Hundertundneununddreißigstes Capitel.
Von den Wunden der Seele.

[265] Einst regierte der große Alexander und eroberte sich die Weltherrschaft; es begab sich aber einstmals, daß er ein großes Heer zusammen brachte und eine Stadt einschloß, wobei er aber mehrere Krieger und andere Leute, ohne daß sie Wunden bekommen hätten, einbüßte. Da er sich darüber nun gar sehr verwunderte, berief er seine Weltweisen vor sich und sprach zu ihnen: o Ihr Meister, wie geht das zu, daß meine Krieger so plötzlich ohne verwundet zu seyn sterben. Hierauf sprachen jene: das ist weiter kein Wunder, denn ein Basilisk steht auf der Stadtmauer, durch dessen Blick die Soldaten vergiftet werden und sterben. Alexander aber sprach: was giebt es für ein Mittel gegen diesen Basilisken? Sie aber sprachen: man stelle einen hohen Spiegel zwischen dem Heere und der Mauer auf, wo sich der Basilisk befindet, denn wenn er in den Spiegel sieht, wird der Reflex desselben und sein Blick ihn selbst treffen, und also wird er des Todes seyn: und so geschah es.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 265-266.
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