Hundertundfunfzehntes Capitel.
Wie Christus für unsere Versöhnung in den Tod gegangen ist.

[219] Es gab einst einen Kaiser, der einen Wald besaß, in diesem befand sich ein Elephant, dem durchaus Niemand zu nahe zu kommen wagte. Wie das der Kaiser hörte, befragte er seine Philosophen und weisen Männer über die Natur des Elephanten. Diese antworteten und[219] sagten, daß der Elephant reine Jungfrauen sehr gern habe. Wie das der Kaiser vernahm, ließ er zwei anständige und schöne Mädchen, welche er in seinem Reiche hatte und die süß zu singen wußten, aufsuchen. Es fanden sich also zwei Jungfrauen, die schön und anständig genug zu seyn schienen. Diesen ließ der Kaiser ihre Kleider ausziehen und sie nackt in den Wald gehen. Eine von ihnen nahm ein Becken mit, die andere aber ein Schwert, und also gerüstet begaben sie sich hinein. Bei ihrem Eintritt in den Wald fingen sie an süß zu singen, und wie das der Elephant hörte, ging er zu ihnen und fing an ihnen die Brust zu lecken, die Jungfrauen aber sangen immer fort, bis der Elephant im Schooße der einen Jungfrau einschlief. Wie aber die andere Jungfrau sah, daß der Elephant im Schooße ihrer Begleiterin eingeschlafen sey, tödtete sie ihn mit ihrem Schwelte, und die Jungfrau, in deren Schooße der Elephant geschlafen hatte, füllte ein Becken mit seinem Blute an und also kehrten sie zum Kaiser zurück. Derselbe aber freuete sich sehr und ließ ein Purpurkleid und vieles Andere aus selbigem Blute machen.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 219-220.
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