelt alles nur Mögliche um den Knaben reich zu machen, so daß dieser die Ursache seines Verderbens ist, und darum habe ich den Knaben umgebracht, und so ist er wieder, was er früher war, nehmlich ein guter Christ geworden. Dann habe ich auch den Becher jenes Bürgers, der uns mit solcher Demuth bei sich aufnahm, gestohlen. Wisse aber, daß ehe jener Becher gefertigt war, auf der ganzen Erde kein Mensch lebte, der nüchterner war als dieser, allein nachdem jener gemacht war, freuete er sich so über denselben, daß er den ganzen Tag aus ihm trank und jeden Tag zwei- oder dreimal betrunken war: darum habe ich ihm den Becher genommen[140] und jetzt ist er wieder nüchtern geworden, wie früher. Dann hab ich den Armen in's Wasser gestürzt. Wisse, daß jener Arme ein guter Christ war, allein wenn er noch die Hälfte seines Weges weiter gezogen wäre, würde er in einer Todsünde einen Andern erschlagen haben: nun ist er aber gerettet und thront jetzt in himmlischen Ehren. Endlich habe ich den Becher jenes Bürgers dem gegeben, welcher uns die Aufnahme verweigert hatte. Wisse aber, daß auf Erden nichts ohne Grund geschieht. Er hat uns doch noch den Schweinestall zugestanden und darum habe ich ihm den Becher gegeben, und wenn er aufgehört hat zu leben, wird er in der Hölle thronen. Lege also künftig Deinem Munde einen Zügel an, auf daß Du Gott nicht tadelst, denn er weiß Alles. Wie das der Einsiedler hörte, fiel er vor die Füße des Engels nieder und flehte ihn um Vergebung an: hierauf machte er sich nach seiner Einsiedlerwohnung auf und wurde ein guter Christ.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 136-141.
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