Hundertundzweiundsechzigstes Capitel.
Wie man sich vor dem Fluchen in Acht nehmen müsse.

[75] Gervasius von Tilbury berichtet eine Begebenheit, die zwar neu und ungewöhnlich, aber voll guter Lehren ist, und Unvorsichtige auf leichte Weise lehrt, auf ihrer Huth zu seyn. Unter dem römischen Kaiser Otto befand sich in Catalonien, im Bisthum Girona, ein hoher Berg, dessen Gipfel aber sehr steil und beinahe unersteiglich war, und auf dessen Spitze sich ein See befand, der ein schwarzes und in seiner Tiefe unergründliches Wasser enthielt. Dort soll aber der Aufenthalt der bösen Geister sich wie ein Palast weit ausdehnen, aber eine verschlossene Pforte enthalten. Das Aeußere dieser Wohnung aber, so wie der Geister selbst, hielt man gewöhnlich für unbekannt und unsichtbar. Wenn nun Jemand einen Stein[75] oder irgend einen andern festen Körper in die See warf, brach sogleich, wie wenn die Geister erzürnt wären, ein Gewittersturm los. Auf der einen Seite des Berges liegt aber beständig Schnee, dort ist fortwährend Eis, eine Menge Kristalle, aber niemals ein Sonnenstrahl sichtbar. Am Fuße dieses Berges befindet sich ein Fluß, der Goldsand enthält, und aus diesem Sande wird das Gold, welches man gewöhnlich Waschgold nennt, herausgezogen. Im Innern und Umkreis dieses Berges wird aber Silber ausgegraben, und ist derselbe fruchtbar an vielerlei Dingen. Nun wohnte auf einem Gute, welches an diesen Berg stieß, ein Landmann, der, wie er eines Tages mit häuslicher Arbeit dringend beschäftigt war, und durch das fortwährende und nicht zu beruhigende Geheul seines kleinen Töchterchens gestört wurde, endlich, wie es Zornige zu thun pflegen, sein Kind dem Teufel befahl. Alsbald kam diesem unbesonnenen Wunsche der Empfänger bereitwillig entgegen, und ein Haufe von Teufel trug, ohne daß man sie sehen konnte, das Mägdlein hinweg. Als nun ein Zeitraum von sieben Jahren seit langer Zeit vergangen war, erblickte ein Einwohner dieses Landes, welcher am Fuße dieses Berges seine Straße zog, einen Mann, der schnellen Laufes an ihm vorübereilte und mit weinerlicher Stimme klagend ausrief: o ich Elender, was soll ich anfangen, der ich von einer so großen Last zu Boden gedrückt werde. Als er nun von dem Wanderer gefragt wurde, was denn der Grund seiner so großen Betrübniß sey, antwortete er, er sey nun schon sieben Jahre auf dem Berge herumgelaufen, weil er sich den Teufeln befohlen habe, die sich seiner täglich nun als ihres Reitpferdes bedienten. Um nun dem Zuhörer eine so unwahrscheinliche Sache mehr glaublich zu machen, fügte er hinzu, die Tochter eines[76] seiner Nachbarn, welche er kenne, befinde sich in gleicher Lage, und sey gleichsam dem Teufel befohlen worden, daß indessen die Teufel, welche der Erziehung dieses Mädchens überdrüßig wären, dieselbe längst gern ihrem Verflucher zurückgegeben haben würden, wenn nur ihr Vater sie auf dem Berge wieder in Empfang nehmen wollte. Der Helfer stutzte lange, ob er das Unglaubliche verschweigen oder reden solle, wählte aber endlich das Letztere, nehmlich den Vater von dem Zustande seiner Tochter in Kenntniß zu setzen. Wie er nun zu dem Vater derselben kommt, trifft er ihn laut klagend über den lange dauernden Verlust seines Kindes, fragt ihn um den Grund seiner Wehklagen, und als er die Sache bestätigt findet, fügt er das hinzu, wovon wir eben gesagt haben, daß er es von dem, welchen die Teufel als Saumroß gebrauchten, gehört hatte. Als Jener ihn nun um seinen Rath bat, sagte er, er solle an den bezeichneten Ort kommen, und unter Anrufung des Namens Gottes die Teufel beschwören, ihm die ihnen anbefohlene Tochter zurückzugeben. Als nun der Vater die Worte des Boten vernommen hatte, staunte er sehr, als er jedoch bedachte, was er machen solle, zog er es vor, sich dem Rathe des Boten zu unterwerfen. Er stieg hierauf auf den Berg, und lief dem See entlang, indem er die Teufel beschwor, ihm die ihnen anbefohlene Tochter zurückzugeben. Auf einmal erscheint seine Tochter vor ihm, wie durch einen plötzlichen Windstoß hergebracht, von hoher Gestalt, mit unsteten Augen und Knochen und Sehnen, die kaum in der Haut zu hängen schienen, schrecklich anzusehen, ohne Begriffe und kaum etwas Menschliches verstehend und kennend. Der Vater aber wunderte sich über das ihm wiedergeschenkte Kind, und in Zweifel, ob er es erziehen und bei sich behalten solle,[77] begab er sich zum Bischoff von Girona, erzählte ihm die traurige Begebenheit und fragte ihn bekümmert, was er thun solle. Der Bischoff aber, als ein frommer Herr, der die ihm anvertraute Heerde durch sein gutes Beispiel belehrte, befragte das Mägdlein in Gegenwart Aller, und als er Alles, was ihr begegnet war, nach der Reihe erkundet hatte, lehrte er seine Untergebenen in einer Predigt, wie sie künftighin nichts mehr den bösen Geistern befehlen sollten, weil unser Erbfeind, der Teufel, herumgeht, wie ein brüllender Löwe und sieht, wen er verzehre, Einige aber, welche sich ihm ergeben hätten, hinopfere und Andere, ohne Hoffnung auf Rückkehr, eingekerkert halte, auf daß sie ihre Verwünschung aufreibe und abzehre. Und nicht lange nachher kam auch der, welchen die Teufel zu ihrem Reitpferde gebrauchten, durch den Rathschluß des himmlischen Vaters aus seiner Verwünschung an den Tag, und weil er bei seiner Entführung mehr und vollständiger seine Vernunft besessen hatte, so erzählte er den Gläubigen und Verständigen, wie es bei den Teufeln hergeht. Er versicherte aber, es befinde sich neben dem genannten Platze in einer unterirdischen Höhle ein breiter Palast, an dessen Eingange eine Pforte liege, und dort sey Alles dunkel; dorthin kämen bei gegenseitiger freudigen Begrüßung die Teufel zusammen, wenn sie alle Theile des Erdkreises durchwandelt hätten, und berichteten ihren Vorfahren, was sie gethan hätten. Indessen betritt das Innere dieses Palastes Keiner als sie selbst und diejenigen, welche durch das Joch ewiger Verdammiß den Teufeln zu eigen geworden sind. Aus dem eben Gesagten, meine Lieben, können wir lernen, daß wenn wir bei unsern Handlungen durch aufsteigende Widerwärtigkeiten behindert werden, wir nicht gleich des[78] Teufels oder Jemandes Hülfe anrufen müssen, oder unsere Familie oder einen Andern, der irgend worin etwas versehen hat, dem Teufel befehlen dürfen, weil das, was ihm einmal befohlen ist, mehr auf den Leib denkt und von guten Werken abgehalten wird, die der Mensch in seinem Herzen vielleicht unternehmen könnte. Der aber, weil er hofft schon etwas Eigenes in seinem Herzen zu besitzen, stellt ihm vorsichtig nach, um die arme Seele, die durch Sündhaftigkeit angesteckt ist, zu entführen, auf daß sie ihn in Strafe und ewige Verdammniß und in den See des Elends und den Morast des Schmutzes hinabziehn, weil dort beständiger Schnee und ewiges Eis ist, wie der selige Hiob bezeugt, welcher sagt: es geht über vom Schneewasser zu ungeheurer Hitze, und umgekehrt. Dort aber ist eine Menge Kristall und ein Sonnenschein, denn der Kristall bedeutet den Spiegel und das helle Bild der heiligen Dreifaltigkeit, den Spiegel, in welchem sich das Herz freut, ohne Flecken das Heer der heiligen Engel zu schauen. In der Hölle aber wird sie zu keiner Zeit zu unserem Erbarmen scheinen, denn dort ist der Schein des Kristalls, das heißt eine ewige Fülle von unerträglichem Feuer, in welchem die Tochter des Menschen, das heißt die verdammte Menschenseele, nicht blos siebenjährigen, sondern ewigen Foltern, um von ihnen gemartert zu werden, überliefert wird.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 75-79.
Lizenz:
Kategorien: